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Eine kürzere Fassung dieses Gesprächs findet sich in der aktuellen Ausgabe von UNI INFO.
Der Band "Infiziertes Europa: Seuchen im langen 20. Jahrhundert",
zugleich Beiheft Nr. 64 der Historischen Zeitschrift,
ist bei De Gruyter erschienen
(ISBN: 978-3-11-036434-7).

Kontakt

Prof. Dr. Dr. Klaus Peter Kohse
Institut für Laboratoriumsdiagnostik und Mikrobiologie
Medizinischer Campus Universität Oldenburg / Klinikum
Tel.: 0441/403-2601
klaus.peter.kohse@uni-oldenburg.de

Prof. Dr. Malte Thießen

Institut für Geschichte
Tel.: 0441/798-4463
m.thiessen@uni-oldenburg.de

  • Die Aufmerksamkeit für Infektionskrankheiten ist ungleich verteilt. Fotos: Daniel Schmidt

  • Im Zentrallabor des Klinikums Oldenburg: der Zeithistoriker Prof. Dr. Malte Thießen (links) sowie der Mediziner und Chemiker Prof. Dr. Dr. Klaus Peter Kohse.

  • Klaus Peter Kohse ist Leiter des Instituts für Laboratoriumsdiagnostik und Mikrobiologie am Klinikum und Vorsitzender des Promotionsausschusses der Fakultät VI Medizin und Gesundheitswissenschaften. "Der Kampf gegen Infektionskrankheiten ist niemals erledigt", ist Kohse überzeugt.

  • Malte Thießen hat einen Band zur Seuchengeschichte der Moderne und Postmoderne herausgegeben: "als Gesellschaft den Blick weiten für Gesundheitsgefahren und einen rationaleren Umgang schaffen".

Vom ewigen Kampf gegen Seuchen

Infektionskrankheiten aus medizinischer und kulturhistorischer Sicht: Ein Interview mit dem Mediziner und Chemiker Klaus Peter Kohse sowie dem Zeithistoriker Malte Thießen.

Infektionskrankheiten aus medizinischer und kulturhistorischer Sicht: Ein Interview mit dem Mediziner und Chemiker Klaus Peter Kohse sowie dem Zeithistoriker Malte Thießen.

FRAGE: Herr Prof. Kohse, in Westafrika scheint sich die Lage in einigen Ländern ein wenig zu beruhigen, die USA sind wieder Ebola-frei, auch in Europa hört man nichts von Infektionen – können wir aufatmen?

KOHSE: Auch in Westafrika ist Ebola noch lange nicht vorbei. Es gibt immer noch reichlich Neuinfektionen, es gibt immer noch Tote, das wird auch noch eine Weile dauern. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich in Europa oder den USA verbreitet, ist hingegen sehr gering.

FRAGE: Und Fälle wie derjenige der Krankenschwester, die sich bei der Pflege eines nach Spanien zurückgeholten Missionars angesteckt hatte…

KOHSE: Das sind vereinzelte Fälle solcher Infektionen, die man immer noch an einer Hand abzählen kann. Nur mal zum Vergleich: In Deutschland haben sich im vergangenen Jahr 3000 Menschen neu an HIV infiziert. 3000 – das ist eine andere Zahl! Weltweit gibt es 20 Millionen HIV-Patienten. Da sind die Ebola-Fälle zwar sehr tragisch und auch hochgefährlich, aber epidemiologisch sehe ich keine Gefahr.

FRAGE: Inwieweit wird denn aus Ihrer Sicht die öffentliche Wahrnehmung den jeweiligen Krankheiten und ihren Gefahren gerecht?

KOHSE: Das ist in der Tat ein Ungleichgewicht. Natürlich hat es eine hohe mediale Aufmerksamkeit verdient, wenn in Afrika Menschen an Ebola sterben und es immer mehr werden. Gar keine Frage. Aber es ist relativ zu sehen. Nicht nur zu den Millionen von Aids-Patienten. Auch zu den Millionen von Kindern, die in der Dritten Welt an Durchfallerkrankungen sterben. Das sind ganz andere Zahlen – so tragisch dieser Ebola-Ausbruch und so schwierig er vor Ort zu bekämpfen ist. Oder Influenza. Ganz normale Influenza: jedes Jahr hunderte Tote – in Deutschland allein!

Unterschiedliche Aufmerksamkeitsfenster
und Bedrohungsszenarien


FRAGE: Herr Prof. Thießen, Sie haben kürzlich einen Band zur Seuchengeschichte des 20. Jahrhunderts herausgegeben. Wie kommt die unterschiedliche Wahrnehmung zustande?

