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Inhalt 4/2009

Das aktuelle Interview

"Es gibt für die Universitäten immer noch einen gewissen Spielraum"

Interview mit dem Vizepräsidenten Mathias Wickleder zur sinkenden Studierendenzahl an der Universität Oldenburg

 

Seit dem 1. Januar 2009 ist der Chemiker Prof. Dr. Mathias Wickleder kommissarischer Vizepräsident für Studium und Lehre. Er ist konfrontiert mit der Diskussion über die sinkende Zahl der Studierenden an der Universität Oldenburg. Aus diesem Grund hat er eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Gründe analysieren und erste Maßnahmen vorschlagen soll.


UNI-INFO: Herr Wickleder, die Zahl der Studierenden an der Universität Oldenburg sinkt. Innerhalb der Universität und in der Region gibt es inzwischen Befürchtungen, dass die Hochschule zu stark schrumpfen und damit an Bedeutung verlieren könnte. Wie schätzen Sie die Situation ein?

"Wir müssen der Gefahr
entgegenwirken, ...

WICKLEDER: Zunächst muss man definieren, was „zu stark“ eigentlich heißt. Wir haben die Zahl von 10.000 Studierenden, die auch bei uns im Leitbild verankert ist. Diese Größe ist nicht willkürlich gegriffen. Über kurz oder lang wird es sicher dazu kommen, dass man Universitäten unterteilt in große Forschungsuniversitäten, in kleinere eher lehrorientierte Universitäten und in so genannte regionale Universitäten, die irgendwo dazwischen liegen. Es ist wichtig, dass wir uns in dieser Mitte positionieren, um der Gefahr entgegenzuwirken, dass wir irgendwann als reine Lehruniversität gelten. Ich erwarte aber auch nicht, dass wir weit unter die 10.000er Marke rutschen, denn wir sind eine Universität mit sehr starker regionaler Verankerung. Einen Grund zur Panik gibt es aus meiner Sicht also nicht.

UNI-INFO: In Oldenburg ist, wie an vielen Universitäten, die Zahl der Studienplatzbewerber in den letzten Jahren stark gestiegen. Die Zahl derjenigen, die dann aber tatsächlich einen Studienplatz annehmen, ist hier aber kleiner geworden.

WICKLEDER: Man muss sehen, dass sich das Bewerbungsverhalten dramatisch verändert hat. Während sich Studieninteressierte noch vor sechs, sieben Jahren gezielt nach einer Universität umgeschaut und sich dort schriftlich beworben haben, nutzen sie heute die Online-Bewerbung. Sie bewerben sich nicht nur an drei oder vier Universitäten, sondern an zehn oder zwanzig. Das stellt die Universitäten vor große Herausforderungen, zumal sie parallel dazu stark darauf gedrängt haben, sich ihre Studierenden selbst auszusuchen. Jetzt stehen sie vor dem Problem, die Flut von Bewerbungen beackern zu müssen. Und hier liegt meiner Meinung nach auch einer der Schlüssel: Wir müssen sehr, sehr schnell sein, also schnell zusagen, schnell die Bescheide herausschicken. Das Zweite, was man sicherlich überdenken muss – und das passiert ja gerade auf politischer Ebene –, ist die Frage, ob es eine glückliche Entscheidung war, die alte ZVS ganz aus dem Spiel zu nehmen und überhaupt kein zentrales Instrument mehr zu haben, dass bei der Verteilung der Bewerber hilft.

UNI-INFO: Die Zahl der Absolventen hat sich an der Uni Oldenburg in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Sicherlich ein weiterer Grund für das Sinken der Studierendenzahl, aber doch auch ein positives Zeichen, oder?

... dass wir igendwann als reine Lehruniversität gelten."
Fotos: Wilfried Golletz

WICKLEDER: Das ist ein positives Zeichen, man darf es aber nicht überinterpretieren. Positiv ist sicherlich, dass wir mit unseren neuen Studiengängen auch eine höhere Betreuungsrelation haben. Wir führen die Studierenden zügiger zum Abschluss. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir zurzeit noch viele Studierende in den alten Studiengängen wie Diplom und Magister haben. Auf ihnen lastet jetzt ein relativ großer Druck. Sie haben die Bachelor- und Master-Studiengänge im Nacken, und Angst, dass Veranstaltungen für sie nicht mehr angeboten werden. Außerdem müssen sie natürlich Studienbeiträge zahlen. Das alles führt dazu, dass sie verstärkt versuchen, zum Abschluss zu kommen. Aber selbst wenn man diesen Effekt herausrechnet, sind unsere Absolventenzahlen in vielen Studiengängen einfach gut.

