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Forschung und Lehre

Oldenburg mit Vorbildfunktion

Eröffnungsfeier für zwei frauenorietierte Studiengänge mit Helga Suchardt

Die Universität Oldenburg gehört auf den Gebieten der Frauenforschung und der Frauenstudien zu den führenden Hochschulen in Niedersachsen." Dieses Lob von Wissenschaftsministerin Helga Schuchardt gilt vor allem den Oldenburger Wissenschaftlerinnen, die mit viel Eigeninitiative zwei neue Studiengänge auf den Weg gebracht haben: die "Frauen- und Geschlechterstudien" und "Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien", deren feierliche Eröffnung am 27. November stattfand. Schuchardt betonte auf der Veranstaltung auch den Vorbildcharakter der Universität bei der Frauenförderung. Als eine der ersten Hochschulen in Deutschland verabschiedete die Oldenburger Universität 1986 Richtlinien zur Frauenförderung und hatte als erste niedersächsische Hochschule eine Frauenbeauftragte, eine Gleichstellungsstelle sowie die erste Vizepräsidentin.

 Die freundlichen Worte der Ministerin trugen zur guten Stimmung im vollbesetzten Bibliothekssaal bei, die ein wenig an vergangene, frauenbewegte Zeiten erinnerte, wobei viele Männer der Einladung gefolgt waren. .

 Die Veranstalterinnen, die Professorinnen Dr. Dröge-Modelmog, Dr. Ellwanger, Dr. Flaake und Dr. Wenk berichteten aus der Sicht der feministischen Wissenschaftskritik über die unterschiedlichen Aspekte der Frauen- und Geschlechterstudien. Mit einer guten Portion Ironie wurden männliche Sichtweisen von Wissenschaft und daraus abgeleitete Interpretationen dargestellt. .

 Höhepunkte der Festveranstaltung waren die Darbietungen der Lehrenden aus verschiedenen Fächern, die das interdisziplinäre Konzept des Magisterstudiengangs unterstrichen. Auch hier stand die Kritik der männlichen Dominanz in Wissenschaft und Politik im Mittelpunkt der Beiträge.

 Die Darbietungen wurden heiter und ohne Verbitterung vorgetragen, wobei es den Lehrenden gelang, für die neue Studienrichtung zu werben und auf das Studium neugierig zu machen. Kritische Worte zur Haushaltspolitik des Landes fand der Dekan des Fachbereichs 2, Prof. Dr. Wolfgang Stroh. Er wies darauf hin, daß die Studiengänge ohne jegliche personelle und finanzielle Ausstattung eingerichtet wurden. Durch die Gegenüberstellung von zwei Zeitungsüberschriften aus der taz "Klasse! Bildung für umsonst" und aus der NWZ zum Bau des Eurofighters visualisierte Stroh anschaulich die Widersprüche und Wertungen in der Politik. 27 Studentinnen und eine Student schrieben sich zum Wintersemester in den Magisterstudiengang "Frauen- und Geschlechterstudien" ein - eine Zahl, die sich sehen lassen kann.

 Die überaus gelungene Eröffnungsveranstaltung trug dazu bei, den neuen Studierenden einen Eindruck von einem außergewöhnlichen und spannenden Studium zu vermitteln. .

 Eine Studentin des neuen Studiengangs erwähnte in ihrem Beitrag, daß kleine Fächer wie die Frauen- und Geschlechterstudien "Orchideenfächer" genannt werden. Zu wünschen ist, daß diese Orchidee zur vollen Blüte gebracht wird.

 Helga Wilhelme.

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 Das Kolleg "Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien" veranstaltete am 28. November zur Eröffnung des gleichnamigen Aufbaustudienganges einen Workshop zum derzeitigen Forschungsschwerpunkt "Inszenierungen des Weiblichen im politischen Raum". Vor mehr als 70 TeilnehmerInnen sprach u.a. die international renommierte Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Carola Lipp, derzeit Vizepräsidentin der Universität Göttingen, über "Inszenierungen der Geschlechter in der Revolution 1848/49".

Imperialistische Wissensproduktion ...

... und die Beteiligung weißer Frauen / von Ruth Roach Pierson *

sche Welt in Nordamerika zu einem Ort von Auseinandersetzungen um den Kanon der Disziplinen und um Repräsentation geworden. Diese Debatten gehen einher mit der Verbreitung neuen Wissens in den postkolonialen Studien, der Studien aus der Sicht der Sulbalternen der Afrikanistik und natürlich der feministischen Frauenstudien.

