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Hochschulpolitik

Universität als Lebenssinn oder Teilzeitjob?

StudentInnen heute: Unterschiedlichste Bedürfnisse machen Veränderungen der Universität notwendig / Von Wilfried Belschner*

Auf der 1. Internationalen Fachtagung "Gesundheitsfördernde Hochschule", die im Oktober in der Universität Hildesheim stattfand, stellte Prof. Dr. Wilfried Belschner eine Pilotstudie vor mit dem Titel "Welche Universitäten brauchen Studierende, um erfolgreich studieren zu können?" Hintergrund sind Bemühungen der WHO, über einen sogenannten setting-spezifischen Ansatz die Lebensbedingungen der Menschen umfassend zu verbessern. Angewendet auf die Universität lautete deshalb die Fragestellung der Studie: Welche optimierenden und innovativen Passungen in den vielfältigen institutionellen Facetten des Settings Universität sind erforderlich, um den erfolgreichen Abschluß des persönlichen Projekts "Studium" wahrscheinlich werden zu lassen? Nachfolgend Auszüge aus dem Vortrag.

 Die Daten von 66 Studierenden der zweiten Studienphase (Hauptstudium, Hauptdiplom-Phase) konnten in die Analyse einbezogen werden. Mittels Cluster-Analyse wurden 5 Gruppen gebildet. Sie lassen sich durch die Items, denen sie überdurchschnittlich stark zustimmen bzw. die sie überdurchschnittlich stark ablehnen, in ihrer Studienstrategie charakterisieren.
 
 

Typus 1: Suche nach Orientierung

(18 % der Befragten; w:m = 75:25 %)

 Die Studienstrategie dieses Typus läßt sich folgendermaßen beschreiben: Ich studiere auch und habe dabei "so" den Eindruck, den Anforderungen gewachsen zu sein. Das Studium soll mich zwar für einen späteren (!) Beruf qualifizieren, aber ich weiß jetzt noch gar nicht, was ich einmal nach dem Studium machen werde. Ich erwarte auch nicht, in einem Beruf tätig zu werden, auf den hin mich mein Studium qualifizieren könnte. Im Augenblick gibt es jedenfalls kein realistisches und lohnendes Studienziel, für das ich mich aktiv einsetze. In dieser Zeit des Suchens, Probierens und Herumirrens will ich wenigstens versuchen, jetzt gut zu leben; dazu nutze ich den Freiraum des Studierendenlebens, und dafür bin ich auch bereit zu jobben.
 
 

Typus 2: Selbstgewählter Lebenssinn

(12 % der Befragten; w:m = 50:50 %)

 Dieser Typus von Studienstrategie läßt sich wie folgt kennzeichnen: Das Studium steht im Mittelpunkt meines Lebens; damit das so bleiben kann, gehe ich keine anderen Verpflichtungen ein. Ich bin ein Vollzeit-Studierender und setze mich voll und ganz für mein Studium ein. Ich habe Spaß am Studieren, mein Fach interessiert mich und ich schaue auch über den Tellerrand meines Faches hinaus. Ich bin motiviert und engagiert, denn ich will einen guten Abschluß erreichen, weil ich mir davon Vorteile für meine spätere Erwerbstätigkeit verspreche. Der Studienabschluß selbst und die Zeit danach beschäftigen mich zur Zeit nicht; ich brauche mich damit auch noch nicht zu befassen, denn ich bin in meiner Grundstimmung optimistisch und zuversichtlich, nach dem Studium auf jeden Fall klarzukommen und meinen Weg gehen zu können.

 Aus der Perspektive der Lehrenden sind dies "ideale" Studierende.
 
 

Typus 3: Zielgerichtetes Teilzeitstudium

(14 % der Befragten; w:m = 89:11 %)

Diese Studienstrategie zeichnet sich durch ein hohes Ausmaß an Selbstbewußtsein und aktiver Gestaltungskraft aus. Man kann sich Personen vorstellen, die sich aktiv und optimistisch Chancen schaffen, die sich durch Schwierigkeiten nicht irritieren lassen und Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten haben. Von dem Typus 2 unterscheidet sich diese Personengruppe dadurch, daß das Studium für sie nicht den Lebensmittelpunkt ausmacht; sie ist vielmehr in weitere Kontexte eingebunden, die "eigentlich" Priorität verlangen und wohl auch zuerkannt bekommen. Sie müssen also als "Teilzeit-Studierende" eine Balance zwischen den "privaten" Verpflichtungen und den universitären, d.h. institutionell verankerten Studienanforderungen finden. Auf Grund dieser Einbettung wird die Bedeutung des Studiums relativiert: Die Personen sind durch potentielle negative Ereignisse im Studium nicht so stark verletzbar. Gleichwohl ist das Studium ein wichtiger Teil ihres jetzigen Lebens und es wird als Gewinn verbucht. Man kann sich vorstellen, daß - begründet aus den anderen, schon bestehenden Verpflichtungen - Erwartungen an die Universität bezüglich einer maßgeschneiderten Organisation des Studiums gerichtet werden.

