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Jutta Niggemann

17. Juni 2021   100/21    Forschung

Schwefel fördert Kohlenstoffspeicherung im Schwarzen Meer

Oldenburger Studie findet neue Erklärung, warum sich organische Verbindungen in sauerstofffreien Meeresgebieten ansammeln

Oldenburg. Das Schwarze Meer ist ein ungewöhnliches Gewässer: Unterhalb von 150 Metern Wassertiefe enthält es keinen freien Sauerstoff, höheres Leben kann dort nicht existieren. Das Binnenmeer speichert gleichzeitig vergleichsweise viel organischen Kohlenstoff. Eine neue Hypothese dazu, warum sich organische Verbindungen in den Tiefen des Schwarzen Meeres – und anderen sauerstofffreien Gewässern – anreichern, stellt ein Forscherteam um Dr. Gonzalo Gomez-Saez und Dr. Jutta Niggemann vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg nun in der Zeitschrift Science Advances vor. Demnach spielen Reaktionen mit Schwefelwasserstoff eine wichtige Rolle dabei, die Kohlenstoffverbindungen zu stabilisieren. „Dieser Mechanismus trägt offenbar dazu bei, dass im Schwarzen Meer mehr als doppelt so viel organischer Kohlenstoff im Wasser vorhanden ist wie in sauerstoffreichen Meeresgebieten“, berichtet Niggemann. Es handele sich um eine negative Rückkopplung im Klimasystem, die über geologische Zeiträume einer Erwärmung der Erde entgegenwirken könne.

Im Schwarzen Meer, dessen Fläche fast so groß ist wie Frankreich, herrschen seit rund 7.000 Jahren Bedingungen, wie sie heute nur in wenigen anderen Meeresregionen der Erde vorkommen: Eine stabile Schichtung verhindert weitgehend, dass sich Oberflächen- und Tiefenwasser vermischen. In den oberen 150 Metern befindet sich salzarmes und sauerstoffreiches Wasser, das überwiegend aus Flüssen wie der Donau stammt. Darunter sammelt sich schweres, salzreiches Wasser, das über den Bosporus aus dem Mittelmeer ins Schwarze Meer strömt. „Wenn man Wasserproben aus den tieferen Bereichen des Schwarzen Meeres öffnet, fällt man fast um, weil es extrem nach faulen Eiern riecht“, berichtet Niggemann. An der Oberfläche deute dagegen nichts darauf hin, dass das Schwarze Meer ein stagnierendes Gewässer ist, in dem Bakterien aufgrund des Sauerstoffmangels den übelriechenden Schwefelwasserstoff produzieren.

Dieses reaktionsfreudige Molekül, so zeigt die neue Studie, geht Verbindungen mit Substanzen aus einer vielfältigen Gruppe kohlenstoffhaltiger Stoffe ein, die in jedem Liter Meerwasser enthalten sind: dem gelösten organischen Material (englisch: dissolved organic matter, DOM). Dabei handelt es sich um eine komplexe Mischung zahlloser unterschiedlicher Moleküle. Sie stammen aus zersetzter organischer Materie oder dem Stoffwechsel von Bakterien. „Wir konnten sehr klar zeigen, dass Schwefelwasserstoff direkt im Wasser mit dem extrem verdünnten organischen Material reagiert“, berichtet Niggemann. Die Reaktionsprodukte sind wiederum langlebiger als die Ausgangsstoffe und reichern sich daher im Wasser an.

Das Team verglich Wasserproben von unterschiedlichen Stellen innerhalb und außerhalb des Schwarzen Meeres. Anhand verschiedener Untersuchungsmethoden, unter anderem mit dem ultrahochauflösenden Massenspektrometer der Oldenburger Forschungsgruppe für Marine Geochemie, konnten die Forschenden das gelöste organische Material genauer charakterisieren. Sie stellten fest, dass knapp ein Fünftel aller organischen Moleküle in den sauerstofffreien Bereichen des Schwarzen Meeres Schwefel enthielten – deutlich mehr als in anderen Meeren. Zudem wies das Team nach, dass ein hoher Anteil dieser Verbindungen nur dort vorkommt. Die Schlussfolgerung: Die schwefelhaltigen Substanzen entstehen neu vor Ort durch chemische Reaktionen im schwefelwasserstoffhaltigen Wasser.

Da das gelöste organische Material einen gewaltigen Kohlenstoffspeicher bildet – in allen Weltmeeren zusammen ist ungefähr genauso viel Kohlenstoff gelöst wie sich in Form von CO2 in der Atmosphäre befindet – ist das Ergebnis der aktuellen Studie auch für das Klima von Bedeutung: „Das Volumen sauerstofffreier Ozeanregionen hat sich von 1960 bis 2010  vervierfacht. Daher könnte dieser schwefelbasierte Mechanismus zur Speicherung von Kohlenstoff in Zukunft einen Einfluss auf die Ozeanchemie haben“, so Hauptautor Gomez-Saez. Unter aktuellen Bedingungen sei diese Rückkopplung allerdings zu schwach, um den Klimawandel merklich zu beeinflussen. In der geologischen Vergangenheit gab es indessen mehrfach Perioden, in denen in einem Großteil der Ozeane Sauerstoffmangel herrschte. Damals könnte der Effekt dazu beigetragen haben, langfristig Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen.

Die Wasserproben aus dem Schwarzen Meer stammten von einer Fahrt des Forschungsschiffs Maria S. Merian. An der Studie waren neben dem ICBM-Team Forscherinnen und Forscher des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen und des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen beteiligt.

Originalveröffentlichung: Gonzalo V. Gomez-Saez et al: “Sulfurization of dissolved organic matter in the anoxic water column of the Black Sea”, Science Advances, 7, eabf6199. DOI: 10.1126/sciadv.abf6199

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Die Expedition MSM15-1 des Forschungsschiffs Maria S. Merian begann in Istanbul. Foto: Felix Janssen

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So genannte Kranzwasserschöpfer dienen dazu, Wasserproben in verschiedenen Tiefen zu nehmen. Das Oldenburger Team analysierte die Verteilung des gelösten organischen Materials im Schwarzen Meer. Foto: Nelli Sergeeva

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Kontakt

Dr. Jutta Niggemann, Tel.: 0441/798-3365, E-Mail: Dr. Gonzalo V. Gomez-Saez, Tel.: 0471/4831-2242, E-Mail:

Presse & Kommunikation (Stand: 01.10.2024)  | 
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