Zunehmend wird auch problematisiert, inwiefern die weißen Frauenstudien an der andauernden Produktion imperialistischen und rassistischen Denkens mitbeteiligt sind. Andersfarbige feministische Theoretikerinnen haben Tendenzen in weißen Wissenschaftlerinnenkreisen kritisiert, die Kategorie der "Frauen" nicht zu differenzieren und somit Erfahrungen nicht-weißer Frauen aus Seminaren und Theorien auszuschließen bzw. zu marginalisieren.

Ich möchte einige Überlegungen darüber vorstellen, wie tief rassistisches und imperialistisches bzw. kolonialistisches Gedankengut im akademischen Lehrbetrieb verankert ist. Es geht um gewöhnliche, alltägliche Begebenheiten, welche aneinandergereiht das Gefüge rassistisch-imperialistischer Wissensproduktion bilden. Ich möchte den Blick darauf richten, was nach Philomena Essed (Understanding Everyday Racism: An Interdisciplinary Theory, New York: Sage, 1991) eine Kette von Ereignissen kumulativer Natur ist.

Elitärer Rassismus

 Die Fälle, die ich analysieren möchte, stammen aus meinen eigenen Erfahrungen als weiße, mittelständische, heterosexuelle Geschichtswissenschaftlerin und Universitätsprofessorin, die in den späten 60er und frühen 70er Jahren das Wiederaufleben der feministischen Bewegung als ein Geschenk des Himmels betrachtete. Seit 1970 habe ich an zwei verschiedenen Universitäten gelehrt. Ich betrachte mich selbst keineswegs als immun gegen die Tendenzen, die ich hier ans Licht bringen möchte, im Gegenteil: gerade weil ich in dem elitären Rassismus und Imperialismus der Akademikerwelt verwickelt bin, weiß ich, worüber ich rede und fühle mich verantwortlich dafür, dies auch deutlich auszusprechen.

Wenn andere betroffen sind, deren Anonymität ich respektieren muß, werde ich verallgemeinern, daß der jeweilige Vorfall und die darin verwickelten Personen nicht identifiziert werden können. An diesem Punkt möchte ich jedoch feststellen, daß es der institutionelle Anspruch auf Datenschutz ist, der (manchmal) einer Untersuchung der Institutionalisierung von Rassismus und rassistischer Diskriminierung imWeg stehen kann. Das gleiche gilt auch, wenn man Personen zur Rechenschaft ziehen will. Der Mantel der Vertraulichkeit, mit welchem eine Institution ihr Vorgehen verhüllen kann, dient oft der Aufrechterhaltung des Status quo.

Das erste Beispiel hat mit einer unterdrückten Meinungsäußerung in einer Berufungskommission zu tun. Diese Kommissionen sind politische Kampfplätze, der Ort, wo die Entscheidungen getroffen werden über die Repräsentation von benachteiligten Gruppen im Lehrbetrieb. Auf eine Stelle im Bereich der Frauenforschung hatten sich nur Frauen beworben. In der zweitletzten Beurteilungsrunde war nur noch eine Farbige unter den Kandidatinnen. In der letzten Runde wurde mehrfach gegen die Regeln eines fairen Verfahrens verstoßen. Die/der Vorsitzende der Kommission focht die wissenschaftliche Methodik der einzigen farbigen Kandidatin an: Diese habe den Begriff "race" nicht genau definiert, nach Meinung der/des Vorsitzenden ein gewichtiger Fehler, da der Begriff in der Wissenschaft sehr umstritten sei. Damit war die Wissenschaftlichkeit der farbigen Kandidatin in Frage gestellt.

