Hochschulzeitung UNI-INFO
Kontakt
Hochschulzeitung UNI-INFO
Verborgene
Begabung
Aktivitäten der Arbeitsstelle "hochBEGABUNG"
Seit
einiger Zeit existiert am Institut für Sonderpädagogik unter der Leitung
von Prof. Dr. Manfred Wittrock die Arbeitsstelle hochBEGABUNG und SCHULversagen.
Mitarbeiterin der Arbeitsstelle ist die Sonderpädagogin Martina Wilkens,
die derzeit ein Lehramtsreferendariat absolviert. Die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit
an der Universität liegen - neben Lehraufträgen - in der Information
für StudentInnen, LehrerInnen, Eltern und Betroffene.
UNI-INFO:
Frau Wilkens, was hat Sonderpädagogik mit Hochbegabung zu tun?
WILKENS:
Der Zusammenhang war für mich zunächst auch etwas überraschend,
als ich vor einigen Jahren auf das Gebiet aufmerksam wurde, aber es hat einfach
damit zu tun, dass wir uns in der Sonderpädagogik mit, wie ich es nenne,
besonderen Bedürfnissen befassen - und manchmal eine verborgene
Hochbegabung, oder zutreffender: hohe Begabung dahinter steckt.
UNI-INFO:
Warum hohe Begabung?
WILKENS: Weil mit Hochbegabung
allzu leicht das Genie assoziiert wird. In der Praxis haben wir es
aber viel eher mit Kindern zu tun, die auf einem bestimmten Gebiet besondere Fähigkeiten
aufweisen, sich im übrigen jedoch von anderen Kindern gar nicht sehr unterscheiden.
UNI-INFO: Woran erkennt man eine hohe Begabung bei einem Kind?
WILKENS:
Das ist nicht immer einfach, vor allem, wenn sie sich hinter aufmüpfigem
oder auffälligem Verhalten verbirgt. Man braucht dann in der Regel eine länger
andauernde Beobachtung des Kindes. Natürlich weisen nicht alle Kinder, die
vor allem negativ auffallen, eine hohe Begabung auf, aber wichtig wäre es,
dass die pädagogischen Fachkräfte diese Auffälligkeiten nicht pauschal
als Überforderungssituation interpretieren, sondern auch eine mögliche
Unterforderung in Betracht ziehen. Auch Hinweise und Äußerungen von
Eltern können sehr hilfreich sein, z.B. über häusliche Gewohnheiten
des Kindes.
UNI-INFO: Haben denn viele Kinder mit einer hohen Begabung
Probleme in der Schule?
WILKENS: Statistisch gesehen, nein. Der Anteil
ist absolut gesehen klein, aber es ist dennoch tragisch, wenn die Begabungen nicht
erkannt werden und daraufhin Schwierigkeiten auftreten. Es liegen keine gesicherten
Zahlen vor, aber ich selbst habe eine Klasse kennen gelernt, wo von zwölf
auffälligen Kindern drei eine hohe Begabung aufwiesen. Unterforderte Jungen
reagieren öfter als unterforderte Mädchen mit emotionalen und sozialen
Auffälligkeiten, und daran wird dann in der Regel bei der Förderung
auch angesetzt. Dabei würden sich die Auffälligkeiten von alleine geben,
wenn man die Unterforderungssituation aufheben würde. Manche Kinder mit hoher
Begabung weisen, was auf den ersten Blick paradox erscheint, auch Lerndefizite
auf. Das passiert dann, wenn sie irgendwann in der Grundschule beschlossen haben,
mit dem Lernen aufzuhören, weil sie keinerlei Resonanz erfahren. Wichtig
ist es in solchen Fällen, zur Ursachenklärung einen Profiltest durch
einen Psychologen durchführen zu lassen.
UNI-INFO: Und keinen IQ-Test?
WILKENS:
Die Tendenz geht schon dahin, mal schnell den Intelligenzquotienten ermitteln
zu wollen. Aber für die pädagogische Praxis erscheint es vielfach irrelevant,
ob ein Kind mit einem IQ von 131 bereits als hochbegabt und mit einem IQ von 129
als noch nicht hochbegabt eingestuft werden kann. Dagegen sind Profiltests weiter
gefächert und gewähren einen größeren Einblick.
UNI-INFO:
Sie haben verhaltens-auffällige Jungen mit einer nicht erkannten hohen Begabung
erwähnt. Wie steht es mit den Mädchen?
WILKENS: Hochbegabte Mädchen
legen vielfach ein eher diplomatisches Verhalten an den Tag. Sie passen sich an
und orientieren sich an ihrer sozialen Bezugsgruppe den Mädchen. Jungen
machen ihrem Unmut dagegen eher Luft. Das kann sich übrigens auch darin äußern,
dass sie die Rolle des Klassenclowns einnehmen. Insgesamt trifft man in den Beratungsstellen
dreimal mehr Jungen als Mädchen.
UNI-INFO: Was wird denn aus einem
Menschen, der eine hohe Begabung aufweist, aber nicht entsprechend gefördert
wird?
WILKENS: Es kann sein, dass es ihn in keiner Weise behindert. Es
kann aber auch sein, dass er nie das Gefühl los wird, in seinem Leben nicht
weiterzukommen und in einer Art Käfig gefangen zu sein, d.h. ohne die Möglichkeit,
seine Persönlichkeit zu entwickeln und sein Potenzial zu nutzen. Schlimm
wird es dann, wenn die Betreffenden glauben, die Gründe für diese Situation
lägen in ihrer Person und in ihrem Verhalten.
UNI-INFO: Kennen Sie
aus eigener Erfahrung Fälle, in denen es Kindern nach Interventionen besser
gegangen ist?
WILKENS: Es kann schon Wunder wirken, wenn der Schüler
merkt: der Lehrer nimmt mich anders wahr. Nur in ganz seltenen Fällen treten
keine Veränderungen ein.
UNI-INFO: Was halten Sie von speziellen Schulen
für Hochbegabte?
WILKENS: Ich bin da eher skeptisch. Wir haben eine
gemischte Gesellschaft und ich muss in dieser auch bestehen. Deshalb bin ich keine
Anhängerin der Separierung der Kinder.
UNI-INFO: In der Fakultät
V sollen ab dem Wintersemester so genannte Frühstudierende aufgenommen werden,
die parallel zur Schule bereits Veranstaltungen in den Naturwissenschaften belegen
dürfen, die später beim Studium anerkannt werden. Zielgruppe sind Hochbegabte,
die den versäumten Stoff in der Schule problemlos nacharbeiten können.
Was halten Sie davon?
WILKENS: Im Prinzip finde ich die Initiative gut.
Allerdings hätte ich Bedenken, wenn nur Hochbegabte mit hervorragenden schulischen
Leistungen angesprochen würden. Denn es gibt eben auch die anderen, die ihr
Potenzial nicht in gute Schulnoten umsetzen können.
Martina Wilkens, Tel.: 04431/707730, www.hoch-begabt.de
@
info@martina-wilkens.de