UNI-INFO: Glauben Sie, dass sich der Trend fortsetzt und wir dauerhaft deutlich mehr Absolventen pro Jahr haben werden, als in der Vergangenheit?
WICKLEDER: Ja, das glaube ich. Man kann sicherlich geteilter Meinung über die neuen Studiengänge sein, aber es ist ganz sicher, dass sie zu schnelleren Abschlüssen führen. Wir haben schon jetzt eine hohe Zahl an Bachelor-Absolventinnen und –Absolventen, und sehr viele haben ihr Studium in der Regelstudienzeit abgeschlossen.

UNI-INFO: Es gibt in der Universität immer wieder die Vermutung, dass die Kapazitäten der Fächer zu gering angesetzt werden und zu viel für noch nicht so stark nachgefragte Masterstudiengänge vorgehalten wird. Rechnen wir die Hochschule damit zu klein?

WICKLEDER: Darauf gibt es zwei Antworten. Einerseits ist die Kapazitätsberechnung relativ streng gesetzlich geregelt. Das Ministerium macht klare Vorgaben, die sich auch in der verbesserten Betreuungsrelation ausdrücken. Aber: Es gibt für die Universitäten immer noch einen gewissen Spielraum bei der Verteilung der Kapazitäten auf Bachelor- und Master-Studiengänge. Diese Gewichtung ist eine klare Stellschraube, die man als Hochschule hat. Wir müssen jetzt sicherlich kritisch prüfen, wie wir damit seit Einführung der Bachelor-Studiengänge umgegangen sind und ob die Aufteilung sinnvoll war.

UNI-INFO: In den Masterstudiengängen ist die Auslastung noch viel zu gering. Das ist kein spezielles Problem Oldenburgs, sondern bundesweit zu beobachten.

WICKLEDER: Drei Dinge sind in diesem Zusammenhang wichtig. Erstens haben wir ein Standortproblem. Es gibt durchaus Universitäten in attraktiven Großstädten – wie zum Beispiel Berlin – die ihre Masterstudiengänge sehr viel besser gefüllt haben als Hochschulen in kleineren Städten. Wir müssen also daran arbeiten, dass wir die Ausbildung in unseren Bachelor-Studiengängen so gut machen, dass viele unserer Absolventen beschließen, in Oldenburg zu bleiben und hier ihren Master zu machen. Wir brauchen also eine hohe hochschulinterne Übergangsquote Bachelor/Master. Zweitens müssen wir eine sehr gute adressatenbezogene Werbung machen für unsere Masterstudiengänge, wozu auch eine verstärkte Internationalisierung der Studiengänge gehört. Und drittens – auch das ist mir wichtig – wir müssen darauf achten, dass wir unser Masterangebot nicht zu stark diversifizieren.

UNI-INFO: Wir haben derzeit über vierzig Masterstudiengänge. Was hielten Sie für ein vernünftiges Maß?

WICKLEDER: Ich mache das gar nicht so sehr an einer Zahl fest. Viel wichtiger ist mir, dass wir uns unsere Masterstudiengänge genau ansehen. Es gibt Angebote, die wir gut unter einem gemeinsamen Dach vereinen könnten, um erst dann eine Binnendifferenzierung mit bestimmten Forschungsschwerpunkten vorzunehmen. Stellen Sie sich einfach mal vor: Ein Studierender sucht einen passenden Masterstudiengang. Erstens muss er ihn finden und zweitens muss er auch mit dem Titel dieses Studiengangs etwas anfangen können. Es darf sich nicht nur schick anhören, sondern es muss auch deutlich werden, was man hinterher damit machen kann. Wir sind mit unserem Angebot in manchen Bereichen sehr, sehr speziell. Da sind die Namen der Masterstudiengänge fast eine 1-zu-1-Kopie der jeweiligen Forschungsschwerpunkte. Und das ist mir zu eng.

UNI-INFO: Sie sprachen davon, dass wir unsere Bachelor-Absolventen für den Master in Oldenburg halten müssen. Nun hört man, dass Bachelor-Studierende eine immense Zahl an Prüfungen pro Semester – von bis zu 28 ist die Rede – ablegen müssen. Schreckt das nicht zu sehr ab?

WICKLEDER: 28 Prüfungen pro Semester schrecken ganz sicher ab. Und ich sehe darin auch eine Überinterpretation dessen, was man mit den Bachelor-Studiengängen erreichen will. Daran müssen wir ganz sicher arbeiten. Außerdem vermute ich, dass wir durch diese Prüfungsflut auch schon während des Studiums viele verlieren und unsere Abbrecherquote in einigen Bereichen dadurch hochgetrieben wird.

UNI-INFO: Muss man nicht auch über die Prüfungsformen nachdenken?

