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Ankommen in der Berliner Republik?

Ein kritischer Bericht zur Oldenburger Arendt-Adorno-Konferenz

Unter dem Thema "Hannah Arendt und Theodor W. Adorno: Das Jahrhundert verstehen" fand im Februar in der Universität und im Hanse-Wissenschaftskolleg eine Tagung statt (s. UNI-INFO 2/00). Veranstalter waren das Hannah-Arendt-Forschungszentrum und die Adorno-Forschungsgruppe. In der nächsten Ausgabe wird UNI-INFO eine Erwiderung der Veranstalter zu nachfolgendem Bericht veröffentlichen.

Ausgerechnet auf einer Tagung zu Hannah Arendt und Theodor W. Adorno, zwei Intellektuellen, die sich wie kaum andere in ihrem Werk und ihrem publizistischen Engagement den nationalsozialistischen Verbrechen gestellt haben, erhielten Forderungen nach einer Umbewertung der deutschen Vergangenheit ein Forum an der Universität Oldenburg.

Hätten Hannah Arendt und Theodor W. Adorno noch selbst befragt werden können, was für sie in das Zentrum für das Verständnis des 20. Jahrhunderts gehöre, so wären ihre Antworten wohl anders ausgefallen als die der Mehrzahl der Referentinnen und Referenten der Arendt-Adorno-Konferenz, die im Februar stattfand. Sowohl für Arendt als auch für Adorno bezeichneten die nationalsozialistischen Vernichtungslager den Geschichtsbruch, der Ausgangspunkt für ein Denken nach Auschwitz sein müsse. Hier hätte der vom Hannah Arendt-Zentrum, der Adorno-Forschungsgruppe am Institut für Soziologie und Sozialforschung und dem Institut für Politikwissenschaft II beabsichtigte Vergleich zwischen beiden Denkern fruchtbar werden können. Stattdessen wurden die Schriften Arendts und Adornos über den Nationalsozialismus zur heute irrelevanten Analyse erklärt oder es wurde ihnen in den Vorträgen kaum Beachtung beigemessen.

Anlehnung an Martin Walser

Gerade der Eröffnungsvortrag von Dagmar Barnouw (Los Angeles) stand ganz im Zeichen derzeitiger Schlussstrich- und Normalisierungsdiskussionen. Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin wandte sich vehement gegen die These der Einzigartigkeit von Auschwitz, die sich jeder rationalen Auseinandersetzung entziehe. Der quasi "religiöse Diskurs" über den Holocaust verhindere die Frage, "wer in welcher Situation und zu welchen Zwecken die 'Angemessenheit' kollektiver Erinnerung bestimmt". Für Barnouw schien die Beantwortung dieser "tabuisierten" Frage klar auf der Hand zu liegen. Sie schloss sich dabei explizit Martin Walser an, der Historizität für die deutsch-jüdische Vergangenheit eingefordert hatte. Ignatz Bubis und der "Gruppe, die er vertrat", sprich: den Juden, warf Barnouw dagegen vor, ein ureigenes Bedürfnis nach "Erhaltung eines supra-historischen jüdischen Holocaust" zu haben und sich damit eine "machtpolitisch höchst vorteilhafte Position" zu verschaffen, womit sie offen antisemitische Ressentiments artikulierte. Barnouw beharrte darauf, dass die "de facto Heiligsprechung des gesamten Komplex Holocaust" die "absolute Distanzierung" vom Nationalsozialismus unmöglich mache und so die Erinnerung und das Verständnis der Geschichte geradezu blockiere. Demgegenüber plädierte sie für eine Historisierung und Kontextualisierung des Nationalsozialismus und relativierte die Rolle und die Verantwortung der Täter. Diese wurden, wie Barnouw am Beispiel von Eichmann ausführte, zu Rädchen im Getriebe, die nur so handelten, weil die Umstände eben so waren - eine Behauptung, der Arendt in ihrem Eichmann-Buch vehement widersprochen hatte.

