Internationaler Dialog als Jazz vielfältiger Stimmen

Eske Wollrad

Internationaler Dialog als Jazz vielfältiger Stimmen –

Zur Konferenz „Societies in Transition – Challenges to Women’s and Gender Studies", Universität Oldenburg, 28.6.-1.7.2001

„Ich war überrascht, in den Profilen institutionalisierter Frauen- und Geschlechterstudien so wenig Verweise auf Internationalität und Interkulturalität und fast gar keine auf Globalisierung und Globalität zu finden." (Sigrid Metz-Göckel) Wie positionieren sich bundesdeutsche Frauen- und Geschlechterstudien auf dem Feld des internationalen Dialogs im Kontext von Globalisierung? Eine Antwort gab die Tagung „Societies in Transition – Challenges to Women’s and Gender Studies", die vom Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Oldenburg (ZFG) veranstaltet und von Prof. Dr. Heike Fleßner und Dr. Lydia Potts konzipiert und geleitet wurde. Die Liste der Länder, aus denen die Referentinnen kamen (Großbritannien, Indien, Nepal, Südafrika, Deutschland, Ungarn, Polen, Neuseeland, dem Yemen, Jordanien und der Türkei) macht schon deutlich, dass das Konzept der Organisatorinnen nicht auf der Inszenierung einer westlichen Symphonie beruhte, die allseits bekannte Themen in immer neuen Variationen präsentiert, sondern eher eine Jazz-Session im Sinn hatte, ein vielstimmiges Miteinander und Gegeneinander, bei dem jede Stimme ihr eigenes Thema einbringt, Vertrautes unterbricht, umgestaltet, und auf diese Weise etwas neues entsteht.

Und tatsächlich hätte die Konferenz vielstimmiger kaum sein können, denn zum einen waren sowohl Wissenschaftlerinnen aus dem universitären Bereich eingeladen als auch Aktivistinnen und Vertreterinnen von NGO’s (nongovernmental organizations). Des weiteren wurden Differenzen hier auf mehreren Ebenen ausbuchstabiert: Unterschiede bezüglich der sozio-ökonomischen Umbrüche, die in den einzelnen Ländern stattfinden und Frauen je verschieden betreffen, Unterschiede bezüglich der Positionierungen der Frauen- und Geschlechterforscherinnen und der daraus resultierenden Konzepte und Strategien und schließlich Unterschiede bezüglich der praktischen Umsetzung dieser Konzepte und Strategien.

Eines der Ziele der Konferenz, so die Sprecherin des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung Heike Fleßner, war es, Brücken zwischen verschiedenen Kontexten zu bauen. Und dazu bedurfte es erst einmal grundlegender Informationen über das jeweilige Land: wann haben sich beispielsweise der Norden und der Süden Yemens vereinigt, und wie wirkt sich dieser Umbruch auf yemenitische Frauen aus? Deutlich wurde, dass politische Umbrüche – im Yemen wie auch in Ungarn, Polen und Südafrika – durchaus die Chance für Frauen bieten, in dem Prozess der gesellschaftlichen Umgestaltung kreativ mitzuwirken und zu reflektieren, welche Institutionen und Programme gebraucht werden und ob westliche Modelle von Frauen- und Geschlechterforschung überhaupt hilfreich sind. Bezüglich Indien und Nepal stellt sich vordringlich die Frage, wie weibliche Säuglinge, Mädchen und Frauen überhaupt überleben können und welche Herausforderungen sich daraus für die dortige Frauen- und Geschlechterforschung ergeben.

Differentes Selbstverständnis

Die Konferenz machte deutlich, dass die Frage nach dem Selbstverständnis und der Verpflichtung gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Kräften die unterschiedlichen Wege markiert, die Frauen, die sich mit Frauen- und Geschlechterforschung befassen, einschlagen. Puspa Ghimire-Niraula von der Tribhuvan Universität, Kathmandu (Nepal), betonte, ein Ziel des dort geplanten Master’s Degree Program sei die Hervorbringung von Expertinnen, welche die Frauenbewegung unterstützen und als Agentinnen der Veränderung (change agents) wirken können. Hingegen definiert wohl kaum eine Institution der Frauen- und Geschlechterforschung des Westens (Westeuropa und Nordamerika), so Gabrielle Griffin (Kingston University/ University of Hull), die Unterstützung der Frauenbewegung als grundlegendes Ziel.

