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Ausschlaggebend ist die persönliche Geschichte

Unternehmensgründungen durch Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen / Von Alf Baumhöfer*

“Existenzgründung“ heißt das neue Zauberwort, das - im Zeitalter der Individualisierung - durch alle Lande hallt. Hier eine Messe, dort ein Wettbewerb, die HochschulabsolventInnen den Weg in die Selbständigkeit schmackhaft machen sollen. Alf Baumhöfer, Absolvent der Universität Oldenburg, ist seit über zehn Jahren als selbständiger Unternehmensberater in Oldenburg tätig. Er berichtet über seine Erfahrungen und beleuchtet die allgemeine Entwicklung der vergangenen Jahre.

Während meines wirtschaftwissenschaftlichen Studiums (1975-1979) an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg habe ich nicht im entferntesten daran gedacht, mich nach dem Abschluss zum Diplom-Ökonom unternehmerisch zu betätigen. Ich hatte in dieser Zeit des Protestes, der gesellschaftlichen Visionen und Umbrüche die vielen kleinen und großen Motoren unserer Wirtschaft nicht im Blickfeld, obwohl ich aus einem 100-jährigen Einzelhandelsunternehmen stamme, bei einer Bank ausgebildet wurde und dort gearbeitet habe sowie Betriebswirtschaft studierte. Einige Stationen in Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen führten mich zur Unternehmensberatung; aber erst die Kooperation mit einem Kollegen führte mich in die unternehmerische Selbständigkeit. Seit über 17 Jahren berate ich u.a. Unternehmensgründer und -gründerinnen bei Aufbau und Weiterentwicklung ihrer Vorhaben - fast 30 Prozent unserer Kunden sind AkademikerInnen.

AkademikerInnen und Selbständigkeit
In Deutschland machten sich in den letzten Jahren zwischen 500.000 und 700.00 Menschen pro Jahr selbständig und meldeten ein Gewerbe bzw. eine freiberufliche Tätigkeit an. Zur Zeit sind 9 Prozent der Erwerbspersonen selbständig; vor 40 bis 50 Jahren waren es noch 12-15 Prozent - in den USA, in Großbritannien und Frankreich ist die Selbständigenquote 25-40 Prozent höher. In Deutschland gibt es ein regionales Gefälle: Während in München 1998 118 Gründungen auf 10.000 Einwohner gezählt wurden, sind es in Hessen 92, in Niedersachsen nur 67 Gründungen und in der Stadt Oldenburg immerhin 103 (1999, nur Gewerbeanmeldungen). 75 Prozent der Unternehmer und Unternehmerinnen haben eine abgeschlossene Berufsausbildung und 80 Prozent eine Berufserfahrung von mehr als zehn Jahren. 70 Prozent der Selbständigen sind männlich - zurzeit erfolgt aber schon jede dritte Gründung durch eine Frau. In den ersten drei Jahren scheitern über 50 Prozent der Unternehmensgründungen aus den verschiedensten Gründen: Etliche haben eine zu geringe Kapitaldecke, viele unterschätzen die Dauer der Anlauf- und Aufbauzeit des Unternehmens, manche haben zu große Qualifikationsdefizite, einige haben zu geringe Marktanteile usw. - und manche finden einen lukrativeren Job als Angestellte.

Die Akademiker spielen in dieser Statistik erst in den letzten Jahren eine wachsende Rolle: In der Vergangenheit sind fast 50 Prozent aller Hochschulabsolventen in den Öffentlichen Dienst gegangen - das traditionelle Sicherheitsdenken ist hierfür ein Grund. Ein weiterer großer Anteil von Akademikern arbeitet bei größeren Unternehmen. Bedeutung hat hierbei auch, dass Hochschüler kaum mit dieser beruflichen Alternative konfrontiert werden und während des Studiums überwiegend große Unternehmen und Verwaltungen Studienobjekte sind. Die akademische Selbständigkeit wude überwiegend von Ärzten, Rechtsanwälten, Architekten und Steuerberatern geprägt. Trotzdem war in den 90er Jahren fast jeder sechste Unternehmer AkademikerIn und direkt nach der Hochschulausbildung haben sich immerhin 7 Prozent aller Hochschulabsolventen selbständig gemacht.

