• Mit welchen ethischen Maßstäben bewerten Schüler die Methode der Genom-Editierung? Foto: Markus Hibbeler/Universität Oldenburg

  • Rund 80 Schüler beantworten die Fragen von Laura Heinisch und ihren Kolleginnen zur Genom-Editierung. Foto: Markus Hibbeler/Universität Oldenburg

Bioethik im Unterricht

In einem Verbundprojekt untersuchen Wissenschaftler um die Biologie-Didaktikerin Corinna Hößle, was Schüler über die sogenannte Genom-Editierung wissen und wie sie diese ethisch bewerten. Die Forscher wollen die Heranwachsenden und ihre Lehrer für das Thema sensibilisieren.

 

In einem Verbundprojekt untersuchen Wissenschaftler um die Biologie-Didaktikerin Corinna Hößle, was Schüler über die sogenannte Genom-Editierung wissen und wie sie diese ethisch bewerten. Die Forscher wollen die Heranwachsenden und ihre Lehrer für das Thema sensibilisieren.

Nur eine längere Infusion war nötig, um im Herbst vergangenen Jahres einem 44-jährigen Amerikaner bestimmte Moleküle, sogenannte Gen-Scheren, ins Blut einzuschleusen. Diese sollten ein fehlerhaftes Gen in seinen Leberzellen beseitigen, das eine schwere Erbkrankheit auslöst. Als erster Mensch überhaupt erhielt der Patient eine solche Gentherapie direkt in seinem Körper.

Zwar ist der Ausgang dieses konkreten Eingriffs noch ungewiss. Er liegt aber im Trend: Wissenschaftler und Mediziner können immer präziser mit Hilfe der sogenannten Genom-Editierung, ins Erbgut von Lebewesen eingreifen. Sie hoffen, mit der schnellen und kostengünstigen Methode künftig Erbkrankheiten, HIV oder Krebs heilen zu können. Doch wie sicher ist diese Technik? Und welche ethischen Fragen wirft sie auf?

Vor allem junge Menschen sollten sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, sagt die Oldenburger Biologie-Didaktikerin Prof. Dr. Corinna Hößle. Denn sie seien es, die in Zukunft mit dieser Methode umgehen müssen. „Also sollten wir sie darauf vorbereiten, auch aus ethischer Perspektive“, ergänzt sie. Genau hierauf zielt ein von Hößle geleitetes Verbundprojekt, in dem Wissenschaftler Schüler und Studierende zu ihren Ansichten befragen und ihnen langfristig ethisch-moralische Kompetenzen vermitteln wollen. In dem Vorhaben „Ethische Bewertungskompetenz und Alltagsphantasien von Jugendlichen und Studierenden zu den Möglichkeiten der Genom-Editierung“ arbeitet das Oldenburger Team mit Wissenschaftlern und Medizinern der Universität Hamburg und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) zusammen.

Ethisch problematisch

Die Methode der Genom-Editierung hat sich seit 2012 rasant entwickelt: Damals entdeckten Wissenschaftler den sogenannten CRISPR/Cas-Komplex in Bakterien. Inzwischen ist es möglich, mit diesem Molekül-Komplex gezielt einzelne Gene oder größere Teile des Erbguts in bestimmten Zellen eines Organismus herauszuschneiden und, falls nötig, durch ein gesundes Gen zu ersetzen. In der Regel entnehmen Mediziner den Betroffenen bisher dafür körpereigene Zellen und behandeln sie außerhalb des Körpers. In China gibt es bereits klinische Studien mit krebskranken Patienten, und auch in Europa könnte es bald soweit sein. Ethisch problematisch wird die Methode vor allem dann, wenn sie in den sogenannten Keimzellen zum Einsatz kommt. Denn dies bedeutet, dass die genetischen Änderungen auf kommende Generationen übergehen.

In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt wollen die Forscher nun herausfinden: Was wissen junge Menschen über Genom-Editierung? Mit welchen ethischen Maßstäben bewerten sie die Methode? Und wären sie bereit, sie anzuwenden? Dazu hat Doktorandin Laura Heinisch gemeinsam mit Hößle und der Bildungswissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Krause einen detaillierten Fragebogen für Schüler entwickelt.

