Kontakt

Nowak, Katharina, M.A.

Promotionsprojekt: Wie lassen sich ethnologische Sammlungen dekolonisieren? Zur Wissensproduktion ethnographischer, postkolonialer und geschichtswissenschaftlicher Ansätze.

Abstract

Im Zentrum meiner Forschung steht ein ethnografisch-museales Konvolut, das während der Kolonialzeit aus dem Gebiet der damaligen deutschen Kolonie im heutigen Papua-Neuguinea (PNG) in die Erfurter Sammlung kam. Der Sammler war der Erfurter Jurist Wilhelm Knappe. Die Dekolonisation der Objekte erfolgt im Hinblick auf ihre Materialität, ihre vormuseale Funktion, globalen Verflechtungen, ihre Besitzer*innen sowie ethische und politische Aspekte (Restitution). Ich interessiere mich für unterschiedliche epistemische Praktiken, durch die Wissen im Umgang mit diesen Objekten produziert wird – sowohl in den historischen und gegenwärtigen Kontexten und Alltagskulturen, aus denen sie ursprünglich stammen, als auch in Bezug auf die Praktiken von Sammler*innen und Händler*innen, Kurator*innen und Wissenschaftler*innen, die diese Objekte aus ihren alltäglichen oder rituellen Kontexten (manchmal unter Einsatz von Gewalt und unter Ausnutzung von Macht) herauslösten, sie mobilisierten, nach Deutschland verfrachteten und im Kontext von Museen verkauften, lagerten, beforschten, kuratierten und bis heute kuratieren. Wie werden und wurden diese Objekte bewusst und vergessen, konzipiert und klassifiziert, hergestellt und benutzt, entwendet oder getauscht, erforscht und ausgestellt? Das möchte ich multiperspektivisch erforschen.

Dafür verwende einen breiten, komparativen Wissensbegriff im Sinne Fredrik Barths,[1] welcher nicht ausschließlich akademisch produziertes Wissen miteinbezieht, sondern jegliches Wissen, das Menschen nutzen, um die Welt zu interpretieren und in ihr zu handeln – models of and models for,[2] wie es bei Clifford Geertz heißt. Objekte können für unterschiedliche Akteur*innen differente Bedeutungen haben. Aus einer musealen Perspektive können sie semiotische Zeichenträger sein. Aus anthropologischer Sicht, etwa in Marilyn Stratherns[3] Arbeiten oder in der Akteur-Netzwerk-Theorie,[4] sind es aktive Akteur*innen. Welche Bedeutungen hatten und haben sie für die Herkunftsgesellschaft? Die epistemischen Praktiken verschiedener Akteursgruppen produzieren unterschiedliche ‚Wahrheiten’ und Ontologien. Ich interessiere mich für die hierarchisierte Ordnung dieser ‚Wahrheiten’ und ihr Zusammenspiel mit Macht. Ich möchte die Objekte zu ihrer Herstellung, ihrer Zirkulation, ihren Ent- und Aneignungen, ihren musealen Funktionen und ihren heutigen Bedeutungen befragen. Ziel ist es, anhand dieser Dimensionen und im Sinne der Gabentheorie (Marcel Mauss)[5] zu erarbeiten, welches Wissen über die Objekte in welcher Weise produziert wurde; beispielsweise über welches Wissen über Europäer*innen die melanesische Bevölkerung und die lokalen Produzent*innen von Objekten (während der Kolonialzeit) verfügten. Ich möchte den bisherigen Blick auf die Geschichte wandeln und das Wissen über die Objekte multiperspektivisch darstellen.

Die Analyse aus verschiedenen Perspektiven ist nicht ohne Kooperation mit Akteur*innen der Herkunftsgesellschaften möglich. Quellen- und Archivmaterial stützt die ‚Rekonstruktion‘ der Geschichte der Sammlung. Erkenntnisse aus ethnographischen und geschichtswissenschaftlichen Forschungen stelle ich zur Diskussion. Die Forschung zielt auf eine Sichtbarmachung unterschiedlicher epistemischer Praktiken ab und fragt exemplarisch, wie diese unterschiedlichen Praktiken miteinander in Beziehung stehen und wie die differenten Praktiken und ihre Artikulation in Ausstellungsprojekten und in der Museumsarbeit innovativ und symmetrisch angemessen repräsentiert werden können.


[1] Vgl. Barth 2002
[2] vgl. Geertz 1993
[3] vgl. Strathern 1992
[4] vgl. Latour 2005
[5] vgl. Mauss 1990 [1925]

Literatur

Barth, Fredrik (2002): An Anthropology of Knowledge. In: Current Anthropology Volume 43, Number 1, February 2002. S. 1 - 18.

Geertz, Clifford (1993): Religion as a cultural system. In: Geertz, Cliffort (Hg.): The interpretation of cultures: selected essays. London: Fontana Press. S.87 - 125.

Latour, Bruno (2005): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Mauss, Marcel (1990 [1925]): Die Gabe: Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Strathern, Marilyn (1992): The Decomposition of an Event. In: Cultural Anthropology. Volume7, Issue 2, May 1992. S. 244 - 254.

Fachgebiete

Meine Forschungsschwerpunkte sind kollaborative Formen ethnographischer Wissensproduktion, Dekolonisierung von Wissen, Transkulturalisierungs- und Transnationalisierungsprozesse sowie ein regionales Interesse an Papua-Neuguinea.

