Pressemitteilungen

10. Oktober 1996   194/96

Deichsicherheit und Naturschutz - ein Widerspruch?

Oldenburg. BUND kontra Deichausbau. Bevölkerung und Deichverbände kontra BUND. Seitdem Naturschützer die Deichverstärkung im Bereich Cäciliengroden/Dangast gerichtlich stoppen ließen, fühlen sich die Küstenbewohner in ihrer Sicherheit bedroht. Wie ist die Sachlage aus wissenschaftlicher Sicht zu beurteilen? Für Dr. Horst Sterr und Prof. Dr. Wolfgang Ebenhöh vom Wissenschaftlichen Sekretariat Klimaänderung und Küste am Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) an der Universität Oldenburg steht fest: Der Deichbau muß angesichts der Meeresspiegelentwicklung an der Nordsee intensiviert werden - aber nicht auf Kosten des öklogisch und wirtschaftlich wertvollen Deichvorlandes. Eine akute Gefährdung für die Küstenbewohner bestehe indes nicht, betonen die Wissenschaftler. Nachfolgend ein Beitrag der Klimaexperten im Wortlaut:

"In den letzten Wochen war in den Medien viel von den aktuellen Küstenschutzmaßnahmen im Bereich Cäciliengroden/Dangast die Rede. An einem an sich "normalen" Vorgang, nämlich einer dort seit vielen Jahren geplanten Deicherhöhung und -verstärkung, entzündeteten sich überraschenderweise die Gemüter der Küstenbevölkerung. Alte, bereits vergessen geglaubte Konflikte zwischen Deichverbänden und Naturschützern brachen auf, als der BUND einen einstweiligen Stopp des Deichbaus erwirkte, weil bei der Baumaßnahme entgegen den geltenden Naturschutzverordnungen größere Eingriffe seeseitig des Deichfusses erfolgt waren. In einer großen Lichterkette auf dem Deich brachten viele der Deichanwohner ihre Sorge zum Ausdruck, daß nun die Sicherheit von Land und Leben an diesem Küstenabschnitt dem Naturschutz geopfert werden könnte. Was kann man als Wissenschaftler zu dieser Sorge und zu den Vorbehalten der Naturschützer gegen die laufende Baumaßnahme sagen ?

In der Tat ergibt sich aus Sicht deutscher und auch internationaler Forschungsgruppen, daß die Anstrengungen im Küstenschutz langfristig intensiviert werden müssen. Die Ergebnisse neuester Untersuchungen zeigen, daß an der Nordseeküste, wie auch an vielen anderen Küstenabschnitten der Erde, infolge der zunehmenden globalen Temperaturerhöhung (der vom Menschen verursachte Treibhauseffekt wird bis zum Jahr 2100 auf ca. 2,5° C geschätzt) mit beschleunigtem Meeresspiegelanstieg und wohl auch häufigeren bzw. höheren Sturmfluten zu rechnen ist. Für die deutsche Nordseeküste wird die Rate des künftigen Meeresspiegelanstiegs derzeit mit 50-60 cm pro Jahrhundert veranschlagt, während er in den letzten hundert Jahren ca. 25 cm betrug. Damit gilt für die tiefliegenden Nordseemarschen prinzipiell, daß Küstenschutz weiterhin nicht nur unverzichtbar ist, sondern die Deichplanung längerfristig (d.h. über die nächsten Jahrzehnte) dieser klimatischen und hydrographischen Entwicklung angepaßt werden muß.

Diese Erkenntnisse dürfen allerdings nicht als Notsignal für die Sicherheit der Bewohner am Jadebusen interpretiert werden. Die dort begonnenen Maßnahmen der Deicherhöhung und -verstärkung sind seit 1986 im Generalplan Küstenschutz für Niedersachsen vorgesehen, weil der alte Deich am Cäciliengroden den neuen Bemessungsgrundlagen (100jährige Deichsicherheit) nicht mehr entspricht. Seit diesem Jahr besteht aber auch der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, dessen Grenze am Deichfuß endet. Eingriffe in das Deichvorland und die Salzwiesen sollen entsprechend der neuen Gesetzgebung (Bundesnaturschutzgesetz, Nationalparkgesetz) auf ein Minimum beschränkt bleiben bzw. sind vorab einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Auch im Licht der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Küstenveränderung unter verstärktem Klimadruck erscheinen diese Auflagen sinnvoll, denn:

Wattflächen und Salzwiesen vor dem Deich sind - zusätzlich zu ihrem hohen ökologischen Wert als einzigartige Lebensräume - wichtig als Energiepuffer bei Sturmfluten. Es sind aber eben diese Vordeichsgebiete, die bei höher auflaufenden Wasserständen oder stärkerem Seegang besonders stark in ihrem Erhalt bedroht sind. Ihre zusätzlichen Funktionen, z.B. als Nährstoff- und Schadstofffilt

Presse & Kommunikation (Stand: 01.10.2024)  | 
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