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7. Mai 1997 112/97
Die Erde - ein Lebewesen?
Oldenburg. Ein Hund lebt - ein Saphir nicht, ein wachsendes Blatt lebt - ein Stück abgebrochene Holzrinde nicht. Soweit, so klar. Doch lebt ein Viruspartikel, das sich nur vermehren kann, wenn es in eine Zelle gerät? Ist die Information, die in einem Quarzkristall gespeichert ist, weniger lebendig als die DNA? Was lebt und was nicht, ist mitunter nicht leicht zu verstehen - vor allem nicht, wenn man den Thesen Wolfgang Krumbeins, Geomikrobiologe und Philosoph an der Universität Oldenburg, und seines Doktoranden Georg Levit folgt: Sie stellen in der neuesten Ausgabe (Nr. 25) von EINBLICKE, dem Forschungsmagazin der Universität Oldenburg, fest: die Erde selbst ist ein Lebewesen. Die Erde lebt, wächst, speichert, wandelt sich so wie ein Baum, ein Tier, ein Mensch. Menschen wie Dinosaurier, Pflanzen wie Bakterien sind der Theorie gemäß nicht aus der toten Materie der Erde entstanden und damit von ihr unabhängiges Leben. Sie und wir sind vielmehr nur Ausdruck und Ergebnis des Lebewesens Erde - ein Zeichen deren eigenen Lebens. Es gibt keine tote Materie "Erde", die Erde lebt (den vollständigen Artikel finden Sie hier).
Hintergrund dieser Aussagen ist Krumbeins und Levits These vom Leben. Danach ist Leben das Erzeugen und Erhalten "dyssymmetrischer Zustände": So sind z.B. unsere beiden Gesichtshälften dyssymetrisch: Sie sind nur weitgehend, aber nicht völlig symmetrisch. Dyssymmetrie ist also nicht das Gegenteil von Symmetrie. Symmetrische Zustände wie bei Kristallen und asymmetrische Zustände wie bei verteiltem Gas leben nicht. Ihnen fehlt die Dynamik, die zum Leben gehört. Denn Leben strebt danach weiterzuleben, und im dyssymmetrischen Zustand - so sagen Krumbein und Levit - ist diese Dynamik gerade gegeben. Der Lebensprozeß läuft an der Membran ab, denn sie ist - biologisch gesehen - dafür der geeignetste Ort. Die Zelle beispielsweise reichert ihre Isotope an ihrer Membran an. Ähnlich funktioniert auch die äußere Hülle der Erde, sie funktioniert wie eine biologische Membran. Sie erzeugt eine Atmosphäre, die ohne Leben anders beschaffen wäre. Die Sonne gibt der Erde die Energie. Leben ist also die Herstellung dyssymmetrischer Zustände an der Membran.
Die Biomasse der Erde schafft eine Atmosphäre, bestehend aus ca. 17% Sauerstoff, ca. 80% Stickstoff, CO2 und Edelgasen, die durch das Leben auf ihrer Oberfläche, der Erdmembran, in konstanter Zusammensetzung aufrechterhalten wird. Menschen und Tiere verbrauchen Sauerstoff und sondern Kohlendioxid ab. Bäume brauchen Kohlendioxid und geben Sauerstoff ab. Um das Gleichgewicht auf der Erde konstant zu halten, bedarf es auch der Konzentration und Bewegung unterschiedlicher Elemente in der Erdkruste, wie Bewegungen und Umpflügungen der Kruste, Erdbeben und Vulkanausbrüche, so Krumbein und Levit. Die sich daraus bildende Form bestimmt das lebende Element mit. Letztlich sogar bestimmt die Form der Erde das, was sie entwickelt. Insofern sind auch die Menschen nur ein Bestandteil des Lebewesens Erde. Ein recht unwesentliches sogar, bedenkt man, wie kurz sie erdgeschichtlich gesehen erst leben. Krumbein und Levit sehen auch, daß die Erde die zeitliche Dimension einsetzt, um ihr Leben zu erhalten. Prozesse aus der Vergangenheit werden mit Prozessen der Zukunft gekoppelt. Das ist der sogenannte Rückkopplungseffekt. Der heutige Kohlen- oder Erdölabbau durch die Menschen, so das ins humoristische gehende Beispiel, könnte aus dem Blickwinkel der lebenden Erde durchaus ein gewollter Effekt sein, um sich am Leben zu erhalten. Denn weshalb sollte sie organisch Totes, wie Erdöl, dauerhaft bewahren?
Kontakt: Prof. Dr. Wolfgang Krumbein, ICBM und Fachbereich 7 Biologie, Universität Oldenburg, Tel.: 0441/798-3382, Fax: 0441/798/3384, e-mail: wek@africa.geomic.uni-oldenburg.de