SoSe 2012

Das Ende der Welt und die Sorge um die Kirche
Aufbauseminar

Das 16. Jahrhundert war eine Zeit religiöser Pluralisierung: Alte Glaubensüberzeugungen lösten sich in einer Vielzahl konkurrierender Deutungsansprüche auf. Der südwestliche Nordseeraum war dabei von der konfessionellen Konkurrenz in hohem Maße betroffen: So bemühten sich sowohl die lutherische und die reformierte Kirche als auch die Church of England um Integration und Konsolidierung ihrer Anhänger- mit evidenten Konsequenzen in der Territorialentwicklung. Neben den protestantischen Konfessionen hielt sich, mehr oder weniger geduldet, eine beachtliche altgläubige Minderheit, die eine Bastion etwa in den bis in das späte 16. Jahrhundert bestehenden Klöstern fand.

Neben den großen Konfessionen war der Nordseeraum ein Gebiet zahlreicher religiöser Splittergruppen, die alternative Formen des Glaubens und Zusammenlebens propagierten. Der Täufer Melchior Hoffmann legte den Grundstein für ein Nordwestdeutschland und die Niederlande umspannendes Gebiet grundverschiedener Auslegungen seiner Lehre, die von apokalyptischem Fanatismus (etwa bei den Münsteraner Täufern) bis hin zu betont innerlich orientiertem Pazifismus (etwa bei den Mennoniten) reichten. Mit der Taufe des Exilanten John Smyth in Amsterdam durch mennonitische Täufer wurde zudem die Gründung der englischen Baptisten eingeleitet. Den seit dem späten 16. Jahrhundert überwiegend friedlich agierenden Täufern stand die Sorge der Herrschaften vor einer Wiederholung des „Täuferreiches von Münster“ der 1530er Jahre entgegen.

Die Bedrohung der Kirchen durch die Heterodoxie war ein Thema, welches die Zeitgenossen massiv beschäftigte. Das Bemühen, im Zeitalter der Pluralisierung integrativ zu wirken, zeichnete etwa den polnischen Theologen Johannes a Lasco aus, der als Gründer des Emder Coetus Einfluss auf die nordwestdeutsche und niederländische reformierte Kirche ausübte. Später folgte er einem Ruf des Erzbischofs von Canterbury nach London, wo er die protestantische Exilgemeinde leitete, bis er mit der blutigen Rekatholisierung Englands zunächst nach Dänemark und schließlich wieder nach Emden reiste.

Die Pluralisierung der Konfessionen hatte Auswirkungen sowohl auf die Regierung eines Territoriums als auch die individuellen Lebensläufe. In diesem Forschungsseminar sollen, nach der Erarbeitung eines entsprechenden methodischen Fundamentes in kritischer Auseinandersetzung mit dem Pluralisierungsbegriff, anhand archivarischer und edierter Quellen eigene Forschungsideen zum Thema der Pluralisierung entwickelt und abschließend im einem Exposé´ präsentiert werden. Dabei soll die gemeinsame Erarbeitung der Sekundärliteratur mit begleiteten selbstständigen Arbeitsphasen abwechseln. Für die Teilnahme am Forschungsseminar ist daher Engagement und die Bereitschaft zur Text- und Quellenlektüre Voraussetzung.

(Stand: 16.03.2023)  |