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Inhalt 9/2009


Thema


Namensgebung: "Kalter Krieg um Ossietzky"

Auszüge aus dem kürzlich erschienenen Buch zur Namensgebung der Universität Oldenburg / Von Rainer Rheude

Es gelingt, den Coup in aller Heimlichkeit vorzubereiten. Nur ein halbes Dutzend der eigenen Leute im Sozialistischen Hochschulbund ist eingeweiht. Nicht einmal die Koalitionspartner im Allgemeinen Studentenausschuss wissen Bescheid. Zu viele Mitwisser, das ist die große Sorge, bergen die Gefahr, dass die geplante Aktion unbedacht ausgeplaudert werden könnte. Doch jetzt, in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 1974, als Aart Pabst und zwei Kommilitonen auf den Uni-Turm steigen, können sie endlich sicher sein, dass alles glatt gehen wird. Was sie nicht ahnen können, ist, dass sie mit ihrem nächtlichen Husarenstück eine bis dahin eher lokal und regional begrenzte Auseinandersetzung um ein Vielfaches forcieren. Ein knappes Dreivierteljahr später wird sie auch in den Schlagzeilen der nationalen und internationalen Presse angekommen sein. (...) Die Studenten bringen in dieser Nacht von Dienstag auf Mittwoch, einen Tag nach Beginn des ersten Wintersemesters, den Schriftzug „Carl-von-Ossietzky-Universität“ an. (...)

Am Gängelband der DKP?

So spektakulär die Auseinandersetzung um die Namensgebung der Universität sich auch entwickeln wird, ihren Anfang nimmt die Namensfindung gänzlich unaufgeregt. Am 6. Juni 1972 schlägt der Göttinger Jurastudent Hans-Henning Adler in der Strukturkommission des Gründungsausschusses vor, die Hochschulneugründung nach Carl von Ossietzky (1889-1938) zu benennen, nach dem von den Nationalsozialisten im unweit von Oldenburg gelegenen KZ Esterwegen fast zu Tode geschundenen Friedensnobelpreisträger. Der Name soll in Paragraph 1 der Grundordnung verankert werden. (...) Dem späteren Oldenburger Rechtsanwalt und DKP-Funktionär Adler ist nach seiner Darstellung die Idee, Ossietzky vorzuschlagen, nicht über Nacht gekommen. Auf der Suche nach einem Namenspatron, der Verbindung zur Region haben, aber auch für den antifaschistischen Kampf und für den Reformanspruch der Neugründung stehen sollte, macht ihn ein Oldenburger DKP-Genosse auf den „Weltbühne“-Publizisten und auf dessen Schicksal im emsländischen Konzentrationslager Esterwegen aufmerksam. Allein aus diesem Gespräch resultiere der Vorschlag, sagt Adler. Er weist die immer wieder aufkeimende Vermutung, die in der bevorstehenden Auseinandersetzung eine mitentscheidende Rolle spielen sollte, weit von sich: nämlich dass hohe Parteigremien den Namen mit Bedacht ausgewählt haben sollen, ja sogar Einflüsterungen durch die DKP-Finanziers in der DDR werden nicht ausgeschlossen. Denn ohne Zweifel hätten Oldenburgs führende DKP-Funktionäre wie Adler oder Hans-Joachim Müller in den 1970er und 1980er Jahren engste Kontakte zur DDR gehabt, sagt etwa der frühere Oldenburger Oberbürgermeister Dietmar Schütz; insofern hätten Vorbehalte gegenüber der Herkunft des Vorschlages durchaus ihre Berechtigung gehabt. (...)

Für die Nachwelt: Aart Pabst (Mitte) und seine beiden Kommilitonen demonstrieren am 16. Oktober 1974 für den Fotografen, wie sie in der Nacht zuvor die Styropor-Buchstaben am Uni-Turm angebracht haben.

Zunächst gibt es kaum Reaktionen auf die Initiative, erst recht keine kritischen. In den Beratungen des Gründungsausschusses, schreibt der ehemalige Kanzler Lüthje, sei dem Vorschlag keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden: „Als Anknüpfung an eine freiheitlich-demokratische politische Tradition in Deutschland schien der Name kaum problematisch. Und das leidvolle Schicksal Carl von Ossietzkys im Konzentrationslager Esterwegen bot eine überzeugende Verbindung zum regionalen Umfeld der Universität.“ Auch Joist Grolle, der zwei Jahre später als niedersächsischer Wissenschaftsminister im Zentrum des Namensstreites stehen wird, kann sich nicht entsinnen, „dass wir der Entscheidung damals spektakuläre Bedeutung beigemessen hätten“. Weder Adler noch anderen sei offenbar bewusst gewesen, „welche Wucht der von ihm in Bewegung gesetzte Stein entwickeln wird“, schreibt Grolle in seiner „Erinnerungsarbeit zu Ossietzky“ aus dem Jahr 1984. (...)
Auch Joist Grolle sieht von Anfang an eine Hypothek darin, dass just die DKP Ossietzky vorschlägt. Für ihn ist es das erklärte Ziel dieser Partei in der aktuellen Situation in Oldenburg, über die bereits bestehende Koalition von MSB und SHB im Allgemeinen Studentenausschuss (AStA) auch eine
Aktionsgemeinschaft zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten in der Stadt herzustellen. „Für eine solche Politik schien Ossietzky, der zur Abwehr der nationalsozialistischen Machtergreifung immer wieder ein Zusammengehen von Sozialdemokraten und Kommunisten gefordert hatte, der richtige Namenspatron zu sein. In diesem Kalkül spielte keine Rolle, ob es erlaubt war, die geschichtliche Situation von 1932 auf die Lage des Jahres 1972 zu übertragen; es spielte auch keine Rolle, ob die taktische Instrumentalisierung Ossietzkys seinem Andenken nicht eher schaden als nutzen musste“, schreibt Grolle. Taktisch, so sieht es Jürgen Lüthje im Rückblick, war das Vorgehen der DKP, den Namen politisch zu instrumentalisieren, „außerordentlich erfolgreich, man könnte fast sagen genial“. (...)