Daß die/der Vorsitzende einen rassistischen Schachzug gemacht hatte, konnte ich jedoch nicht sofort benennen. Im Nachhinein erst bemerkte ich, daß auch alle anderen Kandidatinnen soziale Kategorien in ihren wissenschaftlichen Schriften benutzt hatten, wie z.B. "Frauen", "Geschlecht", "Sozialschicht", "ethnische Zugehörigkeit", sowohl wie "Rasse", Kategorien, die in der jüngsten feministischen Forschung ebenso umstritten sind. Keiner anderen Kandidatin wurde jedoch entsprechendes zum Vorwurf gemacht. Die Berufungskommission legte an die einzige farbige Kandidatin Maßstäbe an, von denen sie bei den anderen abgesehen hatte. Ich muß gestehen, daß ich mich erst dagegen aussprach, als die Suche nach einer Kandidatin erfolgreich abgeschlossen war - insofern als eine Kandidatin ausgewählt worden war, auf die sich der Ausschuß einstimmig einigen konnte: erst dann sprach ich mich dagegen aus und kritisierte, was ich als eine unfaire und ungerechte Verfahrensweise betrachtete, die während der zweitletzten Kommissionssitzung stattfand. Aber ich sprach mich dagegen nur gegenüber den anderen Mitgliedern der Berufungskommission aus, am Ende der letzten Sitzung, nachdem ihre Arbeit erfüllt war. Ich wußte, ich hätte meine Stimme früher erheben sollen, war aber hin- und hergerissen. Ich selbst hatte lang und hart für diese Stelle gekämpft. Wenn ich früher etwas gesagt hätte, wäre die Besetzung und somit die Stelle an sich möglicherweise gestrichen worden. Wenn ich nach dem Vorfall offen und öffentlich gesprochen hätte, wäre es eine Verletzung der Vertraulichkeit und Verschwiegenheit gewesen, die bei solchen Arbeitsplatzbesetzungen praktiziert werden. So räumte ich der Erhaltung und Besetzung einer stark umkämpften Stelle im Bereich Frauenforschung Vorrang ein gegenüber dem Protest bezüglich eines rassistischen Verfahrens, das ein Bewerbungsgespräch mit einer farbigen Kandidatin verhindert hatte.

Die Besetzung von Dozentenstellen ist also ein äußerst wichtiger Ort, an dem versucht werden kann, die Institutionalisierung von Rassismus und Imperialismus in der Akademikerwelt aufzubrechen, was jedoch oft scheitert. Ein anderer Ort sind Tagungen, eine wichtige Arena für die Vermittlung und Anfechtung von Ideen. (...)

 Torhüter des Wissens

 Das Versäumnis, die eigene Positionierung kritisch zu überdenken, kann zu erheblich verzerrten Darstellungen führen und zur widerspruchslosen Reproduktion von rassistischen und imperialistischen Perspektiven. Solch ein Versäumnis beim Forschen und beim Schreiben einer Dissertation zuzulassen, hat ernste Folgen. Denn das Verfassen einer Dissertation ist ein wichtiges Mittel zur Produktion neuen Wissens.

Wie Torhüter bestimmen Doktormütter/Doktorväter und die Mitglieder der Kommissionen, wer und was zugelassen wird und wer und was nicht. Es ist also letztendlich auch ihre Aufgabe, Rassismus aufzufangen, doch diese Kontrollfunktion kann nur stattfinden, wenn die Torhüter aufpassen.

Betrachten wir das nächste Beispiel. Ich bekam den ersten Entwurf einer Dissertation von einer Studentin, die Geschlechteranalyse auf die Geschichte eines Landes anwendete, welches einst eine europäische Kolonie gewesen war. Ich war nicht die Doktormutter dieser Dissertation. Der Doktorvater, zwar Experte für die Geschichte dieser ehemaligen Kolonie, übernahm keine Verantwortung dafür, irgendetwas über "Frauengeschichte" oder "Geschlechtergeschichte" zu wissen. Diese Einstellung zeugt bereits von sexistischem Privilegiendenken und Verantwortungslosigkeit. Der Doktorvater zog sich gleichgültig und ohne sich zu entschuldigen auf eine Position der Ignoranz zurück und überließ damit mir und der anderen Frau im Ausschuß die Verantwortung für die Fragen zu "Frauen" und "Geschlechtertheorie". Dieses Abschütteln jeglicher Verantwortung für Wissen jenseits der engen Grenzen der eigenen Ausbildung ist eine beliebte Methode, Systeme von sexistischem, rassistischem und imperialistischem Wissen im akademischen Bereich aufrechtzuerhalten.