Westliche Ansätze zielen vielmehr auf die Transformation der männlich dominierten Kultur der Wissensproduktion im universitären Bereich. Silke Wenk (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) kritisierte, dass die Gender-Perspektive bisher kaum in die Grundlagenforschung Eingang gefunden hat und verwies auf die Gefahr, dass Frauen- und Geschlechterforschung zu Politikberatung degeneriert. Das „F-Wort" („feministisch") hat für karriereorientierte Studierende zunehmend einen negativen Beigeschmack, so Victoria Grace (University of Canterbury, Neuseeland); Konsumhaltung und Theoriefeindlichkeit bestimmen die Atmosphäre in ihrem Department, das seit diesem Jahr nicht mehr „Feminist Studies" heißt, sondern „Gender Studies". Grace wehrte sich vehement gegen den Vorwurf, komplexe Theoriebildung sei unzugänglich und irrelevant.

Bestätigte die Konferenz die Gegenüberstellung von Theorielastigkeit westlicher Wissenschaftlerinnen auf der einen Seite und Praxisorientierung von Forscherinnen des Ostens und des Südens auf der anderen Seite? Laut Gabrielle Griffins Analyse ist es tatsächlich nur der sog. „Westen", der Universität und NGO’s als voneinander getrennte Größen betrachtet; in hiesiger Frauen- und Geschlechterforschung fehlt ihres Erachtens häufig eine transformative Politik. Griffin ging es zwar nicht um eine Neuauflage bekannter Dichotomisierungen von Forschung versus Politik, Theorie versus Praxis, dennoch brach die Kontroverse kurz während der Konferenz in einer Weise wieder auf, die Bilder von der „praktisch arbeitenden Trikont-Frau" und der „westlichen Theoretikerin im Elfenbeinturm" hervorrief. Für einen internationalen Dialog sind solche ideologischen Grabenkämpfe Gift, denn sie führen nur zu Defensivpositionen und lähmen produktive Kooperation. Dem gegenüber, so betonte die Veranstalterin Lydia Potts, sei es das Ziel der Konferenz, Räume für die Formulierung verschiedener Ausgangspunkte und für aufmerksames Zuhören zu schaffen. Das ist m.E. auch gelungen, denn trotz der anspruchsvollen und dichten Programmgestaltung sahen sich die Referentinnen einem konzentrierten und offenen Forum von über hundert TeilnehmerInnen gegenüber.

Kritische Interventionen: vom „cultural turn" zur Ökonomie

Sowohl Gabrielle Griffin als auch Anne Phillips (London School of Economics) kritisierten den „cultural turn", die Wende zum Kulturellen innerhalb westlicher Frauen- und Geschlechterforschung. Philips sprach von einer Wende von der Umverteilung (redistribution) zum Erkennen (recognition): befasst sich der Ansatz der Umverteilung mit sozio-ökonomischen Machtverhältnissen mit dem Ziel, Gleichheit zu schaffen, geht es bei dem Ansatz des Erkennens um kulturelle Dominanz und Formen von Marginalisierung. Hier zielt die Kritik auf die Unterrepräsentanz von Marginalisierten in der Politik und auf Praxen von Demokratie. Griffin und Phillips kritisierten den Trend, ökonomische Gleichheit für Frauen zu vernachlässigen bzw. völlig auszublenden.

Dieses Beharren auf einer materialistisch-feministischen Analyse bildete den zentralen Brückenschlag zu den Anliegen von Savita Singal (Haryana Agricultural University, Indien), Ira Acharya (Micro Enterprise Development Program, Kathmandu, Nepal), Rashida Al-Hamadani (Women National Committee, Yemen) und Rokhsana M. Ismail (Aden University, Yemen). Sie sprachen ausführlich über die materiellen Lebensbedingungen von Frauen in ihren Ländern, über Einkommen und Bildungschancen, Analphabetismus und Kindersterblichkeit. D.h. ihr Ansatz basiert auf der detaillierten Bestandsaufnahme und Sichtbarmachung, wie sich materielle Armut, verbunden mit Informationsarmut, im Leben von Frauen konkretisiert. M.E. bilden diese Analysen Felder von gesellschaftlich relevanter feministischer Wissensproduktion, die jenseits von Theorie-Praxis-Konstruktionen angesiedelt sind.

