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Cherchez la femme bei Copepoden

von Johannes Dürbaum

Das Fortpflanzungsverhalten einer der Unterordnungen von Ruderfußkrebsen (Copepoda Harpacticoida) steht im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts der Arbeitsgruppe Zoomorphologie am Fachbereich Biologie. Bislang hatte man angenommen, daß alle Arten der Unterordnung dieser nur millimetergroßen Tiere eine sogenannte Präkopulationsstrategie verfolgen, d.h. daß die Männchen die juvenilen Weibchen vor der Kopulation begleiten. In der Oldenburger Studie konnte nun gezeigt werden, daß bei einigen Arten auch eine Postkopulastrategie existiert. In einem solchen Fall begleiten Männchen ausschließlich adulte Weibchen nach der Kopulation für einen bestimmten Zeitraum, wodurch Spermienkonkurrenz vermieden wird.

Es war im Juli 1995, als ich an einem der schönsten Strände der Welt im Osten Indonesiens in der vollen Sonne saß und mit einem mitgebrachten Mikroskop marine Kleinkrebse betrachtete. Was ich dort in meinen mit Meerwasser gefüllten Schalen in großer Artendichte wimmeln sah, waren vor allem Copepoden, manche in den schillernsten Farben. Mit dem bloßem Auge sind die Ruderfußkrebse bei genauem Hinsehen gerade als hüpfende Pünktchen auszumachen, und erst unter dem Mikroskop lassen sich Aussehen und Lebensäußerungen der oft weniger als einen Millimeter großen Tiere genauer studieren. Um die benthischen, das heißt bodennah lebenden Arten, zu fangen, genügen einfache Hilfsmittel wie Eimer und Planktonnetz. Neben dem Auswaschen von Korallensand ist es auch sehr lohnend, Algen im Eimer zu schütteln und die abgewaschenen Tiere im Planktonnetz zu konzentrieren. Sie sind einfach überall und in riesigen Mengen. Zwei Molukkern kommt es seltsam vor, was ich da tue, und nachdem sie mich lange angestarrt haben, kommt die unvermeidliche Frage, die ich auch zu Hause in Oldenburg so oft zu hören bekomme: "Untuk apa?" (Wozu, warum?) Zuerst, und genau wie die meisten anderen fragenden Einheimischen, glauben auch Ramlee und Singh, daß ich nach kleinen Fischen suche, weil Fisch bei der dort praktizierten Subsistenzwirtschaft eine der wichtigsten Nahrungsquellen ist. Daß dies nicht zutrifft und ich mich für das Verhalten kleiner nichteßbarer Krebstiere interessiere, läßt mich in ihren Augen zumindest als seltsam erscheinen.

 Ich hatte diese Reise unternommen, um Vertreter der Copepoda Harpacticoida zu sammeln, die bei uns nicht vorkommen, sowie Lebendbeobachtungen an Arten zu machen, von denen bisher wenig mehr als ihre äußere Gestalt bekannt ist. Ein wichtiges Ziel dieser Reise war aber auch die Beschaffung von Lebendmaterial für Laborzuchten, die ich seit einigen Jahren mit gutem Erfolg betreibe und die das Basismaterial für meine Untersuchungen liefern. Im Vordergrund der Lebendbeobachtungen steht für mich das vermutlich komplexeste Verhalten dieser Kleinkrebse, nämlich das Paarungsverhalten.

 Betrachtet man eine Lebendprobe solcher harpacticoiden Copepoden, so dauert es nicht lange, bis man zwei Tiere findet, die hintereinander zu hängen scheinen und miteinander umherschwimmen. Immer sind es die vorderen Fühler, mit denen sich die erwachsenen Männchen an den Weibchen festhalten, die in solchen Pärchen voranschwimmen. Männchen verschiedener Arten und Familien ergreifen ihre Weibchen an unterschiedlichen Körperteilen. Am häufigsten findet man Männchen, die ihre arteigenen Weibchen an Schwanzborsten oder an Anhängen am Körperhinterende, der Furka, festhalten. Männchen anderer Arten verankern sich am Rückenschild oder an den hinteren Brust- oder auch Hinterleibssegmenten ihrer Geschlechtspartnerinnen. Wieder andere halten sich immer am vierten Beinpaar der Weibchen fest. Verfolgt man solche Pärchen in den Schalen, so kann man meist kein aktives Sexualverhalten feststellen. Die Assoziation von Männchen und Weibchen erscheint eher statisch und kann bei manchen Arten einige Wochen dauern. Das wirft die Frage nach dem Grund für das aufwendige Begleiten der Weibchen durch die Männchen auf.