Eine Vorstudie mit 18 Schülern eines 11. Jahrgangs hat bereits gezeigt: Die Jugendlichen stehen der Genom-Editierung aufgeschlossen, aber durchaus differenziert gegenüber. „Zum Beispiel meinten die Schüler, dass man im Einzelfall entscheiden sollte, wann die Methode Anwendung findet“, erläutert Heinisch. Allerdings sei es den Schülern schwer gefallen, eine andere als die eigene Perspektive einzunehmen und Folgen abzuschätzen. Auch hätten sie ethische Werte wie Menschenwürde oder Wohlergehen oft nicht explizit nennen können – sie seien aber aus ihren Ansichten implizit hervorgegangen.

Realistisches Szenario

Hinzu kommt: Den meisten Schülern und sogar Lehrern sei nicht klar, wie Genom-Editierung eigentlich funktioniert, sagt Dr. Wiebke Rathje, die das Verbundprojekt koordiniert. „Oft dauert es bis zu zehn Jahre, bis neue wissenschaftliche Erkenntnisse in den Schulunterricht einfließen.“ Fachwissen kann Heinisch also nicht voraussetzen, wenn sie Schüler im Rahmen der Hauptstudie zur Genom-Editierung befragt. Sie hat daher ein Konzept für zwei 90-minütige Unterrichtseinheiten entwickelt. In diesen vermittelt sie nicht nur die wissenschaftlichen Grundlagen, sondern auch die ethischen Aspekte: Birgt es beispielsweise Gefahren, dass die Technik mit Viren arbeitet? Oder: Ist es ethisch vertretbar, genetische Änderungen aus kosmetischen Gründen vorzunehmen?

Gut 80 Schüler eines 11. Jahrgangs eines Gymnasiums in Varel unterrichtet Heinisch nun auf diese Weise. Ihren Fragebogen müssen die Jugendlichen dabei einmal vor und, in abgeänderter Form, einmal nach den Unterrichtsstunden beantworten. So erfährt die Doktorandin, welches Fachwissen und welche Urteilsfähigkeiten die Schüler im Unterricht erworben haben.

Der Fragebogen konfrontiert die jungen Probanden zunächst mit einem Dilemma: Soll sich ein Paar, dessen Kind eine Veranlagung zu Leukämie in sich trägt, dafür entscheiden, das Kind mit den Mitteln der Genom-Editierung zu behandeln? Ein durchaus realistisches Szenario, das Experten der MHH für die Oldenburger Kollegen entworfen haben. Aufgabe der Schüler wird es sein, die Situation eigenständig zu bewerten – beispielsweise welche moralische Relevanz der Fall hat und wie die möglichen Folgen sind – und ihr Urteil zu begründen. Daneben geben die Jugendlichen an, ob sie sich etwa besonders für Biologie oder Politik interessieren und ob sie religiös sind.

Verantwortungsvoller Umgang

Am Ende des Projekts werden die Wissenschaftler nicht nur einen Eindruck gewonnen haben, wie gut Schüler bioethische Fragen bewerten können. Vielmehr wollen die Forscher ihre Ergebnisse auch als Unterrichtsmaterialien an Lehrer weitergeben. Dabei sei es wichtig, sagt Heinisch, die Studie in verschiedenen Varianten durchzuspielen: In einer Klasse werde sie nur Fachwissen unterrichten, in einer anderen die Grundlagen für die ethische Bewertung. Eine dritte Klasse wird beides lernen und eine vierte, die Kontrollgruppe, keinen gesonderten Unterricht erhalten. „So können wir sehen, ob das Konzept gut ist oder ob wir die Unterrichtsstunde noch verbessern müssen“, erläutert die Doktorandin.

Denn auch wenn bioethische Themen bereits seit einigen Jahren zum Unterrichtsstoff an weiterführenden Schulen gehören, weiß Ethik-Expertin Hößle aus vorangegangenen Studien: Lehrer wüssten oft nicht genau, wie sie ethische Kompetenzen vermitteln sollen. In vielen Fällen fühlten sie sich auch bei der eigenen Urteilsfällung unsicher. Dies kann zur Folge haben, dass sie derartige Themen und die Benotung der Schüler im Unterricht meiden. „Anhand der von uns entwickelten Materialien wollen wir sowohl erfahrene als auch angehende Lehrkräfte ermutigen, bioethische  Themen in den Unterricht zu integrieren und ethische Bewertungskompetenz zu fördern– nicht nur, weil sie dazu verpflichtet sind, sondern um den verantwortungsvollen Umgang mit neuen Technologien zu fördern“, sagt Hößle. 

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(Changed: 12 Apr 2024)  | 
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