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- Ach, Soziologie
Stefan Müller-Doohm zur Krise der Soziologie - Kattmann oder Kattfrau?
Helga Wilhelmer antwortet Ulrich Kattmann
Ach, Soziologie
von Stefan Müller-DoohmIn den Räumlichkeiten der Soziologen gibt es einen Schaukasten, in dem die Neuerscheinungen der Lehrenden ausgestellt sind. In der letzten Woche gab es aufgeregte Reaktionen der Empörung bei den Gesellschaftswissenschaftlern der Carl von Ossietzky Universität, als sie auf der Scheibe ihres Buchfensters eines gemalten Stacheldrahtzauns ansichtig wurden, der die Publikationen symbolisch in zwei feindliche Lager teilt. Mit dieser kleinen Überraschungstat haben die Studenten auf ihre ironisch-provokative Weise zum Ausdruck gebracht, was aus ihrer Perspektive direkter Betroffenheit von einer offensichtlich törichten Entscheidung zu halten ist: Das seit über 10 Jahren bestehende, über diesen Zeitraum gesehen durchaus erfolgreich arbeitende Institut für Soziologie ist Opfer eigener Unfähigkeiten bei der Bewältigung von Konflikten hinsichtlich einer ganz unspektakulären Angelegenheit im eigenen Haus geworden. Wegen unterschiedlicher Auffassungen, wer angesichts knapper Ressourcen an der Finanzierung eines Modells zur Nachwuchsförderung partizipieren soll, haben sich zwei Parteien gebildet, deren personelle Zusammensetzung so zufällig ist, wie der inzwischen exekutierte Beschluß, zwei soziologische Institute einzurichten. Er wird in seinen Auswirkungen für das Fach kontraproduktive Konsequenzen haben. Denn die Verdopplung der Betriebseinheit erhöht die Gemeinkosten, schafft überflüssige Unübersichtlichkeiten und bedingt eine Zersplitterung von Verantwortlichkeit. Das geht zu Lasten der Planungsrationalität im Bereich der Lehre und der Studienorganisation, damit aber auf Kosten der Studenten. Wie soll es ihnen unter diesen Bedingungen gelingen, der immer massiver erhobenen Forderung zu entsprechen, ihren Abschluß in dem vorgeschriebenen Zeitrahmen zu erreichen?
Da beide Institute nicht viel mehr als das Resultat eines willkürlichen Schnitts sind, lassen sich die zwei Teile eines ursprünglichen Ganzen kaum durch die Besonderheit eines von außen sichtbaren Profils unterscheiden: Egal, wo hinein man beißt, jede Hälfte des Pfannekuchens hat den gleichen Geschmack. Das wird sich auch in Zukunft kaum ändern, da angesichts der Altersstruktur beider soziologischer Institute nur wenig Zukunft bleibt. Damit kommen wir zur eigentlichen Wurzel des Übels. Denn die institutsinternen Querelen sind das Symptom einer tieferliegenden Krise der Soziologie. Diese hat ihre eigentliche Ursache darin, daß ausgerechnet die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft zu veralten droht, jene Disziplin, von der einer ihrer Gründungsväter sagte, sie sei eine ewig junge Wissenschaft. Warum? Weil sie nur dann Sinn macht, wenn sie sich immer aufs Neue mit der Frage konfrontiert: In welchen Zeiten leben wir, wohin treibt das Ganze der Gesellschaft? Statt sich unter Bündelung aller Kräfte dieser zentralen Aufgabe zu stellen, zerfällt die Wissenschaft von der Gesellschaft zunehmend in eine schier unüberschaubare Vielzahl spezieller Bindestrich-Soziologien, mit der Konsequenz, daß es zu einer Desaggregierung des Gegenstandes dieser Disziplin kommt. Weil man vor lauter Bäumen keinen Wald sieht, nehmen die emsigen Soziologen vor lauter Fliegenbeinzählerei und Begriffsbastelei gar nicht wahr, daß sie mit den gleichen theoretischen Konzepten, Erklärungsmodellen und Methoden