• Lehrsituation: „Wie kann Diagnosekompetenz im Einzelnen aussehen?” Foto: willma .../photocase.com

„Auf den Lehrer kommt es an“

Was entscheidet über den Lernerfolg der Schüler? Nicht zuletzt die „Diagnosekompetenz“ der Lehrer, sagen die Mathematikdidaktiker Astrid Fischer und Johann Sjuts. Diese sei bereits in der Ausbildung fest zu verankern – und stelle eine echte Herausforderung dar.

Was entscheidet über den Lernerfolg der Schüler? Nicht zuletzt die „Diagnosekompetenz“ der Lehrer, sagen die Mathematikdidaktiker Astrid Fischer und Johann Sjuts. Diese sei bereits in der Ausbildung fest zu verankern – und stelle eine echte Herausforderung dar.

Es ist eine ganz normale Aufgabe aus dem Mathematikunterricht. „Die Geburtstagsgruppe macht einen Ausflug“, so beginnt sie. „Die Kinder fahren mit einem roten und einem grünen Kleinbus. Im roten Bus sitzen 13 Kinder. Im grünen Bus sitzen 6 Kinder weniger als im roten Bus. Wie viele Kinder sitzen in beiden Bussen zusammen?“

Die meisten SchülerInnen lösen die Aufgabe richtig: Es sind 20 Kinder. Aber immer wieder kommt es auch vor, dass ein Schüler antwortet: Es sind 19 Kinder. Was genau steckt dahinter? Und wie kann man als LehrerIn hier helfen?

„Diagnosekompetenz“ nennen Didaktiker und Bildungsforscher die Eigenschaft, über die der Lehrer verfügen muss, um hier zusammen mit dem Schüler zur richtigen Lösung zu kommen. Dafür müssen LehrerInnen prinzipiell in der Lage sein, Lernvorgänge ihrer SchülerInnen zu diagnostizieren, also zu erkennen, was in den Köpfen vorgeht, um die individuell passende Lernunterstützung zu finden.

LehrerInnen müssen in der Lage sein, die individuell passende Lernunterstützung zu finden.

 

Eine echte Herausforderung also, die anzunehmen in der Vergangenheit nicht eben selbstverständlich war. Wenig erfreulich waren dann auch die PISA-Ergebnisse der vergangenen Jahre, was diagnostische Fähigkeiten deutscher LehrerInnen angeht. Doch inzwischen bewegt sich viel in der Lehrerausbildung, in der Diagnostik ist ein regelrechter Aufschwung zu verzeichnen – nicht erst seit Bekanntwerden der Forschungen des renommierten neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie, demzufolge die Lernerfolge der SchülerInnen in hohem Maße vom Können der LehrerInnen abhängen.

Die Förderdiagnostik voranzubringen, das ist seit drei Jahren das zentrale Anliegen von OLAW – ein im Didaktischen Zentrum angesiedeltes Verbundprojekt, in dem sich regionale Partner engagieren: die Universität Oldenburg, die Studienseminare Oldenburg, Leer, Aurich und Wilhelmshaven sowie zahlreiche Praktikums- und Seminarschulen. Für die gezielte Weiterentwicklung von diagnostischer Kompetenz sind die MacherInnen von OLAW bereits ausgezeichnet worden: In dem Wettbewerb „Von der Hochschule in den Klassenraum: Neue Wege der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Studienseminaren in der Lehrerausbildung“ des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft.

Wie kann Diagnosekompetenz im Einzelnen aussehen? Um bei dem Eingangsbeispiel der Mathematikaufgabe zu bleiben: Zunächst einmal muss ein Schüler die konkreten Angaben im Text – Busse, Kinder, Busfarbe und Kinderanzahl – richtig erfassen. Es geht also darum, den Text richtig zu lesen und zu verstehen. Allerdings reicht dies nicht.

Diagnostizieren und Fördern sind in Echtzeit eins.

 

Wichtig ist es in einem zweiten Schritt, sich vom Konkreten zu lösen und das Augenmerk auf jene Schlüsselwörter zu richten, die mathematische Beziehungen ausdrücken – also die Wörter „weniger“ und „zusammen“. Eine entscheidende Fördermaßnahme des Lehrers kann dann darin bestehen, mathematische Beziehungen in konkreten Situationen zu identifizieren und Unterrichtsmaterialien zur Festigung dieser Fähigkeit einzusetzen.

Diagnostizieren und fördern: An dem Beispiel sieht man, wie eng das eine mit dem anderen zusammenhängt, wie wenig sich die beiden Aspekte im Unterricht trennen lassen. Stets gilt es, das eine unmittelbar mit dem anderen zu verbinden – und dies im laufenden Prozess. Diagnostizieren und Fördern sind in Echtzeit eins. Daher ist es so wichtig, dass angehende LehrerInnen die Fähigkeit zu einer Förderdiagnostik bereits in ihrer Ausbildung erwerben.

SchülerInnen ständig Einsicht in den Stand ihres Lernens ermöglichen. 

 

Da ist es gut und förderlich, dass die LehrerInnen immer mehr ins Blickfeld rücken, wenn es um die Frage geht, was maßgebend ist für schulische und unterrichtliche Wirksamkeit. Es kommt also auf den Lehrer an. Denn inzwischen wissen wir, dass genau der Lehrer erfolgreich ist, der aktiv ist, der sich durchweg verantwortlich fühlt, der den SchülerInnen ständig Einsicht in den Stand ihres Lernens ermöglicht. Und bei diesem neuen Anforderungsprofil hat die Diagnostik einen geradezu herausragenden Stellenwert.

Die Rechnung ist einfacher noch als die Mathematikaufgabe von der Geburtstagsgruppe, die einen Ausflug macht: Verfügen die entsprechend ausgebildeten LehrerInnen über eine entwickelte diagnostische Kompetenz, erhöht das die Unterrichtsqualität. Dazu müssen LehrerInnen die Wirksamkeit ihres eigenen Tuns kontinuierlich überwachen – und hinterfragen. Die SchülerInnen werden davon profitieren.


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DIE AUTOREN

Dr. Astrid Fischer ist Professorin für Didaktik der Mathematik am Institut für Mathematik der Universität Oldenburg. 

Dr. Johann Sjuts ist Außerplanmäßiger Professor für Mathematikdidaktik am Institut für Kognitive Mathematik der Universität Osnabrück sowie Oberstudiendirektor und Leiter des Studienseminars Leer für das Lehramt an Gymnasien.

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(Changed: 27 Feb 2024)  | 
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