Natürlich spielt die Dynamik in der Wirtschaft, die gesellschaftliche Akzeptanz und die Förderung der unternehmerischen Selbständigkeit eine Rolle, aber jeder Gründungswillige hat eine persönliche Geschichte, die immer den Ausschlag gibt: Das Verwirklichen von eigenen Ideen, fehlende berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, betriebliche Reorganisation, Outsourcing (Ausgründungen), nicht zu ertragende Vorgesetzte, (drohende) Arbeitslosigkeit, persönlicher Freiheitsdrang, unternehmerische Erfahrungen im Elternhaus - und vor allem Zufälle.

Die Visionäre der 80er Jahre
Bevor Mitte der 90er Jahre die Unternehmensgründungen bei fast allen Bevölkerungsschichten “modern“ und von den staatlichen Institutionen als Arbeitsplatzbeschaffer gefördert wurden, gab es in den 80er Jahren eine so genannte Bewegung von “neuen Selbständigen“:

Ausläufer der 68er Bewegung, die nicht den “Marsch durch die Institutionen“ angetreten hatten; Menschen, die “alternativ“ bzw. “ökologisch orientiert leben“ wollten, arbeitslose Idealisten und im weiteren Sinne von den Berufsverboten Betroffene belebten mit teilweise neuen Ideen die unternehmerische Landschaft. Am bekanntesten ist die Öko-Bewegung, die Naturkostläden, den ökologischen Landbau, das ökologisch orientierte Handwerk und die Produktion, die alternativen Fahrradläden und Reiseveranstalter sowie Tagungs- und Bildungshäuser entstehen ließ. Diese“neuen Selbständigen“ waren oft arbeitslose Lehrer/innen und SozialwissenschaftlerInnen. Zusätzlich gab es zu dieser Zeit an der Universität in Oldenburg eine Förderung der Selbständigkeit durch den damaligen Hochschulsportbeauftragten Dr. Christian Wopp (heute Professor für Sportwissenschaft an der Universität Osnabrück): Dem Freizeitsport an der Universität und in der Stadt Oldenburg wurden nicht nur neue Impulse gegeben, sondern hier wurden StudentInnen und AbsolventInnen der Universität beschäftigt, die zuerst als wissenschaftliche Hilfskräfte und ABM-Beschäftigte gefördert wurden und sich später aufgrund dieser Erfahrungen selbständig machten (Spielmobil, Mitmach-Zirkus, Reiseveranstalter, Hersteller von innovativen Freizeitsportartikeln usw.). Soweit mir bekannt, ist keiner dieser neuen Unternehmer im herkömmlichen Sinne gescheitert: Einige sind in ihrem Bereich Marktführer - einmal sogar europaweit Die meisten haben ein durchschnittliches Einkommen und ein Teil hat nach mehr als zehnjähriger Selbständigkeit eine neue Beschäftigung im Schuldienst gefunden. Ein Grund für die geringe Pleitequote war die realistische Herangehensweise, gepaart mit ideellem Eifer und materieller Bescheidenheit.

Vergessen werden sollten aber auch nicht die in dieser Zeit nicht eingestellten Lehrer und Lehrerinnen, die Kneipen, Tanzschulen, Second-Hand-Läden etc. erfolgreich betrieben und zum Teil immer noch betreiben.

Ohne Ideale: die 90er Jahre
Die Unternehmensgründer und -gründerinnen in den 90er Jahren bis heute haben nicht die manchmal hemmenden Ideale der “Neuen Selbständigen“: Mit Pragmatismus und materiellem Erfolgsanspruch treten sie unternehmerisch auf. Naturwissenschaftler, Informatiker, Ökonomen, (ehemals) wissenschaftliche Mitarbeiter und Hochschullehrer benutzen als Sprungbrett für eine (Teil-)Selbständigkeit Forschungsvorhaben bzw. Drittmittelprojekte. So entstanden als bekannte überregionale Projekte die Ökobank in Frankfurt, das Trendbüro in Hamburg und der Softwareentwickler IDS Scheer AG. Oft sind es Dienstleister in neuen Märkten: Softwareentwickler, Trainer, Biologen (Mikrovermehrung, Biotechnologie, Umweltanalytik), Messtechniker, Wasserstofftechnologen, Multimedia-Spezialisten - aber auch der Verkauf von hochwertigem Fast-Food, Bringdienste, Call-Center, psychologische Praxen und verschiedene Gesundheitsdienste wurden und werden von AkademikerIinnen gegründet.

