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Carl von Ossietzky Universität
Referat Studium und Lehre
Alumni Relations
26111 Oldenburg

  • Prof. Dr. Reto Weiler, Foto: Peter Duddeck

Neugierig den Blick nach vorn mit Prof. Weiler

Mit diesem Interview folgt endlich die zweite Ausgabe aus unserer Reihe zu den Professorinnen und Professoren unserer Hochschule. Hier begegnen wir Prof. Reto Weiler, einem der renommiertesten Wissenschaftler der Carl von Ossietzky Universität. Seit 2008 ist der ehemalige Vizepräsident für Forschung außerdem Rektor des Hanse-Wissenschaftskollegs, des Institutes for Advanced Study in Delmenhorst.

Für das zweite Interview in unserer Professorenreihe, die wir im September 2016 mit einem Gespräch mit Prof. Albrecht Hausmann begonnen haben, treffen wir am 9. Juni 2017 den Neurobiologen Reto Weiler in seinem Büro am Campus Wechloy. Mittlerweile schon lange nicht mehr jeden Tag hier, blickt der frühere Vizepräsident für Forschung und heutige Rektor des Hanse-Wissenschaftskollegs, des Institute for Advanced Study in Delmenhorst, auf eine über vier Jahrzehnte dauernde, außerordentlich erfolgreiche Wissenschaftskarriere zurück.

Geboren 1947 im eher kleinen Wädenswil im Kanton Zürich, machte Weiler 1972 sein Diplom in Biologie an der Universität Zürich. Auf die Promotion 1977 an der Universität München folgte 1978 ein erster Forschungsaufenthalt in Italien, danach weitere an der University of California, Los Angeles, an der University of Calgary in Kanada und wiederholte Gastprofessuren an der University of Queensland in Australien, daneben zahlreiche Auszeichnungen durch namhafte Fellowships und Stipendien. 1982 habilitierte er sich im Fach Zoologie an der Universität München zum Dr. rer. nat. habil. Vier Jahre später schließlich nahm er den Ruf an die noch junge Reformuniversität Carl von Ossietzky in Oldenburg an, wo er seitdem als Professor für Neurobiologie wirkt, immer wieder in führender Position in Forschungsgruppen, Instituten und Gremien vertreten ist und insbesondere als Mitinitiator der European Medical School, als Gründungsdirektor des Forschungszentrums Neurosensorik und als ehemaliger Vizepräsident zu den prägendsten Köpfen der Geschichte unserer Hochschule zählt. Diesen wissenschaftspolitischen Verdiensten, für die er 2008 vom Oberbürgermeister mit dem Oldenburger Bullen ausgezeichnet wurde, steht Weilers Forschungsarbeit indessen nicht nach. Auf dem Gebiet der neurobiologischen Erforschung der Netzhaut des Auges hat er sich über die letzten Jahrzehnte einen Namen gemacht, der nicht nur in Europa, sondern weltweit Gehör findet. Erst kürzlich ist Prof. Weiler von einem Aufenthalt in den USA zurückgekehrt, bei dem im Fachkreis das Erscheinungsjubiläum eines bedeutenden Artikels aus seinem Forschungsbereich gefeiert wurde.

IGAP: Lieber Herr Weiler, zunächst einmal: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Fangen wir gleich mit ein paar persönlichen Fragen an, damit unsere Leser ein wenig hinter die Eckdaten ihrer eindrucksvollen Vita blicken können:

  1. IGAP: Was ist Ihr Lieblingswort?
    WEILER: Licht.
  2. IGAP: Welches Geräusch mögen Sie gar nicht?
    WEILER: Rasenmäher.
  3. IGAP: Was ist Ihr Lieblingsbuch oder -film?
    WEILER: Fitzcarraldo.
  4. IGAP: Mit welcher Person, lebendig oder tot, würden Sie sich gerne einmal zu einem längeren Gespräch zusammensetzen?
    WEILER: Richard Wagner.
  5. IGAP: Wenn Sie nicht Biologe geworden wären, was würden Sie heute tun?
    WEILER: Versuchen, es zu werden.