 Bei dieser Personengruppe finden sich fünf der acht Aussagen zur generalisierten Selbstwirksamkeit und zur proaktiven Einstellung wieder: Wir können dies als Hinweise auf eine stabile, erfahrungsgestützte Haltung des Selbstvertrauens und der Aufgabenbewältigung interpretieren. Katalysator-Aussagen werden von diesen Personen vor allem zur Selbstbeschreibung benutzt. Ihre Zuversicht erstreckt sich bei einer optimistischen Grundhaltung auch auf die Zeit nach dem Studium: Sie sind überzeugt, durch ihre erworbenen Qualifikationen und mit Hilfe ihres sozialen Netzes eine angemessene Beschäftigung zu finden; und sie verhalten sich auch clever, indem sie sich durch Zusatzqualifikationen attraktiv für den Arbeitsmarkt machen wollen.
 
 

Typus 4: Potentieller Mißerfolg

(29 % der Befragten; w:m = 74:26 %)

 Während bei dem dritten Typus Katalysatoraussagen anzutreffen waren, beschreibt sich dieser vierte Typus bevorzugt durch Barriereaussagen. Angst vor Prüfungen, Angst vor schlechten Noten, Angst vor dem Studienende, Angst vor späterer Arbeitslosigkeit sind dominante Merkmale. Als Gegenmittel gegen dieses negative Selbstbild werden Ehrgeiz und Planung eingesetzt. Diese Personen haben nicht das Selbstvertrauen, sich auf die Chancen zu verlassen, die ihnen begegnen werden, sondern sie setzen auf die vorausschauende Planbarkeit ihres Lebensweges. In dem Kontext der hier angesprochenen und vorherrschenden negativen emotionalen Befindlichkeit erhalten die genauen Vorstellungen über die Tätigkeit nach dem Studium den Charakter von eher rigiden Normen, von denen die Gefahr ausgeht, ihnen nicht genügen zu können. Die Personen scheinen festgelegt zu sein, hohe Erwartungen an sich zu stellen. Sie haben ein hohes Anspruchsniveau, sind aber mißerfolgsmotiviert. Da die hier beschriebenen Personen davon ausgehen, sie seien für ihre Lebensentscheidungen selbst verantwortlich, fällt ein Scheitern ihrer Pläne auf sie selbst zurück. Ein hohes Ausmaß an erlebter Belastung, von "Studienstreß", ist für diese Personengruppe wahrscheinlich.
 
 

Typus 5: Eine Zeit des Leidens

(27 % der Befragten; w:m = 72:28 %)

Diese Personengruppe definiert sich über Ängste und Haltungen, in denen sie sich als Objekt von übermächtigen Einflüssen wahrninmt. Es scheint im Leben dieser Menschen keinen positiven Bezug, keine Freude, keine Zuversicht zu geben. Sie beschreiben sich als Personen, die nicht auf eine bislang gelungene Biografie zurückblicken können und die es sich deshalb nicht zutrauen, ihre Zukunft mutig in Angriff zu nehmen. In der Zukunft gibt es in ihrer Wahrnehmung keine positiven Anreize, die aufgegriffen werden könnten. Sie definieren sich weniger durch die ihnen verfügbaren Kompetenzen und Ressourcen als durch Negationen: was sie nicht können, was ihnen nicht offensteht, was sie nicht erreichen können. (Die 4 Aussagen, denen die Personen dieses Typus 5 zustimmen, sind Negativ-Aussagen; ansonsten lehnen sie 19 positive Aussagen als Selbstbeschreibungen ab!) Die Welt scheint für sie aus Verneinungen, Verweigerungen und Ausgrenzungen zu bestehen.