Verschweigen und Unterwerfen

 Bei der ersten Lektüre stellte ich fest, daß die Doktorandin konsequent den Begriff "Frauen" als undifferenzierte Kategorie benutzte. Einige Jahre vorher hatte die Studentin mein Seminar über feministische Historiographie belegt, ich wußte, daß sie (unter anderem) mit den Werken von Denise Riley, Evelyn Brooks Higgenbotham und Evelyn Nakano Glenn vertraut war. Sie hätte sich somit auch der begrifflichen Unzugänglichkeit und Ahistorizität der Beschreibung von Frauen als einer monolithischen Gruppe bewußt sein müssen. Als ich sie zum ersten Mal auf dieses Problem der Begrifflichkeit ansprach, behauptete die Studentin, daß ihr wiederholter Gebrauch des Terminus "Frauen" in undifferenzierter Form daher stamme, daß der Diskurs der Landeselite, auf die sich ihre Analyse bezog, den Ausdruck so benutzte. Ich riet der Studentin, ihren Lesern klarzumachen, wann der Ausdruck in ihrem eigenen Text als Kulturkonstrukt diene und wann er sich auf "tatsächliche" Frauen beziehe. Aber sie hatte auch weiterhin Probleme mit der Darstellung des herrschenden, wenn auch nicht hegemonialen Diskurses über Geschlecht als Kulturprodukt, welches allen "Frauen" ausnahmslos eine Weiblichkeit verlieh, die ursprünglich nur auf die Elite und die rassisch dominerenden Frauen in dieser Gesellschaft präskriptiv und deskriptiv paßte. Sie nahm die Frauen der Oberklasse als die Norm aller Frauen, um nicht zu sagen als die Norm aller Ehefrauen, der Mutterschaft und der Tochterschaft.

In der europäischen Kolonialisierung des untersuchten Landes wurden die Ureinwohner enteignet oder sogar ausgerottet. Viele der Frauen unter ihnen wurden vergewaltigt oder durch die Umstände zu Verbindungen mit den europäischen Herren gezwungen, durch die sich eine "gemischte", europäisch-einheimische Nachkommenschaft ergab. Menschen einheimischer und "gemischter" Herkunft waren und sind immer noch überrepräsentiert in der "ländlichen Unterschicht". Wenn frau/man von der "ländlichen Unterschicht" ohne Bezug auf die ethnische und rassische Zusammensetzung spricht, wie es in der Dissertation geschah, ruft es die Idee von "Armen" hervor, die aufgrund einer Abstraktion namens "Landarmut" benachteiligt sind und nicht aufgrund der Konsequenzen von rassistischen kolonialen Beziehungen. Dies ist ein Fall von Verschweigen des Imperialismus und der Unterwerfung der Ureinwohner, ein Fall von Ausgrenzung der Ureinwohner aus der Nationalgeschichte durch den Gebrauch von universellen Begriffen, die das Problem von Machtverhältnissen verdecken.

Imperialistische Nostalgie

 Die Auslöschung der Kolonisierung und der Erniedrigung der Ureinwohner ist auch ein zentrales Thema in der kanadischen Nationalgeschichte, wird jedoch nicht so sehr durch den Gebrauch von universellen Begriffen erreicht als vielmehr durch "das Auf(fr)essen des anderen", durch "imperialistische Nostalgie" und durch das euro-kanadische Streben nach Gewissenserleichterung mittels Aneignung von Elementen der Kultur der Urbevölkerung. Mindestens seit den 80er Jahren werden einige dieser Schachzüge auch von den Einwanderern nach Kanada (das heißt, Leuten die nicht zur der Urbevölkerung gehören) mehr und mehr erkannt, da der von den Ureinwohnern geführte Kampf um Dekolonisierung einen gewissen Erfolg gehabt hat, insofern, als die Aufmerksamkeit der Politiker und der Medien geweckt wurde und eine öffentliche Diskussion zustande kam. Ein erster entscheidender Schritt im Dekolonisierungsprozeß war die Aufarbeitung vergangener Kolonisierungen. Im Falle der nordamerikanischen Urbevölkerung war es die Anerkennung der folgenden Tatbestände: daß Verträge und Versprechungen gebrochen wurden, Ländereien entrissen wurden, Sprachen und Kulturen massenhaft durch aufgezwungene Assimilation zerstört wurden, Völkermord durch die Verbreitung von Krankheiten begangen wurde und dadurch, daß "Indianer" zum Freiwild erklärt wurden.