Eine motivierende Niederlage

Elke Suhr steht an diesem Freitag, 27. Juni 1975, auf der Straße vor dem blauen Uni-Turm und ahnt, dass aus einer Provinzposse, als die bis dahin die Auseinandersetzung um die Namensgebung außerhalb Oldenburgs in der Regel wahrgenommen wird, nun eine Angelegenheit von nationaler, ja vielleicht sogar internationaler Dimension werden könnte. Soeben sind an diesem Nachmittag gegen 15 Uhr unter Polizeischutz die 27 weißen Buchstaben des Schriftzuges „Carl-von-Ossietzky-Universität“ von der Fassade des Turmes abgenommen worden. Die AStA-Kulturreferentin und Hunderte von Studentinnen und Studenten verfolgen die Polizeiaktion mit Pfiffen und Buhrufen. Einige sind jedoch eher euphorisiert als niedergeschlagen. Dass der Name nicht akzeptiert wurde und das ausgerechnet von einer sozial-liberalen Regierung, „war für uns und für den Verlauf des Kampfes viel schöner“, sagt Elke Suhr. Sie stürzt sich mit Vehemenz in die Auseinandersetzung: „Für uns war es toll, plötzlich diese große Bühne zu haben. Das war motivierend.“ (...) Und noch in der Nacht druckt der Allgemeine Studentenausschuss 30.000 Flugblätter mit der anklagend-reißerischen Schlagzeile „400 Schlagstöcke gegen Carl von Ossietzky“.

SHB-Studentenvertreter Aart Pabst, der neun Monate zuvor die Styropor-Buchstaben ausgesägt und angebracht hatte, kommt einen Tick zu spät vor Ort an. Der Schriftzug ist schon weg. Auch er kann den Polizeieinsatz nicht als Niederlage empfinden, im Gegenteil, er begreift sogleich den propagandistischen Erfolg für die Namensbefürworter. Für ihn steht sofort fest, dass die Polizeiaktion den Konflikt zu ihren Gunsten beschleunigen würde. Die haben verloren, wir haben uns durchgesetzt, denkt er. Der Streit um die Namensgebung hat seinen Höhepunkt erreicht, die „nächste Eskalationsstufe“, wie Pabst sagt. Seit diesem Tag sei der Konflikt gesellschaftspolitisch bereits entschieden gewesen, dass darüber parteipolitisch noch gestritten wurde, sei eine andere Sache gewesen. (...) Fünf Tage nach der Polizeiaktion, am 2. Juli, wird er den Namenszug erneut am Turm anbringen. Diesmal „in der Gewissheit, gewonnen zu haben“. (...) Er und seine Kommilitonen rechnen fest damit, dass die Buchstaben kein zweites Mal entfernt werden: „Die Grundstimmung war: Das halten die nicht durch.“ (...)

Das Gefühl, dass sich im Namensstreit „Ungutes zusammenbraut“, hat Uni-Pressesprecher Gerhard Harms schon das ganze erste Halbjahr 1975. Das Stakkato der CDU-Anfragen im Landtag und die von Teilen der Oldenburger Öffentlichkeit immer aggressiver vorgetragene Forderung, die Lettern endlich zu entfernen, lassen ihn befürchten, dass Wissenschaftsminister Joist Grolle seine Linie nicht würde auf Dauer durchstehen können, nämlich den Schriftzug quasi durch Ignorieren zu tolerieren. Immer häufiger muss Grolle seine Position öffentlich verteidigen, der Universität einerseits den Namen zu verweigern, andererseits den Schriftzug am Turm zu lassen und auch keine „Aufsichtsmaßnahmen“ gegen die Leitung der Hochschule anzustrengen. (...) Als der Minister am 14. Mai 1975 im Landtag erklärt, er werde die Buchstaben vom Turm abnehmen lassen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu jenem „spektakulären Eklat“ (Grolle) kommt, dem Polizeieinsatz auf dem Campus: „Alle Gegenerklärungen haben wenig daran ändern können, dass sich die Landesregierung damit fast zwangsläufig dem Missverständnis aussetzte, Polizei gegen das Gedächtnis an Ossietzky einzusetzen“, räumt er später ein. (...)

