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Inhalt 2/2009

Thema


"Vieles hätte ich verstanden, wenn man es mir nicht erklärt hätte"

Der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer über Herausforderungen des Klimawandels für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

Das wirtschaftswissenschaftliche Zentrum für Nachhaltigkeitsforschung CENTOS wird in Zukunft eng mit dem ehemaligen Bundesumweltminister und Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Prof. Dr. Klaus Töpfer, zusammenarbeiten. CENTOS konnte ihn als Forschungspartner für das Anfang 2009 startende Projekt „NordWest2050: Perspektiven für klimaangepasste Innovationsprozesse in der Metropolregion Bremen-Oldenburg“ gewinnen. Töpfer sprach am 25. November 2008 im Rahmen der CENTOS-Forumsreihe „Nachhaltiges Wirtschaften“. Nachfolgend Auszüge aus seiner Rede:

Zunächst Gratulation denen, die das Projekt NordWest2050 so entwickelt haben, dass es in die Reihe der sechs geförderten Vorhaben aufgenommen worden ist. Ich weiß, dass nahezu 100 Regionen Anträge gestellt haben, deshalb lohnt sich das noch zu erwähnen. Da kann man sogar im hohen Norden einmal Beifall klatschen. Es ist auch deswegen ein großer Erfolg, weil sich diese Region gefunden hat, und es belegt, dass in dem Zusammenwirken von Teilen das Ganze mehr wirkt als die Summe. Das wussten wir zwar schon immer, hier können wir es aber nochmals belegen. Und das ist in einem Projekt wichtig, in dem wir über Grenzen von einzelnen Disziplinen hinausgehen müssen, in dem es darum geht, auch mittel- und langfristige Konzepte zu entwickeln.

Zunächst ist intensiv zu unterstreichen, es gibt kein Signal, das sagt: Jetzt beschäftigen wir uns mit Anpassung an den Klimawandel in einer Art Resignation im Kampf gegen den Klimawandel. Wäre das das Signal, wäre es das gänzlich falsche. Ganz im Gegenteil. Gerade in der gegenwärtigen Zeit ist deutlich zu machen: Wir müssen die selbst gesteckten Ziele zur Reduktion von Treibhausgas-emissionen erreichen. Sie sind schließlich nicht irgendwie mal gesteckt worden, als ob wir gesagt hätten, wir haben sonst keine anderen Probleme und wenn andere kommen, verschieben wir unsere Anstrengungen gegen den Klimawandel. Natürlich gibt es auch die große Besorgnis, dass die gravierendste Naturkrise, die wir gegenwärtig sehen, überdeckt wird durch eine unverantwortliche Finanzkrise. Das muss verhindert werden. Die Ziele, bis 2020 den CO2 Ausstoß um 20 Prozent zu vermindern, den Anteil erneuerbarer Energien auf 20 Prozent zu erhöhen bei gleichzeitiger Erhöhung der Energieeffizienz um 20 Prozent, sind nicht in Frage zu stellen oder zu verschieben, weil das Weltfinanzsystem geradezu mutwillig zerstört wurde. Es gilt, diese EU-Ziele umzusetzen. Wir müssen uns klar machen, dass diese Zielsetzungen ein Zwischenziel sind. Bis 2050 müssen wir noch deutlich weitergekommen sein. (…)

Um es plakativ zu sagen: Wir werden uns an Temperaturerhöhungen über zwei Grad Celsius nicht mehr anpassen können. Wir haben das natürliche System schon relativ stark mit Vorbelastungen geladen, die uns einen Anstieg der durchschnittlichen Temperatur in der Welt von 0,8 Grad eingebracht haben. Und alle Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, kommen zu dem Ergebnis, dass wir durch die dramatischen Luftbelastungen in Asien so etwas wie einen Dimming-Effekt haben, so dass die eigentliche Ladung des Systems schon deutlich über 0,8 Grad liegt.

Umsiedlung nach Australien und Neuseeland

Wir dürfen das, was auf uns zukommt, wirklich nicht unterschätzen, auch wenn der eine oder andere sagt: Das Jahr 2050 ist schön weit entfernt – für mich so weit entfernt, dass ich es nicht mehr erleben werde. Aber man hat Enkelkinder, die es mit Sicherheit erleben.

