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Das aktuelle Interview

Hannah Arendts Denken zieht besonders Studierende an

Interview mit Antonia Grunenberg über das Hannah-Arendt-Forschungszentrum

Vor kurzem haben die Arbeiten zum Aufbau des "Hannah-Arendt-Forschungszentrums" an der Universität Oldenburg begonnen. Sie werden geleitet von der Politologin Prof. Dr. Antonia Grunenberg, Inhaberin einer von der Stiftung Niedersachsen finanzierten Professur am Fachbereich 3 Sozialwissenschaften. Die Sachmittel kommen von der Hamburger Körber-Stiftung. Hannah Arendt (1906-1975), Politologin und Philosophin, gilt als eine der größten Denkerinnen dieses Jahrhunderts. UNI-INFO: Wie sah Ihre Arbeit in der letzten Zeit aus?

GRUNENBERG: Zusammen mit einer Studentin war ich kürzlich sieben Wochen lang in Washington in der 'Library of Congress', wo wir den Nachlaß von Hannah Arendt kopiert haben. 20 große Kartons sind inzwischen hier angekommen. Nun werden wir daran gehen, möglichst bald unser Archiv zu öffnen.

UNI-INFO: Und das Archiv in den USA?

GRUNENBERG: Das ist seit dem 1. Februar geschlossen. Weil der Nachlaß in ziemlich bedenklichem Zustand ist, plant man dort, alles zu digitalisieren und später ins Internet zu geben. Für die Dauer dieser Arbeit – man rechnet mit zwei bis drei Jahren - bleibt das Archiv geschlossen, so daß man im wesentlichen auf das Oldenburger Archiv angewiesen sein wird. Daß der Zustand des Archivs beklagenswert ist, hat sich während des Kopierens voll bestätigt. Da flottieren ursprünglich mit Tesafilm geklebte Textstellen durch das gesamte Archiv, und es wird eine komplizierte Arbeit sein, manche Texte zu rekonstruieren.

UNI-INFO: Und ist das der gesamte Nachlaß?

GRUNENBERG: Es ist der allergrößte Teil des Nachlasses. Es gibt noch kleinere Teile z. B. im Literaturarchiv in Marbach, die uns ebenfalls in Kopie zur Verfügung gestellt werden sollen. Wir wollen natürlich ein möglichst vollständiges Archiv haben. Als erstes werden wir einen Katalog erstellen, damit hier möglichst bald wissenschaftlich gearbeitet werden kann. Geplant sind des weiteren Einzelveröffentlichungen aus dem Nachlaß, die noch nicht unter Vertrag stehen. Und unsere Hauptaufgabe ist schließlich eine kritische Ausgabe der Werke. Dann gibt es noch ein zusätzliches Projekt. Weil Hannah Arendts Art und Weise, Theorie zu bilden, nur zu verstehen ist vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrungen, also über die Erfahrung des Vertriebenseins, werden wir Freunde, Schüler, Kollegen interviewen und versuchen, ein Stück der amerikanischen Erfahrung der vertriebenenen jüdischen Intellektuellen zu rekonstruieren. U.a. wird es auch um Arendts Verhältnis zu Adorno und Horkheimer gehen

UNI-INFO: Warum kommt nun eigentlich das Hannah-Arendt-Forschungszentrum gerade nach Oldenburg?

GRUNENBERG: Zum einen war es nicht unerheblich, daß wir hier auf drei Kollegen getroffen sind, nämlich Michael Daxner, Gerhard Kraiker und Dirk Grathoff, die in einer Art und Weise, wie ich das nicht erwartet hatte, positiv auf das Vorhaben reagiert haben. Außerdem kam hinzu, daß hier schon zwei bedeutende Archive sind, und ich denke, daß sich Hannah Arendt in Gesellschaft von Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky sicher wohlgefühlt hätte.

UNI-INFO: Und wie war es überhaupt zu der Idee eines Hannah-Arendt-Forschungszentrums gekommen?

GRUNENBERG: Ich habe zusammen mit einer Gruppe von Kollegen und Freunden in Bremen 1994 den "Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken" gegründet. Darüber sind wir in Kontakt mit der New School University in New York gekommen und es entstand die Idee, den Nachlaß als Kopie hierher zu holen. Ich möchte ausdrücklich erwähnen, daß uns mehrere Leute sehr geholfen haben, u. a. Rita Süssmuth, Freimuth Duwe und vor allem auch Michael Daxner.

UNI-INFO: Inwieweit wird das Thema "Hannah Arendt" auch Ihre Lehrtätigkeit hier berühren?

