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"Hoffnung auf eine universitäre Gemeinschaft"

Auszüge aus der Rede des neuen Präsidenten, Prof. Dr. Siegfried Grubitzsch, anläßlich der Amtsübergabe am 12. Oktober 1998

Die deutschen Hochschulen sind herausgefordert, die Humboldt'schen Grundideen nach außen in neue globale Zusammenhänge und, angesichts der Geldknappheit, nach innen in effizientere Strukturen zu transformieren. Dabei geraten sie unter doppelten Druck: der Wettbewerb um wissenschaftliche Höchstleistungen und Reputation in möglichst vielen Bereichen steht dem Bemühen um den Erhalt der Fächervielfalt bei gleichzeitiger Profilbildung entgegen und umgekehrt. Die kürzer werdende Finanzdecke zur Absicherung der Grundausstattung zwingt uns, über Streichungen und strukturbildende Maßnahmen tiefgreifender Art nachzudenken. Da nützt uns auch nichts, daß sich Wissenschaft und Wissenschaftspolitik darin einig sind, daß Hochschulen in Deutschland nicht jenen hohen Rang haben, der ihnen zukommen müßte. Auch der studentische Streik ist wirkungslos geblieben, obwohl ihm von allen Seiten so viel Verständnis entgegengebracht wurde. Im Wettbewerb mit Straßenbau und Polizei, Schulen, Arbeitslosigkeit und Sozialsystem vermag das niemanden mehr sonderlich zu beeindrucken. Schlimmer noch: die Hochschulen sind unter ungewöhnlich starken Rechtfertigungsdruck geraten, dem mit Geldforderungen nicht zu begegnen ist. Neue Ideen sind gefragt.

Welche internen Organisationsformen garantieren bei größtmöglicher Flexibilität und sparsamer Mittelverwendung die besten Leistungen in Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung? Müssen wir den Humbolt'schen Gedanken der Volluniversität aufgeben und unsere Fächervielfalt reduzieren, um allein in den gesellschaftlich geforderten Verwertungsbereichen wissenschaftliche Höchstleistungen zu erbringen? Meine Antwort: JA zur internen Umgestaltung und NEIN zur Frage nach der Aufgabe der Fächervielfalt. Ich gehe dabei von der Prämisse aus, daß wir uns der beschriebenen Situation aktiv zu stellen haben, und zwar je eher desto besser, wenn uns das Wohl unserer Universität am Herzen liegt. Das klingt dramatisch, und es ist auch so gemeint.

Es geht um die Pole-Position

Wenn demnächst die Mittelverteilung zwischen Staat und Hochschulen nach Leistungskriterien erfolgt, dann muß unsere Universität ein Profil haben, daß den Kriterien dieser Mittelallokation möglichst nahe kommt. Im Autorennen nennt man das wohl die Pole-Position, die anzustreben ist im Training. Die allerbeste Startposition nur sichert die allerbeste Finanzsituation. Das klingt schnöde und mag wissenschaftsfeindlich gedeutet werden - für mich ist es die eigentliche Herausforderung für unsere Universität in den nächsten Jahren.

Wer die ersten Modellrechnungen zur staatlichen Mittelverteilung kennt, kann für Oldenburg nur zu dem Schluß kommen, eine Fächerstruktur zu halten bzw. anzustreben, die einerseits den finanziell wirksamen Spreizfaktor zwischen Natur- und Geisteswissenschaften auszunutzen in der Lage ist, andererseits aber nicht auf den vorhandenen Studienangeboten beharrt, sondern neue Wege in den alten sucht. Dazu benötigen wir Gestaltungsspielräume. Der Senat unserer Hochschule hat mit Blick auf den bevorstehenden Generationenwechsel diese Chance und Notwendigkeit erkannt und neue Forschungsschwerpunkte und neue Studiengänge eingerichtet, die ihrer Einmaligkeit wegen Studierende nach Oldenburg locken. Das schließt die internationale Öffnung in Form von BA- und MA-Abschlüssen verbunden mit einem Anerkennungssystem von Studienleistungen - also das ECTS - ein. Zusammen mit einer forschungsintensiven Lehrerausbildung und Erziehungswissenschaft auf der Höhe unserer Zeit verschaffen wir uns die notwendige Attraktivität für Studierende und eine solide Basis für die Mittelverteilung. Nur müssen wir darauf achten, uns ein Höchstmaß an Flexibilität in allen Bereichen zu sichern, um kurzfristigen Entwicklungen schneller begegnen zu können als je zuvor (...)