Als Helga Wilhelmer, Mitglied des Gründungsausschusses und inzwischen in der Uni-Verwaltung tätig, an diesem 27. Juni in die Universität kommt, fällt ihr sofort ins Auge, dass es in deren Umgebung „nur so wimmelt von Polizisten“. Später verfolgt sie als Zuschauerin die Entfernung des Schriftzuges und muss mitansehen, „wie die Polizei mit ihren Hundertschaften auf unserem Gelände auftaucht“. Ihre Empfindung angesichts dieser Szenerie teilt sie mit den anderen Studenten und Hochschulangehörigen am Fuße des Turmes. Eine derartige Konfrontation mit der Staatsmacht, einen solchen „Skandal“ hielten sie alle bis zu dieser Stunde für schlicht undenkbar. „Das solidarisierte noch mehr, wir wurden doch regelrecht zur Solidarität getrieben.“ „Mittendrin im Geschehen“ beobachtet sie Kanzler Jürgen Lüthje und registriert nicht ohne Anerkennung, wie er sich müht, beschwichtigend auf Polizei und Zuschauer einzuwirken, um die Konfrontation nicht eskalieren zu lassen. (...) Als „furchtbar“ erlebt Lüthje den „völlig unverhältnismäßigen Polizeieinsatz“. Auch weil ihm sogleich klar ist, dass dadurch „die Namensfrage zur Bewährungsprobe staatlicher Autorität (geworden ist). Damit war der Spielraum für beiderseits annehmbare Lösungen verstellt.“ Er muss sich eingestehen, dass das Problem der Namensgebung die Universität vermutlich auf Jahre hinaus belasten wird. (...)


Zum guten Schluss eine Entschuldigung

Für die abschließende Beratung der Drucksache 12/860 hat der Ältestenrat des Landtages den Fraktionen maximal 20 Minuten zugebilligt. SPD und CDU stehen jeweils bis zu fünf Minuten zu, FDP und Grünen jeweils bis zu zweieinhalb. (...) Dann ist der Tagesordnungspunkt 3 der 24. Plenarsitzung am 17. April 1991 in Hannover abgehakt, das „Vierte Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes“ verabschiedet. Es gestattet den Universitäten des Landes, in eigenem Ermessen „in ihrem Namen einen ... ergänzenden Zusatz zu führen“. Die kleine Gesetzesnovelle ist eine „Lex Oldenburg“, obwohl alle Parteien es tunlichst vermeiden, sie auch als solche zu bezeichnen. Dabei wird in der Begründung des Gesetzentwurfes ausdrücklich auf die Universität Oldenburg und ihren seit 1972 bestehenden Wunsch, den Namen Carl von Ossietzkys führen zu dürfen, Bezug genommen. Dennoch legt Joachim Wiesensee aus Elsfleth als Sprecher der CDU-Landtagsfraktion auch an diesem Tag, an dem sich die Parteien einig sind wie selten, Wert auf die Feststellung, es handle sich keinesfalls um eine „Lex Oldenburg“ und überdies sei es ja der SPD-Minister Grolle gewesen, der ursprünglich die Namensgebung verweigert habe. Es ist der allerletzte und nur noch schwache Nachhall einer zeitweise erbittert geführten und 19 Jahre dauernden Auseinandersetzung. Ein knappes halbes Jahr später, am 3. Oktober, am Geburtstag Ossietzkys, findet in der Universität der Festakt zur Namensgebung statt. Ministerpräsident Gerhard Schröder entschuldigt sich bei der Tochter Ossietzkys dafür, „was das Land Niedersachsen dem Namen Ihres Vaters angetan hat“. (...)

Der Autor

Rainer Rheude, Jahrgang 1942, war von 1973 bis 2005 bei der Nordwest-Zeitung (NWZ) in Oldenburg. Er leitete zunächst die Stadtredaktion und später die Regionalredaktion. In beiden Funktionen begleitete er engagiert den Auf- und Ausbau der 1973 gegründeten Universität. Dabei ging es fast zwei Jahrzehnte lang immer auch um die Namensgebung nach dem Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky, die die junge Universität national und international in die Schlagzeilen brachte. 1973 regte Rheude eine LeserInnenbefragung der NWZ an, bei der sich die überwältigende Mehrheit gegen den kritischen Journalisten und Pazifisten als Namenspatron aussprach. Seinen Ruhestand nutze Rheude zu akribischer Recherche und einem kritischen Rückblick – auch auf die eigene Rolle im Streit um die Namensgebung. Herausgekommen sind 144 Seiten Universitätsgeschichte, die kürzlich unter dem Titel „Kalter Krieg um Ossietzky“ bei der Edition Temmen erschienen sind.

Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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