GRUNENBERG: Da ich eine Hannah-Arendt-Stiftungsprofessur innehabe, werde ich natürlich einen Teil meiner Lehre auch über Hannah Arendt und ihr Werk machen. Und ich werde Studentinnen und Studenten ermutigen, darüber zu arbeiten. Es sind uns schon während des Kopierens - wo man ja eigentlich nicht lesen, sondern seine Arbeit tun soll - eine Fülle von Themen aufgefallen, an die man ohne weiteres Magisterstudenten oder Doktoranden setzen könnte. Ein sehr interessantes Feld wäre der Widerhall ihres Buches über den Eichmann-Prozeß in den Vereinigten Staaten, in Deutschland und in Israel. Oder auch die Geschichte und das Umfeld des Prozesses selbst. Da sind z.B. die Verhöre, die mit Eichmann gemacht wurden, und die Gerichtsprotokolle mit Ahrendts Notaten am Rande. Dann gibt es natürlich ein Feld für textkritische Arbeiten, etwa wenn von einem Manuskript drei oder vier verschiedene Fassungen bestehen. Und dann haben wir auch noch unentdeckte Bereiche, wie etwa Arendts Marx-Vorlesungen oder auch ihre Vorträge zu Heidegger. Wichtig ist mir bei alledem, eine offene Arbeitsatmosphäre hier in Oldenburg zu fördern, von der sich in- und ausländische Kolleginnen und Kollegen und eben auch Studierende angezogen fühlen.

UNI-INFO: Wie steht es um die Aktualität von Hannah Arendt?

GRUNENBERG: Die Aktualität ist in sehr starkem Maße seit 1989 entstanden. Ich erkläre sie mir mit einem größeren Orientierungsbedürfnis darüber, was eigentlich die westlichen Demokratien schützenswert macht und was sie bedroht. Das war Arendts Generalthema seit 1933, das hat sie begleitet während des Exils in Paris und nach ihrer Flucht in die Vereinigten Staaten, und sie war ständig bemüht, einen Bogen von der amerikanischen Tradition der Gründungsväter nach Europa zu schlagen. Und da ja nach 1989 in Mitteleuropa diese Frage nach der Gründung von demokratischen Ordnungen entstand, ist auch die Frage nach Hannah Arend und ihrem Werk wieder hochgekommen. Sicher ist es teils auch Mode, daß man sich mit ihr schmückt und daß viele sich bemüßigt fühlen, einen Aufsatz über sie zu schreiben. Andererseits habe ich festgestellt, daß insbesondere bei Studenten ihre Art des Denkens sehr ankommt, eine Art, die nicht systemisch und auch nicht rationalistisch ist. Im Mittelpunkt steht immer die Frage: Wie kann man verhindern, daß die Demokratie sich selbst zerstört, wie kann man Öffentlichkeit schützen, wie die Bürger ermutigen, Demokratie zu tragen. Eben das interessiert auch Studenten.

UNI-INFO: Wie würden Sie Ihr persönliches Verhältnis zu Hannah Arendt beschreiben?

GRUNENBERG: Ich habe ihr Buch über den Totalitarismus in den 60er Jahren gelesen - mit viel Kritik. Das lag vor allem an meiner damaligen Sicht der Welt. Dann habe ich sie wieder gelesen seit Ende der 80er Jahre, und dieses philosophisch fundierte politische Denken, das sich nicht so einfach den herkömmlichen Zweigen Innenpolitik, Außenpolitik, Institutionenkunde, Regierungslehre, Ideologie oder Theorie zuordnen läßt, hat für mich eine große gedankliche Öffnung bedeutet. Also etwa ihre Frage, woher eigentlich die Kräfte der Erneuerung von Demokratien kommen. Gerade ihren Blick auf die Urteilsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger fand ich sehr gewinnbringend in bezug auf heutige Demokratien.

UNI-INFO: Ist es ein Zufall, daß Sie sich als Wissenschaftlerin mit Hannah Arendt beschäftigen?

GRUNENBERG: Nein, das ist sicher kein Zufall. Es gibt nur sehr wenige Frauen in der politischen Theorie und sie ist ja sehr lange von der Disziplin ignoriert worden, jedenfalls hier in Europa, abgesehen von ihrem Buch "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft". Aber ihr Werk ist ja viel, viel umfangreicher. Und auch wenn sich in der Rezeption allmählich etwas ändert, bleibt doch die Tatsache bestehen, daß sie noch nicht im Kanon der politikwissenschaftlichen Theorie geführt wird. Mit der neuen Generation von Politikwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen wird sich das hoffentlich ändern. Abgesehen von den Inhalten ihres Werks hat mich angezogen, daß Hannah Arendt eine Frau war, die sich ihren Weg über unabhängiges politisches Denken gebahnt hat. Und mich beeindruckt diese Art von politischem Räsonnieren, wie Hannah Arendt sie verkörpert und wie sie in Amerika und auch Frankreich verbreitet ist. Also ihre Sache war nicht nur die wissenschaftliche Analyse, sondern auch die Einmischung in die öffentlichen Angelegenheiten, das Kritisieren und das Kritisiertwerden, das Austauschen, das Sich-Äußern, das Urteilen und das Beurteiltwerden. Davon können wir viel lernen.


Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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