WICKLEDER: Ganz sicher. Prüfungen sind ja grundsätzlich wichtig und geben den Studierenden die Chance zur eigenen Standortbestimmung. Unser Problem ist, dass wir zu stark auf Klausuren setzen und viel zu wenig mündliche oder reflexive Prüfungsformen wie Hausarbeiten, Referate oder ähnliches einsetzen. Natürlich sind die aufwendiger durchzuführen und zu korrigieren, aber zu viele Klausuren schrecken sehr ab. Sie sind unpersönlich und in den neuen Studienstrukturen immer gleich mit einem vermeintlichen Ausschlusskriterium versehen. Ich bin der Meinung, wir müssen die Zahl der Prüfungen mit hoher Wertigkeit herunterfahren, zum Beispiel durch zusammenfassende Prüfungen für zwei Module. Da ist vieles denkbar. Außerdem sollten wir nach Möglichkeit auch individueller prüfen.

UNI-INFO: Das Problem der sinkenden Studierendenzahlen ist komplex und vielschichtig. Sie haben extra eine Projektgruppe eingesetzt, die sich ganz konkret mit diesem Thema beschäftigt.

WICKLEDER: Ja, das ist mir sehr wichtig. Immer wenn die Studierendenzahlen diskutiert wurden, führte das in der Regel zu fruchtlosen Debatten. Oft wurde nur mit einer Zahl hantiert, nämlich, dass wir unter 10.000 Studierende fallen. Dann wurde ein Schuldiger gesucht: das Präsidium, das Prüfungsamt, irgendeinen hat man immer gefunden. Das war mir zu wenig. Mit der Projektgruppe will ich erreichen, dass wir genau hinsehen, wo wir unsere Studierenden verlieren. Welche strukturellen Gründe gibt es durch die Umstellung auf Bachelor und Master? Wo muss die Universität selbst ansetzen, wie z.B. bei der Zahl der Prüfungen oder der Übergangsquote vom Bachelor zum Master. Auch die Abbrecherquoten kommen unter die Lupe: Aus welchen Gründen wird das Studium abgebrochen oder an einem anderen Standort fortgesetzt? Erst wenn wir das und vieles mehr genau wissen, können wir auch geeignete Maßnahmen ergreifen. Mir ist es wichtig, die Diskussion um Studierendenzahlen so führen zu können, dass alle die gleiche Sprache sprechen und von den gleichen Informationen ausgehen.

UNI-INFO: Was sind Ihre wichtigsten mittelfristigen Ziele?

WICKLEDER: Neben der erwähnten Thematik der Studierendenzahlen sind dies die Entwicklung einer Lehrexzellenz für die Universität Oldenburg und die Entwicklung eines Konzepts für den Gesamtbereich Lehrerausbildung. Für beide Themen spielt die enge Verzahnung der Bereiche Lehre und Forschung eine große Rolle, die wir zu lange als nebeneinander stehend oder sogar als konkurrierend betrachtet haben. Auch die Weiterentwicklung der Hochschuldidaktik ist für diese Themen von großer Bedeutung. Außerdem möchte ich die schon sehr gute Vernetzung der Universität mit der Region weiter stärken – und zwar mit Blick auf den Berufsbezug unserer Studiengänge. Wir haben schon ein ganz tolles Multiplikatorensystem durch die von uns ausgebildeten Lehrer, die in den umliegenden Schulen tätig sind, und die uns wiederum ihre Schulabgänger schicken oder selbst als abgestellte Lehrer in der Uni mitwirken. Eine solche enge Vernetzung wünsche ich mir auch mit den Absolventen unserer Fachstudiengänge, die in den umliegenden Betrieben und Unternehmen arbeiten. Es ist wünschenswert, dass sie sich hier in geeignete Lehrveranstaltungen, z.B. im Professionalisierungsbereich, einbringen. Eine wichtige Voraussetzung hierfür wird sicher die Stärkung unserer Alumni-Arbeit sein.

UNI-INFO: Es gibt noch ein Problem, das in den vergangenen Monaten immer wieder zur Sprache kam: die hohe Zahl der beurlaubten Studierenden. Wollen Sie auch da etwas unternehmen?

WICKLEDER: Das Problem erledigt sich von selbst. Beurlaubungen waren in den alten Studienstrukturen sehr viel leichter möglich. Zum Beispiel haben die Studierenden während ihrer Beurlaubung ihre Diplom- und Magis-
terarbeiten geschrieben, um Studienbeiträge zu sparen. Das geht in der Bachelor- und Masterstruktur nicht mehr. Und so wird die Zahl der Beurlaubungen in dem Maße zurück gehen, wie Studierende in den alten Studiengängen ihre Abschlüsse machen.

UNI-INFO: Herr Wickleder, Sie sind nebenamtlicher Vizepräsident. Bleibt bei dem komplexen Ressort Studium und Lehre noch Zeit für die eigene Forschung und Lehre?

WICKLEDER: Offen gesagt zu wenig, und nur dadurch, dass ich mir fast schon mit Gewalt dafür Zeit frei räume und damit dann Dinge auch mal liegen bleiben müssen. Ich mache es so, dass ich mich mindestens einen ganzen Tag pro Woche bewusst nicht mit meinem Ressort beschäftige, sondern mich ausschließlich meiner Forschung widme. Meistens klappt`s.

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Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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