Kurzvita

Katharina Nowak studierte Ethnologie und Kommunikations- und Medienwissenschaften sowie Museologie in Bremen und Oldenburg. Seit September 2019 ist sie Doktorandin am Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft an der Universität Bremen. Seit April 2021 arbeitet sie als wissenschaftliche Volontärin in der Abteilung Ozeanien des MARKK in Hamburg.

Wissenschaftlicher Werdegang

2022: Lehrbeauftragte am Institut für Materielle Kultur im Mastermodul Provenienz, Recht, Internationalisierung

seit 2021: Wissenschaftliche Volontärin, Abteilung Ozeanien, MARKK in Hamburg

seit 2020: freie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Südsee-Sammlung & Historisches Museum Obergünzburg

2020-2021: Lehrbeauftragte am Institut für Materielle Kultur im Mastermodul Provenienz, Recht, Internationalisierung

seit 2019: Doktorandin am Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft

2018: Praktikantin in der Abteilung Ozeanien und Provenienzforschung am Museum Fünf Kontinente, Staatliche Museen in Bayern

2016-2018: Studentische Hilfskraft bei Prof. Dr. Karen Ellwanger, Direktorin des Instituts für Materielle Kultur der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

2016-2018: Masterstudium des interdisziplinären Studiengangs Museum und Ausstellung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

2015: Praktikantin in der Abteilung der Südamerikanische Ethnologie und Archäologie am Ethnologisches Museum Dahlem - Staatliche Museen zu Berlin

2013-2016: Studium am Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft, sowie am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen

2008-2012: Studium am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Osnabrück

Publikationen

Grimme, Gese; Nowak, Katharina (2021) [in Vorbereitung]: The Emergence of New Contact Zones? Ethnographic Museums, Corona and the Digital Age. In: Zeitschrift für Ethnologie - Special Issue (2021).

Bartels, Hannah; Burda, Ina Tanita; Eggart, Claudia; Nowak, Katharina; Wiederkehr, Sara (2021) [in Vorbereitung]: "Is the connection ok?" Five reflections about ‘building rapport’ online in times of a Pandemic. In: Zeitschrift für Ethnologie - Special Issue (2021).

Nowak, Katharina (2020): Digitale und digitalisierte Daten und die Rekonstruktion von Wissen. Beitrag zur Herbstakademie „Fieldwork meets Crisis“ der DGSKA, online abrufbar: boas-blogs.org/fieldworkmeetscrisis/digitale-und-digitalisierte-daten-und-die-rekonstruktion-von-wis-sen/

Nowak, Katharina (2019): The American Dream - Nur ein Traum? Repräsentation des ‚Anderen‘ in der Ausstellung „Amerika“ des Übersee-Museums in Bremen. In: Studien zur Materiellen Kultur. Band 32. Oldenburg: Institut für Materielle Kultur, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

Achterberg et al. (2018): Zwischen zwei Welten. Menschen mit und ohne Behinderungen erzählen. In: Studien zur Materiellen Kultur. Band 28. Oldenburg: Institut für Materielle Kultur, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

Vorträge

April 2022: re:MARKK - für ein diskriminierungsärmeres Museum. Vortrag beim ICOM Young Professional Netzwerk, AG Diversität und Diskriminierungskritik.

Februar 2022: Widerspruch und Intersektionalität. Impulsvortrag mit Verena Honkomp-Wilkens und Jonas Trochemowitz (Universität Bremen, WoC GradNet) beim ICOM Young Professional Netzwerk, AG Diversität und Diskriminierungskritik.

Dezember 2021: Zwei kolonialzeitliche Expeditionen in die ‚Südsee‘ – Ein Vergleich universitärer und musealer Praktiken der Provenienzforschung. Vortrag mit Sara Müller (Georg-August-Universität Göttingen) in der öffentliche Ringvorlesung „Verdachtsmomente - Provenienzforschung an Universitätssammlungen“ im Wintersemester 2021/2022, am Institut für Materielle Kultur, Kustodien der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

Juni 2021: Colonial Entanglement, ‘South Sea’ Imaginations and Knowledge Production.
Vortrag bei der International Conference "Provenance Research on Collections from Colonial Contexts Principles, Approaches, Challenges" von Postkoloniale Provenienzforschung Niedersachsen (PEASE).

Januar 2021: Koloniale Praktiken des Sammelns und Möglichkeiten der Dekolonisierung der Erfurter ‚Südsee-Sammlung‘. Gastvortrag im Forschungskolloquium der Wissenschaftsgeschichte von Prof. Dr. Bernhard Kleeberg, Inhaber der Professur für Wissenschaftsgeschichte (Historisches Seminar) und Prof. Dr. Urs Lindner, Junior Fellow (Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien), Universität Erfurt.

Ausstellungen

2018: "Zwischen zwei Welten – Menschen mit und ohne Behinderung erzählen" Wanderausstellung u.a. in Jever, Varel, Wilhelmshaven

Mitgliedschaften

  • Arbeitskreis Provenienzforschung e. V.
  • Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie
  • Deutsche Gesellschaft für Volkskunde
  • Deutscher Museumsbund
  • Delegierte und Gründungsmitglied des Worlds of Contradiction Graduiertennetzwerkes der Universität Bremen
  • ICOM – The International Council of Museums
(Stand: 16.03.2023)  |