Anpassung darf also nicht als Flucht aus der Verantwortung für die Verminderung des Anstiegs begriffen werden, sondern als die Bewältigung des nicht mehr vermeidbaren CO2 Anstiegs.

Wo aber sind die Bandbreiten? Eine Anpassung findet dadurch permanent statt, dass Menschen aus den Regionen abwandern, in denen Klimaveränderungen ihre Lebensgrundlagen zerstören. Dies wird manchmal ganz plastisch in den Zeitungen, wenn wir lesen, dass Bewohner von Pazifikinseln Anträge auf Umsiedlung nach Neuseeland oder Australien gestellt und gleichzeitig Haftungsfragen aufgeworfen haben. Wer zahlt denn dafür? Wir, sagen die Bewohner zu Recht, haben das Klima mit Sicherheit nie verändert. Unsere pro Kopf Emissionen an CO2 oder Methan sind nun wirklich nicht die Ursache dieser Veränderung, und wenn wir die Kosten anderer zu tragen haben, wollen wir dafür entschädigt werden. Diese Frage der Haftung wird uns an vielen Stellen noch erheblich beschäftigen. Denn all das hat ja auch Rückwirkungen auf Investitionen.

Ich habe über acht Jahre lang in Afrika gelebt und weiß, dass eine ohnedies außerordentlich gestresste landwirtschaftliche Nutzung – zumal in den wirklich ariden und semi-ariden Bereichen dieser Welt – bei geringen Veränderungen des Klimas nicht mehr die Lebensgrundlagen der dort lebenden Menschen gewährleisten kann. Deswegen und aus zahlreichen anderen Gründen tritt eine Abwanderung ein, die wiederum für uns in den hoch entwickelten Ländern nicht ohne Rückwirkungen bleibt. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass wir dadurch ganz erhebliche Migrationsbewegungen in dieser Welt bekommen, und die Möglichkeit, dass wir uns durch Mauern oder Stacheldraht davor schützen, ist nicht gegeben. Also müssen wir uns an diese Lage anpassen. Es ist auch die Frage, wie weit unsere Gesellschaft sich darauf vorbereitet, dass sie nicht nur weniger und älter, sondern auch noch bunter wird. Also Anpassung durch Wegziehen ist global eine massive Herausforderung, mit vielen Schwierigkeiten für die Menschen und großen Rückwirkungen auf uns alle. Und deswegen sollte das mit bedacht werden, denn jede Anpassung hat nicht nur technologische, sondern auch gesellschaftspolitische, soziale Konsequenzen.

Prioritäten in Entwicklungsländern

Es gibt in Deutschland einen ganz besonders faszinierenden Umgang mit Prognosen. In Deutschland ist immer die Prognose die beste, die eintritt. Als uns Wissenschaftler nachgewiesen haben, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die massenhafte Emission von CO2 und Stickoxyden ein Waldsterben eintreten wird, da hat man eben nicht gesagt: Das wollen wir mal abwarten und sehen, ob es eintritt. Im Gegenteil: Wir haben gehandelt. Heute lese ich in den Zeitungen, dass auf die, die diese Prognose gestellt haben, nicht mehr gehört zu werden braucht, denn die hätten auch mal gesagt, dass die Wälder sterben würden. Die sind immer noch da. Tatsächlich haben wir die Prognose „Die Wälder werden sterben“ durch konkretes Entgegenwirken widerlegt, aber das war ein Fehler für die Richtigkeit der Prognose. Und ungefähr so wird auch über andere Probleme gedacht.

