Promotionsprojekt
Promotionsprojekt
Constantin Rieske
Promotionsprojekt
Praktiken des Glaubenswechsels im 17. Jahrhundert
Abstract
Frühneuzeitliche Konversionen und Glaubenswechsel bedeuteten für die sie betreffenden Menschen eine prozessuale Veränderung des Selbst- und Weltverhältnisses. Ausgelöst durch schleichende Glaubenszweifel, Alteritätserfahrungen aufgrund von Reisen oder politischen Opportunismus wurden jahrelang ausgeführte religiöse Praktiken fragwürdig, veränderten Konvertiten ihr körperliches Verhalten und verwickelten sich in einem neuen religiösen Selbst.
Dabei sollte einerseits nicht angenommen werden, dass die Veränderung des Selbst- und Weltverständnisses nur von außen an Konvertiten herangetragen und sie durch religiöse Instruktion und konfessionelle Ordnungen gleichsam zu einem neuen Glauben konvertiert wurden. Andererseits sind in einem praxeologischen Verständnis Glaubenswechsel im 17. Jahrhundert keine sorgsam geplanten Handlungen, die Konvertiten sicher und unumstößlich zu ihrem neuen spirituellen Selbst führen sollten. Konvertiten reagierten auf den Aufforderungscharakter der sie umgebenen Akteure, Räume und Artefakte und agierten somit in sozialen Spielräumen. Sie verstrickten und verwickelten sich in unterschiedlichen Praktiken und damit im Prozess ihrer religiösen Subjektivierung. Die Lektüre spiritueller Schriften konnte dabei ebenso eine Rolle spielen wie die Gespräche über einen anderen, einen als fremd empfundenen Glauben.
Über die Beobachtung, Imitation und Inkorporierung von Glaubenspraktiken erwarben Konvertiten verschiedene, möglicherweise sich widersprechende Formen praktischen Wissens und Könnens und standen damit immer in einem Spannungsfeld zwischen Routinehandeln und Eigensinn. Das anerkannte körperliche Verhalten im Alltag, sei es im Rahmen von Gottesdiensten oder im einzelnen Gebet, war in vielen Fällen entscheidend für das dauerhafte Gelingen des Glaubenswechsels. Konvertiten wollten und konnten im Prozess der Subjektivierung Anerkennung erfahren und ihr religiöses Selbst manifestieren. Dabei wurden sie durch die regelmäßige Ausführung der kulturell produzierten Praktiken im Prozess ihres Glaubenswechsels geformt, während Konvertiten als Subjekte gleichzeitig auf diese Praktiken rückwirkten, sie transformierten und potentielle Veränderungen der kulturellen Schemata bewirkten.