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- "Wir sollten nicht überrascht sein, dass
Wissen heute einen weltweiten Markt hat"
Auszüge aus Konrad Schilys Rede über "Regionalisierung und Globalisierung als Herausforderung für die Universitäten der Zukunft"
Wenn wir über Europa sprechen, so sprechen wir über jenes Gebiet, das eigentlich unsere geistige Heimat ist, denn die Europäer haben - auch wenn sie immer wieder grausige Kriege untereinander geführt haben - geistig, wissenschaftlich, kulturell voneinander gelebt. Ein Newton und ein Shakespeare, ein Dante, ein Cervantes, ein Decartes - um nur ganz wenige zu nennen - sind konstituierend nicht nur für die Kultur ihres eigenen Landes oder ihrer Nation, sondern für die Bildung in allen Ländern, die sich in den Jahrhunderten oder fast zwei Jahrtausenden nach dem griechisch-römischen Kulturkreis entwickelt hat...
Blickt man auf die Wanderungsströme der Studierenden international, so sieht man, dass internationale Maßstäbe heute von den US-amerikanischen Universitäten (dort sowohl von den staatlichen als auch von den privaten) gesetzt werden, gefolgt von einigen englischen Universitäten. Frankreich hat immer noch eine gewisse Zuwanderung aus den afrikanischen früheren kolonialen Ländern, aber das ist es dann auch.
Die genannten Universitäten aus dem angelsächsischen Raum - insbesondere die aus den Vereinigten Staaten aber auch aus Australien - haben sich globale Ziele gesetzt. Studium, Qualifikation sind ein Teil des Dienstleistungssektors geworden, mit einem erheblichen Anteil inzwischen am gesamten Dienstleitungsaufkommen dieser Länder. Diese Universitäten werden Teil sich globalisierender Wissensmärkte. Voraussetzung hier wie bei allen Märkten sind bestimmte Standards der Marktteilnehmer. In unserem Falle haben sich die Qualifikationsgrade Bachelor und Master US-amerikanischer Prägung als Standards durchgesetzt. Die Entwicklungen in Bremen, Frankfurt und Hannover sowie in anderen Orten in Deutschland zeigen, dass unser Land davon nicht ausgenommen bleibt. Europa wird zum Operationsgebiet amerikanischer Universitäten!
Auch dies ist ein Zeichen der Globalisierung, zu der auch die europäische Wissenschaft kräftig beigetragen hat. Globalisierung ist letztlich ein Ergebnis dessen, was sich technisch und wissenschaftlich in den Zeitläufen ergeben hat. Wo wir den Anfang dieser Entwicklung setzen, ist ziemlich gleichgültig - wir können die Entdeckung der Dampfkraft, die erste Entwicklung schneller pneumatischer Rechenmaschinen, das erste Transatlantik-Kabel oder anderes jeweils als einen Markierungspunkt nehmen. Ergebnis jedenfalls ist, daß unsere gesamte Welt wissenschaftlich und technisch immer weiter durchdrungen wird. Wenn auch die Menschen sich in Zukunft mit Sicherheit ernähren, kleiden und behausen müssen, werden jedoch die Werkzeuge zur Erreichung dieser Ziele einer fortgesetzten Änderung - eben durch Wissenschaft - unterliegen. Der Bäcker wird sicher weiter Brot backen - aber mit algorithmisch gesteuerten Backstraßen...
Wir sollten deshalb nicht überrascht sein, dass Wissen heute einen weltweiten Markt hat und dass die Nachfrage nach Wissen groß ist, denn auch der am Markt teilnehmende Handwerker - nicht nur die Industrie - kann nur im Markt bleiben, wenn er neues Wissen selbst erzeugt oder abfragt - das heißt: kauft.
Viele glauben, dass in der Wissensproduktion die eigentliche Wertschöpfung der Zukunft liege. Davon könnten auch die Universitäten profitieren - der Presse habe ich jüngst entnommen, dass die forschenden US-amerikanischen Universitäten bereits über 500 Millionen Dollar jährlich aus Lizenzen erzielen, mit einem jährlichen Wachstum von rund 20 Prozent.