"Gelehrte sind die unbändigste Menschenklasse"

Im Mai 1810 schrieb Wilhelm von Humboldt an seine Frau: "Die Gelehrten sind die unbändigste und am schwersten zu befriedigende Menschenklasse getrieben, von ewig sich durchkreuzenden Interessen, ihrem Neid, ihrer Lust zu regieren, ihren einseitigen Ansichten, wo jeder meint, daß nur sein Fach Unterstützung und Beförderung verdiene". Auch wenn viele von uns dieser Beschreibung selbstkritisch beipflichten können, und wir mit dem Ruf nach Wettbewerb solches Verhalten letztlich auch erzeugen - ich habe die Hoffnung auf die universitäre Gemeinschaft nicht verloren. Letztere zeigt sich u.a. darin, daß wir über die Leistungen von Kolleginnen und Kollegen stolz sein können. Neid ist ein schlechter Ratgeber für die und in der gemeinsamen Arbeit. In meinen Augen hat die letzte Senatssitzung im Tagesordnungspunkt "Hochschulentwicklungsplanung zum "Qualitativen Soll" zu erkennen gegeben, was ich unter der Hochschule als Verantwortungsgemeinschaft verstehe - die Herstellung eines Konsens, von dem aus Gestaltungspielräume für eine leistungsstarke und attraktive Profilgebung in Forschung und Lehre in den nächsten Jahren möglich wird.
 
 

Fächervielfalt, aber keine universitas litterarum

Hierzu zählt für mich die Frage nach dem Erhalt weitestgehender Fächervielfalt an unserer Universität. Fächervielfalt JA, aber die universitas litterarum läßt sich hier in Oldenburg ebensowenig wie an anderen Hochschulen in Niedersachsen auf international konkurrenzfähigem Niveau mit den vorhandenen Ressourcen verwirklichen. Andere Wege sind gefragt.

Wenn ich davon spreche, daß unsere Mittel in nächster Zeit nicht wachsen werden und ich damit zugleich konstatiere, daß der Staat in Permanenz seine Pflicht vernachlässigt, dann wähne ich mich zwar kritisch, aber nicht realistisch. Die Suche nach Lösungskonzepten für moderne Massenuniversitäten und ihre Finanzierung ist oder war nicht nur eine Herausforderung an die Steuerzahler und Wähler in unserer Republik, sondern an die Universität selbst. Ich teile nicht die Sicht von Professor Landfried, dem Präsidenten der HRK, zur notwendigen Preisgabe der Humboldt'schen Idee einer Volluniversität. Aber ich bin mir bewußt, daß wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht alles zugleich realisieren können, was wir für erforderlich halten. Wir können uns nicht mehr leisten, Spitzenleistung und Breite in gleichem Umfang zu verwirklichen. Wer meint, diesen Weg durchhalten zu können - mit welchen Argumenten auch immer -, sitzt einem Irrglauben oder aber seinem unreflektierten Partikularinteresse auf; beide sind unvereinbar mit der Realität und abträglich für die Überlebensfähigkeit unserer Universität. Wenn wir aber die Humboldt'sche Idee der bildenden Geselligkeit von Lehrenden und Lernenden, mit forschender Lehre und lehrender Forschung in Permanenz im modernen Muster einer vielfältigen Fächerstruktur zur wissenschaftlichen und kulturellen Aufgabe unserer Universität aufrechterhalten wollen, dann müssen wir das Feld regional erweitern, d.h. wir müssen uns mit anderen Hochschulen verbünden. Aus diesem Grunde werden wir die begonnenen und seit beinahe einem Jahr für die Universität Oldenburg von mir im Auftrag des bisherigen Präsidenten geleiteten Verhandlungen fortführen und zu einem nachhaltigen Ende bringen. Wir suchen die institutionalisierte Kooperation mit der Universität Bremen (wie auch mit anderen Hochschulen), die vorrangig eine Profilbildung der Hochschulen, eine Optimierung von Studienmöglichkeiten in der Wissenschaftsregion, eine Verbesserung der Rahmenbedingung für die Forschung und eine Abstimmung von Perspektiven in der Hochschulentwicklung zum Ziel hat.