In neuester Zeit stand die Institution sogenannter "resedential schools" im Brennpunkt der Bemühungen um Dekolonisierung. Noch bis in die 70er Jahre dieses Jahrhunderts wurden in vielen Teilen Kanadas indianische Kinder zwangsweise ihren in Reservaten lebenden Familien entrissen und in Internate gesteckt, die von Missionaren geleitet wurden. In diesen Schulen wurde den Kindern in ihrem "eigenen besten Interesse" ein Assimilationsprogramm der grausamsten Art aufgezwungen. Es wurde ihnen z.B. verboten, in ihrer Muttersprache zu sprechen, Geschwister wurden getrennt um zu verhindern, daß sie in ihre eigene Sprache zurückfielen; es wurde ihnen verboten, Kulturbräuche oder Religionsvorstellungen ihrer eigenen Gemeinschaften aufrechtzuerhalten; sie wurden daran gehindert, die in der Welt ihrer Eltern und Großeltern geläufigen Fertigkeiten zu lernen (das Schwergewicht lag auf dem Erwerb von Fertigkeiten aus dem westlichen, städtischen und industrialisierten Leben); und einige dieser Kinder wurden körperlich und sexuell mißbraucht. All das unter dem Vorwand, diese jungen Leute in gute Kanadier zu verwandeln. In den letzten Jahren haben einige Überlebende dieser "gutgemeinten" Assimilationsbemühungen autobiographische Berichte ihrer Qualen veröffentlicht und einige weiße HistorikerInnen haben angefangen, die Verletzungen einzugestehen. Die herrschenden Mythen sterben nur langsam aus. Und ein herrschender Mythos ist, daß die "Indianer" Nordamerikas eine besiegte Rasse sind und somit ein ausgestorbenes Volk sein sollten.

Obgleich diejenigen, die diesen Raum bewohnen, in der Gegenwart leben, betrachtet man sie als auf einer vormodernen Stufe der menschlichen Entwicklung stehengeblieben. Mit diesem Mythos geht die Idee einher, daß die Kultur der Besiegten in einer gewissenmaßen "versteinerten" Form für den Genuß, das Vergnügen oder die Erziehung der Sieger und ihrer Nachfahren weiterlebt. Jahrzehntelang haben Nordamerikaner europäischer Herkunft diese Schatzgrube zu ihren Zwecken geplündert - so zum Beispiel, um Namen und karikierte Logos für alles mögliche zu gewinnen, wie etwa Baseball-Mannschaften oder Markenbutter. Und sie/wir haben uns einer homogenisierten, stereotypen Version der "indianischen" Kultur und Spiritualität bedient für allerlei Rituale und Bräuche, um unsere eigenen Freizeitaktivitäten zu bereichern und um uns selbst vom Makel des Völkermords reinzuwaschen.

Das häufige Vorkommen von "indianischen" Bildern und Symbolen in der Kultur der alltäglichen Gebrauchsgegenstände, und die Aneignung von religiösen Glaubensvorstellungen und Praktiken der "Indianer" durch "Nicht-Indianer", die nur der nordamerikanischen Konsumgesellschaft entfliehen wollen, sind beides Beispiele dafür, was Bell Hooks "das Auf(fr)essen des anderen" nennt oder was Renato Rosaldo als "imperialistische Nostalgie" bezeichnet.

Diese "dreht sich um ein Paradox: jemand bringt eine andere Person um und trauert dann um sein oder ihr Opfer." (Renato Rosaldo, Imperialist Nostalgia, Representations 26, 1989).

Es sind "scheinbar harmlose" Handlungen, wenn frau/man Tomahawks sammelt oder wenn frau/man Leuten im Zelturlaub beibringt, wie "Indianer" leise durch das Gebüsch im Wald kriechen. In Rosaldos Analyse formen sie jedoch Teil eines "sentimentalen Diskurses", in dem "die Trauer" "um das Dahinscheiden der traditionellen Gesellschaft" sich mit dem Mythos "der aussterbenden Wilden" verbindet, um Nostalgie für das Bezwungene hervorzurufen. "Imperialistische Nostalgie" dient also der "Maske der Unschuld" für diejenigen, die darin schwelgen, "um ihre Verwicklung in diese Vorherrschaftsprozesse" zu vertuschen."

