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Inhalt 4/2008
Das aktuelle Interview
„Wir müssen die Kinder ermutigen“
Astrid Kaiser über die Aufgabe der Pädagogik
Prof. Dr. Astrid Kaiser hat kürzlich ein Buch mit dem Titel „Menschenbildung in Katastrophenzeiten“ veröffentlicht.* UNI-INFO sprach mit der Pädagogin, die die Ökologische Lernwerkstatt RÖSA leitet.
UNI-INFO: Frau Kaiser, haben wir heute „katastrophalere“ Zeiten als früher, oder hat sich nur die Wahrnehmung geändert?
KAISER: Nein, das ist objektiv anders geworden. Natürlich hat es schon immer Katastrophen gegeben, etwa im Mittelalter verheerende Brände in den Städten, aber das waren dann Jahrhundertereignisse. Mit der Industrialisierung und dem Bevölkerungswachstum sind die Dimensionen von globalen Umweltveränderungen und Katastrophen ganz anders geworden. Und was auch neu ist: Das Tempo der Veränderungen hat rasant zugenommen. Ich bin regelmäßig in Chile und sehe jedes Jahr die Auswirkungen der Gletscherschmelze. Oder wir beobachten auch hierzulande Vegetationsveränderungen. D. h. es sind Phänomene, die schon in die Alltagswahrnehmung eingehen.
UNI-INFO: Sie sagen, es sind von Menschen gemachte Katastrophen …
KAISER: Ja, und das bedeutet, wir Menschen können auch etwas verändern. Wir können entscheiden, ob wir uns nur an Profit und Wachstum orientieren wollen oder ob wir den Kriterien Nachhaltigkeit und Fürsorglichkeit mehr Raum verschaffen.
UNI-INFO: Junge Menschen interessieren sich besonders stark für Umweltfragen …
KAISER: Wir wissen, dass gerade Grundschulkinder von Umweltproblemen emotional betroffen sind. Andererseits ist dieses emotionale Beteiligtsein Voraussetzung für Engagement, für Zukunftsdenken. Es ist sozusagen das Potenzial, auf dem wir aufbauen können. Wir müssen dafür sorgen, dass den Kindern nicht Hoffungslosigkeit und Resignation entgegenschlägt, sondern dass sie ermutigt werden, sich für diese Welt, die ja unserer aller Welt ist, einzusetzen.
UNI-INFO: Warum nimmt Schule diese Thematik nicht genügend auf?
KAISER: Zum einen sind Lehrerinnen und Lehrer zurzeit bürokratisch sehr überfordert. Sie müssen diesen Bericht machen oder jene Statistik abliefern oder sich auf die Schulinspektion vorbereiten, d. h. sie können nur noch mit Mühe ihren Alltag bewältigen. Der andere Grund: Umweltfragen sind in den Curricula kaum präsent. Es gibt eine aktuelle Untersuchung, wonach die Energiethematik in schulischen Lehrplänen und auch in universitären Curricula faktisch nicht vorkommt. Obwohl es im Grundsatz immer heißt, dass auch die Alltagssituation von Kindern ihren Niederschlag im Unterricht finden sollen. Und der dritte Grund: Wenn tatsächlich Umweltfragen behandelt werden, dann zumeist als einzelfachliches Element, z. B.
Wetter und Klimaveränderung im Physikunterricht. Aber das Thema hat ja viele Aspekte, nicht nur fachwissenschaftliche, d. h. es muss fächerübergreifend behandelt werden. Es geht darum, dass wir die Kinder mit dem, was sie bewegt, ernst nehmen
UNI-INFO: Was heißt das konkret?
KAISER: Ich plädiere dafür, dass wir ein stärkeres Erziehungsklima in der Schule schaffen. Wir müssen z. B. dafür sorgen, dass einzelne Kinder nicht ausgegrenzt werden. Schon mit einem gemeinsamen Kochprojekt, etwa Apfelmus machen, ist viel zu erreichen. Das hat eine ökologische Komponente, weil die Kinder lernen, z. B. Fallobst – das heutzutage viele Menschen gar nicht mehr essen – zu verwerten. Außerdem hat jedes Kind eine Aufgabe und übernimmt Verantwortung. Es geht darum, dass die Kinder spüren: Wir sind Menschen auf einer Welt und wir müssen zusammenhalten.
UNI-INFO: Lernziel Solidarität?
KAISER: Ja, es geht ganz zentral um Selbst- und Mitbestimmung wie auch Solidaritätsfähigkeit. Es hilft nichts, isoliertes Fach- und Formelwissen einzupauken, das, wie man durch Untersuchungen weiß, nach kurzer Zeit wieder vergessen ist. Nichts gegen Fachwissen, aber das Lernen wird viel nachhaltiger, wenn es über Motivation, die bei der Persönlichkeit der Schüler ansetzt, vermittelt wird. Das ist übrigens ja auch ein Problem unserer Bachelor-Studiengänge. Wir müssen aufpassen, dass wir die Menschen, die hier studieren, nicht als Persönlichkeiten ignorieren und nur noch nach erbrachten Kreditpunkten beurteilen.
UNI-INFO: Das gilt ja ganz besonders für künftige Lehrerinnen und Lehrer.
KAISER: Ja. Ein Beispiel: Eine Gruppe von Lehramtsstudierenden wollte sich im Praktikum nicht gerne mit dem Thema Erneuerbare Energien befassen, das sei zu schwierig. Dann hat aber die Lehrerin der betreffenden Schule den Studierenden erzählt, wie aufgeschlossen und interessiert die Kinder auf das Thema reagierten und ihnen ein Foto gezeigt, auf dem strahlende Kinder vor dem Zähler der Solaranlage der Schule stehen und sich freuen, wie viel Strom wieder produziert worden ist. Das Ergebnis war, dass die Studierenden sich fachkundig gemacht haben, d. h sich richtig hartes Physikwissen angeeignet und anspruchsvolle, aber auch kindgerechte Versuchsgeräte aufgebaut haben.
UNI-INFO: Sie selbst sind grundsätzlich eher optimistisch als pessimistisch eingestellt …
KAISER: (lacht) Ja, das stimmt, ich resigniere nie. Und ich bin von zuhause aus sehr ökologisch geprägt. Meine Mutter war die größte Ökologin, die man sich vorstellen kann. Sie hat alles selbst erwirtschaftet und gar nichts verkommen lassen. Das war ein einziger Kreislauf, alles wurde der Natur wieder zugeführt – einschließlich der Knochen unserer Hühner. Als in unserm Dorf die Mülltonne eingeführt wurde, hat meine Mutter dagegen protestiert, weil sie sagte: Ein Mensch, der vernünftig wirtschaftet, macht keinen Müll.
* Astrid Kaiser, „Menschenbildung in Katastrophenzeiten“, ISBN 978-3-8340-0225-9, 18,00 s, Verlag Hohengehre