Ob die Wissenschaft nützlich sein soll oder der allgemeinen Bildung des Menschen dienen soll, ist ein Gegensatz, der die Universitäten fast immer begleitet hat. In der gegenwärtigen Diskussion überwiegt der Aspekt der Nützlichkeit: Wer Stellungnahmen der Wissenschaftsministerien liest, liest überwiegend industrie-politische Argumentationen; Wissenschaftspolitik wird zu Standortpolitik - durch die hochentwi- ckelte Kommunikationstechnik, mit der Kapitalströme über die ganze Welt bewegt werden, und durch die ständig verbesserten Transportmöglichkeiten für Produkte hat sich eine globale Wirtschaft ergeben, die den Druck auf eine ständige Verbesserung und Verbilligung der Produkte permanent erhöhen. Der europäische Einigungsprozess war Antrieb und Antwort dieser Entwicklung, auf die auch die Universitäten sich werden einstellen müssen.
Im Bereich der Forschung - jedenfalls in der naturwissenschaftlichen Forschung im weitesten Sinne - ist Internationalität eine Selbstverständlichkeit. Forschergruppen kooperieren über Kontinente hinweg, ebenso wie sie konkurrieren. Der Wettbewerb ist global - das entscheidende Kriterium ist der Innovationszeitpunkt; wo eine Arbeitsgruppe sitzt, die den Bauplan eines Gens entschlüsselt, ist völlig irrelevant. Der Bereich der Lehre hingegen ist weiterhin - jedenfalls in Europa - durch eine kleinräumige Orientierung geprägt. In der Bundesrepublik sind die Orientierungen - Stichwort "wohnortnahes Studium" - sogar eher regional denn national. Dieses Modell wird keinen Bestand haben können, weil es den zukünftigen Lebens- und Arbeitswelten nicht entspricht. Universitäten werden sich perspektivisch aus der engen Bindung an und der Bevormundung durch Gebietskörperschaften herausentwickeln müssen...
Bevor ein Universität ein going global als ein strategisches Ziel umsetzen kann, ist es erforderlich, der Universität als Organisation umfassende Autonomie zu verleihen. Alle relevanten Entscheidungen müssen innerhalb der Organisation durch die Organisation getroffen werden können. Solange Unversitäten strukturell den Status eines Kombinats innerhalb einer Zentralverwaltungswirtschaft aufweisen, ist Entwicklung in einem substantiellen Sinne nicht zu erwarten. Der in der Realität längst gescheiterte Anspruch, dass die Universitäten innerhalb der Bundesrepublik ein übereinstimmendes Qualitätsniveau besitzen, muß aufgegeben werden... Differenzierung im Wettbewerb ist Voraussetzung für Entwicklung - wo politisch Vielfalt unterbunden wird, kommt jeder Veränderungsprozess, der gesellschaftlich maßgeblich durch Beispiel und Nachahmung, durch Innovations- und Imitationswettbewerb getrieben wird, zum Erliegen...
Das going global in intelligenter Weise zu organisieren, wird darüber entscheiden, ob eine Universität zukünftig in der internationalen Liga relevanter Forschungsuniversitäten mitspielt oder beim Zugriff auf herausragende Studierende, auf die sogenannten high potentials im Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses, und im Bereich der Wissenschaftler an den Rand der Provinzialität gedrängt werden. Prinzipiell muß eine Universität das Recht haben, über ihre Globalisierungsstrategie selbst zu entscheiden...
Die Potentiale, die herausragende europäische Universitäten durch die Bildung strategischer Allianzen erschließen könnten, sind erheblich. Die geringe internationale Präsenz europäischer Universitäten - mit Ausnahme einiger britischer, ich sagte das schon - steht in einem eklatanten Gegensatz zur verfügbaren Substanz, Qualität und Größe der vorhandenen Einrichtungen. Die Kooperationstiefe eines Verbundes europäischer Hochleistungsuniversitäten muß weit über die heute üblichen Partnerschaften hinausgehen - und davon haben Sie in Oldenburg eine ganze Reihe.
