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DGM-Jahrestagung "Musik und Wohlbefinden" Die Anthologie "Musik und Medizin. Chancen für Therapie, Prävention und Bildung" ist im Springer Verlag erschienen.

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Prof. Dr. Gunter Kreutz
Institut für Musik
Tel.: 0441/798-4773

  • Musizieren oder sich an Musik erfreuen fürs eigene Wohlbefinden - und für die Gesundheit: Das empfehlen Musikpsychologen, die im September zu ihrer Jahrestagung an die Universität kommen. Foto: Peter Duddek

"Jeder Kinderarzt sollte singen"

Was "Musik und Wohlbefinden" miteinander zu tun haben - von der Gänsehaut bis zum kognitiven Nutzen für Schlaganfallpatienten - damit befasst sich am zweiten Septemberwochenende eine Fachtagung an der Universität. Gastgeber Gunter Kreutz im Interview.

Was "Musik und Wohlbefinden" miteinander zu tun haben - von der Gänsehaut bis zum kognitiven Nutzen für Schlaganfallpatienten - damit befasst sich am zweiten Septemberwochenende eine Fachtagung an der Universität. Gastgeber Gunter Kreutz im Interview.

FRAGE: Singen macht glücklich, diese These vertreten Sie seit Längerem. In der Ankündigung zur bevorstehenden Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie ist von weiteren Verbindungen zwischen Musik und Wohlbefinden die Rede. Können Sie dafür einige Beispiele nennen?

KREUTZ: Im Grunde soll die Tagung den großen Zweck erfüllen, das Thema Musik und Gesundheit breiter zu etablieren – als wissenschaftliches Thema für Fachleute, aber auch an die Öffentlichkeit adressiert. Denn Millionen von Menschen musizieren, singen, tanzen bereits und haben dabei das Gefühl, etwas für ihr Wohlbefinden zu tun. So mag jemand tanzen gehen, weil es eine gute Prävention sein kann gegen Demenz.

FRAGE: Also Musizieren, um in jeglicher Hinsicht fit und möglichst gesund zu bleiben?

KREUTZ: Wir alle haben nicht die Vision, den Lebensabend vor uns hindämmernd zu verbringen, sondern wollen aus eigenen Ressourcen schöpfen können und bestenfalls aus dem Leben heraus irgendwann abtreten – vielleicht ja mit 90 auf der Tanzfläche oder bei der Chorprobe? Fast in jeder Familie gibt es Fälle schwerer Erkrankungen, die nicht unbedingt die Lebenserwartung verkürzen – und da kann Musizieren die Lebensqualität deutlich steigern und eine Aktivierung bewirken. Heute schickt man etwa Lungenpatienten in den Chor und setzt so mit kulturellen Techniken genau dort an, wo gesundheitliche Defizite sind.

FRAGE: Wenn Musik körperliche, seelische und soziale Prozesse beeinflusst, wo sehen Sie überhaupt die Grenzen dessen, was sie bewirken kann? Oder gibt es da keine Grenzen?

KREUTZ: Die Grenzen sind genauso im Dunkeln wie die Anfänge der Musik. Und die wissenschaftliche Nachweisbarkeit hat Grenzen, Studien mögen eine absolute Kausalität nicht darstellen können – das haben wir mit anderen kulturellen Techniken gemeinsam. Wenn aber die Menschen beispielsweise Musik als wohltuend empfinden und Therapeuten feststellen, den Menschen geht es besser, muss man sich entscheiden, wollen wir das als Gesellschaft nicht stärker nutzen.

FRAGE: Welche Themen setzen Sie in dieser gesellschaftlichen Debatte mit der diesjährigen Tagung?

KREUTZ: Zwar handelt es sich um eine Momentaufnahme, aber die Tagung kann Trends der vergangenen Jahre aufnehmen – Felder, auf denen sich besonders viel tut. Das scheint mir einerseits das Singen zu sein, deswegen haben wir den Experten Stephen Clift aus England eingeladen, der in den vergangenen Jahren ein Dutzend größerer Projekte aufgelegt hat rund um das Thema Singen und Gesundheit. Andererseits haben wir Teppo Särkämo aus Finnland eingeladen, der nachweisen konnte, dass die von Schlaganfallpatienten favorisierte Musik tatsächlich bewirken kann, dass sich kognitive Leistungen schneller regenerieren als beispielsweise mit Hörbüchern.

FRAGE: So könnte Musik beispielsweise helfen, nach einem Schlaganfall die Sprache schneller zurückzugewinnen?

KREUTZ: Genau, weil sich Musik- und Sprachverarbeitung überlagern, wie wir auch anhand von Grundschulkindern in einer Studie belegt haben. Und der Ruf nach solchen nicht medikamentösen Therapien, die effizient, kostengünstig sind, vielen Menschen helfen können und zugleich doch individualisierbar sind, dieser Ruf wird immer lauter werden. Ähnlich wie bei personifizierten, auf genetische Marker abgestimmten Medikamenten der Zukunft könnte auch die kulturelle Biografie eines Menschen, was hat er musikalisch erlebt, für die Behandlung immer wichtiger werden. Darin sehe ich eine enorme Chance, und ich hoffe diesbezüglich auf einen Austausch auch über Fachgrenzen hinaus.

FRAGE: Nun legen Sie punktgenau zur Tagung gemeinsam mit dem österreichischen Neurowissenschaftler Günther Bernatzky den Sammelband „Musik und Medizin“ vor…

KREUTZ: Mit diesem Buch wollen wir eine notwendige Diskussion anstoßen. Musik könnte und sollte eine viel größere Rolle spielen in vielen Bereichen der Medizin, aber auch angrenzender Bereiche. Etwa in der Rehabilitation: Immer mehr Menschen überleben schwere Erkrankungen und gehen einen weiten Weg zurück in ihren Alltag, da brauchen wir Brückenköpfe. Und wie schafft man stabilere Übergänge? Da können etwa Musikgruppen eine große Hilfestellung sein.

FRAGE: Gibt es weitere Felder?

KREUTZ: Auch in der Inklusion, etwa um bei hörgeschädigten Kindern den Sprachapparat stärker zu aktivieren und ihnen ein positives Verhältnis zu ihrer Stimme zu geben. Es gibt tausende Mediziner, die Musik machen für ihren eigenen Ausgleich. Aber sie sollten auch daran denken, dass Musikangebote etwa in Krankenhäusern unterstützenswert sind. Zum Beispiel: Tangotanzen für Parkinsonpatienten hilft, die Anzahl von Stürzen zu reduzieren. Das könnte Kosten für die Pflege gestürzter Patienten einsparen.

FRAGE: Sie zielen also im Grunde auf ein Umdenken des gesamten Gesundheitssystems?

KREUTZ: Musik könnte ein enormer Hebel zum Einsparen von Gesundheitsausgaben sein. Es gibt ja schon derartige Projekte, aber oftmals unbemerkt. Dies müsste für die Gesellschaft nutzbar gemacht werden. Da ist auch die Politik gefragt, kulturelle Techniken wie Musik in der Medizinerausbildung zu verankern – zumindest als Wahlpflicht. Jeder Kinderarzt sollte singen! Das schafft Vertrauen und könnte zum Beispiel das Verabreichen von Spritzen oft deutlich vereinfachen. So ist das Buch ein Zeichen gegen die Verkennung der Rolle von Musik, die nämlich in vielen ganz kleinen Situationen im Alltag eine große Wirkung erzielen kann.

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