Marketing und Öffentlichkeitsarbeit

Eine weiterer Schwerpunkt meiner Arbeit wird die Forcierung der Öffentlichkeitsarbeit und des Marketings für die Universität sein. Das hat einen ganz einfachen Grund: Ein Faktor künftiger Budgetierung der Hochschulen wird die Zahl der Studierenden bzw. auch der Absolventen in der Regelstudienzeit sein. Seit WS 93/94 nehmen unsere Studierendenzahlen kontinuierlich ab, die Exmatrikulationen übersteigen die Neueinschreibungen. Diesem Faktum gilt es mehr als nur professionelle Werbebroschüren entgegenzuhalten. Wir brauchen eine Leitbilddiskussion, die sagt, in welche Richtung wir langfristig gehen wollen, welches Profil das unsere sein soll. Das wird die Corporate Identity stärken. Parallel zu diesem Prozeß werden wir zugleich diverse neue Formen von Serviceleistungen für unsere Studierenden organisieren, um für sie attraktiver zu werden. Ich spreche hier nicht von unseren wissenschaftlichen Lockrufen, speziellen Studienangeboten und hervorragender Lehre. Die setze ich einmal als selbstverständlich voraus. Woran mir liegt, ist ein gut funktionierender Service. Wir haben zwar diesen Service bereits, aber ich denke, wir können ihn durch räumliche Zusammenlegung und konzeptionelle Absprachen der Studienberatung, des Immatrikulationsamtes und des Auslandsamtes noch besser gestalten. Ziel ist ein Zentrum, in dem Schüler und andere Studieninteressierte sich über unsere Studienangebote informieren und Studentinnen die vielfältigen Dienste und Beratungsangebote in Anspruch nehmen können: Dazu zählen Beratungen von Lern- und Examensgruppen, berufsbezogene Info-Veranstaltungen wie die Existenzgründungsberatung etwa durch Dialog. Ausweiten müssen wir auch die Fachstudienberatungen vor Ort, und wir müssen darüber nachdenken, ob nicht Sprechzeiten verlängert, zumindest aber einander angeglichen werden müssen. In zentralen Einrichtungen müssen wir ebenfalls für eine noch deutlichere Orientierung auf die Bedürfnisse der StudentInnen sorgen. Daß das Internet gerade für angehende StundentInnen eine der Hauptinformationsquellen ist, soll sehr viel stärker ins Kalkül gezogen werden als bisher. Die Presse & Kommunikation wird bei alldem ein wichtige Rolle spielen, weil es viele Überlappungsbereiche mit ihren Aufgaben bis hin zum verantwortlichen Impression-Management nach außen und zur Identitätsbildung nach innen gibt. Sie wird auch in Zukunft an einem neuen Corporate-Design für die Hochschule beteiligt sein, das die Universität nicht nur in ihrer Vielfalt, sondern auch als Einheit erscheinen läßt. Wir sind wer und wir stellen etwas dar. ... Die Universitäten unsere Nachbarlandes Holland geben uns da viele Anregungen. Deren Informationsbüros haben für ihre Öffentlichkeitsarbeit Millionenbudgets - nicht aber, weil die Universitäten zu viel Geld haben, sondern weil sie Studierende durch solche umfassenden Service- und Informationsangebote in die Universität holen wollen, um mehr staatliche Mittel zu bekommen...

Unverzichtbar: Weiterbildung

Weiterbildung gehört zu den zentralen Aufgaben der Universität gleichberechtigt neben Forschung, Lehre und Studium. An dieser Universität galt das von Anfang an. Das garantiert ihre besondere Bedeutung. Bund-Länder-Kommission, Wissenschaftsrat, Hochschulrektoren-Konferenz, die Unesco und die OECD - sie alle haben in den letzten Jahren auf die Relevanz der Weiterbildung mit Nachdruck aufmerksam gemacht. Angesichts der sich imposant reduzierenden Halbwertzeiten in der Wissenschaft (nach Schätzungen wird bis zum Jahre 2010 von heute an genauso viel publiziert, wie in der Geschichte der Wissenschaft insgesamt) und der raschen technologischen Entwicklung in allen Bereichen unserer Gesellschaft in Verbindung mit den zunehmenden Auflösungstendenzen traditioneller Berufsbilder, ist die Fort- und Weiterbildung zum zentralen Faktor individueller Kompetenzsteigerung wie auch der gesellschaftlichen und ökonomischen Weiterentwicklung geworden. Steht beispielsweise heute in einer Stellenausschreibung zu lesen, daß soziale Kompentenzen, Managementerfahrung, Fremdsprachen und weitere Zertifikate in Gesprächsführung und Personalentwicklung gefordert sind, ist es morgen das doppelte an geforderten Qualifikationen - gleiches Alter beim Bewerber vorausgesetzt ...
 
