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Thema
Tsunami und Gott
Die theologische Rede
von der "Allmacht Gotes" hat schon längst ausgedient / Eine subjektive
Meinung in theologischer Absicht / Von Jürgen Heumann*
Angesichts
der schrecklichen Bilder, die uns von der Flutkatastrophe in Südostasien
erreichen, wird wieder die Frage gestellt: Wie konnte Gott das zulassen?
Wie ist ein Gottesbild mit einem Geschehen vereinbar, das Menschen wahllos
schwer verstümmelt bzw. grausam vernichtet?
Diese berechtigten
Fragen sind so alt wie die Religionen selbst. Sie tauchen in der griechischen
Antike wie in der Moderne auf. Epikur (341-270 v. Chr.) antwortet auf solche Fragen
lapidar, dass Gott wohl ohnmächtig sei, wenn er das Übel nicht beseitigen
könne. Im Alten Testament ergeht es einem immer gerechten und gütigen
Menschen, Hiob, aufgrund einer bösen Wette Satans mit Gott so schlimm, dass
er an den Rand des Todes gerät. Offenbar, so die Lehre dieses Buches, ist
der gute Mensch nicht vor dem vernichtenden Bösen oder Übel geschützt.
Folgerichtig fordert Hiob, Gott - als den Verursacher des Übels - vor die
Schranken des Gerichts. Spätestens 1755 - angesichts der verheerenden Zerstörung
Lissabons durch ein Erdbeben mit nahezu 30.000 Toten bricht die theologische Rede
von der Allmacht Gottes in sich zusammen. Nicht mehr möglich ist sie nach
Auschwitz.
Gleichwohl wird sie bei schweren Unglücksfällen
oder Katastrophen immer wieder ins Spiel gebracht. Die Argumente zu ihrer Rettung,
dass nämlich ein solches Ereignis Strafe für die Abkehr des modernen
Menschen von Gottes Wort und Weisung sei, die ein pervertierter westlicher Konsumismus
letztlich herausgefordert habe, sind angesichts des Leidens und des Todes der
Opfer nicht nur theologisch unerträglich, sondern auch zynisch. Hier treffen
sich mitunter konservative christliche und auch muslimische Kreise in ihrer Argumentation.
Mancher wird hier einwenden, dass das Glaubensbekenntnis der gesamten
Christenheit aus dem 3. Jahrhundert in seinem ersten Artikel aber von der Allmacht
Gottes spricht (Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den
Schöpfer des Himmels und der Erde.) Tatsächlich muss man aber
genauer hinschauen, wenn von der Allmacht Gottes im Juden- und Christentum geredet
wird. In der griechischen Übersetzung der Bibel wurde der hebräische
Ausdruck el schaddai (= Gott des Berges, der Berge) mit Pantokrator
(= Allbeherrscher) übertragen.Weiter wird im Alten Testament die Allmacht
auch als ein Prinzip, dass Gott nicht das Recht bricht (Hiob 34,12),
oder als väterliche Sorge Gottes für sein Volk und für den
Einzelnen (vgl. Paulus in 2.Kor. 6, 17ff) verstanden.
Für
den modernen Sprachgebrauch sagt das alles letztlich wenig. Menschen, kirchlich
oder unkirchlich, glaubend oder nichtglaubend fragen in Unglücks- oder Katastrophensituationen
nach einem Gott, der vermittels seiner Größe und Macht doch hätte
helfen müssen und eben dies nicht tat. Wie kann dann nicht nur von der Allmacht,
sondern von Gott überhaupt gesprochen werden?
Die christliche Theologie
verhandelt dieses Problem seit Leibniz unter dem Titel Theodizee (1710), d. h.
unter dem Problem, wie sich Gott rechtfertigen lässt, angesichts
der Übel in der Welt.
Für die biblischen Schriftsteller ist
Gott nie allein der liebe Gott gewesen. Aber es schwingt in der biblischen
Rede von Gott immer auch ein Vertrauen darauf mit, dass die gute Seite Gottes
die dunkle und böse Seite überwinden wird. Gott ist insofern ein
Symbolwort, mit dem die ambivalenten Erfahrungen und Existenznöte der Menschen
gesagt werden können und eine eigene Sprache erhalten. Bei solchen Aussagen
handelt es sich nicht um Aussagen einer rationalen Logik. Würde die gelten,
hieße das, die Rede von Gott als absurd zu bezeichnen, denn zu oft haben
das Böse und das Übel über das Wohlergehen auch der Unschuldigen
und Guten gesiegt. Wer von Gott redet, redet von Nöten und Sorgen, aber auch
von den Hoffnungen seines Lebens und seiner Existenz. Erfahrungen, die Menschen
in ihrem Leben machen, sind eben nicht nur böse oder gut, sie sind in sich
höchst ambivalent, verstörend, darin auch oft ohne Hoffnung. Die jüdisch-christliche
Rede von Gott drückt im Gottesbild selbst eben diese Ambivalenz, Verunsicherung
und Verstörung der Menschen aus: Das Leben ist so, Gott ist so.
Die biblische Rede von Gott lässt sich aber nicht auf diese Diagnose
der menschlichen Existenzerfahrungen reduzieren. Sie will vielmehr deutlich machen,
dass es trotzdem eine unbedingte Hoffnung für die Menschen geben
muss, eine Hoffnung darauf, dass die Übel nicht obsiegen. Die Alternativen
wären ansonsten Resignation oder tiefste Verzweiflung. Letztlich, so diese
Hoffnung, wird mit dem Sieg über die Übel auch ein Sieg über die
dunkle und unverständliche Seite Gottes - deus absconditus (Luther) - errungen.
Wenn ein anderer Name für Gott Liebe ist und wieder andere Namen Mitmenschlichkeit,
Hilfe und Solidarität, dann zeigt sich im mitleidenden, erinnernden und helfenden
Tun der Menschen (wie es wieder einmal bei der Tsunami-Katastrophe sichtbar wird),
was mit der Rede von Gott im Bösen wie im Guten gemeint sein könnte.
Nicht von einer Rechtfertigung Gottes, nicht von der Allmacht Gottes ist dann
die Rede, Gott bietet sich vielmehr als ein symbolisches Wort an,
in dem trotz aller Hoffnungslosigkeit Hoffnung postuliert wird - Hoffnung nicht
nur für die Lebenden, sondern auch für die Toten. Gibt es ein besseres
Wort, dies auszudrücken, als das Wort Gott oder sein Äquivalent Liebe?
Prof. Dr. Jürgen Heumann ist Religionspädagoge am Institut
für Evangelische Theologie und Religionspädagogik.