Im Jubiläumsjahr bietet die Universität Oldenburg Interessierten die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen – und viele ungewöhnliche und spannende Orte kennenzulernen, die für die Öffentlichkeit in der Regel nicht zugänglich sind.
Der schon leicht abgegriffen aussehende Tanzstundenfächer aus den 1940er Jahren ist eines der Lieblingsstücke von Klara von Lindern aus der Sammlung Textile Alltagskultur. In ihrer Präsentation zeigt die Kunsthistorikerin ein Foto des Objekts: Der hellbraune Fächer besteht aus zusammenschiebbaren Holzstäben, die im oberen Teil durch ein grünes Band zusammengehalten werden. „Die jungen Männer schrieben kleine Gedichte oder Verse direkt auf die einzelnen Stäbe des Fächers und erhielten im Gegenzug eine Visitenkarte der Besitzerin“, berichtet von Lindern, die seit 2023 Kustodin der Sammlung am Institut für Materielle Kultur der Universität ist.
Eine bunte Besuchergruppe hat sich an einem verregneten Donnerstagabend im Februar im Institut für Materielle Kultur der Universität zur After-Work-Führung zusammengefunden, um einen Einblick in die teils kuriosen und extravaganten, teils aber auch eher unauffälligen Schätze der Sammlung zu erhalten. Die Führung war eine der ersten ihrer Art: Im Jubiläumsjahr bietet die Universität allen Interessierten die Möglichkeit, Bereiche der Hochschule kennenzulernen, die der Öffentlichkeit normalerweise verschlossen sind – darunter verschiedene Forschungslabore, die Bibliothek, die Werkstätten des Innovationscampus oder die Dächer der Gebäude in Haarentor und Wechloy mit ihren Fotovoltaikanlagen.
Im Institut für Materielle Kultur erhalten die Teilnehmenden schon bei der Ankunft einen kleinen Vorgeschmack auf die Bandbreite der Sammlung: In der Mitte des Webraums – der sich nicht etwa durch die Anwesenheit von Computern, sondern von Webstühlen auszeichnet – steht ein Plateauschuh in Zebraoptik neben einer glänzenden Kappe im Muster des britischen Union Jack aus PVC. Eine Schaufensterpuppe trägt eine bis zur Taille reichende sogenannte Spencerjacke aus schwarzem Leder mit dicken Schulterpolstern aus den 1980er-Jahren.
Objekte, die eine Geschichte erzählen
Was es mit diesen kuriosen Kleidungsstücken auf sich hat, wird allerdings erst einmal nicht verraten. Kustodin von Lindern stellt zunächst das Konzept der Sammlung vor. „Es geht uns nicht um Haute Couture oder besondere Designermode, sondern um alltägliche Dinge. Die Objekte, die wir sammeln, müssen eine spannende Geschichte erzählen“, berichtet sie. Ein Beispiel sei der Tanzstundenfächer, der einen Einblick in einen speziellen Teil der Alltagskultur der Nachkriegszeit ermöglicht. „Wichtig ist, dass wir den Kontext kennen, in dem ein Objekt verwendet wurde. Um diese ‚Objektbiographie‘ zu ermitteln, führen wir strukturierte Interviews mit den Spenderinnen und Spendern durch“, berichtet von Lindern.
In den folgenden 90 Minuten erfahren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass die Sammlung nicht nur Kleidungsstücke, sondern auch Farbstoffe, andere textile Objekte wie Taschen oder Gürtel und „Schriften“ wie Otto-Kataloge, Modezeitschriften und Kinderbücher mit Modebezug umfasst. Sie hören, wie gespendete Objekte behandelt und inventarisiert werden – und werfen einen Blick auf die verschiedenen Bestandteile der Sammlung: Im Archiv „Kleider und Geschichten“ sitzt gerade Mitarbeiterin Veronika Dawydow und näht vorsichtig eine Inventurnummer an eine cremefarbene, mit kleinen Perlen besetzte Handtasche. Der Raum ist auf drei Seiten von raumhohen Schränken umgeben, in denen sich teils säurefreie Kartons stapeln, teils elegante Abendkleider neben Ballonseidenanzügen und ausgefallenen Strickpullovern hängen – ein bisschen wie in einem Second-Hand-Laden. Klara von Lindern holt ein rotes, mit Mohnblumenapplikationen besetztes Cocktailkleid aus dem Schrank und erzählt, dass die Besitzerin es bei den Bayreuther Festspielen und später auf anderen gesellschaftlichen Events getragen habe.
Schließlich geht es zurück in den Webraum und zu den dort ausgestellten Sammlungsstücken: In einer praktischen Übung dürfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Führung selbst wie Forschende die Objekte „befragen“ – und sich deren Geschichte kreativ mit verschiedenen Methoden nähern.
Klara von Lindern sieht in den Jubiläums-Führungen eine Möglichkeit, Bereiche der Universität stärker sichtbar zu machen, die „sonst eher unter dem Radar“ laufen, wie sie sagt. „Die Sammlungen sind ein schöner, lebendiger und auch kreativer Teil der Universität, die auf jeden Fall einen Besuch wert sind“, sagt sie. Angesichts der guten Resonanz will sie ihre Führung im Sommer und wahrscheinlich auch im Herbst noch einmal anbieten.
Auf Spurensuche in der Bibliothek
Im Sommersemester öffnen noch zahlreiche weitere Bereiche der Universität ihre Türen: So stellt beispielsweise die Telemedizinzentrale ihre Arbeit vor, das Institut für Ökonomische Bildung lädt in seine Räumlichkeiten ein, die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie bietet einen Einblick in die Welt der Neurowissenschaften, und im Zentrum für Windenergieforschung ForWind können Interessierte den großen Windkanal des Instituts kennenlernen. Alle Führungen sind kostenlos.
Ein Highlight präsentiert Dr. Oliver Schoenbeck, der an der Bibliothek für Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. An mehreren Terminen im Sommersemester bietet er eine „archäologische“ Bibliotheksführung an, die „sich auf die Suche nach kuriosen und versteckten Spuren der Universitätsgeschichte in Beständen und baulichen Details“ macht, wie es in der Ankündigung heißt. „Die Geschichte des BIS, also des Bibliotheks- und Informationssystems, geht mit der Geschichte der Universität Hand in Hand“, erzählt Schoenbeck. Das Bibliotheksgebäude, das von Anfang an als offener, flexibler Bau geplant gewesen sei, habe sich im Verlauf der zurückliegenden Jahrzehnte baulich immer wieder gewandelt.
Das liegt auch daran, dass sich die Rolle und die Aufgaben von Bibliotheken in den vergangenen 50 Jahren verändert haben. Das können die Teilnehmenden der Führung zum Beispiel beim Blick in geschlossene Magazine erfahren, in denen analoge Medien wie Mikrofilme lagern; an einer Auswahl seltener Bestände wird unter anderem gezeigt, vor welchen Herausforderungen Bibliotheken bei der Bewahrung alter Bücher stehen. Für nostalgische Gemüter hält Schoenbeck eine Ausstellung im Foyer der Bibliothek bereit, die in Fotos den Wandel des Hauses seit den frühen 1980er-Jahren dokumentiert.
Wer im Jubiläumsjahr den einen oder anderen Blick hinter die Kulissen der Universität werfen möchte, sollte die Webseite uol.de/50jahre/fuehrungen besuchen – und sich schnell entscheiden, wenn neue Termine freigeschaltet werden: Die bisherigen Führungen waren meist bereits nach wenigen Tagen ausgebucht.