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Semester: Winter term 2024

4.03.5301 Skepsis, Wissen, Glaube und Vernunft: R. Descartes und P. Bayle -  


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Description

Wer die philosophischen Grundlinien im Werk von René Descartes (1596-1650) und Pierre Bayle (1647-1706) entdecken und näher kennen lernen möchte, ist hier goldrichtig. Kaum andere Denker (abgesehen von Spinoza, Pascal, Leibniz, Fontenelle oder Locke) hatten im 17. Jahrhundert, dem Zeitalter des Nominalismus, der Religionskriege und Hugenottenverfolgungen in Europa, die theoretisch-erkenntniskritischen und praktischen Seiten der Philosophie so streng miteinander verkettet.
Zu betrachten sind einige Essays hinsichtlich ihrer besonderen Konstruktion des Zusammenspiels von Rationalität und Religion, die wechselseitig sowohl aus dem Antrieb tiefster Religiosität wie auch erkenntniskritischer Rationalität positiv, d. h. sich nicht abstoßend oder radikal ausschließend, begründet worden sind. Dabei stellt sich bezüglich Descartes‘ „Discours“ (1637) und „Meditationen“ (1641) die Frage nach der Funktion der res cogitans und res extensa, oder wie die Selbstbestimmung des Ich als Verlegung der Seinsgewissheit in das denkende Bewusstsein erfolgt und wie mittels metaphysischen Zweifels systematisch-logische Operationalisierbarkeit eben nicht bekämpft wird, sondern skeptisches Denken als tiefgehende Erkenntnisbohrung zur Anwendung gelangt. Ferner betrifft die Lektüre wesentliche Probleme des Verhältnisses zwischen Denken und Sein, Wesen und Existenz, die Materialität der Körper und die Immaterialität der Seele, Descartes‘ Vorbehalt gegenüber den Sinneswahrnehmungen, die Auffassung vom Evidenzcharakter der Dinge und deren Ordnung, das Spiegelverhältnis zwischen Gott und Mensch (concursus dei?), den Zirkelschluss des Glaubens und Unglaubens, den freien Willen oder auch die Notwendigkeit des Irrtums („si enim fallor, sum“ als Implikation des „je pense, donc je suis“).
Die gemeinsame Lektürebesprechung soll verdeutlichen, dass sich Descartes‘ Erkenntnisinteresse nicht nur einseitig auf das Studium der Gewissheit physikalisch-naturwissenschaftlich erklärbarer Kausalitäten beschränkte, sondern vor allem die syllogistische Systematik metaphysischer Begründungen aristotelischer Provenienz bereithält, um zu belegen, dass Gott als existierendes Wesen gedacht werden könne. Dabei bleibt bei Descartes die Behandlung des Problems der Geschichte als Tathandlung des Menschen ausgespart.
Ganz anders ist das Anliegen des hugenottischen Exilanten Pierre Bayle ausgerichtet, der seit 1682 in Rotterdam lebte. Oder war er doch dem Cartesianismus verpflichtet? Bayles Hauptwerk, der „Dictionnaire historique et critique“ (1697) – eine Sammlung von über 2000 Artikeln, die in alphabethischer Ordnung kurze Biographien gelehrter Personen der Geistesgeschichte, biblische und historische Eigennamen bzw. Einträge geographischer und naturwissenschaftlicher Gegenstände repräsentieren – vertritt das Vorrecht historischer Tatsachen vor bloßen Meinungen. Das heißt, dass die neue Methodologie Bayles vom Gestus des Aufklärers durchdrungen ist, in dem er bisher ungeprüft hingenommene philosophische und religiöse Dogmen durch das Abwägen des Für und Wider in Zweifel zieht. Solch bahnbrechende Freilegung und Anwendung historischen Denkens trägt dazu bei, christlichen Offenbarungsglauben zu entkleiden und kritisches Denken im Einklang mit dem Evidenzcharakter der Wahrheitsfindung zu begründen. Bayles Geschichtsbegriff und Anthropologie kennen das Lumen naturale, wonach sich der Unterschied zwischen Gut und Böse ableitet. Als Vertreter der natürlichen Religion, der den Skeptizismus mittels des Fideismus begründet, ist Bayles Methodik der Enttarnung eingebildeten Wissens und die Berichtigung der Fehler anderer zugleich eingebettet in einen vorkantischen Imperativ, nämlich sich nicht wechselseitig Schmerz zuzufügen und Aberglauben und Intoleranz zu geißeln.
Zum Vernunftgebot der Sittlichkeit als Nichtgefangennahme der Vernunft durch den Glauben zählt vor allem die Toleranz, denn alle Menschen können nicht derselben Religion angehören. Die Unmöglichkeit rationaler Begründung von Glaubenssätzen, weil lediglich das je individuelle Gewissen in religiösen Dingen entscheiden könne, impliziert so eine universale Toleranzforderung der Freiheit, die sich an alle großen Buchreligionen und insbesondere auch an Atheisten wendet! Zudem wird auf ästhetischer Ebene deutlich, dass Bayles philosophisch-literarischer Stil einzigartig ist, indem intensiv-energetische Schnellkraft des Denkens, aphoristische Prägnanz und lakonische Pointierung am Horizont anschaulichen Wortmaterials und extensiv-durchdringender Kommentierung ausgewählter Begriffe zusammentreffen und so die Tiefenwirkungen seiner auch paradoxen Ideen- und Wortkontraste widerspiegeln.