THIESSEN: Entscheidend und interessant ist es zu schauen, wann öffnet sich ein Aufmerksamkeitsfenster für Seuchen – wie wir Nichtmediziner die Infektionskrankheiten im alltäglichen Umgang ja oft bezeichnen. Und tatsächlich zeigt das Beispiel Aids sehr gut, dass Seuchen an aktuelle Ängste oder Konzepte anknüpfbar sein müssen, um überhaupt zu einem öffentlichen Thema zu werden. So wird Aids, als es ausbricht, sofort ein Riesenthema, obwohl es zahlenmäßig zum Beispiel im Verhältnis zur Zahl der ganz normalen Grippetoten damals im Grunde gar keine so große Rolle spielt...

KOHSE: Genau.

THIESSEN: … aber Aids ist in den 80er-Jahren das große Thema, weil es in dieser Zeit um sexuelle Normen geht, weil es als vermeintliche Schwulenseuche in den Medien akut wird, und darüber bekommt die Krankheit eine gesellschaftliche Dimension. Auch bei Ebola nehme ich das so wahr, dass Seuchen in Afrika oder Asien immer dann bei uns eine Rolle spielen, wenn sie an gegenwärtige Diskussionen wie diejenige um die Globalisierung anknüpfbar sind. Auch Millionen Erkrankte oder Zehntausende Todesfälle in Asien spielen hier keine Rolle, solange sie für uns im Westen scheinbar kein Problem sind. Das erklärt die unterschiedlich weit geöffneten Aufmerksamkeitsfenster für Seuchen.

KOHSE: In der Tat. Es wird eben auch ein unterschiedliches Bedrohungsszenario gesehen. Beispiel HIV: Die Menschen sind heute etwas zu leichtsinnig geworden, seit die Diagnose kein unmittelbares Todesurteil mehr ist. Insofern besteht bei Ebola tatsächlich eine andere Situation, weil Sie hier eine hohe Letalität haben: Momentan sterben 50 bis 70 Prozent derjenigen, die sich mit Ebola infizieren, auch daran. Das erzeugt ein anderes Bedrohungspotenzial, auch im Westen.

FRAGE: Sollte es in Deutschland doch einmal Ansteckungsfälle geben, wie würden Sie unser Gesundheitssystem aufgestellt sehen?

KOHSE: Wir verfügen in Europa und Nordamerika über Kompetenzzentren zur Behandlung solcher Erkrankungen. Auch Deutschland hat einige – wenige – Plätze, an denen solche Patienten optimal behandelt werden können. Mit allen dafür benötigten Strukturen, einschließlich Diagnostik, einschließlich Therapie, all das, und eingebunden ins internationale Netz der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Seuchen machen vor Grenzen nicht Halt
- eigentlich eine banale Erkenntnis

FRAGE: Herr Thießen, Ihr Sammelband sieht ja durchaus Defizite in der globalen Seuchenbekämpfung. Genügen die oftmals national ausgerichteten Gesundheitswesen den globalen Herausforderungen, die Infektionskrankheiten mit sich bringen?

THIESSEN: Die historische Entwicklung hinsichtlich internationaler Verflechtungen im Gesundheitswesen ist auch interessant. Noch lange nach 1945 sind Krankheitsbekämpfung und -vorsorge nationale Projekte. Selbst nach Gründung der WHO gibt es durchaus Konflikte, greifen beim Ausbruch von Infektionskrankheiten – ungeachtet der Standardisierung bestimmter Maßnahmen – doch erst einmal nationale Konzepte. Da scheint die Koordinierung zunächst nicht immer ganz klar, was erst ab den 1990er-Jahren langsam besser wird, zugunsten einer Entnationalisierung des Kampfes gegen Infektionskrankheiten. Oder wie schätzen Sie als Mediziner das ein, Herr Kohse?

KOHSE: Es ist primär Aufgabe eines jeden staatlichen Gesundheitswesens. Das ist die originäre Zuständigkeit. Das staatliche Gesundheitswesen hat dafür zu sorgen, dass es Programme gibt, um Infektionskrankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln. Andererseits ist es bei der heutigen Mobilität nicht mehr möglich, diese Aufgabe alleine, im nationalen Rahmen, zu stemmen – Krankheiten machen an Grenzen nicht Halt.