IGAP: Nun sind Sie aber Biologe, Neurobiologe. Seit langer Zeit befassen Sie sich mit der Erforschung der Retina. Können Sie erklären, was das Auge und die Netzhaut so faszinierend macht?

WEILER: Die Retina wird gerne als Pforte zum Gehirn bezeichnet. In der Tat bildet sie einen sehr direkten Zugang zum Gehirn, einmal weil sie selbst ein an die Peripherie verlagerter Teil des Gehirns ist, aber auch, weil sie die visuellen Informationen über unsere Umwelt aufarbeitet, die letztendlich in fast alle Hirnbereiche einfließen und so unser Denken und Handeln mitbestimmen.

IGAP: Ihre Faszination mit dem Auge endet aber nicht in dessen Aufbau. Sie interessieren sich auf für das, was damit gesehen wird, für Film, Theater und sog. Parietalkunst, das heißt: Felsmalerei. Wie sind Sie dazu gekommen, sich insbesondere mit australischer Felsmalerei zu beschäftigen?

WEILER: Die Retinaforschung hat mich nach Australien gebracht und damit eine erste Begegnung mit den Felsmalereien der Kimberley-Region ermöglicht. In den künstlerisch vollkommenen Darstellungen menschlicher Figuren in rituellen Handlungen, deren Narrative wir nur erahnen können, begegnet man sich selbst und wird Teil der langen Menschheitsgeschichte — eine prägende Erfahrung. Als Wissenschaftler entwickelt man daraus wohl zwangsläufig eine Neugier und beginnt diese in Forschungsaktivitäten umzusetzen.

IGAP: Gibt es auch da einen neurologischen Hintergrund? Es ist bekannt, dass Sie sich seit Jahren auch mit dem Thema Neuroästhetik auseinandersetzen. Denken Sie, die Analyse prähistorischer menschlicher Kunst eröffnet Einblicke in die großen Fragen dieses Forschungsgebiets?

WEILER: Ohne Zweifel können bildliche Darstellungen mit einem Alter von weit über 20.000 Jahren mithelfen, die Frage nach ästhetischen Universalien zu ergründen.

IGAP: Tun Ihnen die Philosophen leid, denen durch die naturwissenschaftliche Herangehensweise nun auch die Ästhetik aus den Händen genommen werden könnte?

WEILER: Die Naturwissenschaften sollten sich hüten, irgendjemandem etwas aus den Händen zu nehmen. Wie jede gute Wissenschaft tragen sie zu unserem Wissen über uns und die Welt bei und tut das am besten mit ihrem methodischen und theoretischen Rüstzeug und im Austausch mit anderen Disziplinen.

IGAP: Lassen Sie uns etwas weiter in wissenschaftspolitisches Terrain vordringen. Als jemand, der eine Vielzahl von Hochschulen aus eigener Erfahrung kennt, der international tätig und umfänglich interessiert ist, haben Sie doch gewiss die eine oder andere Meinung zum Stand deutscher Universität in der Welt, zur Exzellenzinitiative, zum aktuellen Wandel der Universität Oldenburg, die sich stärker internationalisieren will. Wie sehen Sie etwa deutsche Universitäten im internationalen Vergleich aufgestellt?

WEILER: Dazu gibt es ja eine Vielzahl von Rankings, die man mit Recht anzweifeln kann, die dennoch einen gewissen Gradmesser darstellen. Die letzten zwei Jahrzehnte haben insgesamt das Ansehen der deutschen Universitäten gestärkt, wir sind aber gerade dabei, durch die politisch gewollten hohen Zulassungszahlen und die damit verbundene Absenkung des universitären Anspruchs diese Stärkung wieder aufzugeben.

IGAP: Und Oldenburg? Hier entsteht ja aktuell ein neues ‚Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität‘. Das sind großartige Neuigkeiten nicht nur für unsere Universität, sondern auch für das Hanse-Wissenschaftskolleg. Das bereits jetzt hohe Renommee der Meeres- und Klimaforschung im deutschen Nordwesten wird davon weiter profitieren. Welche Entwicklungsideen und -hoffnungen verbinden Sie mit dieser Chance?