Kritische Interventionen: Kopf oder Zahl?

Sigrid Metz-Göckel (Universität Dortmund) forderte die Internationalisierung bundesdeutscher Frauen- und Geschlechterforschung, verbunden mit der Vertiefung von Perspektiven und einer kritischen Selbstreflexion. Eine Herausforderung, so Metz-Göckel, besteht darin, „to think with the mind of the others". Und genau daran entzündete sich die Diskussion. Ist es möglich, mit dem Kopf der anderen zu denken? Wo sind die Grenzen, wo grundlegende Differenzen? Markieren die Köpfe, das Denken den Unterschied? „It’s not the mind, it’s the purse!" rief die Südafrikanerin Sheila Meintjes (University of the Witwatersrand, Johannesburg, Südafrika) dazwischen. Also: Denken oder Geldbeutel, Kopf oder Zahl? Das, was den Westen vom „Rest" trennt, ist die Verfügbarkeit von materiellen Ressourcen (Wissenschaftlerinnen in Nepal beispielsweise arbeiten unter Bedingungen, die für uns unvorstellbar sind), d.h. an diesem Punkt der Konferenz wurde deutlich, dass die von Metz-Göckel geforderte Internationalisierung auch eine Abkehr von idealistisch-feministischen Positionen implizieren muss, Positionen, die sich den Luxus leisten, sich lediglich in den Köpfen des Gegenübers zurechtfinden zu wollen und damit möglicherweise die Konfrontation mit der unterschiedlichen materiellen Basis vermeiden, die die jeweiligen Inhalte der Köpfe wesentlich konstituiert.

Die ökonomische Macht des Westens prägt nicht nur internationale Begegnungen zwischen Wissenschaftlerinnen verschiedener Kontexte, sondern hat auch großen Einfluss auf die Entwicklung von Geschlechterforschung außerhalb Westeuropas: die Gender Studies an der Universität Warschau werden beispielsweise ausschließlich von westlichen Stiftungen finanziert, so Bozena Choluj (Warschau). Wie der westliche Einfluss zu bewerten ist, wurde kontrovers diskutiert. Repräsentiert die Europäische Union nach Susanne Schunter-Kleemann (Hochschule Bremen) eine transnationale Koalition westeuropäischer männlicher Eliten („Die EU ist immer noch ein Männerclub."), erwarten polnische Aktivistinnen viele Vorteile für Frauen durch den Beitritt Polens zur EU, so Kinga Lohmann von der KARAT Coalition, einem Zusammenschluss von Organisationen in Zentral- und Osteuropa.

Kritische Interventionen: „Stammeskulturen" und der westliche Blick

Nicht wenige westliche Feministinnen neigen dazu, patriarchale Strukturen im eigenen Land differenziert zu analysieren, solche in Ländern der sogenannten „Dritten Welt" hingegen als monolithische Gebilde zu betrachten. Solche Neigungen manifestierten sich auch während der Konferenz. So bezeichnete die aus Deutschland kommende Psychologin Josi Salem-Pickartz (Amman, Jordanien) die gegenwärtige jordanische Gesellschaft als „Neo-Patriarchat", welches wesentlich durch Tribalismus geprägt sei, d.h. durch eine Strukturierung nach deutlich abgegrenzten „Stämmen", für deren Mitglieder Blutsbande stärker als alle anderen Beziehungsformen sind. Salem-Pickartz zufolge ist der Tribalismus für die Benachteiligung von jordanischen Frauen verantwortlich, denn er halte Frauen in einem untergeordneten und abhängigen Status. Hier gab es heftigen Widerspruch, nicht nur von Yasmin Haddad (Universität Amman, Jordanien), sondern ebenso von Rashida Al-Hamadani, die sagte, sie gehöre auch einem Stamm an, und er habe sie nie an der Verwirklichung ihrer Pläne gehindert – heute ist sie Generalsekretärin des Supreme Council for Women im Yemen.

Die Diskussion um „Tribalismus" machte deutlich, wie viel Arbeit noch vor uns liegt, insbesondere was die kritische Auseinandersetzung mit simplifizierenden Konzepten westlicher Provenienz betrifft. Die Konferenz hat einen Schritt in diese Richtung getan.