THIESSEN: Und interessant aus historischer Perspektive: dass es ein langer Lernprozess ist, bis Gesundheitssysteme merken, dass Seuchen vor Grenzen nicht Halt machen. Eine ganz banale Erkenntnis eigentlich. Beispiel Aids: Da gibt es in den 80ern zwar einen Austausch, aber es greifen nationale Systeme. Aus historischer Perspektive liegt es ein Stück weit am Kalten Krieg, dass Seuchenbekämpfung zu einer Art Leistungstest in der Ost-West-Konfrontation aufgeladen wird. Auch bei der Polio- und Pocken-Ausrottung geht es nicht zuletzt darum, Ost-West, wer hat das bessere System.

KOHSE: Der Kampf der Systeme.

THIESSEN: Genau. Und das war für uns frappierend, wie lange das noch nachwirkt. Noch in den 90er-Jahren merkt man eine gewisse Blockbildung in der Seuchenbekämpfung.

FRAGE: Warum ist eigentlich aus medizinischer Sicht Ebola so besonders schwer zu bekämpfen und hat diese von Ihnen erwähnte hohe Letalität? Warum wirkt Ebola derart tödlich?

KOHSE: Ebola richtet im Organismus Schäden an, gegen die es keinen Reparaturmechanismus gibt. Es ruft solche Schäden auf zellulärer Ebene hervor, dass Organsysteme regelrecht zusammenbrechen. Es kommt zum Versagen der Leber, des Immunsystems, später werden rote Blutkörperchen zerstört, die Blutgerinnung ist gestört, und die Patienten bekommen die Blutungen, die diese Erkrankung als sogenanntes hämorrhagisches Fieber charakterisieren.

Der Kampf gegen Seuchen als
sozialer und politischer Leistungstest


FRAGE: Wird sich der Erreger womöglich noch verändern, mit welchen Szenarien rechnen Sie? Es sind ja auch Tests angelaufen auf der Suche nach einem Impfstoff. Wann lässt sich möglicherweise mit einer wirksamen Therapie rechnen?

KOHSE: Es gibt da verschiedene Ansätze, manche scheinen Erfolg zu versprechen. Aber ob wir eine Ebola-Therapie in einem Jahr haben oder erst in fünf Jahren? Da sind auch diejenigen, die daran arbeiten, unterschiedlich optimistisch. Man darf auch nicht vergessen: Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, da werden natürlich Milliarden an Forschungsmitteln aufgewendet, um die zu bekämpfen. Aber für so eine seltene Erkrankung – Ebola ist immer noch eine relativ seltene Erkrankung – da werden nicht Mittel im großen Maßstab investiert, da sind die Ressourcen begrenzt. Daran liegt es, dass wir jetzt auch noch nichts haben.

FRAGE: Herr Thießen, Sie hatten zuletzt schon einmal kritisch angemerkt, dass das Fehlen eines Ebola-Impfstoffs möglicherweise auch damit zusammenhängt, dass der Großteil der Patienten in Afrika verortet ist…

THIESSEN: Natürlich möchte ich keine Verschwörungstheorien aufbauen. Aber aus historischer Perspektive wird zum Beispiel die Malariaforschung finanziell in Europa stark gefördert, als es eine entsprechende Relevanz hat – kolonialpolitisch oder aufgrund von Erkrankungsfällen in Europa. Gerade die Entwicklung präventiver Maßnahmen scheint mit den Prioritäten einer Gesellschaft verknüpft, mit der Frage, welche Risikogruppen für sie relevant sind.

KOHSE: Das ist so. Es ist natürlich auch eine Frage der optimalen Nutzung von Ressourcen. Man muss die Prioritäten so setzen, dass man den größtmöglichen Nutzen für die Gesamtbevölkerung eines Landes erzielt. Und wenn ich eine kleine Gruppe mit einer bestimmten Erkrankung habe, kann ich nicht der großen Mehrheit die Ressourcen entziehen und diese der kleinen Minderheit zur Verfügung stellen. Das ist eine Frage der Ökonomie. Und Malaria ist ein Beispiel dafür, dass sich der Kampf gegen eine Infektionskrankheit über Jahrzehnte hinziehen kann. Malaria ist zugleich eine schillernde Geschichte, gerade was das Wechselspiel auch zwischen ökonomischen und politischen Aspekten betrifft.

THIESSEN: Es gibt ein interessantes Beispiel aus Italien unter Mussolini. Da gibt es ein großes Programm, und da spielt offenbar die Krankheit weniger eine Rolle als vielmehr Machbarkeitsphantasien. Malaria ist Anlass, ja, aber es geht um die Demonstration, dass sich die Natur und biologische Prozesse sozusagen durch staatliche Planung beherrschen lassen.

