Wie entsteht ein Preis durch Angebot und Nachfrage? Wie treffen Menschen ökonomische Entscheidungen? Wie lassen sich soziale Dilemmata erklären? Diesen und ähnlichen Fragestellungen können Schülerinnen und Schüler, Studierende und Lehrkräfte im „Oldenburger Experimentallabor Ökonomische Bildung“ nachgehen.
Ein Montagnachmittag Ende Januar: In einem Laborraum im Gebäude A03 ist bereits jeder Platz belegt. Rund 25 Studierende sitzen eng gedrängt an weißen Tischen. Nichts weist darauf hin, dass hier gleich ein Experiment stattfinden wird. „Bei uns knallt nichts, wir haben auch keinen Bunsenbrenner und keine Reagenzgläser“, sagt Markus Allbauer-Jürgensen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ökonomische Bildung.
Stattdessen geht es im „Oldenburger Experimentallabor Ökonomische Bildung“, kurz OX-Lab, um Entscheidungen und soziale Dilemmata. In den Experimenten, die hier stattfinden, verhandeln die Teilnehmenden beispielsweise über den Preis von Äpfeln, sie müssen sich überlegen, für welche Zwecke sie bestimmte Geldbeträge einsetzen möchten oder wie viele Fische sie aus einem Teich entnehmen dürfen, ohne den Bestand zu gefährden.
Das 2018 gegründete OX-Lab mit seinen 30 Tablet-gestützten und sichtgeschützten Einzelplätzen ist einer der sogenannten Oldenburger Lehr-Lern-Räume (OLELA) und wurde im Zuge des Projekts OLE+ eingerichtet. Bund und Länder fördern dieses Vorhaben im Programm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“. Ziel ist es, Lehramtsstudierende noch besser auf ihren beruflichen Alltag vorzubereiten. Als eins der ersten Experimentallabore für Ökonomische Bildung in Deutschland erfüllt das OX-Lab mehrere Funktionen: Es ist ein außerschulischer Lernort, der von Schulklassen besucht wird, dient außerdem der Lehrkräftebildung und ist Ort fachdidaktischer Forschung. Vor allem aber können Studierende hier ökonomische Experimente als Unterrichtsmethode kennenlernen und selbst neue Versuche konzipieren.
Angehende Lehrkräfte lernen, wie sich ökonomische Experimente im Unterricht einsetzen lassen
„Experimente werden bereits seit den 1960er Jahren in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung eingesetzt, etwa um bestimmte Theorien zu überprüfen. Als Unterrichtsmethode sind sie in deutschen Schulen noch nicht weit verbreitet“, berichtet Prof. Dr. Dirk Loerwald. In Deutschland gebe es außer Oldenburg nur wenige Standorte, an denen das Experimentieren im Wirtschaftsunterricht systematisch in die Lehrkräftebildung eingebunden werde, so der wissenschaftliche Leiter des OX-Lab.
Heute, im Seminar mit dem Titel „Fachdidaktik der ökonomischen Bildung II“, probieren die Lehramtsstudenten Carlo, Christian, Jan-Philipp und Johann zum ersten Mal aus, wie man einer Klasse ein komplexes Problem wie den Einfluss des Fachkräftemangels auf den Arbeitsmarkt spielerisch nahebringen kann. Sie haben dafür selbst ein Experiment entwickelt, an dem die anwesenden Kommilitoninnen und Kommilitonen teilnehmen.
„Ihr repräsentiert entweder ein Unternehmen, das Arbeitskräfte sucht, oder seid Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber“, erläutert Jan-Phillip. „Alle bekommen gleich eine Karte mit Informationen zu ihrer Rolle.“ In kurzen Gesprächen einigen sich die beiden Parteien entweder auf eine Einstellung – oder die Fachkräfte ziehen zum nächsten Bewerbungsgespräch weiter. In jeder Runde ändert sich die Anzahl der offenen Stellen. Nach der zweiten Runde wird klar: Das Verhältnis von Bewerbungen und offenen Stellen entscheidet darüber, wie viele Gespräche erfolgreich verlaufen, wie hoch die Löhne ausfallen und wie Verhandlungen geführt werden.
„Experimente erzeugen oft einen Aha-Effekt bei den Teilnehmenden“, berichtet Loerwald. So könne man Schülerinnen und Schülern beispielsweise mit Kurven und Tabellen nahebringen, wie Marktwirtschaft funktioniert – oder dadurch, dass man sie selbst über Preise verhandeln lässt. Über mehrere Runden zwischen Anbietenden und Konsumierenden stelle sich meist ein Gleichgewichtspreis ein, die „berühmte unsichtbare Hand des Marktes“ werde sichtbar, so Loerwald. Wie das Arbeitsmarktexperiment zeige, trage die Methode aber auch dazu bei, Ergebnisse einordnen und auf reale Zusammenhänge übertragen zu können.
Was Luftverschmutzung mit dem Gefangenendilemma zu tun hat
Dilemmasituationen, in denen individuelle und gemeinschaftliche Interessen voneinander abweichen, können beispielsweise durch Experimente aus der Spieltheorie veranschaulicht werden. Berühmt ist das sogenannte Gefangenendilemma. Damit werden Situationen bezeichnet, in denen ein kollektiv erwünschter Zustand nicht erreicht wird, weil es aus individueller Sicht attraktiver ist, nicht zu kooperieren. „Die Ergebnisse lassen sich sehr gut auf Umweltprobleme wie Luftverschmutzung oder Übernutzung von Ressourcen übertragen“, sagt Allbauer-Jürgensen.
Der Vorteil der Klassenzimmer-Experimente: Sie dauern nicht lange und machen neugierig. Hintergrundwissen und Fachbegriffe lassen sich hingegen oft besser über andere Methoden vermitteln. „Meist stehen Experimente daher am Anfang einer Unterrichtsreihe“, erläutert Loerwald. Viele der im OX-Lab entwickelten Ideen können Lehrkräfte im Klassenzimmer mit vertretbarem Aufwand umsetzen, sagen die Oldenburger Wirtschaftsdidaktiker. Damit das funktioniert, stellen sie Anleitungen und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, die bei Bedarf auch ohne digitale Hilfsmittel auskommen. „In Fortbildungen sind die Lehrkräfte oft total begeistert von der neuen Methode“, ergänzt Loerwald.
Auch den Studierenden macht ihr Experimentalseminar viel Spaß – obwohl es nicht immer ganz leicht ist, komplexe Themen auf einfache Entscheidungen herunterzubrechen. Diese Erfahrung machen auch Carlo, Christian, Jan-Philipp und Johann. Die Seminarteilnehmenden loben die vier für die gelungene Gruppendynamik – haben aber auch Vorschläge, wie die Reflexion der theoretischen Grundlagen im Anschluss an das Experiment noch besser angeleitet werden könnte.