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Weitere Wissenschaftler/innen, die in der Komponente Mediävistik lehren oder forschen:
Prof. Dr. Doreen Brandt
Niederdeutsche Literatur in historischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive
Martin Sebastian Hammer M.Ed.
Doktorand (derzeit Uni Wuppertal)
Prof. Dr. Uwe Meves
Fachgeschichte der Germanistik
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Dissertationsprojekt: Phänomene metaleptischen Erzählens in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters
swer daz nu wolde nîden
daz si sô schœne was gekleit,
daz wær ein michel tôrheit,
wand ez ist âne ir aller schaden
swaz ich ûf si mac geladen
von sîden und von borten
und von gezierde, mit worten.
(Wigalois, V. 856-862)
Der Erzähler des Wigalois macht keinen Hehl daraus, wer seine Damenfigur Florie schmuckvoll einkleidet. Zwar lässt er die Passage mit einem topischen Als uns diu âventiure seit, / sô was diu juncvrouwe gekleit (V. 742f.) beginnen, doch gut 100 Verse später macht er sich – wie oben ersichtlich – selbst als Urheber der Szenerie kenntlich.
Derartige Passagen, die offenlegen, dass ein Erzähler selbst die Dinge bewirkt, von denen er erzählt, lassen sich – in der narratologischen Terminologie Gérard GENETTEs – mit dem Begriff der métalepse de l’auteur fassen. Sie stellt einen Spezialfall der narrativen Metalepse dar, die allgemein eine Grenzüberschreitung zwischen zwei hierarchisch strikt voneinander getrennten Erzählebenen bezeichnet – also das „Eindringen eines extradiegetischen Erzählers ins diegetische Universum [...] oder auch [...] das Umgekehrte“, das Eindringen einer Figur in die Welt des Erzählers (GENETTE 1972). Für die volkssprachige Erzählliteratur des Mittelalters wurden solche Phänomene bisher noch nicht systematisch untersucht. In meinem Dissertationsprojekt verfolge ich daher einen Ansatz, von dem ich sowohl einen Gewinn für das Instrumentarium der historischen Narratologie, als auch für die Analyse und Interpretation ihrer Gegenstände erwarte.
Ausgehend von den Begriffsprägungen der modernen Narratologie (GENETTE 1972, 2004, PIER/SCHAEFFER 2005), die zuletzt auch die rhetorische Tradition des Begriffs metalepsis mit in den Blick genommen hat (GENETTE 2004), soll zunächst eine Arbeitsgrundlage entwickelt werden, die den Begriff der Metalepse möglichst offen als Ausgangspunkt für eine Schärfung an mittelalterlichen Textbeispielen fasst. In einem nächsten Teilschritt sollen Kontexte der historischen Narratologie, in die sich ein mediävistisch orientierter Begriff von ‚Metalepse’ einzufügen hätte, skizziert werden. In jüngerer Zeit ist gerade in diesem Bereich der Mediävistik umfassend Grundlagenarbeit geleistet worden, auf die meine Arbeit direkt aufbauen kann (exemplarisch HAFERLAND/MEYER 2010, SCHULZ 2012): So halten die Forschungsdebatten zur Frage nach Autor- bzw. Erzählerschaft (UNZEITIG 2004), nach dem Status von Fiktionalität (GLAUCH 2009, 2014) und allgemein nach Logiken des Erzählens im Mittelalter (KRAGL/SCHNEIDER 2013) ungebrochen an. Dabei ist eines der Grundprobleme historischer Narratologie direkt auf mein Vorhaben übertragbar, nämlich dass sich ihre Analysen und Interpretationen zu großen Teilen auf Begriffe stützen, die nicht an ihren Gegenständen entwickelt wurden. Dafür, dass dennoch – oder gerade deswegen – eine Schärfung des narratologischen Instrumentariums der Gegenwart an den Primärtexten des Mittelalters mehr als nur eine Abhilfe sein kann, stehen etwa Gert HÜBNERs Studien zur Fokalisierung im höfischen Roman ein (HÜBNER 2003).