Erwartungen: Neugierde, Lust und Freude an der Philosophie und ihren Grundfragen. Ansonsten sind keine besonderen Vorkenntnisse erforderlich. Aber erforderlich sind regelmäßige Teilnahme und Vorbereitung der jeweiligen Sitzungen durch eigene Lektüre, um das anschließende Seminargespräch führen zu können. Zur ersten Sitzung sollten die Kapitel 1 und 2 von Descartes‘ „Discours“ (S. 1-37, s. Bibliographie) gelesen sein.
Organisationsform: Präsenzlehre. Die Anschaffung aller Primärtexte wird empfohlen, die auch über das ZVAB (Zentrales Verzeichnis antiquarischer Bücher) günstig zu erwerben sind. Ein Handapparat inklusive Forschungsliteratur wird in der UB (2. Stock) zur Verfügung gestellt.
Primärliteratur:
Bayle, Pierre: Historisches und kritisches Wörterbuch [1697]. Eine Auswahl. Übersetzt und herausgegeben von Güter Gawlick und Lothar Kreimendahl. Hamburg: Felix Meiner Verlag 2003.
– Toleranz. Ein philosophischer Kommentar [1686]. Herausgegeben von Eva Buddeberg und Rainer Forst. Aus dem Französischen von Eva Buddeberg unter Mitwirkung von Franziska Heimburger. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2016.
Descartes, René: Discours de la méthode [1637]. Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung. Übersetzt und herausgegeben von Lüder Gäbe. Französisch – deutsch. Hamburg: Felix Meiner Verlag 1990.
– Meditationen. Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen [1641]. Übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers. Hamburg: Felix Meiner Verlag 2009.
Forschungsliteratur:
Cassirer, Ernst: Die Philosophie der Aufklärung [1932]. Hamburg: Felix Meiner Verlag 2007.
Feuerbach, Ludwig: Pierre Bayle. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Menschheit [1838]. Neu herausgegeben und biographisch eingeleitet von Wilhelm Bolin. Stuttgart-Bad Canstatt: Frommann Verlag Günther Holzboog 1960 (Sämtliche Werke: Fünfter Band).
Geißler, Rolf: Zu den Fortsetzungen von Bayles ‚Dictionnaire historique et critique‘ in der Aufklärung. Die Wörterbücher von Chaufepiè und Marchand. In: Werner Bahner (Hrsg.): Beiträge zur französischen Aufklärung und zur spanischen Literatur. Festgabe für Werner Krauss zum 70. Geburtstag. Berlin: Akademie Verlag 1971, S. 121-140 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften des Instituts für romanische Sprachen und Kultur Bd. 7).
Kemmerling, Andreas: Ideen des Ichs. Studien zu Descartes. Frankfurt/Main: Vittorio Klostermann Verlag 22005.
Kreimendahl, Lothar: Pierre Bayle: Historisches und kritisches Wörterbuch (1697). In: Ders.: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Rationalismus und Empirismus. Stuttgart: Reclam Junior 1994, S. 314-350.
– Einleitung. In: Pierre Bayle: Historisches und kritisches Wörterbuch [1697]. Eine Auswahl. Übersetzt und herausgegeben von Günter Gawlich und Lothar Kreimendahl. Hamburg: Felix Meiner Verlag 2003, S. IX.-LXXXII.
Neumeister, Sebastian: Pierre Bayle. Ein Kampf für religiöse und politische Toleranz. In: Lothar Kreimendahl (Hrsg.): Philosophen des 17. Jahrhunderts. Eine Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999, S. 222-237.
Perler, Dominik: René Descartes [1998]. München: C. H. Beck Verlag, 2., erweiterte Auflage 2006.
Sauder, Gerhard: Bayle-Rezeption in der deutschen Aufklärung. Mit einem Anhang: In Deutschland verlegte französische Bayle-Ausgaben und deutsche Übersetzungen Baylescher Werke. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Sonderhaft 1975, S. 83-104.
Schalk, Fritz: Studien zur französischen Aufklärung [1964]. Frankfurt/Main: Vittorio Klostermann Verlag 1977.
Zeitplan:
14. 10. 2024: Einführung, Descartes: Discours
21. 10. 2024: Descartes: Discours
28. 10. 2024: Descartes: Discours
04. 11. 2024: Descartes: Discours
11. 11. 2024: Descartes: Meditationen
18. 11. 2024: Descartes: Meditationen
25. 11. 2024: Descartes : Meditationen
02. 12. 2024: Bayle: Meditationen
09. 12. 2024: Bayle: Historisches und kritisches Wörterbuch (Essay: Chrysipp)
16. 12. 2024: Bayle: Phyrrho
06. 01. 2025: Bayle: Zenon von Elea
13. 01. 2025: Bayle: Zenon von Elea
20. 01. 2025: Bayle: Epikur
27. 01. 2025: Bayle: Dritte Klarstellung; Abschlussgespräch

lecturer

SWS
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(Changed: 20 Jun 2024)  | 
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