 

Schrittweise reorganisieren

Forschung und Lehre, Studium und Weiterbildung als elementare Aufgaben der Universität benötigen eine angemessene Infrastruktur und administrative Voraussetzungen, die Wissenschaft leistungsfähig macht. Das schließt heute z.B. die interne Bereitstellung eines Netzes zur schnellen Datenübertragung und die Erarbeitung und Umsetzung eines integrativen Multimedia-Konzeptes für die Universität ein. Für beides kann ich auf eigene Vorarbeiten aufbauen und bin mir sicher, daß wir schon bald eine erste Lehrveranstaltung zwischen Bremen und Oldenburg via Internet realisieren können.

Aus administrativer Sicht knüpfe ich an die traditionelle Reformfähigkeit unserer Universität an, um jene von mir grundlegend und überall geforderte Flexibilität vor allem auch im Personalbereich herzustellen bzw. zu gewährleisten. Dienstleistungsorientierung und Effizienz gehören zu den Leitzielen der Verwaltungsreform, um eine tragfähige Basis für die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Universität zu schaffen. Effiziente Dienstleistungen sind wesentliche Voraussetzung, die wissenschaftlichen Aufgaben der Universität zu ermöglichen. Das macht zweierlei erforderlich: (a) die Erweiterung der persönlichen und fachlichen Kompetenzen der Kolleginnen und Kollegen im MTV-Bereich für ihren unmittelbaren Arbeitsalltag und (b) die persönlich gewonnene Einsicht zur effizienten Gestaltung der anfallenden Arbeit. Unsere Arbeitsplätze, das haben wir in den letzten Jahren wiederholt festgestellt, haben sich in vielen Bereichen verändert und erfordern Veränderung in der Kompetenz der Beschäftigten. Dazu muß die Universität Möglichkeiten schaffen, die vorhandenen Erfahrungen und Kompetenzen zu erweitern: durch Schulungsmaßnahmen, Qualitätszirkel, Mitarbeitergespräche, Zeit- und Streßmanagement etc., um die bestehenden Arbeitsabläufe auf ein höheres Niveau zu heben, nicht nur der organisationsspezifischen Leistungsoptimierung wegen, sondern im Gleichklang mit der persönlichen Akzeptanz der Beschäftigten und zu ihrer eigenen Zufriedenheit. Wir brauchen eine höhere Flexibilität im Umgang mit neuen Anforderungen und sollten hier unsere Arbeitsergebnisse durch die Nutzung erweiterter Handlungsspielräume verbessern. Hier erhoffe und erwarte ich eine enge Zusammenarbeit mit dem Personalrat und der Frauenbeauftragten, die ich in Zukunft an der großen Präsidumssitzung beteiligen möchte. Lassen Sie mich nur ergänzend andeuten, daß die mittelfristige Personalentwicklungsplanung im originären Bereich von Wissenschaft und Lehre mit solchen Maßnahmen im MTV-Bereich abgestimmt werden muß - zumal wenn wir profilbildende Maßnahmen planen. Die Hochschulleitung wird hier konzeptionelle Unterstützung bereitstellen. Das alles soll zum Ziel haben, die Planungen im Personalbereich aus der intuitiven Kurzfristigkeit herauszuholen. Wer scheidet wann aus, wo aus und was muß getan werden diesen Platz intern oder extern neu zu besetzen oder anderweitig zu nutzen? Wenn wir die Universität schrittweise reorganisieren wollen, sind wir nach heutigem Wissen gehalten, unsere Hochschule als eine lernende Organisation zu begreifen. Dabei wird uns die Frage leiten, was wir im Verwaltungsbereich für spezifische Qualifikationen in welchen Sektoren benötigen, welche vorhanden sind und welche Maßnahmen zur Erreichung neuer Ziele erforderlich sind.

 Neue Ziele. Wo will/soll unsere Universität im Wettbewerb der Hochschulen wann ankommen? Mich leitet dabei der Zeitraum bis 2010, für den ich in Ergänzung zu unserem Hochschulentwicklungsplan bald ein Leitbildkonzept für unsere Universität vorzulegen beabsichtige. Aber seine Diskussion in der Hochschule darf nicht dazu führen, daß wir uns hinsichtlich unserer Planungen in anderen Bereichen völlig lähmen. In einer komplexen Einrichtung wie einer Universität sind wir gehalten auf vielen Ebenen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit kurz- und mittelfristige Entscheidungen zu treffen. Und da muß es weitergehen.


(Stand: 19.01.2024)  | 
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