 Schon im letzten Jahrhundert war es einigen der Pioniere unter den Copepodenforschern aufgefallen, daß Weibchen in solchen Pärchen oft sehr viel kleiner sind als die Männchen, die sie begleiten. Es ist deshalb verständlich, daß zunächst auch an Kannibalismus gedacht wurde, aber die Weibchen werden nicht gefressen.

 Heute bezeichnet man das Phänomen des Begleitens jugendlicher Weibchen bei den Copepoden als Präkopulaphase, da sie der Kopulation selbst vorangeht. Grund für dieses Verhalten der Männchen ist deren Konkurrenz um die Weibchen, die nicht in unbegrenzter Zahl vorhanden sind. Sind erwachsene, noch unbegattete Weibchen nicht zu finden, besteht nur eine Chance für die Männchen, zum Zuge zu kommen. Sie müssen sich ein junges Weibchen sichern und es so lange begleiten, bis es erwachsen ist. Gleich nach der Erwachsenenhäutung sind die Weibchen begattungsfähig, und die Kopulation findet statt. Kurz danach verläßt das Männchen das Weibchen, um sich ein neues jugendliches zu suchen. Dieser Konkurrenzkonflikt der Männchen verschärft sich noch durch ihre Fähigkeit, mehrere Weibchen nacheinander begatten zu können, während die Weibchen vieler Arten sich nur einmal im Leben paaren, da der Samen, den sie dabei erhalten, von ihnen gespeichert werden kann und ausreicht, um alle Eier zu befruchten, die sie in ihrem Leben produzieren.

 Glaubte man früher, daß dieses Fortpflanzungsverhalten mit Präkopula bei den Harpacticoida die Regel ist, wurde später bei anderen Arten auch eine langandauernde Paarbildung zwischen ausschließlich erwachsenen Partnern gefunden. Um die Unterschiede deuten zu können, mußte der kurze Moment der Begattung, bei dem das Männchen dem Weibchen ein Samenpaket, die sogenannte Spermatophore, anheftet, näher beobachtet werden. Im Mittelpunkt meines Vorhabens stand also zunächst die Beobachtung und Dokumentation der eigentlichen Übertragung dieses Samenbehälters auf das Weibchen. Dafür wurden Tiere in lange vorbereiteten Minipetrischalen separat großgezogen und nach Erreichen der Geschlechtsreife mit einem Partner in Filmkammern zusammengesetzt. Was schließlich mit Hilfe einer aufwendigen Videoanlage, die auf ein Mikroskop montiert worden war, innerhalb von eineinhalb Jahren festgehalten werden konnte, war mehr als eine Dokumentation des Spermatophorentransfers bei verschiedenen Arten. Die mittels Zeitlupe analysierten Videosequenzen führten zur Entdeckung vieler, bisher unbekannter Verhaltensweisen, die auch für die Populationsbiologie von großer Bedeutung sind.

 Relativ einfach ist das Paarungsverhalten bei Arten, die eine Präkopu- laphase aufweisen. Männchen der Art Tachidius discipes, die in der Nordsee weit verbreitet ist, können in Laborversuchen, bei denen ihnen erwachsene Weibchen angeboten werden, in wenigen Sekunden feststellen, ob ein Weibchen schon einmal begattet worden ist oder nicht. Das Anbieten von erwachsenen, aber jungfräulichen Weibchen hat den Vorteil, daß das Paarungsverhalten, das sonst der nur zweiminütigen Reifehäutung des Weibchens unmittelbar folgt und deshalb kaum abzupassen ist, sofort beobachtet werden kann. Die blitzschnelle Prüfung des Männchens geschieht mit Hilfe der vorderen Fühler und der Beinpaare, die über die Geschlechtsöffnung gescheuert werden. Ist das Weibchen bereits begattet, löst sich das Männchen sofort von ihr und setzt seine Suche fort. Findet es ein anderes geeignetes erwachsenes Weibchen, trennt es sich erst nach der Kopulation wieder von ihr. Weibliches Wahlverhalten konnte auch bei anderen Arten mit Präkopulastrategie nicht gefunden werden. Männchen scheinen alleinbestimmend bei der Partnerwahl zu sein, da die Weibchen über keine Fähigkeiten zu verfügen scheinen, Männchen abzulehnen. Das ist schon deshalb schwer, weil die meisten Weibchen im Jugendalter noch wesentlich kleiner als die Männchen sind.

