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"Einphasige", Namensgebung und Wachstum

Die turbulenten Gründerjahre / Geschichte der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (Teil II) von Hilke Günther-Arndt*

Aus der Gefahr eines frühzeitigen Endes – das war zumindest die Wahrnehmung des Gründungsausschusses, der ersten sieben berufenen Professoren und ihrer Kollegen von der Pädagogischen Hochschule – rettete die geplante Oldenburger Universität die Lehrerbildung. Im April 1972 hatte der Gründungsausschuß das Konzept einer einphasigen integrierten Lehrerausbildung beschlossen, nach dem die Lehrer aller Schulformen zusammen nach Schulstufen ausgebildet und Studium und staatlicher Vorbereitungsdienst verschmolzen werden sollten. Das niedersächsische Kultusministerium machte sich dieses Konzept teilweise zu eigen und beantragte beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft einen Modellversuch für eine einphasige Lehrerbildung (ELAB), der praktisch umgehend genehmigt wurde. Die Idee für eine reformierte Lehrerausbildung lag um diese Zeit gleichsam in der Luft. Die Mittel für den Modellversuch, allein für 1973–1975 mehr als drei Millionen DM, retteten der Universität Oldenburg erst einmal das Leben. Die Landesregierung, in welcher der an der Pädagogischen Hochschule Oldenburg lehrende Geschichtsdidaktiker Joist Grolle inzwischen das Amt eines Staatssekretärs für Hochschulfragen übernommen hatte, zog nach und genehmigte für die Haushaltsjahre 1973 und 1974 zusammen mehr als 200 Stellen. Gleichzeitig wurde der Bau eines Allgemeinen Aufbau- und Verfügungszentrums (heute Bauteile A1–A4) für die Universität am Uhlhornsweg beschlossen (fertiggestellt 1975). Räumlich und personell waren damit die Voraussetzungen für die Universitätsgründung erfüllt.

Trotz aller äußereren Schwierigkeiten und internen Querelen arbeiteten der Gründungsausschuß und seine Kommissionen 1972/73 sehr effizient. In kürzester Zeit gelang es, die Rahmenbedingungen für den Studienbeginn an der Universität Oldenburg zu schaffen:

  • die Entscheidung für die ersten Studiengänge: die Lehrämter an Grund- und Hauptschulen, Realschulen, Sonderschulen, Gymnasien und Berufsschulen. Oldenburg war damit die einzige Universität in Niedersachsen – und ist es bis heute – mit der vollen Breite der Lehrerbildung; Diplom-Studiengänge in Sozialwissenschaften, Ökonomie, Pädagogik, Raumplanung, Mathematik, Chemie, Biologie und Physik;

  • die Schaffung der personellen Voraussetzungen für die Aufnahme des Lehrbetriebs durch die Vorlage von Berufungsvorschlägen für die wichtigsten Professuren (insgesamt zogen sich die Berufungen bis in die Jahre 1976/77 hin), die Besetzung von Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter sowie das technische und Verwaltungspersonal einschließlich des ersten Kanzlers der Universität, Jürgen Lüthje.

    Die Landesregierung legte Anfang 1973 einen Gesetzentwurf zur Gründung der Universitäten Oldenburg und Osnabrück vor, der nach etlichen Auseinandersetzungen vom Landtag am 26. November 1973 verabschiedet wurde und als Errichtungsgesetz am 5. Dezember 1973 in Kraft trat.

    Rechtlich existierte damit die Universität Oldenburg, und sie hatte auch schon 2.355 Studierende und 218 Lehrende. Den Grundstock für die Universität bildete nämlich sowohl in Oldenburg wie in Osnabrück die Pädagogische Hochschule. Der Mathematikdidaktiker Wolfgang Sprockhoff wurde zum ersten Übergangsrektor gewählt. Im Sommersemester 1974 begann dann der reguläre Lehrbetrieb der Universität mit der Immatrikulation der Studierenden für die neuen Diplom- und Lehramtsstudiengänge. Ende des Jahres 1974 hatte die Universität 2.989 Studierende in vier Fachbereichen: Erziehung und Sozialisation (Fachbereich I); Kommunikation und Ästhetik (Fachbereich II); Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (Fachbereich III); Mathematik und Naturwissenschaften (Fachbereich IV).