KOHSE: Das kommt sicher auch nochmal dazu (beide lachen). Das sind Aspekte, die bei solchen Programmen immer eine Rolle spielen. Es ist nicht ganz allein die Sorge um den Gesundheitszustand der Bevölkerung, die Politiker da antreibt.

THIESSEN: Mussolini ist jetzt vielleicht ein gemeines Beispiel. Trotzdem ist es interessant: Seuchenbekämpfung ist ein sozialer oder politischer Leistungstest, der gerade im 20. Jahrhundert so auch angenommen wird. Auch in den USA gab es ja Malaria-Programme, also gar nicht nur faschistisch, sondern auch demokratisch – die Seuchenbekämpfung als Legitimationsressource. Das mag nicht der einzige Anlass sein, aber es spielt mit rein.

KOHSE: Das nimmt man ja gerne mit und schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe.

Eine niemals endende Aufgabe

FRAGE: Was sind die hauptsächlichen Herausforderungen im Kampf gegen Seuchen, die Hauptprobleme – aus medizinischer wie kulturhistorischer Sicht? Ist es ein Irrglaube, die bekämpfen zu können?

KOHSE: Das ist eine philosophische Frage, die man eigentlich nur so beantworten kann: Solange es Infektionskrankheitserreger gibt, wird es Infektionskrankheiten geben. Man wird die Infektionskrankheiten nie vollständig besiegen können, weil der Mensch per se empfänglich dafür ist. Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung immer weiter zu senken, ist nationale und internationale Aufgabe. Und da reden wir natürlich über Programme nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in entwickelten Ländern.

FRAGE: Können Sie ein Beispiel nennen?

KOHSE: Etwa die Masern: Wir brauchen durchgreifende Impfprogramme und eine vernünftige Aufklärung der Bevölkerung, um nicht aufgrund von Impfverweigerern längst vergessen geglaubte Krankheiten wiederzubekommen. Der Kampf gegen Infektionskrankheiten ist eine Aufgabe, die niemals erledigt ist, sondern die nachhaltiges und kontinuierliches Engagement benötigt, um die Ansteckungsgefahr zu senken. Beispiel Ebola: In Afrika ist das besonders schwer, weil auch kulturelle Aspekte eine große Rolle spielen im Miteinander der Menschen, wie Beerdigungsrituale. Damit muss man verantwortungsbewusst und einfühlsam umgehen, so etwas ist schwierig. Aber das gilt für Entwicklungsländer wie für Industrienationen.

FRAGE: Was sind die größten Hürden aus historischer Sicht?

THIESSEN: Natürlich kann eine Kulturgeschichte nur beschränkt aktuelle Probleme lösen…

FRAGE: … aber es lässt sich ja durchaus aus der Geschichte lernen…

THIESSEN: … insofern lässt sich da schon anknüpfen: Eine Rationalisierung des Diskurses, eine verstärkte Aufklärung, ist tatsächlich eine Aufgabe, die die Geschichtswissenschaft leisten kann. Dass wir mit dem Blick in den Umgang mit Seuchen den eigenen Umgang mit unseren Ängsten und Vorstellungen reflektieren und problematisieren können. Gerade die Geschichtswissenschaft mit ihren Studien zu internationalen sozialen Verflechtungen kann aufzeigen, dass nationale Konzepte, in denen wir noch sehr lange festhingen, eben auch ein gesundheitliches Problem darstellen. Dass wir als Gesellschaft eben unseren Blick weiten müssen für Gesundheitsgefahren, die uns unmittelbar zunächst nicht zu betreffen scheinen, die aber doch in einem sehr starken globalen Zusammenhang stehen.

FRAGE: Und würden Sie sagen, dass aus der Geschichte die nötigen Lehren schon gezogen worden sind?

THIESSEN: (schmunzelt) Ich glaube, es ist schwierig, aus der Geschichte unmittelbare Lehren zu ziehen. Aber Geschichte als Reflexionsinstrument kann beispielsweise dazu beitragen, dass längst vergangen geglaubte Prozesse – wie die Stigmatisierung von Randgruppen – nicht wieder auftreten. Beispielsweise beim Auftreten von Aids in den 80er-Jahren gab es einen Umgang mit dieser Infektionskrankheit, der zum Teil ans Mittelalter erinnert. Dass wir als moderne Gesellschaft uns immer wieder hinterfragen und einen rationaleren Umgang mit Gesundheitsgefahren schaffen – auch hinsichtlich aktueller Ängste im Hinblick auf Ebola: dafür kann die Geschichtswissenschaft eine Grundlage legen.

KOHSE: Wie heißt es doch gleich: Wer nicht die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft nicht gestalten.

 

Interview: Deike Stolz

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