Die Möglichkeit schlicht abzuwarten – nach der Methode drei D: deny, delay, do nothing – ist heute auf keinen Fall möglich. Darüber sind wir auch in der wissenschaftlichen Beweisführung deutlich hinaus. Also was ist konkret zu tun? Und was ist konkret in einer Küstenregion zu tun? Zunächst einmal betrachtet man die Welt in anderen Regionen, ob irgendwo schon Anpassungsstrategien bewusst oder unbewusst entwickelt worden sind. Beispiele gibt es dort, wo der Klimawandel bereits gegenwärtig sehr deutliche Spuren hinterlässt. Das ist so in all den Bereichen, die weiter nördlich von uns liegen. Wir wissen, dass der Klimawandel etwa in der Arktis deutlich schneller voranschreitet. Die Arktis ist, wenn Sie so wollen, das Klimalabor dieser Welt, der „Early Morning Indicator“. Die Wirkungen des Klimawandels sind dort schon sehr viel sichtbarer. Ein wichtiger Grund dafür, dass etwa in Kanada Anpassungsstrategien massiv vorangetrieben worden sind, ist die Tatsache, dass dort die permanent gefrorenen Böden auftauen, die Stabilitäten von Infrastrukturen und Siedlungen nicht mehr gegeben sind.

Und Sie finden solche Beispiele auch woanders. Ein Beispiel an dem Sie sehen, dass Adaptation eine ganz große Rolle spielt, ist China. Vielleicht ist bekannt, dass ich auch in Shanghai an der dortigen Tonji Universität lehre. In China wurde vor kurzem das White Paper on Climate vorgestellt. Es ist jedem zur Lektüre dringlich angeraten. Darin steht schlicht und einfach, dass Minderung, also Mitigation, und Anpassung, also Adaptation, für China mindestens gleichwertig sind. Allerdings wird kurzfristig der Anpassung eine größere Bedeutung zugeordnet. Das Papier sagt auch, dies sei die Priorität, die alle Entwicklungsländer verfolgen. Diese befürchten, dass die Maßnahmen, die in den hoch entwickelten Ländern gegen den Klimawandel ergriffen werden, nicht hinreichend sind, und dass man sich deswegen sehr viel stärker der Anpassung widmen muss. Ich gehe auf die Einzelheiten dieses chinesischen Programms nicht ein, sage nur, dass das sehr genau dort erkannt wird, denn China leidet, genau wie Indien, bereits gegenwärtig bei seinem Wasserhaushalt sehr massiv unter dem Klimaveränderungsprozess.

Vorhandenes Wissen verbessern

Was brauchen wir in der Anpassung? Wir müssen alles daran setzen, dass wir die Zukunft in guten Modellrechnungen so exzellent wie irgend möglich abbilden können. Und deshalb stellen wir Fragen, die über das hinausreichen, was wir jetzt schon beantworten können: Welche Modelle liegen vor, wie können sie noch treffsicherer und verlässlicher, unter Einbeziehung aller Einflussparameter weiterentwickelt werden? Wie schaffen wir also das beste Wissen über die Abbildung der Zukunft in dieser Region, was den Klimawandel betrifft? Wie reagiert das, was vom Klimawandel betroffen wird: Flora, Fauna, Wirtschaft, die Menschen, die Gesellschaft insgesamt? Was ist besonders verwundbar? Und was hat nur knappe Pufferkapazitäten, und was hat große Pufferkapazitäten, damit man einen Prioritätenplan zur Anpassung an den unvermeidbaren Klimawandel entwickeln kann? Eine Frühwarneinrichtung zu den Auswirkungen des Klimawandels in der Region also. Das hört sich abstrakt an, ist aber ganz konkret. Können wir etwa sagen: Wie abgepuffert bzw. robust ist die landwirtschaftliche Nutzung gegenwärtig in dieser Region? Ist diese auf Grund der Wasserhaushaltsbedingungen besser zu stabilisieren? Ist das die Hauptfragestellung, oder müssen wir uns sehr viel stärker fragen: Wie ist die Infrastruktur klimarobust zu gestalten, damit sie auch eine solche Klimaveränderung abpuffern kann? Das ist sehr sehr konkret. (…)

Making gold by going green

Klimawandel ist nicht nur eine Belastung. Klimawandel ist eine große Chance für wirtschaftliche Entwicklung, für neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze. Der schöne Satz „Making gold by going green“ bedeutet nichts anderes, als in der Nachhaltigkeit der eigenen Produktion Entwicklungsmöglichkeiten auch für die eigenen Arbeitsplätze und für das Unternehmen zu haben. (…)

