Vor 90 Jahren verbrannten die Nationalsozialisten Tausende von Büchern verfemter Autorinnen und Autoren, darunter auch Werke Carl von Ossietzkys. Eine Gruppe Studierender erinnert mit verschiedenen Aktionen an dieses düstere Ereignis.
„Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!“ Begleitet von diesem und ähnlichen „Feuersprüchen“ verbrannten Studenten am 10. Mai 1933 in Berlin und 22 anderen deutschen Städten tausende von Büchern, vor allem Werke jüdischer Autoren und politisch geächteter Schriftsteller. Auch Schriften Carl von Ossietzkys, des Namensgebers der Universität Oldenburg, waren darunter.
„Die Ereignisse des 10. Mai 1933 hatten zwar politisch keine großen Auswirkungen auf das Regime der Nationalsozialisten, doch ihre Bedeutung für Hochschulen und Kultur sind nicht zu unterschätzen“, erklärt Ingvar Lindqvist, der an der Universität Oldenburg Philosophie und Geschichte studiert. Mit der Machtübernahme habe ein Prozess begonnen, in dessen Verlauf die Freiheit des Denkens immer stärker eingeschränkt wurde. „Mit diesem symbolischen Tag der Bücherverbrennung wurde die Gleichschaltung auch im akademischen Bereich nochmals deutlich beschleunigt“, berichtet er. Den „Säuberungen“ in den Bibliotheken und Buchhandlungen – als Teil der „Aktion wider den undeutschen Geist“ maßgeblich initiiert durch die Deutsche Studentenschaft, den damaligen Dachverband der Allgemeinen Studentenausschüsse – folgten Entlassungen an den Universitäten. Vor allem jüdische Menschen sowie Angehörige der kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien wurden vertrieben. Selbst beamtete Professorinnen und Professoren mussten fürchten, versetzt oder entlassen werden.
Plädoyer für ein gewaltfreies Miteinander
Lindqvist gehört zu einer Gruppe von zwölf Studierenden aus Philosophie, Geschichte und Kunst, die in diesem Jahr in Oldenburg an die Bücherverbrennungen von 1933 erinnern wollen. Das Team plant ab dem 10. Mai verschiedene Veranstaltungen, etwa eine Filmvorführung im Unikino Gegenlicht, eine Lesung in Kooperation mit dem Staatstheater (Sparte 7) und mehrere Workshops im Horst-Janssen-Museum. In mehreren Buchhandlungen sollen Büchertische auf die Schriftstellerinnen und Schriftsteller aufmerksam machen, deren Werke vernichtet wurden. Bei Veranstaltungen können Besucherinnen und Besucher ihre Gedanken in „Memoria“ – ein großes Gedenkbuch – eintragen. „Unser Projekt ist ein Plädoyer für ein gewaltfreies Miteinander, für eine Kultur der Schriftlichkeit und für die Freiheit des Geistes“, erläutert Lindqvist.
Den Anstoß für ihr Projekt „Wider-Worte“ gab ein Seminar mit dem Titel „Kunst und Erinnerung“ von Prof. Dr. Susanne Möbuß, in dem es unter anderem um den Umgang der Philosophie mit dem Thema Erinnerungskultur ging. „Dabei kam die Frage auf, warum wir nur theoretisch darüber sprechen“, berichtet Möbuß, Dozentin für Geschichte der Philosophie an der Universität. Eine Gruppe von Studierenden habe sich daraufhin spontan dafür begeistert, sich mit dem Thema auch praktisch auseinanderzusetzen und selbst ein Stück Erinnerungskultur zu schaffen.
Die Freiheit des Denkens ist auch heute vielerorts bedroht
Die Wahl fiel auf die Bücherverbrennung, „weil die Kultur der Schriftlichkeit und die Freiheit des Denkens auch heute an vielen Orten der Welt wieder bedroht sind“, wie Möbuß sagt. „Dass damals auch unser Namensgeber betroffen war, sollte uns einmal mehr aufhorchen lassen“, findet Lindqvist. Ossietzky, den die Nationalsozialisten direkt nach dem Reichstagsbrand bereits Ende Februar 1933 verhaftet hatten, gehörte zu den ersten vom NS-Regime verfolgten Autoren und starb 1938 an den Folgen der KZ-Haft.
In Oldenburg, wo es 1933 noch keine Universität gab, fand am 10. Mai keine konzertierte Aktion statt. Allerdings war der Freistaat Oldenburg das erste Land im Deutschen Reich, das – schon ab 1932 – von einer nationalsozialistischen Landesregierung mit absoluter Mehrheit regiert wurde. Und nicht nur deshalb findet es die Studierendengruppe wichtig, sich vor Ort mit dem Ereignis auseinanderzusetzen. „Die Bücherverbrennung von 1933 geht uns bis heute an, und das Gedenken an diese Ereignisse darf nicht lediglich individuell stattfinden“, betont Lindqvist. „Daher freuen wir uns darüber, dass unser Projekt nicht auf die Universität beschränkt ist, sondern dass viele Oldenburger Institutionen mitmachen.“
Susanne Möbuß ist stolz darauf, dass ihre Studierenden neben dem Uni-Alltag Zeit gefunden haben, ein derart vielfältiges Projekt auf die Beine zu stellen – und zwar aus eigenem Antrieb und ohne dafür Creditpoints fürs Studium zu sammeln. Sie betont: „Für das Fach Philosophie, mit dem viele vor allem Gedankenexperimente verbinden, ist dieses sehr praktische Engagement bemerkenswert!“