*Prof. Dr. Ruth Roach Pierson, Historikerin und Frauenforscherin in Toronto (Kanada), lehrt und forscht im Wintersemester an der Ruhr-Universität Bochum als Inhaberin der Marie-Jehoda-Gastprofessur für Internationale Frauenforschung. Der Text ist eine stark gekürzte Fassung ihres Vortrages "Imperial Knowledge Producers", den sie im Rahmen der Eröffnung der Studiengänge zu Frauen- und Geschlechterstudien am 27. November in Oldenburg hielt (siehe auch Seite 4). Ruth Pierson wurde zu diesem Vortrag vom Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen der Universität eingeladen, weil sie daran erinnert, daß in Frauen- und Geschlechterstudien die Befragung des Ortes, an dem Wissen produziert wird, weiterhin notwendig bleibt, ebenso wie die Befragung der Kategorien.

"Prison & Drugs"

Konferenz will Leitlinien für Regierungen erarbeiten

Leitlinien für Drogen- und Aidshilfeangebote in Gefängnissen der europäischen Staaten will eine Konferenz "Prison & Drugs" erarbeiten, die vom 12. bis 14. März in Oldenburg stattfindet und auf Initiative des Politologen Prof. Dr. Rüdiger Meyenberg zustande kommt. Die Leitlinien sollen später den Justiz- und Innenministerien der europäischen Union zur Verfügung gestellt werden.

Schwerpunkte der Konferenz, an der Niederländer, Briten und Deutsche Dorgenexperten teilnehmen, sind Drogenausstiegs- und Metadonprogramme in den Gefängnissen, Peer Education-Projekte und Spritzenaustauschprogramme. Außerdem werden die TeilnehmerInnen Gefängnisse in Hamburg, Lingen und Vechta besuchen, um sich über Spritzenaustauschprogramme zu informieren.

Dieses seit zwei Jahren erfolgreich vom niedersächsischen Justizministerium durchgeführte Projekt, daß von Meyenbergs Arbeitsgruppe wissenschaftlich begleitet wird, soll die Gefahr der Aids-und Hepatitisinfizierung von Inhaftierten mindern. Es stellt Häftlingen in Automaten oder von Hand zu Hand Spritzen kostenlos zur Verfügung, obwohl Konsum und Handel mit Drogen strengstens untersagt ist. Das Einschmuggeln von Drogen in Gefängnisse ist aber nicht zu verhindern, wenn man nicht alle BesucherInnen bis in die Intimzonen kontrollieren will.

Das jetzt modellhaft aufgelegte Spritzenaustauschprogramm trägt der Realität Rechnung und verhindert die häufige Nutzung nicht steriler Spritzen - Auslöser für viele Aids- und Hepatitsinfizierungen.

Stadtgeschichte für Experten, Liebhaber und Laien

Die detailreichen und farbigen Bände werden durch zahlreiche Illustrationen zu einem Oldenburger "Bilder- und Lesebuch"

Vor zwölf Jahren begann unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Günther und Prof. Dr. Heinrich Schmidt vom Historischen Seminar der Universität eine Kooperation mit der Stadt Oldenburg, die das Ziel hatte, die inzwischen 650-jährige Stadtgeschichte wissenschaftlich zu erforschen und darzustellen. Jahrelang wurden Urkunden entziffert, Akten, Karten, Bücher und Bildersammlungen ausgewertet, Experten befragt. Jetzt liegt das Ergebnis in zwei gewichtigen Bänden (692 und 752 Seiten) vollständig vor. Es sind zwei bemerkenswerte Bücher - im Rezensionsstil hieße es "Standardwerke" -, und es sind zwei schöne Bücher geworden, zwei Lesebücher und Bildbände zugleich.