arbeiten wie vor einem halben Jahrhundert, als dieses neu eingerichtete und aufregende Fach seinen Siegeszug innerhalb der Universitäten begann. Wer wollte heute noch behaupten, daß diese Disziplin Schlüsselwissenschaft des 20. Jahrhunderts sei? Diesen Ruf hat sie innerhalb weniger Jahre selbst verspielt: Angesichts der Trägheit einer zur Normalwissenschaft gewordenen, universitär etablierten Disziplin hat die Mehrzahl der Soziologen aus dem Auge verloren, daß all ihren schönen Konstruktionen ein Zeitkern innewohnt. Die Fixierung an Denkmuster, das Starren auf die verdinglichten Fachtermini des 'homo sociologicus' führt dazu, daß die Soziologie zum Glasperlenspiel einer freilich glanzlosen Metaphysik zu werden droht. Ralf Dahrendorf hat dieser Tage öffentlich davor gewarnt. Soziologie wird obsolet, wenn sie ihre Begriffssysteme als Unveränderliches der geschichtlichen Bewegung entgegensetzt. Daß dies tatsächlich der Fall ist, wird in exemplarischer Weise dadurch belegt, daß an dieser Universität die soziologische Ausbildung im Rahmen des Diplom- und Magisterstudiengangs inhaltlich (und natürlich auch hochschuldidaktisch) mehr oder weniger in der gleichen Weise erfolgt wie zu den Zeiten, als die jetzigen Lehrenden Studierende waren.
Max Weber hat Recht: Soziologie hat und hätte auch heute noch eine Zukunft, sofern sie als jene ewig junge Wissenschaft sich permanent selbst erneuerte, um so überhaupt die Grundlagen dafür zu schaffen, überzeugende Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsprognosen über den historischen Verlauf der Epoche zu machen.
Wenn die Soziologen in der Folge der Institutsteilung trotzig den Rückzug in ihre eigenen Elfenbeintürme antreten, dann bleibt die unter den Nägeln brennende Reform der Studiengänge und der Disziplin insgesamt auf der Strecke. Das ist unverantwortlich. Denn eine Ausbildung, die am Gestern und nicht am Morgen orientiert ist, führt ins berufliche Nichts. So wäre, um nur ein Beispiel zu nennen, dringend zur Kenntnis zu nehmen, daß wir längst im Zeitalter des Globalismus, der Informatisierung und Mediatisierung leben - durchweg strukturelle Umbruchprozesse, die sowohl neue Analysekategorien als auch neue Kompetenzen und Qualifikationsprofile auf Seiten der die Universität verlassenden, auf den Arbeitsmarkt der Zukunft strömenden Studierenden verlangen: Beispielsweise die Einübung in eine Kultur der Toleranz und zugleich die Fähigkeit des Verstehens multikultureller Lebensformen, die Kenntnis mehrerer Fremdsprachen, die Begabung eines flexiblen Überschreitens von Fachgrenzen, um interdisziplinäre Bezüge herzustellen, Kompetenzen zum Risikomanagement bezogen auf ökologische Umweltrisiken und epidemische Gesundheitsrisiken.
Prof. Dr. Stefan Müller-Doohm (Fachbereich 3 Sozialwissenschaften, Institut für Soziologie und Sozialforschung)
Kattmann oder Kattfrau?
Helga Wilhelmer, Leiterin des Dezernats für studentische und akademische Angelegenheiten, antwortet auf einen Beitrag von Prof. Dr. Ulrich Kattmann (uni-info 9/96)Professor Kattmann macht es sich einfach. Er interpretiert kurzerhand elf Seiten "Empfehlungen zur Gewährleistung von Chancengleichheit bei Stellenbesetzungen" der Arbeitsgruppe Frauenförderung an Hochschulen und drückt den Stempel "Bevorzugung von Frauen. Abgelehnt." darauf. Mit viel Ironie und ein bißchen Spott fällt er sein (Vor-)Urteil und würzt das Ganze mit einem persönlichen Witz. Er will künftig nicht mehr behaupten, er sei eine Frau, da dieses als Versuch der Vorteilsnahme ausgelegt werden könnte.