In der anschließenden Diskussion lobte Lothar Probst, Mitglied des Oldenburger Arendt-Zentrums, Barnouws mutigen "Vorstoß in vermintes Gelände" und machte deutlich, was dieser für die Deutschen an Möglichkeiten enthalte: Nun könnten die Deutschen endlich über ihre eigenen Opfer von Vertreibung und Vergewaltigung reden, was ihnen durch die zentrale Stellung des Holocaust immer verweigert worden sei. Auch pflichtete er Barnouw in der bewertenden Unterscheidung zwischen Assimilierungswilligen und -unwilligen bei. Barnouw hatte mit ihrem eigentlichen Thema, der Beziehung Adornos und Arendts zu "Amerika", der weltoffenen Arendt den paranoiden und ideologisch verschlossenen Adorno gegenübergestellt. Im Gegensatz zu Arendt habe Adorno die US-amerikanische Gesellschaft bedingungslos abgelehnt und sich durch einen mangelnden Assimilationswillen ausgezeichnet. Arendt habe sich sofort bemüht, "wirklich Englisch zu lernen".(1) Adorno dagegen habe sich auf die US-amerikanische Sprache und Kultur erst gar nicht einlassen wollen (2) und seine Ablehnung der Massenkultur in aggressiv vereinfachender Weise in der "Dialektik der Aufklärung" verarbeitet, in der sich für Barnouw die Paranoia Adornos manifestierte. Um Aktualisierungen bemüht, schlug Probst vor, dass die Integrationsbereitschaft die Grundlage für die Frage nach der Gewährung von Rechten für Migrantinnen und Migranten sein könnte - eine Überlegung, mit der sich Probst ganz auf der Linie der restriktiven bundesdeutschen Einbürgerungsbestimmungen befindet.

Gesunder Menschenverstand

Antonia Grunenberg, Leiterin des Hannah Arendt Zentrums an der Universität Oldenburg, versuchte in ihrem Beitrag, den Begriff des Verstehens bei Hannah Arendt in Reaktion auf den "Zivilisationsbruch" nach Auschwitz zu thematisieren. Die Sinnlosigkeit der Vernichtungslager entziehe sich den traditionellen Kategorien des Denkens. Grunenberg übernahm deswegen Arendts Diktum, "ohne Geländer zu denken". Der "Ariadnefaden des gesunden Menschenverstandes", der eine Kritik an der sozialwissenschaftlichen Tradition sowie an deterministischen Erklärungsmodellen anschließe, wurde als ein "außerwissenschaftliches Vorverständnis" interpretiert, das Versöhnung und einen neuen Anfang ermögliche. Bei diesen Ausführungen berücksichtigte sie aber nicht, dass der Begriff des gesunden Menschenverstandes angesichts der Realität der nationalsozialistischen Vernichtungslager bei Arendt selbst eher eine kritische Verwendung findet: "Zwischen den platt gewordenen Regeln des gesunden Menschenverstandes, die keinem modernen Ereignis mehr adäquat sind, und der Verstiegenheit der Ideologie muss der Geschichtsschreiber seinen Weg zu finden versuchen, und das heißt auf viele lieb gewordenen Gewohnheiten und Methoden verzichten. Er muss lernen, gleichsam ohne Geländer zu denken."(3)

Als einzige unternahmen Lars Rensmann (Berlin) und Alexander Garcia Düttmann (London) den Versuch, die Theorien Adornos und Arendts produktiv aufeinander zu beziehen. Garcia Düttmann nahm den Essay Arendts "Wahrheit und Politik" zum Anlass einer Auseinandersetzung über die "moderne Lüge", die Wirklichkeit vernichte. Die Fiktion einer Rassengesellschaft sei Arendt zufolge in den Vernichtungslagern Realität geworden. Diese künstlich hergestellte Wirklichkeit sei es, die den Unglauben hervorrufe, oder, wie Adorno es ausdrückte, es sei das Grauen selber, das seinen Schleier produziere. An diesem Phänomen scheitere das Denken des "gesunden Menschenverstandes" (Arendt).