Eine solche wechselseitige Schärfung soll schließlich auch den Kern meiner Arbeit darstellen: Als Ausgangspunkt für meine Überlegungen erscheint mir der höfische Roman um 1200 besonders geeignet. Dieser löst, mit Katharina PHILIPOWSKI (2007) gesprochen, das Dilemma, zugleich Lüge und Wahrheit zu sein, dadurch, dass er seinen Gegenstand nicht nur im Erzählen selbst erschafft, sondern – seit Wolframs Parzival – zudem personifiziert. Wenn diese frou âventiure – als Personifikation des Gegenstandes – mit ihrem Schöpfer in einen Dialog eintritt (Parzival, V. 433,1-434,10), dann überschreitet sie gleichsam als personifizierte Diegese die hierarchische Grenze zur Extradiegese, der Welt des Erzählers Wolfram.
Ausgehend vom Parzival lassen sich vergleichbare Phänomene metaleptischen Erzählens untersuchen, etwa – wie einleitend gesehen – im Wigalois oder in anderen Werken der höfischen ‚Nachklassik’, etwa im Willehalm von Orlens oder im Wilhelm von Österreich. Darüber hinaus ließen sich Grenzüberschreitungen, die im weiteren Sinne dem Phänomenbereich der Metalepse zuzuordnen sind, diskutieren: Die Präsenz des Artushofs in den Tristandichtungen Eilharts von Oberg und Heinrichs von Freiberg; die Rückkopplung zwischen realer Dichterperson und literarischer Figur Wirnt von Grafenberg in Konrads von Würzburg Der Welt Lohn; und schließlich das Umkippen der ‚massiven’ Metalepse ins Groteske, wenn im Ring Heinrich Wittenwilers der eigentliche Musterheld Dietrich von Bern den bereits zuvor getöteten Riesen Ecke ein zweites Mal zur Strecke bringen muss, zuerst auf metadiegetischer und dann noch einmal auf diegetischer Ebene.
An diese Reihe von Beispielen knüpfen sich Fragen nach Entwicklungslinien metaleptischen Erzählens – von der Innovation über die Konventionalisierung hin zur Destruktion in der Groteske? – ebenso an wie Fragen nach werk- und gattungscharakteristischen Unterschieden hinsichtlich der Formen und Funktionen metaleptischer Erzählphänomene: So scheint die Heldenepik, im Gegensatz zum höfischen Roman, gar kein Interesse an der Markierung von ‚Gemachtheit’ zu haben. Ließen sich dort überhaupt vergleichbare erzählerische Phänomene finden, so wären sie doch sicherlich anders zu interpretieren als etwa im Kontext der Artusliteratur. Aus detaillierten Einzelanalysen und -interpretationen erhoffe ich mir schließlich, Spezifika metaleptischen Erzählens in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters herausarbeiten zu können und gleichsam – insbesondere durch die Zusammenführung prinzipiell vergleichbarer Textpassagen unter einem für die Mediävistik noch weitgehend neuen ‚Prisma’ – auch wechselseitige textinterne und textübergreifende Referenzen besser greifen zu können.
Insgesamt versteht sich mein Projekt somit als ein Beitrag zur historischen Narratologie, sowohl im Hinblick auf deren Begriffsinventar als auch auf ihre Gegenstände. Es geht einzig von der Grundannahme aus, dass Metafiktion keineswegs „allein moderne oder postmoderne Romane […] auszeichnet“ (gegen Uwe SPÖRL 2007 im Metzler Lexikon Literatur), sondern die mittelalterliche Literatur eigene Varianten von metafiktionalem und im Speziellen metaleptischem Erzählen formt. Diese analytisch und interpretatorisch zu fassen, ist das Ziel meines Dissertationsvorhabens.