1996 erschien bereits Band 2 der "Geschichte der Stadt Oldenburg", der die Zeit von 1830 bis 1995, bis zur Gegnwart also, in fünf Kapiteln behandelt. Christoph Reinders-Düselder zeichnet den Weg Oldenburgs "zur selbstverwalteten Stadt 1830-1880" nach, die Zeit, in der jenes Oldenburg entstand, das wir zumindest in seinen Bauten, Grünanlagen und Verkehrsführungen bis heute kennen. "Aus dem mittelalterlichen, engummauerten, sich an den Fuß der Grafenburg ängstlich anklammernden Ort, aus dem westphälischen Landstädtchen des achtzehnten Jahrhunderts wurde eine blühende, freundliche Hauptstadt, mit hellen, offenen Gassen, mit vielen hundert neuen wohnlichen Häusern, mit imposanten öffentlichen Gebäuden", hieß es in einer Programmschrift zur 500-Jahr-Feier der Stadt 1845. Die nächsten Kapitel folgen - und das zeigt die stark vereinheitlichenden Tendenzen des Nationalstaates seit der Reichsgründung - in ihrer Periodisierung eher der politischen Geschichte. Dietmar von Reeken beschreibt und analysiert die Oldenburger Stadtentwicklung 1880-1918 unter der Frage "Durchbruch der Moderne?" Matthias Nistal ist der Autor des Kapitels über die Stadtgeschichte zur Zeit der Weimarer Republik: "Oldenburg wird moderne Hauptstadt". Karl-Ludwig Sommer folgt mit der Geschichte der "braunen Jahre" Oldenburg 1932-1945, und die Datierung 1932 deutet schon an, daß die Nationalsozialisten in der Stadt ebenso wie im Freistaat Oldenburg früher als anderswo an die Macht kamen - eine unrühmliche Besonderheit. Die Darstellung der Nachkriegsgeschichte der Stadt bis 1995 von Heike Düselder fragt nach "Beständigkeit und Traditionen, Wachstum und Dynamik".

 Daß Oldenburg auch vor 1830 mehr war als ein "westphälisches Landstädtchen", belegt der im November 1997 erschienene Band 1 der "Geschichte der Stadt Oldenburg", dem wir auch entnehmen, daß das Oldenburger Stadtrechtsprivileg vom 6. Januar 1345 nicht dem westfälischen, sondern dem Bremer Stadtrecht folgte - auch wenn Oldenburg immer der Landesherrschaft unterstellt blieb, niemals "freie Stadt" wurde. Heinrich Schmidt ist der Verfasser von drei Abschnitten, die auf über 400 Seiten mehr als 500 Jahre umfassen: zur Stadtgeschichte im Mittelalter, im 16. und 17. Jahrhundert und während der "Dänenzeit". Mit dem Wechsel zur gottorpschen Herrschaft, vor allem aber in der Regierungszeit Peter Friedrich Ludwigs 1785-1829 begann das "goldene Zeitalter" der Stadtgeschichte Oldenburgs (jedenfalls im Bewußtsein seiner späteren Bürger), das Ernst Hinrichs untersucht hat. Beide Bände sind alles andere als staubtrockene Chroniken: von Geburt, Heirat und Tod in den verschiedenen Zeitaltern erfahren die Leserinnen und Leser ebenso wie von den Rechten und Pflichten der Bürger, ihren Häusern und ihren Berufen, von ihrer Frömmigkeit und ihrem geselligen Treiben, von Politik und Verwaltung, von den Schulen und schließlich von der Universität. Die oft detailreich-farbigen Erzählungen werden durch die zahlreichen, von Udo Elerd ausgesuchten Bilder ergänzt - ein "Bilder- und Lesebuch" für alle. Die wissenschaftlichen Benutzer der beiden Bände werden neben den genauen Anmerkungsapparaten die außergewöhnlich guten und umfangreichen Register von Karin Edith Schütte und Peter Haupt schätzen lernen: Die Bücher sind auch ein Nachschlagwerk.

Hilke Günther-Arndt

Preis für OFFIS

Das Informatikinstitut OFFIS hat für die von ihm bereitgestellten Datenleitungen und der damit verbundenen Verbesserung der regionalen Infrastruktur den zweiten Preis des von der Wirtschaftlichen Vereinigung Oldenburg "Kleiner Kreis" ausgeschriebenen Hubert-Forch-Gedächtnis-Preis erhalten. Der Preis, der an den 1996 verstorbenen OLB Vorstandsvorsitzenden erinnert, ist mit 20.000 DM dotiert und soll Initiativen fördern, die der regionalen Wirtschaft dienen oder den Bekanntheitsgrad der Region steigern. Den ersten Preis erhielt die Rügenwalder Wurstfabrik für eine Initiative, die jungen Leuten aus den neuen Bundesländern eine Ausbildung im Westen verschafft.


(Stand: 19.01.2024)  | 
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