    Die Namensgebung

    Am 7. Februar 1974 hatte der Kultusminister die Grundordnung der Universität genehmigt. Dies wäre in einem Rückblick auf 25 Jahre Universitätsgeschichte kein besonders bedeutsames Ereignis, wenn mit der Grundordnung nicht der Name der Universität verbunden wäre. Der Kultusminister stimmte dem Entwurf der Universität ohne den vom Gründungsausschuß in § 1 gewünschten Namen »Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg« zu. Damit begann ein Konflikt, der erst am 3. Oktober 1991 mit dem Festakt zur Namensgebung nach dem Publizisten und Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky (1889–1939) endete. Die spektakulären Konflikthöhepunkte fielen in die Jahre 1974/75. Im Oktober 1974 brachten Studierende in einer nächtlichen Aktion am blauen Turm des Aufbau- und Verfügungszentrums den Namen »Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg« an. Das hatte wütende Proteste der Oldenburger Bürgervereine und der CDU-Landtagsfraktion zur Folge. Nach dem Scheitern eines Kompromißvorschlages der SPD/FDP-Landesregierung in der FDP-Fraktion ließ Wissenschaftsminister Grolle am 27. Juni 1975 den Schriftzug unter Polizeischutz entfernen. Vier Tage später brachten ihn die Studierenden wieder an.

    Im Gründungsausschuß war die Namensgebung nicht unumstritten gewesen, das hing aber weniger mit der Person Ossietzkys zusammen. Der Herausgeber der "Weltbühne", der Kritiker und Pazifist, von einer politisch einäuigen Justiz bereits 1931 wegen einer Veröffentlichung über die verbotene Aufrüstung der Reichswehr mit einer Gefängnisstrafe belegt, war von den Nazis im Lager Esterwegen in der Nähe Oldenburgs interniert worden. Die Erinnerung an diesen Mann entsprach durchaus der Idee einer demokratischen Reformuniversität. Daß sich daraus dennoch ein fast unentwirrbares Konfliktknäuel entwickelte, hatte mehrere Gründe. Zum einen war Ossietzky nicht nur ein Opfer der Nazis, sondern in gewisser Weise nach dem Zweiten Weltkrieg auch der DDR, die den Ossietzky-Nachlaß monopolisierte und nur ihr genehme Schriften zur Veröffentlichung freigab. Die in den ersten Phase überwiegend von DKP-Mitgliedern getragene Kampagne für den Namen "Carl von Ossietzky Universität Oldenburg" war dann auch vor allem der politisch durchsichtige Versuch, ein "Volksfrontbündnis" zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten herbeizuführen. Zum anderen verkannte die Universität anfänglich die Widerstände in der Bevölkerung. In einer Umfrage der Lokalzeitung votierten zwei Drittel der Befragten für den Namen "Universität Oldenburg". Die Verbindung mit dem Ortsnamen schuf offensichtlich eine starke Identifikation, und das Versäumnis der Universität lag insbesondere darin, daß sie in dieser ersten Phase wenig politische Aufklärungsarbeit und praktisch keine Forschungen zu Ossietzky betrieb. Schließlich verfestigte sich der Streit bei der Landesregierung in Hannover zu einer Grundsatzfrage. Die bis 1976 regierende SPD/FDP-Landesregierung verweigerte den Namen aus koalitionspolitischen Gründen. Die ihr folgende CDU-Landesregierung eskalierte den Konflikt, indem sie die Namensgebung zum Anlaß nahm, das Weisungsrecht des Staates gegenüber den Universitäten zu demonstrieren. Auch dies war eine politische Instrumentalisierung der Person Ossietzkys.

    Angesichts der Schwierigkeiten verfolgte die Universität spätestens seit 1978 eine Doppelstratgie. Einerseits beharrte sie auf ihrem Recht, sich "Carl von Ossietzky Universität Oldenburg" zu nennen. Andererseits betrieb sie eine offensive Aufklärungspolitik.

    1978 führte sie die "Ossietzky-Tage" ein, an denen prominente Referenten zu Grundfragen der Politik und Gesellschaft sprachen. Eine Initiative sammelte Geld für ein Carl von Ossietzky-Mahnmal, das an der Ammerländer Heerstraße aufgestellt wurde. 1979 übergab Rosalinde von Ossietzky-Palm der Universität den Nachlaß ihres Vaters, 1981 folgte die Gründung einer Carl von Ossietzky-Forschungsstelle. Das sichtbarste Zeichen dieser Aktivitäten sind das von der Universität initiierte und betreute Dokumentations- und Informationszentrum in Papenburg-Esterwegen und die achtbändige kommentierte "Oldenburger Ausgabe" sämtlicher Schriften Carl von Ossietzkys (fertiggestellt 1994). Diese editorische Leistung begünstigten drei Faktoren: die Ausdauer und die Sorgfalt einer interdisziplinären Forschungsgruppe, die Finanzierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (1988-1994) – und das Ende der DDR 1990, das einen unzensierten Blick auf Ossietzky ermöglichte.

