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Veranstaltung

Semester: Wintersemester 2020

4.03.2201 Organspende -  


Veranstaltungstermin | Raum

  • Donnerstag, 22.10.2020 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 29.10.2020 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 5.11.2020 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 12.11.2020 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 19.11.2020 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 26.11.2020 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 3.12.2020 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 10.12.2020 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 17.12.2020 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 7.1.2021 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 14.1.2021 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 21.1.2021 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 28.1.2021 12:00 - 14:00
  • Donnerstag, 4.2.2021 12:00 - 14:00

Beschreibung

Leichen oder Teile von ihnen neuen nützlichen, ästhetischen oder mystischen Verwendungen zuzuführen, ist barbarisch. Der Schrumpfkopf, der Skalp, das Essen bestimmter Leichenteile von Angehörigen oder Feinden in dem Glauben, sich dadurch die besten ihrer Eigenschaften physisch einzuverleiben – all dies glaubt die westliche Zivilisation zusammen mit anderem mystischen Aberglauben längst überwunden zu haben.
Dagegen ist das Öffnen und Zerteilen von Leichen zu wissenschaftlichen Zwecken aufs engste mit den Idealen der Aufklärung und somit auch der modernen bürgerlichen Gesellschaft verknüpft. Gegen den Willen der christlichen Kirche wurden mit Beginn des bürgerlichen Zeitalters in medizinischen Fakultäten die Tabus, welche die Würde des Lebenden noch über seinen Leichnam warfen, überwunden. Beim Aufstieg der Naturwissenschaften war der medizinische Fortschritt von Anfang an in der ersten Reihe mit dabei. Das Wissen um die Anatomie und die Lage der inneren Organe ermöglichte die Chirurgie und was noch zu Mary Shelleys Zeiten als ambivalente Zukunftsvision galt, ist heute gängige medizinische Praxis: die Organtransplantation. Toten oder in besonderen Fällen auch lebendigen Körpern können Organe entnommen werden, um ein defektes Organ im Körper von Patient*innen auszuwechseln.
Über 9.000 Menschen warten in Deutschland auf ein lebenswichtiges Spenderorgan, doch jährlich werden nur ca. 1.000 Organe gespendet. In Folge stirbt statistisch alle 8 Stunden ein Mensch auf der Warteliste – und das, obwohl bei Umfragen ca. 85% aller Bürger*innen grundsätzlich zu einer Spende bereit wären. Anfang dieses Jahres wurde darum ein neues Gesetz zur Organspende verabschiedet, über das im Vorfeld viel öffentlich diskutiert wurde. Hierbei wurde deutlich, dass parteiübergreifende Einigkeit darin herrscht, dass wir mehr Spender*innen brauchen Der Dissens lag darin, auf welchem Weg dies zu erreichen wäre, ohne dass das Recht auf Selbstbestimmung der Einzelnen darunter leidet. Letzteres war der Grund, warum die Widerspruchsregelung nicht angenommen wurde. Der Bundestag stimmte mehrheitlich für die Zustimmungslösung, die sich kaum von der vorher geltenden Entscheidungslösung unterscheidet. Das Missverhältnis zwischen Organspender*innen und Patient*innen, die dringend ein neues Organ benötigen, wird voraussichtlich auch in naher Zukunft bestehen bleiben. Die Frage nach der Einführung einer Widerspruchsregelung, wie sie in anderen Ländern erfolgreich angewendet wird, bleibt Teil der Debatte.
Bei der Debatte fällt auf, dass entscheidende Aspekte der Organspende nicht öffentlich thematisiert werden – eben die Aspekte, aus denen bei vielen Menschen die Unsicherheit resultiert, aus der heraus sie das Ausfüllen eines Organspendeausweises unterlassen. Wie die Frage nach dem Hirntod, bei dem zentrale Körperfunktionen noch aufrecht erhalten werden, so dass hirntote Menschen den meisten intuitiv nicht als ‚tot‘ erscheinen. Oder die Frage nach den Gewebespenden, deren Verbleib und Verwendung sehr viel undurchsichtiger ist, als der ganzer Organe.
In diesem Seminar wollen wir das Kaleidoskop an Interessenslagen, Hoffnungen, Ängsten, an juristischen Regelungen und medizinischen Möglichkeiten, an ethischen, religiösen und weltanschaulichen Prämissen auseinander nehmen und die einzelnen Facetten der oft ambivalenten Meinungen reflektieren, um am Ende vielleicht keine Lösung, aber eine differenzierte und begründete Haltung zu den verschiedenen Aspekten der Organspende zu entwickeln.
Das Seminar findet in digitaler Form über BBB statt.