Our Daughters – Our Wealth

Es liegt nahe, alle Vorträge unter das Oberthema „Gewalt gegen Frauen" zu stellen. Allerdings ging es in den Beiträgen nicht nur um die Analyse der vielfältigen Gewaltstrukturen und ihrer Reorganisation in Gesellschaften, die sich im sozio-politischen Umbruch befinden, sondern nicht minder um Möglichkeiten des Widerstands, der Ermutigung von Frauen und Förderung ihrer Überlebenschancen und Lebensqualität. Eines der Projekte, an deren Konzeption Savita Singal (Haryana, Indien) beteiligt war, heißt „Our Daughters – Our Wealth". In einem Kontext, in dem Vorstellungen von der Minderwertigkeit von Mädchen tief verwurzelt sind und Töchter als Last bzw. als „Reichtum eines anderen" (des zukünftigen Ehemanns) betrachtet werden, ist es ebenso schwierig wie notwendig, Veränderungen zu bewirken. Nur wie? Singals Projekt macht Ernst mit der Behauptung, Töchter seien Reichtum, denn eine der Maßnahmen ist die nicht unerhebliche finanzielle Unterstützung für solche Eltern, die ihre Tochter über einen längeren Zeitraum nachweislich nicht vernachlässigt haben.

Wie dramatisch begrenzt Möglichkeiten von Widerstand sein können, machte Samiera Zafars (Center for Education Policy Research, Evaluation and Management, Gauteng, Südafrika) Vortrag über Schülerinnen deutlich, die sich im Zentrum des Sturms der AIDS-Epidemie in Südafrika befinden. 4,4 Millionen Menschen sind bereits infiziert, und 22,4% aller Südafrikanerinnen sind HIV positiv. In Zeiten radikaler Budgetkürzungen und einer „Kultur des Verschweigens" der HIV/AIDS-Problematik ist es, so Zafar, extrem schwierig, effektive Aufklärungs- und Präventionsarbeit zu betreiben.

Der Reichtum, den Töchter darstellen, wurde auf der Konferenz auch in ganz anderer Weise thematisiert. Schon zu Beginn fragte Gabrielle Griffin: Wo ist die nächste Generation? Wo sind unsere feministischen „Töchter"? Eine zumindest war auf dem Podium: Gamze Ege, Absolventin des Gender and Women’s Studies Program und Forschungsassistentin an der Middle Eastern Technical University, Ankara, Türkei. Sie präsentierte ihre Institution selbstbewusst und kritisierte unter anderem, dass an ihrer Universität ein intensiver Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden fehlt.

More Jazz! Perspektiven internationaler Kooperation

Neben den Vorträgen wurde emsig Netzwerkarbeit betrieben: das ZFG schloss Kooperationsverträge mit dem Women Center of Training and Research an der Universität Aden (Yemen) und mit den Women’s Studies an der Tribhuvan University Kathmandu (Nepal). Weiterhin wurden Pläne für einen Studierendenaustausch mit der University of the Witwatersrand, Johannesburg (Südafrika) und mit der neuseeländischen University of Canterbury, Christ Church, geschmiedet und Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Kooperation mit osteuropäischen Universitäten angedacht. Schließlich sind zwei Nachfolgekonferenzen geplant, eine zum Thema „Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmung und Solidarität von Frauen" in Amman (Jordanien) und eine Konferenz zum Thema „Globalisierung, Frauenarbeit, Nachhaltigkeit" im Oktober 2003 gemeinsam mit der CCS Haryana Agricultural University, Hisar (Indien).

Das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg hat mit dieser Konferenz Maßstäbe gesetzt – sowohl hinsichtlich des Konzepts als auch der perfekten Organisation (für die vor allem Ilse Kamke verantwortlich zeichnete). Es bleibt zu hoffen, dass die kritischen Impulse der Konferenz auch andernorts aufgegriffen werden und in der bundesdeutschen Frauen- und Geschlechterforschung Prozesse der Internationalisierung über den westlichen Tellerrand hinaus stärken.

Die Konferenzbeiträge werden im Sommer 2002 als Sammelband bei Leske & Budrich erscheinen. Herausgeberinnen sind Heike Fleßner und Lydia Potts.

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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