Solche Zukunftsvisionen lassen sich nur erreichen, wenn eine Reform der den Universitäten von außen auferlegten Restriktionen tatsächlich konsequente innere Veränderungsprozesse, die aktiv aus den Universitäten heraus betrieben werden, induzieren. Die europäischen Universitäten werden in Zukunft stärker als heute unternehmerische Organisationen sein müssen. Das mag manchen erschrecken, der in der gegenwärtig zu beobachtenden Entwicklung der radikalen Marktausdehnung zunehmend eine Kolonialisierung der Lebenswelt durch die Ökonomie, eine Ökonomisierung der Lebenszusammenhänge sieht. Vor einer vorschnellen Ablehnung des Modells einer unternehmerischen Universität sei aber gewarnt - unternehmerisches Handeln auf den Aspekt monetärer Gewinnerzielungsabsicht zu reduzieren, greift zu kurz.
Unternehmerisches Handeln heißt nichts weiter, als das ökonomische Prinzip zur Anwendung zu bringen. Notwendigerweise begrenzte Ressourcen stehen prinzipiell unendlichen Zielen gegenüber. In fast jeder Situation muß immer wieder neu über die Frage entschieden werden, mit welchem Mitteleinsatz welche Ziele angestrebt werden. Günstige Zielerreichung ist dabei die Maxime...
Unternehmerische Führung einer Organisation heißt zunächst, Willensbildung und Willensdurchsetzung zu organisieren. Der Prozess der Willensbildung ist - und dies gilt auch für modern geführte Unternehmen - kein einsamer Entscheidungsprozess in einem kleinen Zirkel innerhalb einer pyramidenhaften Hierarchie, an deren Spitze die Entscheidungsmacht des Präsidenten gebündelt ist. Die Qualität eines Willensbildungsprozesses und die Qualität der Entscheidung hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingt, das innerhalb einer Organisation verfügbare relevante Wissen innerhalb eines Entscheidungsprozesses zu mobilisieren und wirksam werden zu lassen.
In der europäischen Universität der Zukunft wird - gerade, wenn sie unternehmerisch geführt wird und wenn sie über alle Hoheitsrechte verfügt, d.h. die Personalfindung selbstständig durchführt, vermögensfähig ist, in eigener Verantwortung Verträge schließt - der innerste Kern der Universität entscheidend wichtig. Eine Universität, die sich von der Grundlagenforschung trennt, in der die Wahrheitsfrage nicht immer wieder neu gestellt wird, trennt sich vom lebendigen Geist der Universität (Jaspers/Gundolf) und wird im besten Fall zu einer Ansammlung von Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen. Ich habe soviel Zeit für die "unternehmerische" Universität verwendet, weil es mir sicher scheint, dass strukturelle Reformen eine entscheidende Voraussetzung erfolgreicher Wettbewerbshandlungen sein werden. Wir werden uns eben den Herausforderungen der expansiven Strategie im globalen "war for talents" angelsächsischer bzw. US-amerikanischer Universitäten nur stellen können, wenn wir uns in der Folge struktureller bzw. institutioneller Reformen rasch, von Einrichtungen der staatlichen Daseinsvorsorge zu autonomen Akteuren der globalen Bildungsindustrie entwickeln. Zur Zeit sind wir in diesem Bereich hoffnungslos abgeschlagen. Unser Ausländeranteil beträgt etwa 5,6 Prozent mit sinkender Tendenz. In den Vereinigten Staaten wird zurzeit nahezu jeder zweite Studienabschluss in den Natur- und Ingenieurwissenschaften von einem non-United-States-citizen abgelegt.
Die Durchführung wichtiger struktureller Reformen, die neue Handlungsmöglichkeiten und echte Leistungsanreize schaffen, würden für die kontinental-europäischen Universitäten interessante, ja vielversprechende Ansätze für eine erfolgreiche Positionierung im globalen Bildungsmarkt ergeben. Das unkopierbare Potential europäischer Universitäten liegt in der kulturellen Vielfalt Europas.
Um diese Potentiale nutzen zu können, wird die autonome, wettbewerbsfähige Universität der Zukunft europäische Allianzen schmieden. Universitätskonsortien oder Universitätsverbünde, innerhalb derer Universitäten in wechselseitiger Abstimmung gemeinsame Studiengänge durchführen, ihre Forschung über Länder- und Hochschulsystemgrenzen hinweg organisieren und ihre Dienstleistungen international anbieten - diesen gehört die Zukunft.
Drei Universitäten aus drei europäischen Nationen, die ein qualitativ hochwertiges, organisatorisch sauber strukturiertes Studium an drei Standorten gemeinsam durchführen, bieten Studierenden einen entscheidenden Mehrwert: Neben die Vermittlung des disziplinären Wissens tritt - quasi als Koppelprodukt - interkulturelle Erfahrung, ohne die in einer globalisierten Welt auch das beste disziplinäre Wissen nicht mehr viel wert sein wird. Man stelle sich vor: Ein dreijähriger Bachelor-Studiengang wird zu gleichen Teilen in drei unterschiedlichen Ländern durchgeführt...
Die zukünftige exzellente fachliche Ausbildung muss ihre Ergänzung finden durch kultur- und geisteswissenschaftliche Elemente. Wenn wir fordern, dass zukünftige Manager oder Ingenieure sich - zumindest exemplarisch - mit Philosophie zu befassen haben, folge ich nicht in erster Linie einem bürgerlich-humanistischen Bildungsideal. Ein bewußter erkenntnistheoretischer Standpunkt ist kein akademisches "nice-to-have", sondern eine ungeheuer praktische Navigationshilfe in komplexen Umfeldern.
Dies vorausgesetzt werden Sie verstehen, warum ich mit einem Vorschlag Europäische Stiftungsuniversitäten an die Öffentlichkeit getreten bin. Ziel dieses Vorschlages ist, dass jede europäische Nation eine Universität ihres Einflußbereichs freigibt, d.h. "stiftet". Also meinetwegen Holland, Frankreich, England, Dänemark, Deutschland machen den Anfang, entlassen jeweils eine Universität in die Freiheit, stiften sie, machen sie zur eigenen Firma. Diese Universität muss dann über die volle Personalhoheit, Finanzhoheit, Vermögenshoheit etc. verfügen. Ich sagte, die Länder müssen diese Universitäten "stiften", d.h. sie müssen sie weiter alimentieren...
Der weitergehende Vorschlag ist, dass die so verselbstständigten Universitäten sich in einem Zentralorgan der europäischen Universitätsstiftung zusammenschließen. Über dieses Zentralorgan bewirken die Universitäten ihre gemeinsamen Verabredungen, das Setzen von Standards etc. Wir haben weiter vorgeschlagen, dass die verselbstständigten Universitäten zwei Stiftungsauflagen bekommen.
1. Sie müssen jedem, der an einer europäischen Stiftungshochschule Aufnahme gefunden hat, auch bei sich Zugang gewähren, und
2. Sie dürfen keine Schlussqualifikation erteilen, wenn nicht eine wesentliche Zwischenqualifikation an einer Hochschule in einem anderssprachigen Land von dem Studierenden erworben worden ist. Damit würde sich eine außerordentliche Wanderungsbewegung ergeben; man kann schätzen, dass an einer solchen Stiftungshochschule etwa 1/3 der Studierenden nicht der jeweiligen Landesnationalität angehören würde. Denn, wie gesagt, die geringe internationale Präsenz steht im Gegensatz zum vorhandenen Potential der Universitäten. Die Vielfalt Europas bietet eine besondere Chance im internationalen Wettbewerb. Während in der Abgrenzung, im Partikularismus, die Schwäche Europas liegt, eröffnet eine Zusammenführung in eine "Einheit in der Vielfalt" den Universitäten Europas herausragende Erfolgschancen...
Die wirtschaftliche und politische Einigung Europas ist ein großartiger Prozess. Das Europa der Kultur und Bildung aber, das sich parallel zum Europa der gemeinsamen Währung entwi- ckeln muss, entsteht nur dann, wenn die zukünftigen Leistungsträger der europäischen Gesellschaften die Vielfalt Europas als selbstverstständlichen Teil ihres individuellen Bildungsprozesses erfahren und dabei die Kompetenz aufbauen, mit dieser Vielfalt gleichermaßen sensibel wie produktiv umzugehen. Dies wird nicht im Gegensatz zur Virtualisierung der Universitäten geschehen: die raum-ungebundene Verfügbarkeit von Bildungsinhalten im Internet findet ihre wirksame Entsprechung durch eine Stärkung der Ebene persönlicher Erfahrungen innerhalb des Studiums, wenn dieses systematisch interkulturelle Begegnung und Auseinandersetzung integriert. Denn vergessen wir nicht den Satz, der Monet zugeschrieben wird, und mit dem ich schließen will: "Wenn Europa ein Ganzes wird, dann wird es dies als Kulturraum."