Es gibt immer noch genügend zynische Menschen, die nicht nur am Biertisch feststellen, was denn eigentlich so schlimm daran wäre – an dem Klimawandel? Da könnten die Leute, die bisher nach Italien an die Riviera fuhren, mit der Nordsee vorlieb nehmen, weil es da genauso warm wird. Solche Argumentationen finden Sie an vielen Stellen wieder, sowohl mit Blick auf den Sommer- als auch den Wintertourismus. Sie sehen die tatsächlichen Wirkungen z.B. in den Skigebieten in den Alpen, wo etwa die Anpassung an ausbleibenden Schneefall gänzlich andere Infrastrukturen entstehen lässt. Auch da wird man zum Philosophen, wenn man bedenkt, dass die Tatsache, dass durch den Klimawandel die Schneefallgrenze immer weiter in die Höhe geht, die Menschen dazu bringt, in großer Zahl Schneekanonen einzusetzen. Die Ursachen, die den Klimawandel ausgelöst haben, werden dadurch noch verstärkt. Denn diese Anlagen sind energie- und wasserintensiv. Sie tragen zum Treibhauseffekt bei. Die Frage, wie sich unsere Lebensstrukturen, unsere Lebensentwürfe, unsere Konsumstrukturen verändern, drängt sich auf und muss aufgegriffen werden in einem breiten Dialog mit der Bevölkerung. Also muss eine Vielzahl von Arbeitsschritten konzipiert und umgesetzt werden, um sagen zu können: Diese Region ist optimal vorbereitet auf den nicht mehr vermeidbaren Klimaveränderungsprozess. Das ist das Ziel, und dafür braucht dieses Projekt auch die Öffnung über die Region hinaus. Es ist hervorragend, dass die Oldenburger Partneruniversität Maryland mit dabei ist. Mit Sicherheit wird sich das noch weiterentwickeln. (...)

Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich sage, es wäre auch gut, wenn in dem Forschungsprojekt eine Küstenstadt oder Küstenregion aus den Entwicklungsländern dabei wäre. Gehen Sie in solche Regionen wie Bangladesch, dann wissen Sie, welche katastrophalen Wirkungen der Klimawandel auslöst. Ein Anstieg des Meeresspiegels um 50 Zentimeter hat dort ganz andere Auswirkungen. Wir werden sicherlich diese internationale Verankerung noch erhöhen und verstärken. Ich halte es auch für außerordentlich wichtig und richtig, dass wir einen Austausch zwischen den fünf Regionen in Deutschland bekommen, die sich erfolgreich beim Bundesforschungsministerium beworben haben. Das ist im Projekt angelegt, so dass nicht jeder das Rad neu erfinden muss. (…)

Das Projekt zur Klimafolgenforschung ist für diese Region eine wirklich großartige Chance – eine Chance die wissenschaftlichen und praktischen Kapazitäten der Region zu bündeln. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt schon sagen können: Die Ergebnisse werden wie folgt aussehen. Dann bräuchte man nicht fünf Jahre zu arbeiten. Das muss ergebnisoffen bleiben. „Peer Reviews“ müssen kontinuierlich durchgeführt werden, das heißt die wissenschaftlichen Arbeitsvorgänge und Ergebnisse müssen von den „Peers“ dieser Forschungsbereiche immer wieder kritisch und neutral begutachtet werden. Wir ziehen die jeweilig Besten dieses Wissenschaftsbereichs heran und diskutieren mit ihnen. Eine Aufgabe, die ich in ganz besonderer Weise für wichtig halte.

Und immer wieder muss gesagt werden, was Niklas Stern herausgearbeitet hat: Die Kosten der Anpassung können wir bewältigen, solange wir im anpassungsfähigen Bereich des Klimawandels, bei maximalem Anstieg von zwei Grad Celsius bleiben: bei zwei Grad. Gehen die Klimaveränderungen über diese „Leitplanke“ hinaus, steigen die Anpassungskosten massiv an. Anpassung und Verminderung der Ursachen, Adaptation und Mitigation, gehören untrennbar zusammen. Eigentlich einfach zu verstehen und doch so außerordentlich schwierig durchzusetzen. Vieles erinnert mich in diesem Zusammenhang an den bemerkenswerten Satz des großen Aphoristikers Stanislaw Lec: „Vieles hätte ich verstanden, wenn man es mir nicht erklärt hätte.“

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Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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