Rensmann vertrat die These, dass Arendt und Adorno, trotz ihrer großen theoretischen Differenzen, vor allem in ihrer Kritik am Nachkriegsdeutschland zu verblüffenden Übereinstimmungen gekommen seien. Die Rückkehr nach Deutschland und die Konfrontation mit den Verleugnungsstrategien der deutschen Bevölkerung habe bei beiden einen "zweiten Schock" bewirkt. Der Widerwille der deutschen Gesellschaft, sich dem Grauen zu stellen, die Verweigerung von Verantwortungsübernahme und das um sich greifende Selbstmitleid der Deutschen waren nach Rensmann für Arendt und Adorno konstitutives Element des deutschen Nachkriegsbewusstseins. Vor allem vor diesem Hintergrund seien auch die neuen Studien zum derzeitigen Antisemitismus in Deutschland interessant, um die heutige Aktualität von Arendts und Adornos Nachkriegsanalysen aufzuzeigen.

Aktuelle Analysen werden ignoriert

Allein die Erwähnung eines noch vorhandenen Antisemitismus bewertete Barnouw als "Irrsinn", und Zoltan Szankay, wie Probst und Grunenberg Mitinititator des Bremer Hannah Arendt Preises, sah in derlei Äußerungen den "antifaschistischen Wahn" am Werk.(4) Damit wurden nicht nur die Ergebnisse aktueller Analysen zum Antisemitismus und Rassismus ignoriert, sondern auch Schlüsse, die Adorno und Arendt in ihren Analysen für die Zeit nach 1945 gezogen haben: "Dass der Faschismus nachlebt, [...] rührt daher, dass die objektiven gesellschaftlichen Voraussetzungen fortbestehen, die den Faschismus zeitigten." (5) Und: "Tatsächlich ist der Antisemitismus eine der gefährlichsten politischen Bewegungen unserer Zeit. Der Kampf gegen ihn ist eine der lebenswichtigen Aufgaben der Demokratien, und wenn er überlebt, dann ist dies eines der bedeutsamsten Anzeichen für künftige Bedrohungen." (6)

Solche Sichtweisen passen nicht in die vorherrschenden Bemühungen, Arendt für einen Gründungsmythos der Berliner Republik zu vereinnahmen und den konstitutiven Zusammenhang zwischen der Arendtschen Theorie und dem Nationalsozialismus auszublenden. Wenn konstatiert wird, dass sich eine nationale Identität in Deutschland nicht auf den Leichenbergen von Auschwitz aufbauen ließe (Probst), dann ist die Zielsetzung einer solchen Intervention klar: Es geht um den Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit und die Konstruktion einer positiven deutschen Identität. Zu diesem Zweck werden einzelne Theoreme aus Arendts Werk eklektizistisch herausgegriffen und zentrale Themen, wie Antisemitismus, Imperialismus, Staatenlosigkeit und Vernichtungslager, ausgeblendet. Setzt sich diese Tendenz der gegenwärtigen Arendt-Rezeption künftig auch am Oldenburger Arendt-Zentrum durch?

Dirk Auer, Cordula Behrens-Naddaf, Ahlrich Meyer, Ronald Sperling, Klaus Thörner, Anika Walke (Angehörige des Fachbereichs Sozialwissenschaften)

1) Dagegen Arendt: "Egal war wir tun und wer wir vorgeben zu sein, wir enthüllen damit nur unser wahnwitziges Verlagen, jemand anderer, bloß kein Jude zu sein [...] wir tun so, als seien wir englischsprachig [...] nur um unser Jude-Sein zu verbergen. Es gelingt uns nicht, und es kann uns auch nicht gelingen; unter der Oberfläche unserers 'Optimismus' kann man unschwer die hoffnungslose Traurigkeit von Assimilangen ausmachen.", aus: Wir Flüchtlinge, (Herv. d. V.).

2) Dagegen Adorno: "Hochmut gegen Amerika in Deutschland ist unbillig." aus: Auf die Frage: Was ist deutsch?, in: GS 10.2, S. 697.

3) Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 1986, S. 35. 4) Vgl. auch: Antonia Grunenberg: Antifaschismus - ein deutscher Mythos, Reinbek bei Hamburg 1993.

5) Adorno, Theodor W.: Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 566.

6) Arendt, Hannah: Antisemitismus und faschistische Internationale, in: Nach Auschwitz, Berlin 1989, S. 32.


uni-info . 3/2000

Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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