Hochschulzeitung UNI-INFO
Kontakt
Hochschulzeitung UNI-INFO
UNI-INFO
Thema
Generalisierend oder lexikalisch schreiben lernen: "... und in den Verien ervorschen wir eine Höle"
Neue Erkenntnisse über Grundlagen des Rechtschreiberwerbs sind auch von didaktischer Relevanz / Von Günther Thomé*
Wie vollzieht sich der Übergang von der alphabetischen zur orthographischen Phase? Wie kommen Kinder vom lautgetreuen zum orthographisch korrekten Schreiben? Diese Fragen bildeten den Schwerpunkt des Mitte der 90er Jahre an der Oldenburger Universität durchgeführten Forschungsprojektes "Innere Regelbildung im Orthographieerwerb", das von Prof. Dr. Wolfgang Eichler (FB 11 Literatur- und Sprachwissenschaften) geleitet und von der DFG gefördert wurde.Schriftspracherwerb wird heute als fakultativer Bestandteil des Spracherwerbs gesehen. Wie der mündliche Spracherwerb vollzieht sich auch der schriftliche Spracherwerb weitgehend unbewußt. Hier wie dort lassen sich überindividuelle natürliche Entwicklungsphasen beobachten.
Etwa im Alter von drei Jahren beginnt die normale orthographische Entwicklung (präliteral-symbolische Vorformen bereits mit zwei Jahren). Im Laufe dieser als kontinuierlicher Prozeß verlaufenden Entwicklung erreichen die meisten Kinder im Alter von sechs bis sieben Jahren eine Stufe, die durch die Fähigkeit gekennzeichnet ist, Wörter weitgehend lautgetreu zu schreiben. Das ist übrigens auch der Grund, warum man Kinder etwa in diesem Alter einschult. Bei lautgetreuen Schreibungen werden im Idealfall alle orthographisch relevanten lautlichen Einheiten eines Wortes (Phoneme) berücksichtigt und diese mit dem häufigsten und unmarkierten Schriftzeichen (Basisgraphem) geschrieben. Diese Entwicklungsstufe wird als alphabetische Phase bezeichnet, sie ist die Voraussetzung für die Teilnahme am Schulunterricht. Typische Schreibungen sind *farat für Fahrrad, *hunt für Hund usw. (Orthographisch abweichende Schreibungen sind mit einem Sternchen * markiert.)
Daneben werden Wörter wie schön, laufen, Farbe u. ä. mit derselben alphabetischen Ver- schriftungsstrategie schon korrekt geschrieben, weil sie keine orthographischen Besonderheiten aufweisen.
Die letzte Stufe in der orthographischen Entwicklung wird orthographische Phase genannt, weil nun auch orthographisch markierte Schriftzeichen (Orthographeme) in den Schülerschreibungen erscheinen: fällt, verbessern, bohren usw. Diese Formen würden in der alphabetischen Phase als *felt, *ferbesern und *boren erwartet.
Da sich der Übergang von der alphabetischen zur orthographischen Phase etwa von Klasse 2 - 6 erstreckt und fast das gesamte (intentionale) Wirkungsfeld des Rechtschreibunterrichts bildet, sind diese Fragen auch von einiger didaktischer Praxisrelevanz.
"F" und "Vogel-V"
Am Beispiel der Verwendung des Schriftzeichens Die beiden Eckpunkte der Entwicklung von der alphabetischen zur orthographischen
Phase bilden die lautliche Schreibung des Phonems /f/ einerseits und die korrekte
Verwendung des Zeichens Stufe 1: Typische Schreibungen: *forsichtig / Fliegen / erforschen
In der alphabetischen Phase werden alle /f/-Phoneme mit einem Stufe 2: Typische Schreibungen: vorsichtig / *Vliegen / erforschen
Erste korrekte Stufe 3: Typische Schreibungen: vorsichtig / Fliegen / *ervorschen
Mit der weiteren Entwicklung wird nun die Verwendung des Zeichens Stufe 4: Typische Schreibungen: vorsichtig / Fliegen / erforschen
Die letzte Stufe der orthographischen Entwicklung ist erreicht, wenn alle
Wörter, auch solche mit schwierigeren Graphemen, korrekt geschrieben werden. Diese
Leistung setzt die Fähigkeit zur inneren Regelbildung und der Generalisierung
solcher Regeln voraus.
Nun läßt sich aber diese innere Regelbildung nicht bei allen Lernern, auch
nicht bei fortgeschrittenen, beobachten; ein Phänomen, das in der anglo-amerikanischen
Literatur vereinzelt zu Vermutungen über die Existenz unterschiedlicher Lernertypen
im Orthographieerwerb geführt hat, ohne daß diese bisher durch empirische Untersuchungen
nachgewiesen werden konnten.
Die Ergebnisse zeigen sehr deutliche Unterschiede in der Präferenz von Lernstrategien
und belegen damit erstmalig zwei unterschiedliche Lernertypen. Die in den beiden
Tabellen dokumentierten Schreibungen aus dem Bereich Beide Schüler produzieren in den 17 Wörtern (mit der Möglichkeit, ein *Dr. Günther Thomé, Wiss. Assistent am FB 11 mit Schwerpunkt "Didaktik
der deutschen Sprache und Literatur", hat sich im Rahmen seiner inzwischen veröffentlichten
Habilitationsschrift mit dem Thema "Rechtschreiberwerb" befaßt ("Orthographieerwerb:
Qualitative Fehleranalysen zum Aufbau der orthographischen Kompetenz", Frankfurt/M.
1999).
Zwei Lernertypen