 Das Bild von ängstlichen, geradezu dysphorischen und verzweifelten Menschen taucht auf, die ihr Studium und - generalisierend - das gesamte Leben als eine kaum zu bewältigende Last empfinden müssen. Man fragt sich, warum und wozu sie sich dieser leidvollen Anforderung des Studiums unterziehen, in dem es doch scheinbar gar nichts Positives zu entdecken gibt.

Organisationentwicklung der Universität

Es ist offenkundig, daß diesen heterogenen Studienstrategien und diesen divergierenden Erwartungsmustern mit der herkömmlichen "Standard-Universität" nicht entsprochen werden kann.

Will man nicht von vornherein einige Personengruppen von der Universität ausschließen, wird es erforderlich sein, einen Prozeß der Organisationsentwicklung an der Universität anzuregen.

 Gehen wir noch einmal die 5 Typen durch und prüfen, inwieweit sie mit der Universität, wie wir sie zur Zeit kennen, "verträglich" sind oder in einem Spannungsverhältnis stehen.

  • Die Fortschreibung der bisherigen Universität: Typus 2

  •  Am unproblematischten dürfte der Typus 2, der "klassische" Studierende, für die jetzige Verfassung der Universität sein. Sein Zeitbudget steht der Universität zur Verfügung. Er ist auf die Universität zentriert und kann sich deshalb auf die institutionellen Besonderheiten der Universität vergleichsweise flexibel einstellen.
     
     

  • Mixtur von Präsenz- und Fernuniversität: Typus 3

  •  Beim Typus 3 wird die Passung schon schwieriger. Für ein erfolgreiches Studium ist es aus der Sicht der Teilzeit-Studierenden erforderlich, daß sich die Institution als ein Dienstleistungsunternehmen auf ihre "privaten" Erfordernisse einstellt.

    Hier müßte also im Sinne einer Marktanalyse z.B. erkundet werden,

    - wie am zweckmäßigsten im Tagesverlauf die Veranstaltungszeiten zu legen sind;

    - welche unterstützenden Maßnahmen und Einrichtungen geschaffen werden müssen, um eine leichte Erreichbarkeit und Verfügbarkeit zu ermöglichen (z.B. Kinderkrippen);

    - welche Organisationsformen für die Lehre den Bedürfnissen besser entsprechen (z.B. Blockveranstaltungen, Präsenzphasen vs. Fernstudium);

    - welche Lehrmaterialien für diesen Ty pus 3 förderlich sind etc. Bei mir taucht als Ziel der Organisationsentwicklung das Bild einer Mixtur von Präsenz- und Fernuniversität auf.
     
     

  • Die Mentoren-Systeme: Typus 4

  •  Bei dieser Personengruppe stand die Auseinandersetzung mit studienbezogenen Ängsten im Vordergrund. In der untersuchten Population stellte dieser Typus die größte Teilstichprobe dar. Die bisher vorgehaltenen Maßnahmen zur Unterstützung ängstlicher Studierender scheinen nicht ausreichend zu sein. Ich denke hier an die Einrichtungen der Studienberatung oder der psychosozialen Beratungsstellen. Ihre Angebote werden entweder nicht wahrgenommen oder nicht angenommen oder sie treffen nicht den Kern der hier anzutreffenden Merkmalskonstellationen. Welche Innovationen auf der Meso-Ebene könnten also im Sinne der Gesundheitsförderung hilfreich sein?

     Eine Variante von Universität, die ich mir hierfür zumindest in der Eingangsphase des Studiums vorstellen könnte, wären Mentoren-Systeme, die eine stärkere Führung dieser Studierenden ermöglichen. Das heißt, daß

     - es einen weit umfänglicheren Kontakt im Sinne der Betreung zwischen Studierenden und Lehrenden geben könnte - wie ich es von amerikanischen Universitäten kenne;

    - das Studium hinsichtlich Lernstoff und Lernziele übersichtlicher und kleinschrittiger angelegt ist - es ist schulähnlicher;

     - das Studium strukturierter ist; es enthält weniger vage Freiheitsgrade, sondern bietet mehr Möglichkeiten zum gezielten Feedback durch Mentoren, um den Studierenden im Setting Universität die Auseinandersetzung mit ihren Ängsten zu erlauben. Die Personen sollen in der realen Erfahrung erleben können, daß die Bedeutungen, die sie Personen, Ereignissen, Situationen, Normen etc. zuschreiben, ohne Verlust verändert werden können.
     