    Die neue Strategie verschaffte der Universität nicht nur internationale Aufmerksamkeit, sie beeindruckte auch die Oldenburger Bevölkerung und Politik. In einer repräsentativen Umfrage Anfang 1980 äußerten sich mehr als 70 Prozent der Befragten positiv über die Universität. Als Namen bevorzugte zwar etwa die Hälfte immer noch "Universität Oldenburg", doch 35 Prozent stimmten zu diesem Zeitpunkt schon der Bezeichnung "Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg" zu. Zur Entspannung trugen überdies zwei Entscheidungen der Stadt bei. Seit 1981 verleiht sie den Carl von Ossietzky-Preis für herausragende wissenschaftliche Werke zur Person Ossietzkys oder zur Zeitgeschichte. Und sie gab der Straße, an der die Neubauten für die Naturwissenschaften 1984 fertiggestellt wurden, den Namen Carl-von-Ossietzky-Straße. Das Ende des Konflikts kündigte sich 1990 nach dem Wahlsieg der SPD und der Grünen in Niedersachsen an. Die neue Koalition verzichtete in einer Novellierung des Hochschulgesetzes mit Zustimmung der CDU auf die staatliche Prärogative und überführte das Recht der Namensgebung in die Hochschulautonomie. Die Universität Oldenburg nutzte dieses Recht sofort und trägt seit 1991 ganz offiziell den Namen "Carl von Ossietzky Universität Oldenburg".

    Das Wachstum 1974 - 1998

    "Leistungsindikator" ist ein Schlüsselwort der aktuellen Hochschulpolitik in Deutschland. Gemeint ist damit, daß alle Hochschulen einer Überprüfung ihrer Leistungen nach vergleichbaren Kriterien unterzogen werden und die staatlichen Zuwendungen sich am Leistungsrang einer Hochschule orientieren. Wendet man solche Kriterien rückwirkend auf die Entwicklung der Universität Oldenburg an, ergibt sich eine "Erfolgsgeschichte". Dieser Erfolg ist umso höher zu bewerten, als es keine Universitätsneugründung in Deutschland gab, die so wie die Oldenburger unter staatlichen Planungs- (ab)brüchen zu leiden hatte. Das begann mit ständig wechselnden Ausbauzahlen in den siebziger Jahren und setzte sich bis in die Gegenwart fort, etwa beim genehmigten und dann doch nicht realisierten Studiengang Elektrotechnik.

    Die Zahl der Studierenden stieg in fünfundzwanzig Jahren um mehr als das Vierfache (1974: 2989; 1984: 7.701; 1998: 12.115), die der Stellen für das wissenschaftliche Personal in Lehre und Forschung um etwa 80 Prozent (1974: 272; 1984: 407; 1998: 485). Das stärkste Wachstum verzeichnete der Sektor Dienstleistungen und Verwaltung (1974: 148; 1984: 571; 1998: 664). Darin sind die Stellen z. B. für die Bibliothek oder das Hochschulrechenzentrum enthalten, die für Forschung und Lehre unentbehrlich sind. Die Zahl der an der Universität Beschäftigten ist freilich sehr viel höher als die statistisch genaue Angabe der Stellenäquivalente. Sie betrug 1998 unter Berücksichtigung der Teilzeitbeschäftigten und der Angestellten in Drittmittelprojekten 1.788 Personen, dazu kamen 524 studentische Hilfskräfte. Die Universität ist damit in der Stadt Oldenburg der größte Arbeitgeber. Zusammengenommen stellen Studierende und Beschäftigte inzwischen die größte Wirtschaftskraft in der Region dar.

    Ein wichtiger Leistungsindikator ist darüber hinaus die Zahl der Prüfungen. Von 1988 bis 1997 – um nur die letzten zehn Jahre zu nehmen – schlossen insgesamt 7.995 Studierende ihr Studium mit dem Examen ab (5.194 Diplom- und Magisterstudiengänge; 2.801 Lehramtsstudiengänge), das waren durchschnittlich 800 Absolventen pro Jahr. Die Zahl der Promotionen stieg von 16 im Jahre 1982 auf 105 im Jahre 1997, für die Hochschullehrerlaufbahn qualifizierten sich in den letzten zehn Jahren durchschnittlich zwölf wissenschaftliche Nachwuchskräfte im Jahr durch Habilation. Die Menge der eingeworbenen Dritt- und Sondermittel vergrößerte sich kontinuierlich: 1977: 1,1 Millionen Mark; 1987: 12,6 Millionen Mark; 1997: 22,6 Millionen Mark DM.

    *) Prof. Dr. Hilke Günther-Arndt, seit 1973 an der Universität Oldenburg und Mitglied des Histrischen Seminars, ist die Autorin der"Geschichte der Carl von Ossietzky Universitätz Oldenburg" , die auch als Broschüre anläßlich des 25jährigen Jubiläums erschienen ist. Die Broschüre kannbei der Presse & Kommunikation angefordert werden.


  • Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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