Literatur:
Mona Motakef: Körpergabe. Ambivalente Ökonomien der Organspende, transcript Verlag, Bielefeld 2011
Heiko Burrack: Leben hoch zwei – Fragen und Antworten zu Organspende und Transplantation, medhochzwei Verlag, Heidelberg 2019
Yvonne Neuefeind: Widerspruchslösung bei der Organspende: verfassungskonform, aber verfehlt, in: Recht und Politik, Zeitschrift für deutsche und europäische Rechtspolitik, Duncker & Humblot, Berlin, Bd. 55.2019, 4, S. 411‒423
Stephan M. Probst (Hg.): Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht, Hentrich & Hentrich, Berlin; Leipzig 2019
Christoph Raedel: Organspende? christlich-ethische Entscheidungshilfen, Brunnen Verlag GmbH, Giessen 2019
Dein Herz entscheidet. Jede Entscheidung für eine Organspende zählt, Informationsbroschüre des Ministeriums für Arbeit und Soziales (Hg.). Zusammenstellung der Texte und Kurzinformationen: J. Riemer, Baden-Württemberg Ministerium für Arbeit und Soziales Corporation, 2009
Anne Schlums: Organspende durch Patientenverfügung: Verhältnis von Patientenverfügung und Organspende, Konflikte und deren Bewältigung, Heymanns, Köln 2015

lecturer

Studienbereiche

  • Studium generale / Gasthörstudium

SWS
2

Für Gasthörende / Studium generale geöffnet:
Ja

Hinweise zum Inhalt der Veranstaltung für Gasthörende
Leichen oder Teile von ihnen neuen nützlichen, ästhetischen oder mystischen Verwendungen zuzuführen, ist barbarisch. Der Schrumpfkopf, der Skalp, das Essen bestimmter Leichenteile von Angehörigen oder Feinden in dem Glauben, sich dadurch die besten ihrer Eigenschaften physisch einzuverleiben – all dies glaubt die westliche Zivilisation zusammen mit anderem mystischen Aberglauben längst überwunden zu haben. Dagegen ist das Öffnen und Zerteilen von Leichen zu wissenschaftlichen Zwecken aufs engste mit den Idealen der Aufklärung und somit auch der modernen bürgerlichen Gesellschaft verknüpft. Gegen den Willen der christlichen Kirche wurden mit Beginn des bürgerlichen Zeitalters in medizinischen Fakultäten die Tabus, welche die Würde des Lebenden noch über seinen Leichnam warfen, überwunden. Beim Aufstieg der Naturwissenschaften war der medizinische Fortschritt von Anfang an in der ersten Reihe mit dabei. Das Wissen um die Anatomie und die Lage der inneren Organe ermöglichte die Chirurgie und was noch zu Mary Shelleys Zeiten als ambivalente Zukunftsvision galt, ist heute gängige medizinische Praxis: die Organtransplantation. Toten oder in besonderen Fällen auch lebendigen Körpern können Organe entnommen werden, um ein defektes Organ im Körper von Patient*innen auszuwechseln. Über 9.000 Menschen warten in Deutschland auf ein lebenswichtiges Spenderorgan, doch jährlich werden nur ca. 1.000 Organe gespendet. In Folge stirbt statistisch alle 8 Stunden ein Mensch auf der Warteliste – und das, obwohl bei Umfragen ca. 85% aller Bürger*innen grundsätzlich zu einer Spende bereit wären. Anfang dieses Jahres wurde darum ein neues Gesetz zur Organspende verabschiedet, über das im Vorfeld viel öffentlich diskutiert wurde. Hierbei wurde deutlich, dass parteiübergreifende Einigkeit darin herrscht, dass wir mehr Spender*innen brauchen Der Dissens lag darin, auf welchem Weg dies zu erreichen wäre, ohne dass das Recht auf Selbstbestimmung der Einzelnen darunter leidet. Letzteres war der Grund, warum die Widerspruchsregelung nicht angenommen wurde. Der Bundestag stimmte mehrheitlich für die Zustimmungslösung, die sich kaum von der vorher geltenden Entscheidungslösung unterscheidet. Das Missverhältnis zwischen Organspender*innen und Patient*innen, die dringend ein neues Organ benötigen, wird voraussichtlich auch in naher Zukunft bestehen bleiben. Die Frage nach der Einführung einer Widerspruchsregelung, wie sie in anderen Ländern erfolgreich angewendet wird, bleibt Teil der Debatte. Bei der Debatte fällt auf, dass entscheidende Aspekte der Organspende nicht öffentlich thematisiert werden – eben die Aspekte, aus denen bei vielen Menschen die Unsicherheit resultiert, aus der heraus sie das Ausfüllen eines Organspendeausweises unterlassen. Wie die Frage nach dem Hirntod, bei dem zentrale Körperfunktionen noch aufrecht erhalten werden, so dass hirntote Menschen den meisten intuitiv nicht als ‚tot‘ erscheinen. Oder die Frage nach den Gewebespenden, deren Verbleib und Verwendung sehr viel undurchsichtiger ist, als der ganzer Organe. In diesem Seminar wollen wir das Kaleidoskop an Interessenslagen, Hoffnungen, Ängsten, an juristischen Regelungen und medizinischen Möglichkeiten, an ethischen, religiösen und weltanschaulichen Prämissen auseinander nehmen und die einzelnen Facetten der oft ambivalenten Meinungen reflektieren, um am Ende vielleicht keine Lösung, aber eine differenzierte und begründete Haltung zu den verschiedenen Aspekten der Organspende zu entwickeln.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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