Manchmal reicht mein Humor nicht aus, um mitzulachen. Männer und Frauen müssen miteinander streiten können und die Argumente austauschen. Dabei ist für mich das Gefühl wichtig, ernst genommen zu werden. Dieses Gefühl habe ich bei dem Artikel von Professor Kattmann nicht. Die Frauen werden lächerlich gemacht, indem unterstellt wird, es ginge bei der Stellenbesetzung nicht mehr um die Qualifikation, sondern um eine billige Bevorzugung aufgrund des weiblichen Geschlechts. Es wird das Gespenst der Quotenprofessorin an die Wand gemalt, die die qualifizierteren Männer überrundet.
Hinzu kommt, daß der Text der Empfehlungen ungenau und teilweise falsch wiedergegeben wird. So differenziert zum Beispiel die Arbeitsgruppe Frauenförderung zwischen den Verfahren bei der Besetzung von Professuren bzw. Hochschuldozenturen und den Verfahren bei Stellen des wissenschaftlichen Nachwuchses. Herr Kattmann wirft hingegen alles in einen Topf und schreibt: "So sind in Besetzungs- und Berufungsverfahren alle Frauen in die engere Wahl zu nehmen, also zum Vorstellungsgespräch oder Vortrag einzuladen, die die Grundvoraussetzungen für die ausgeschriebene Stelle erfüllen, mindestens aber soll die Hälfte der Eingeladenen weiblich sein." Diese Empfehlungen gelten jedoch nur für die Besetzungsverfahren des wissenschaftlichen Nachwuchses, nicht jedoch für die Berufungsverfahren bei Professorenstellen. Bei Berufungsverfahren für Professuren wird für die Auswahlkriterien lediglich der Hinweis gegeben, daß nicht automatisch die männliche Normalbiographie im Vordergrund stehen soll, sondern auch die aufgrund struktureller Bedingungen umwegig verlaufenden Frauenkarrieren in den Blick genommen werden sollen. Bei den Besetzungsverfahren wird die Bevorzugung von Frauen ausdrücklich an die gleichwertige Qualifikation geknüpft und gilt solange, bis der Frauenanteil in der jeweiligen Berufsgruppe 50 vom Hundert nicht erreicht hat. Prof. Kattmann erwähnt in seinem Beitrag wichtige Differenzierungen nicht, um pauschal die Empfehlungen zu verwerfen.
An anderer Stelle wird behauptet, die Ministerin habe im Begleitbrief klargemacht, daß nunmehr der Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung suspendiert ist. Diese Interpretation der Bemühungen, die Benachteiligung von Frauen zu beseitigen, verstehe ich als reine Provokation. Ein Mann verspeist gewohnheitsmäßig seit Jahren zehn von den zwölf Tortenstücken. Eines Tages sagt seine Frau, wir müssen uns ein Verfahren überlegen, damit jeder von uns gleich viel, also sechs Stück Torte bekommt, denn ich habe genauso viel Hunger wie du. Daraufhin sagt der Mann, das geht nicht, denn dann wirst du bevorzugt und suspendierst unsere Gleichberechtigung.
Auch wenn Vergleiche hinken, es wird offensichtlich immer noch vergessen, daß Frauen mit Hilfe der Förderpolitik die Hälfte des Kuchens entsprechend ihres Anteils an der Bevölkerung beanspruchen. Fakt ist jedoch, daß es nach zehn Jahren Frauenförderpolitik an der Universität Oldenburg 98 C4 Professoren und 4 C4 Professorinnen gibt. Das zu ändern, ist ein langer, schwieriger Prozeß, der nicht allein von der Hochschule beeinflußt wird. Die Bürokratie kann nur den Rahmen setzen, in dem die Beteiligten selbst an Veränderungsprozessen mitwirken. Ich wünsche mir, daß Widerstände, wie sie Professor Kattmann in seinem Beitrag zum Ausdruck bringt, überwunden und Gemeinsamkeiten entwickelt werden.