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23. Februar 2004 044/04
Gefangene und ihre Gesundheit
Oldenburger Wissenschaftler legen Studie vor
Oldenburg. Annähernd 50 Prozent der Gefangenen
der Justizvollzugsanstalt Oldenburg leiden bei Haftantritt an einer behandlungsbedürftigen
Krankheit. Drogen- und Alkoholabhängigkeit sowie Infektionskrankheiten
wie HIV/AIDS und Hepatitis treten um ein Vielfaches häufiger auf
als in der Allgemeinbevölkerung. Mit einem Anteil von 68 Prozent
machen die Suchtkrankheiten den weitaus größten Teil der bestehenden
Krankheiten aus. Dies sind Ergebnisse der Studie "Entwicklung gesundheitsfördernder
Angebote im Justizvollzug am Beispiel der Justizvollzugsanstalt Oldenburg",
die jetzt von Wissenschaftlern der Arbeitsgruppe Devianz an der Universität
Oldenburg vorgelegt wurde. Mit Unterstützung der Oldenburger JVA
hatten die Wissenschaftler untersucht, welche gesundheitlichen Belastungen
bei den Gefangenen konkret vorhanden sind, und welche Chancen die Anstalt
für eine gesundheitliche Stabilisierung bietet.
Die Befragung von rund 500 Gefangenen ergab, dass die Haftanstalt überproportional
stark mit Menschen aus unteren sozialen Schichten mit geringem Bildungs-
und Ausbildungsniveau belegt ist. 15 Prozent der Befragten haben keinen
Schulabschluss, 56 Prozent verfügen lediglich über einen Hauptschulabschluss.
Eine abgeschlossene Berufsausbildung können nur rund 50 Prozent nachweisen.
Entsprechend hoch ist die Arbeitslosigkeit mit 68 Prozent. Darüber
hinaus ist der Anteil ethnischer Minderheiten in der JVA hoch. Die medizinische
Versorgung im Gefängnis ist zum überwiegenden Teil mit suchtbedingten
Behandlungen beschäftigt.
"Gefangene sind Teil der Gesellschaft und kehren in der Regel nach
Verbüßung ihrer Strafe in ihr Lebensumfeld zurück. Die
Gesundheit der Gefangenen ist daher die Gesundheit aller. Die Zeit der
Inhaftierung könnte und sollte zur sozialen Reintegration und gesundheitlichen
Stabilisierung genutzt werden", erklärte der Leiter der Studie,
Dr. Knut Tielking. Über die Gesundheit der Gefangenen und die Gesundheitsförderungsangebote
der Haftanstalten sei in Deutschland jedoch noch viel zu wenig bekannt.
Aufgrund der Untersuchungsergebnisse empfehlen die Wissenschaftler beispielsweise
die Weiterentwicklung von Hilfen für Abhängige legaler und illegaler
Drogen und die Implementierung einer "ambulanten Rehabilitation"
während der Zeit im Vollzug.
Über die unmittelbare Fragestellung hinaus beschäftigten sich
die Oldenburger Wissenschaftler auch mit einem übergeordneten Konzept
von "Gesundheitsförderung": Antworten auf die großen
gesundheitspolitischen Herausforderungen (vor allem Drogen-/Alkoholabhängigkeit
und Infektionskrankheiten) zu finden, war dabei das Ziel. Erarbeitet wurden
Vorschläge zur gefängnisinternen und -externen Vernetzung und
der aktiveren Auseinandersetzung mit Sucht- und Infektionsrisiken. "Menschen
in Haft sind zum Entzug ihrer Freiheit verurteilt und nicht zu einer schlechteren
medizinischen Behandlung", fasste Vizepräsident der Universität
Oldenburg und Leiter der AG Devianz, Prof. Dr. Wolf-Dieter Scholz, den
gesundheitspolitischen Auftrag zusammen.
Kontakt: Dr. Knut Tielking und PD Dr. Heino Stöver, AG Devianz,
Universität Oldenburg, Tel.: 0441/798-5156,
E-Mail: