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Regeneration eine Sache von Jahrzehnten
"Re-Assessment 2001" - Die Ölkatastrophe am Persischen Golf zehn Jahre danach / Von Thomas Höpner
Assessed" (untersucht) wird der heutige ökologische Zustand
der über 600 Kilometer langen saudi-arabischen Küstenstrecke
des Persischen Golfes, die 1991 am Ende des Golfkrieges von der Ölkatastrophe
betroffen war. "Re" weist zehn Jahre zurück auf das damalige
Assessment, an welchem meine Arbeitsgruppe innerhalb eines internationalen
Verbundprojekts beteiligt war. Unser Ergebnis damals war der "1991
Oil Pollution Status Report". Nach dreiwöchiger Feldarbeit in
Saudi Arabien im Oktober 2001 liegt nun der "2001 Oil Pollution Status
Report" vor. Er beruht freilich nicht nur auf einer Drei-Wochen-Momentaufnahme.
Es hat in den zehn Jahren weitere fünf Untersuchungen geben, so dass
der Report das Ergebnis einer zehnjährigen Langzeituntersuchung ist.
Wir haben darüber im UNI-INFO und in EINBLICKE berichtet.
Der Autor (2.v.r.) mit Mitarbeitern der saudischen Umwelteinrichtung |
Am Ende des Wintersemesters 1990/91 hatten wir im überfüllten Wechloyer Hörsaal mit einer Kompakt-Ringvorlesung auf das spektakulär-tragische Ende des Golfkrieges reagiert. Wir wussten, was wir taten, denn "Öl im Watt" war der Kurztitel eines vorher zehn Jahre lang gelaufenen, BMBF-geförderten Verbundvorhabens, dessen Erfahrungen uns sehr wohl in die Lage versetzten, die Tragweite der Ölkatastrophe im saudi-arabischen Wattenmeer einzuschätzen. Wir erinnern uns: Zehn Millionen Tonnen Öl waren als Mittel ökologischer Kriegführung eingeleitet worden, die mit großem Abstand schwerste marine Ölkatastrophe aller Zeiten. "Big Test for Bioremediation" titelte NATURE damals, voraussehend, dass technische Maßnahmen angesichts der Größenordnung irrelevant sein würden und dass die Folgen deshalb den natürlichen Prozessen der Erholung überlassen werden müssten. Da bot sich die einzigartige Gelegenheit einer Langzeit-Beobachtung.
Prozesse anders als an der Nordseeküste
Diese hat meine Arbeitsgruppe und alle Interessierten durch ein Stück
Universitätsgeschichte hindurch begleitet. Mehr noch: Die davor liegenden
zehn Jahre "Öl im Watt" waren die Lehrzeit künftiger
ICBM-Mitglieder, von denen nur einer (Prof. Krumbein) bereits vor seiner
Oldenburger Zeit bereits küstenökologische Erfahrung hatte.
Über "Öl im Watt" und weitere BMFT-geförderte
biogeochemische Vorhaben wuchs das wissenschaftliche Potenzial, das schließlich
die Ökosystemforschung Wattenmeer und danach die heutige DFG-Forschergruppe
Watt ermöglichte. "Öl im Watt" freilich sollte 1990
bewusst beendet werden. Das Förderprogramm des Bundes war ausgelaufen
und die Ergebnisse waren für Vorsorgemaßnahmen verwertet worden.
Aber dann kam Saddam Husseins ökologischer Krieg.
Dann doch am Thema zu bleiben war nicht unsere Entscheidung am grünen
Tisch, sondern Folge der Einladung des damaligen Bundes-Umweltministers
Töpfer, wenige Tage nach Ende des Golfkrieges in seiner Expertendelegation
vier Golfstaaten zu besuchen. Es folgte, noch im Sommer 1991, im Auftrag
des Umweltbundesamtes eine sechswöchige Beratertätigkeit bei
der saudischen Umweltbehörde, in deren Hand der Umgang mit den Ölschäden
lag. Ab Januar/Februar 1992 gab es ein Oldenburger Teilprojekt eines EU-Vorhabens,
dessen Ziel die Errichtung eines nationalparkähnlichen Küsten-Schutzgebietes
nördlich der saudischen Industriestadt Jubail war. Dafür war
schon vor dem Golfkrieg ein Wattengebiet besonderer Schönheit und
Vielfalt ausgesucht worden. Ausgerechnet hier waren die Ölschäden
am schwersten. Der Plan wurde dennoch weitergeführt und nun mit der
wissenschaftlichen Bearbeitung der Ölschäden verbunden.
Aus unterschiedlicher, aber insgesamt lückenloser Verölung einerseits
und einer reichen Biotop-Diversität andererseits ergab sich ein Mosaik
der Schäden, dem wir mit einem Netz von 24 Untersuchungsstellen zu
entsprechen versuchten. Sie waren meistens vom Hubschrauber aus gesucht
und gewählt worden. Das Mosaik wurde im Laufe der Jahre von Entwicklungen
verschiedener Art und Geschwindigkeit überlagert, so dass sich das
von Anfang an sehr heterogene Bild bis heute nicht wesentlich vereinfacht
hat. Schnell lernten wir, dass die Prozesse andere waren als an der Nordseeküste,
und dass die Vermutung, bei höherer Temperatur ginge alles schneller,
falsch war.
Der Schlüsselprozess an der Nordsee ist der Eintrag der reichlich
vorhandenen Energie: Wellen, Strömung und Sedimentumlagerung verteilen
das Öl und emulgieren es schließlich, und das ist die Voraussetzung
für den biologischen Abbau. Noch bevor der Nationalpark Wattenmeer
eingerichtet war, hatten wir (genehmigte!) experimentelle Verölungen
angelegt. Wir wussten ziemlich genau, dass Wochen und Monate die zeitlichen
Größenordnungen der Prozesse waren. Die allgemeine Erfahrung
gibt uns Recht: Trotz mehrerer Vorfälle und einer zeitweise schleichenden
Verölung hat es nirgends Anhäufungen von Öl oder seinen
Umwandlungsprodukten gegeben.
Cyanobakterien und Krabben von großer Bedeutung
Anders am Golf. Im trockenfallenden Bereich gestrandetes Öl verliert
schnell seine flüchtigen Anteile und wird zähflüssig. Hitze,
Bestrahlung und Aufnahme von feinkörnigem Sediment sorgen für
die Umwandlung in harte teer- und asphaltähnliche Massen. Diese verlieren
zwar allmählich ihre Ökotoxizität, versiegeln aber die
Oberflächen, die als Lebensraum und Nahrungsquelle ausfallen. Nur
robuste mechanische Effekte vermögen diese Krusten anzugreifen. Es
gibt nur drei:
Wellenenergie. Die arabische Golfküste ist aber im Vergleich
zum deutschen Wattenmeer sehr energiearm. Die Winde sind schwach, die
Strömungen sanft, die Tidenhübe kleiner.
Cyanobakterien (Blaualgen). Was bei uns allenfalls der Wissenschaftler
erkennt, bildet an der Golfküste landschaftsprägende massive
Matten. Wir machten 1992 die unerwartete Erfahrung, dass Cyanobakterien
unempfindlich gegenüber Öl waren und selbst frische, klebrige
Verölungen überwucherten. Die Hoffnung, damit einen aktiven
Faktor des biologischen Ölabbaus entdeckt zu haben, wurde allerdings
nicht erfüllt. Immerhin leisteten die Cyanobakterien einen kräftigen
mechanischen Beitrag zur Öffnung der Öldecken. Wurde es trocken
und heiß, schrumpften und zerrissen die Matten mitsamt der darunterliegenden
Ölschicht.
Krabben. Mehrere kleine Strandkrabben-Arten siedeln am Golf in
ausgedehnten Massen-Kolonien. Ihre Wühltätigkeit schichtet den
Boden um und belüftet ihn (Bioturbation). Selbst relativ geringe
Ölmengen löschten Krabbenkolonien aus und beseitigten damit
die Bioturbation, die Voraussetzung allen weiteren Bodenlebens. Nach etwa
drei Jahren begannen überlebende kleine Reste der Kolonien ganz langsam,
sich in angrenzende verölte Bereiche hinein auszudehen, mit Geschwindigkeiten
von allenfalls wenigen Metern pro Jahr. Heute, nach zehn Jahren, können
einige große Kolonien als regeneriert gelten. Aber erst jetzt kehren
die Salzmarsch-Pflanzen, natürliche Partner der Krabbenkolonien,
zurück. Es war spannend: Wer würde zuerst zurückkehren,
die Tiere oder die Pflanzen? Es waren meist die Tiere.
2001, bei Nutzung von den 21 dazu geeigneten Beobachtungsstationen und
unter Zusammenfassung ähnlicher Entwicklungen, wurde ein Ranking
der Erholungsleistung versucht:
An zwei Stationen hat sich an der Verwüstung von 1991 bis
heute nichts gebessert.
Bei vier Stationen baut die Wellenenergie die dicken Schichten
ölgesättigter Sedimente langsam von der Wasserseite her ab.
An drei Stationen gibt es die alles überwuchernden Cyanobakterienmatten
von 1992 noch heute, aber die ursprüngliche Biocoenose ist noch nicht
zurückgekehrt.
An drei Stationen haben Wellen und Bioturbation die Öldecke
zerlegt und die Sedimentfauna kehrt zurück.
An drei Stationen arbeiten sich die Krabbenkolonien so konsequent
voran, dass man guter Hoffnung sein kann.
An zwei Stationen ist die Regeneration der Salzmarsch-Pflanzen
der Regeneration der Bodentiere voraus.
An einer Station haben sich die Krabbenkolonien regeneriert, aber
die Pflanzen fehlen noch.
Drei Stationen können als voll regeneriert gelten.
Mitten in Regenerationsprozess
Das Projekt Re-Assessment 2001, an dem noch weitere zwölf europäische
und mehrere arabische Wissenschaftler teilnehmen, soll von der runden
Zehn-Jahres-Periode profitieren in der bescheidenen Annahme, dass dies
hilft, ein öffentliches Interesse zu wecken. Für die geschädigte
Natur ist das kein Stichtag. Wir treffen das Ökosystem mitten in
seinem Regenerationsprozess an. Zehn Jahre werden noch nicht einmal Halbzeit
sein. Was jetzt noch fehlt, wird viel langsamer erreicht werden als das,
was sich bis jetzt regeneriert hat. Ölschäden der Küste:
im arid-tropischen Klima eine Sache von Jahrzehnten.
Ölschäden am Persischen Golf: Eine
Sache von Jahrzehnten.
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Wir hatten mit der wissenschaftlichen Bearbeitung der Ölschäden
des zweiten Golfkrieges begonnen, als über die Folgen der Ölkatastrophe
des ersten Golfkrieges (Nowruz-Ölfeld, 1983/84) noch kaum etwas bekannt
war. Wir wissen einiges über die Ölschäden des zweiten
Golfkrieges entlang der Küste, aber sehr wenig über die Schäden
in der kuwaitischen Wüste. Wir wissen aber genau, dass dort die Verölungen
unverändert vorhanden sind, wenn auch meist von frischem hellem Sand
überdeckt. Schon ist der dritte Krieg des mittleren Ostens im Gange.
Die Häufigkeit und Dauer der Kriege übersteigt das Regenerationsvermögen
der Region bei weitem.
Am Ende eine kaum vermeidbare Bemerkung: In diesem Oktober 2001 drei Wochen
in Saudi Arabien wissenschaftlich arbeiten wollen? Das konnte nach Meinung
aller Ratgeber rundum nicht gut gehen. Immerhin zog mein Institut die
dienstliche Anerkennung der Reise nicht zurück, wie es anderen Orts
geschah. Dass ich meine Arbeit in Ruhe, effektiv und ohne besondere Vorkommnisse
erledigen konnte, war von Oldenburg aus nicht anzunehmen, aber es war
so. Dafür gebührt dem gastgebenden Jubail Marine Wildlife Center
großer Dank in einer Zeit, die von ganz anderen Sorgen geprägt
war. Aber das wäre die nächste Geschichte.
Prof. Dr. Thomas Höpner leitete bis zu seiner Emeritierung im vergangenen Semester die Arbeitsgruppe Biochemie am ICBM (Institut für Chemie und Biologie des Meeres).
Zur Emeritierung von Thomas Höpner
Prof. Dr. Thomas Höpner kam 1974 nach Oldenburg, um seither immer
in der vordersten Linie Aufbau und Entwicklung der Universität mit
zu gestalten. Von seinen vielen Aktivitäten sei hier nur die Mitbegründerschaft
der Gruppierung AKH genannt, die in den 80er Jahren eine Art "Zentrum"
in der hochschulpolitischen Landschaft der Universität war.
Politiker ist Höpner aber nur im Nebenberuf. Sein zentrales Forschungsziel
war und ist die Heilung von Ökosystemen. Es war ihm nie "Selbstzweck",
die Funktion von Ökosystemen in ihren tiefsten, geobiochemischen
Zusammenhängen verstehen zu wollen, vielmehr wollte er seine Forschungsergebnisse
von Beginn an für Erhalt und Wiederherstellung ihrer Regenerationsfähigkeit
nutzen. Er untersuchte früher als andere die biogeochemischen Grundlagen,
die für das Verständnis der Regeneration von Wattenmeersedimenten
nach Tankerunglücken erforderlich sind. Er war der Erste, der nach
frühen Anzeichen mit Experimenten im Watt den "Schwarzen Flecken"
wissenschaftlich zu Leibe rückte. Wie auch bei anderen Gelegenheiten
bewies er damit eine erstaunliche Weitsicht, denn wenige Jahre später
brachen die "Schwarzen Flächen" mit Wucht über das
Wattenmeer herein.
Mit Stolz blickt Höpner auf zahlreiche Schüler, die im Umweltschutz
und bei der Umweltanalyse, in der Wissenschaftspolitik und in der angewandten
Forschung wichtige Positionen erlangten. Er ist ein hervorragender Lehrer,
der in seinen Lehrveranstaltungen sowohl seine ungeheure Erfahrung mit
Anwendungen als auch seine gelebte Interdisziplinarität weitergeben
konnte. Dies bedeutet ihm nicht, "zwischen" den Disziplinen
(den Stühlen) bedeutungslos und vergessen zu werden, sondern fachübergreifend
zu wirken, z. B. als Mitbegründer des interdisziplinären Instituts
für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM).
Thomas Höpner ist mit vielen Auszeichnungen bedacht worden. So war
er u.a. Mitglied des Beratungsgremiums des Bundesministeriums für
auswärtige Angelegenheiten (1987-1995), Vorsitzender der Deutschen
Gesellschaft für Meeresforschung (1996-1999) sowie Vizepräsident
der Niedersächsischen Umweltstiftung (1987-1999), deren Beirat er
heute angehört.
Wolfgang Ebenhöh