In Oldenburg werden aber auch Unternehmensgründungen von den universitätsnahen Einrichtungen DIALOG, POWER Nordwest und dem Informatik-Institut Offis aus Forschungs- und Arbeitszusammenhängen gefördert. Offis hat hierbei weitreichende Pläne: Neben einem “Informations- und Kommunikationszentrum“ für junge Softwareunternehmen soll das alte Fleiwa-Gelände wirtschaftliche Aktivitäten in den Bereichen Hotel, Gastronomie, Tagungen, Fitness und Welness entfachen. Pikanterweise gab es in den 80er Jahren schon eine Initiative von Christian Wopp, der um die Universität gruppierte Projekte und Unternehmen verbunden mit einem Gesamtkonzept auf dem Fleiwagelände ansiedeln wollte. Die städtische Politik und Verwaltung ließ sich damals nicht begeistern.

Wie in den 80er Jahren sind es auch in der jüngsten Vergangenheit die “Ziehväter“, die einigen UnternehmensgründerInnen beim Start in die Selbständigkeit den "Steigbügel“ halten.

Trends, Stärken und Schwächen
Sowohl die akademischen Gründer und GründerInnen der 80er wie auch der 90er Jahre hatten immer ein gravierendes Problem: Die Ablösung aus dem “sicheren“ Schoß der Universität, vor allem aufgrund der Unkenntnis von der “wirtschaftlichen Außenwelt“. Dieser Sprung ins “kalte Wasser“ des unternehmerischen Risikos wird bestimmt auch nicht in Zukunft zu verhindern sein, da eine dauerhafte inneruniversitäre Finanzierung kaum wahrscheinlich ist.

Das stetige Wachstum der Wissens-, Informations- und Dienstleistungswirtschaft, weitere technologische Durchbrüche insbesondere in den Bereichen Kommunikation, Biotechnologie und Gesundheit und die Deregulierung bzw. das Outsourcing bieten aber zunehmend Chancen für Unternehmensgründungen nach der Hochschulausbildung. Im Zuge dieser Entwicklung wird auch eine grundlegend veränderte Beziehung zwischen Wohnen und Arbeiten, Arbeitszeit und Freizeitverhalten zu erwarten sein. Einzelunternehmer, Freelancer, Solisten werden insbesondere von Zuhause aus flexibel und kreativ ihre Leistungen anbieten. Schon in den letzten sechs Jahren haben insbesondere (akademische) Selbständige ohne Beschäftigte (+ 75 Prozent) gegenüber Selbständigen mit Beschäftigten (+ 10 Prozent) Furore gemacht. Wichtig ist für den kaufmännisch unerfahrenen Akademiker, realistisch an das Vorhaben heranzugehen, denn unternehmerische Fehler werden sich gerade bei nur theoretisch gebildeten Unternehmern zuhauf einstellen.

Deshalb ist es von Nutzen, qualifizierte Seminare und Beratung in Anspruch zu nehmen, um auf grundsätzliche unternehmerische Herausforderungen antworten zu können :

  • realistisches Unternehmens- und Wirtschaftlichkeitskonzept;
  • Marketingkonzept bei Gründung und Aufbau;
  • ausreichende Ausstattung mit Eigen- und Fremdkapital;
  • monatliche Liquiditätsplanung.

Hierbei wird natürlich vorausgesetzt, das der Unternehmensgründer bzw. die -gründerin fachlich qualifiziert und für das Leistungsangebot ein ausreichender Markt vorhanden ist. Auch wenn der Unternehmenserfolg am Anfang größer als geplant ist, sollte man auf dem Boden bleiben, um nicht zu den “Golden Boys“ (André Kostolany) zu gehören, die schon am Anfang ihres unternehmerischen Daseins nicht mehr die Versicherung für ihren Porsche zahlen können - denn der Unternehmenserfolg wird bestimmt durch die unternehmerischen Fähigkeiten jedes einzelnen Unternehmers und jeder einzelnen Unternehmerin.

 

* Der Autor ist gelernter Bankkaufmann, Studium u.a. an der Universität Oldenburg im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften mit dem Abschluss Diplom-Betriebswirt und –ökonom, anschließend zweijährige Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter, seit über zehn Jahren als Unternehmensberater in Oldenburg selbständig.

 

Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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