     

  • Die fachunspezifische Orientierungsphase: Typus 1

  •  Bei dieser Personengruppe stand die Suche nach einer Lebensaufgabe und nach einer Lebensorientierung im Vordergrund. Die bisherige Organisation der Universität, nämlich ihre Unverbindlichkeit, wird benutzt, um in diesem Freiraum eine Klärung träumerisch zu erhoffen oder durch aktives Handeln zu erreichen.

     Für diese Personengruppe würde sich also die Einrichtung einer Orientierungsphase anbieten, die noch nicht zu einem fachspezifischen Studium gehört. Diese Phase wäre derart zu gestalten, daß Klärungen und Erprobungen in einer fehlerfreundlichen Atmosphäre aktiv von Seiten der Universität angesprochen und organisiert werden. Auch hier ist wie bei dem Mentoren-System für Typus 4 ein personalintensives Angebot erforderlich.
     
     

  • Die Auszeit: Typus 5

  •  Für diese zahlenmäßig zweitstärkste Gruppe wird bei mir ein quasi-therapeutisches Setting aufgerufen. Es ist dies die Gruppe mit der höchsten Semesterzahl und mit der höchsten hypothetischen Gesamtstudiendauer. Diese Personen werden in ihrem Studium massiv mit Lebenshaltungen konfrontiert, die ein Gelingen ihrer Biografie mit Hilfe und im Rahmen der herkömmlichen Institution Universität nicht nur in Frage stellt, sondern unwahrscheinlich werden lassen.

     Für diese Personengruppe stelle ich mir unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung vor, daß in das Studium eine "Auszeit" eingeschoben wird. Das würde bedeuten, daß die Person nicht länger im Studium vor sich hinleidet und nicht vorankommt, bis sich der Prozeß bis zum Abbruch des Studiums aufschaukelt. Die Person verordnet sich vielmehr gewollt eine Unterbrechung ihrer Leidenszeit, um ihre Lebenssituation zu klären und sich kompetentere Modi des Konstruierens und Managens solcher Situationen anzueignen. In dieser Auszeit wird es der Person unter Verbleiben in der Institution Universität ermöglicht, sich intensiv mit ihren Lebensmustem und Lebenszielen zu befassen. Neuorientierungen bezüglich des Studienfachs oder der beruflichen Ausbildung könnten in der Auszeit rechtzeitiger angebahnt werden.
     
     

    Resümee

    Bei den hier vorgestellten Überlegungen wurde nicht versucht, über Ausgrenzungen von bestimmten Personengruppen die Universität in ihrer derzeitigen Verfaßtheit zu "retten". Es wurden vielmehr Vorschläge unterbreitet, die im Sinne einer Strategie der systemischen Entwicklung sowohl von den Individuen (d.h. Studierende und Lehrende) wie auch von der Institution gleichzeitig und gleichrangig Entwicklung erwarten und verlangen. Mit Hilfe der auf die verschiedenen Typen von Studierenden abgestellten Veränderungen der Organisation Universität ließe sich m.E. die Effektivität und die Effizienz erheblich steigern, beispielsweise durch Senkung der Drop-Out-Rate. Die Mitbeachtung solcher volkswirtschaftlicher Kriterien und der in Projekten der Qualitätssicherung üblich gewordenen Kriterien scheint mir dringend geboten zu sein.

     Ich danke cand. psych. Jörg Glaeser für die konstruktive Zusammenarbeit.

     * Prof. Dr. Wilfried Belschner ist Hochschullehrer für Psychologie mit Schwerpunkt Gesundheitsforschung am FB 5.

    Gremienwahlen Ende Januar

    Nicht weniger als 496 KandidatInnen bewerben sich um die 289 Sitze im Konzil (204), im Senat (121) und in den Fachbereichsräten. Aufgerufen zur Wahl vom 26. bis 28. Januar sind alle ProfessorInnen, wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, StudentInnen und MitarbeiterInnen des Technischen- und Verwaltungsdienstes (MTV). Am 26. Januar kann in Wechloy gewählt werden, am 27. und 28. im BIS-Vortragssaal am Uhlhornsweg. Überraschungen bei der Aufstellung der Listen gab es nicht. Weitgehend haben wieder die Gruppen Listen eingereicht, die auch vor zwei Jahren beteiligt waren.

     Parallel zu den Gremienwahlen bestimmen die StudentInnen ihr Parlament – allerdings haben sie einen Tag länger Zeit, ihre Stimme abzugeben. Das Stupa bestimmt den neuen AStA. Um die 50 Sitze bewerben sich sechs Listen und zwei EinzelkandidatInnen.


    Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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