 Im Gegensatz zu Tachidius discipes mit Präkopulaverhalten stehen diejenigen Arten, bei denen es nur Assoziationen zwischen adulten Tieren gibt. Männchen ergreifen in diesem Fall nur erwachsene Weibchen und führen um diese eine komplexe Balz durch, an deren Ende, falls die Männchen nicht von dem Weibchen abgelehnt werden, die Übertragung der Spermatophore steht. Danach trennen sich bei diesen Arten die Partner nicht sofort wie bei den Präkopulastrategen, sondern die Männchen begleiten ihre Weibchen weiterhin für einen bestimmten Zeitraum. Sobald die Spermatophore am Weibchen angeheftet ist, beginnt ein komplizierter Entleerungsmechanismus. Dieser Prozeß, den man am lebenden Tier unter dem Mikroskop beobachten kann, dauert je nach Art zwischen 35 und 60 Minuten. Während dieser Zeit und oft darüber hinaus verbleiben die Männchen bei den Weibchen und bewachen die Entleerung der Spermatophore (s. Abbildung). Dadurch verhindern sie, daß andere Männchen Gelegenheit erhalten, eine weitere Spermatophore anzukleben, was zu einer Vermischung der Spermien führen könnte. Der Sinn eines solchen Postkopulaverhaltens wird darin gesehen, daß es eine mögliche Konkurrenz der Spermien zweier Männchen im weiblichen Genitaltrakt um die Befruchtung der Eier verhindern soll. Ein genetischer Nachweis für Spermienkonkurrenz fehlt bisher für Copepoden, ist aber beispielsweise für einige Insekten schon erbracht worden.

 Vermutlich ist die Präkopulastrategie, trotz der geringen Mitsprachemöglichkeiten der Weibchen, die evolutionsbiologisch jüngere und die Postkopulastrategie die stammesgeschichtlich ursprüngliche, aus der sich die Präkopulastrategie mehrmals unabhängig entwickelt hat. Dafür gibt es mehrere Indizien, von denen nur eines genannt sei: Je nach Familie greifen die Männchen, wie schon berichtet, die Weibchen an jeweils anderen Körperteilen (siehe Abbildung). Das machen sie mit den vorderen Fühlern, deren Bau entsprechend unterschiedlich ist. Diese Verschiedenheiten sprechen dafür, daß das Präkopulaverhalten nicht nur einmal, sondern mehrmals unabhängig voneinander "erfunden" wurde.

 Über die Tatsache hinaus, daß es zwei verschiedene Strategien zur Sicherung der Vaterschaft bei den Männchen der Copepoden gibt, konnten bei den Männchen mit Postkopulastrategie artspezifische Balzmuster sowie artspezifisches Postkopulaverhalten festgestellt werden. Dieses Verhalten ist komplex und besteht aus einzelnen Abschnitten, läuft aber stets stereotyp in derselben artspezifischen Reihenfolge ab. Genau wie bestimmte Körpermerkmale sind auch diese stereotypen Verhaltensmuster das Ergebnis eines langen Evolutionsprozesses. Nah verwandte Arten sind sich deshalb in der Regel im Balzverhalten ähnlicher als weit entfernt verwandte. Eine genaue Analyse der Balzmuster ermöglicht es deshalb auch, aussagekräftige Indizien für stammesgeschichtliche Verwandtschaftszusammenhänge zu erhalten. Bei acht Arten der Gattung Tisbe durchgeführte Untersuchungen ergaben Verwandtschaftsbeziehungen, die denen entsprachen, die mit Hilfe von Körpermerkmalen rekonstruiert worden waren. Im Rahmen einer zur Zeit laufenen Promotionsarbeit ist das Feld weiter gesteckt und eine größere Teilgruppe der Harpacticoida ausgewählt worden, um mit den Verhaltensmerkmalen die Diskussion um Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb der Harpacticoida weiter voranzubringen.

 Einiges von all dem versuchte ich Ramlee und Singh auf jenem Strand in Indonesien zu erklären. Sie haben mir interessiert zugehört, aber ich fürchte, sie hielten mich nicht nur für seltsam, sondern für einen "orang gila" (Verrückten).

Der Autor

Johannes Dürbaum (33) studierte zunächst an der Universität Bielefeld Biologie mit Schwerpunkt Zoologie. Um auch an meeresbiologischen Themen arbeiten zu können, wechselte er 1989 nach Oldenburg und fand bei Prof. Dr. Horst Kurt Schminke (Fachbereich 7 Biologie) mit der AG Zoomorphologie eine Arbeitsgruppe, die sich der Erforschung der meist marinen Copepoda widmet. Nach dem Diplom 1993 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe. Derzeit arbeitet Dürbaum an seiner Dissertation über Verhaltensbiologie und Ökologie der Harpacticoida in tropischen bis polaren Breiten.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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