WEILER: Eine Universität braucht ein entsprechendes Forschungsumfeld, welches in Deutschland insbesondere durch die vom Bund direkt geförderten Forschungsinstitute gebildet wird. Deshalb habe ich mich als Vizepräsident damals besonders darum bemüht, entsprechende Organisationen nach Oldenburg zu holen und freue mich, dass mit dem Helmholtz-Institut nun eine weitere Organisation in Oldenburg Fuß fasst. Wichtig ist, dass sich Land und Universität anstrengen, diese Organisationen, wozu auch die European Medical School gehört, dauerhaft in Oldenburg zu verankern!

IGAP: Halten Sie die Exzellenzinitiative für eine gute Idee? In unserem Gespräch im letzten September mit Prof. Hausmann kam das Argument auf, dass die Unterscheidung der deutschen Hochschulen in bessere und schlechtere als Katalysator für eine Entwicklung in Richtung des US-Systems wirken könnte, in dem das Qualitätsgefälle zwischen guten und schlechten Universitäten so stark ist, dass wir in Deutschland mit unserem aktuellen Qualitätsdurchschnitt womöglich besser abschneiden als die USA, in denen nur die Eliteuniversitäten überhaupt wahrgenommen werden.

WEILER: Die Exzellenzinitiative ist ja längst keine Idee mehr, sondern Wirklichkeit auch für die nächsten Jahre. Sie war und wird hoffentlich Impulsgeber bleiben — vom finanziellen Umfang ist sie zu unbedeutend, um Eliteuniversitäten zu generieren.

IGAP: Ein ganz anderes Thema, aber weiter spekulativer Natur: Sie forschen in einem Bereich, dessen Methoden und Ergebnisse dem Laien schwer zugänglich sind; Sie sind hochspezialisiert. Ist es für Sie vor diesem Hintergrund denkbar, Wissenschaft, vielleicht naiv antik gedacht, wieder als ein holistisches Projekt zu verstehen? Denn die Feingliederung der Wissenschaften in immer speziellere Fachgebiete führt bei allen unbestreitbaren Teilerfolgen doch zu einer gewissen Blindheit für das Gesamtbild. Sind die verschiedenen Wissenschaften, zunächst vielleicht nur die Naturwissenschaften, heute noch integrierbar, rein praktisch in einer im besten Sinne philosophische Welttheorie überhaupt zu fassen?

WEILER: Ich halte nichts von Welttheorien. Unser Wissen wird immer beschränkt sein. Das schließt ein Streben nach Wahrheit aber nicht aus. Und wenn sich dabei Disziplinen mit unterschiedlichen Zugängen zusammenschließen, ist das erfreulich und möglicherweise erfolgreich. Voraussetzung jeglicher interdisziplinärer Arbeit ist aber die Exzellenz ihrer disziplinären Anteile, will man nicht auf der Ebene des Feuilletons steckenbleiben.

IGAP: Die gegenseitige Befruchtung der verschiedenen Wissenschaften ist auch historisch immens wichtig gewesen, nicht nur um neue Ideen zu entwickeln, sondern um bestehende miteinander zu verknüpfen. Können Sie etwas darüber erzählen, welche Bedeutung dem HWK, das Sie seit 2008 als Rektor leiten, in diesem Zusammenhang zukommt?

WEILER: Das HWK ist ein Ort, der die Voraussetzungen für einen interdisziplinären wissenschaftlichen Austausch von exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Wissenschaftskulturen schafft. Dabei setzt es auf die Köpfe und nicht primär auf Projekte und Zielorientierung. Es schafft damit die Möglichkeiten, die sich in der heutigen Universität kaum mehr realisieren lassen.

IGAP: Sie sind selbst auch viel unterwegs, mal im Namen der Forschung, mal auch, um Networking zu betreiben, das im wissenschaftlichen Betrieb ja eine häufig unterschätzte Rolle spielt. Gerade in Ihrer Funktion als Rektor des HWK ist es unablässig, dass man Sie kennt, idealerweise weltweit. Nun haben Sie in Ihrem Feld bereits mit den renommiertesten Forschern der ganzen Welt zusammengearbeitet. Richard Masland und John Dowling aus Harvard etwa waren vor ein paar Jahren sogar für einige Monate Fellows am HWK. Wie schätzen Sie die Bedeutung von Networking in der internationalen Forschung ein? Haben Sie Tipps für junge Wissenschaftler, für unsere aktuellen und werdenden Alumni?

WEILER: Bleiben Sie neugierig auf die Menschen, die hinter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stecken.

IGAP: Sie waren gegen Ende letzten Jahres in den USA, um das Erscheinungsjubiläum eines wichtigen Artikels aus der Retinaforschung zu feiern. Was macht die Bedeutung dieses Artikels aus?

WEILER: Zum ersten Mal konnten die elektrophysiologischen Antworten auf Lichtstimulation von anatomisch identifizierten Neuronen in der Retina gemessen werden.

IGAP: Wie lange benötigen die Biologiestudierenden in Oldenburg, bis sie sich in diese Gefilde der Neurobiologie vorwagen können?

WEILER: Hoffentlich schon im ersten Semester.

IGAP: Als Sie in den 1970er Jahren an der Universität Zürich Biologie studierten, funktionierte Hochschullehre gewiss noch ziemlich anders. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in der heutigen Lehrpraxis?

WEILER: Ich sehe gar keine so großen Unterschiede. Noch immer ist die Persönlichkeit des Lehrenden ausschlaggebend für die Begeisterung der Studierenden.

IGAP: Sie leben seit über 40 Jahren in Deutschland. Vermissen Sie die Schweiz?

WEILER: Nein.

IGAP: Ihre Biografie weist drei geografische Zentren auf: die Jugend in der Schweiz, die frühe wissenschaftliche Karriere in München, ihre Hauptwirkungsstätte Oldenburg. Gibt es für Sie so etwas wie die Alma mater? Fühlen Sie sich irgendwo heimisch — außer natürlich in Oldenburg?

WEILER: Die Uni Oldenburg ist aufgrund der langen Zeit, die ich an ihr verbracht habe, den Möglichkeiten, die sie mir geboten hat, aber insbesondere durch die vielen Personen, mit denen ich zusammenarbeiten konnte, sei es in der Wissenschaft oder der Verwaltung und von denen zahlreiche zu Freunden geworden sind, ohne Zweifel meine Alma mater.

IGAP: Unser Alumni-Programm versucht, den Kontakt der ehemaligen Studierenden der Carl von Ossietzky Universität mit ihrer Alma mater und untereinander aufrechtzuerhalten. Warum ist diese Verbindung aus Ihrer Sicht wichtig? Pflegen Sie noch Kontakte zu Kommilitonen aus Ihrer Studienzeit?

WEILER: Ich habe noch wenige Kontakte aus der Studienzeit, allerdings nicht über ein Alumni-Programm, welches es nicht gibt. Grundsätzlich begrüße ich solche Programme. Ihr Aufbau und ihre Pflege bedürfen aber auch entsprechender Ressourcen von Seiten der Universität.

IGAP: Wenn Sie einen Schritt, den Sie in Ihrer akademischen Laufbahn getan haben, rückwirkend anders setzen könnten, welcher wäre es und warum?

WEILER: Ich schaue lieber nach vorn.

IGAP: Können Sie eine generelle Empfehlung an Studierende und frische Alumni abgeben, die sich gerade fragen, wohin ihr Weg sie führen soll? Nicht alle können oder wollen ja promovieren.

WEILER: Folgen Sie Ihrer Neugierde und halten Sie diese wach.

IGAP: Und auf Ihrem Weg, was wäre für Sie als Neurobiologe und Retina-Forscher der heilige Gral der Erkenntnis?

WEILER: Dass es ihn nicht gibt.

IGAP: Zuletzt noch die Gewissensfrage, Herr Weiler: Beatles oder Stones?

WEILER: Stones.

IGAP: Und wissen Sie, wer Justin Bieber ist?

WEILER: Nein.

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