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Brief an die Redaktion zur Ausgabe 9/2009
"Kalter Krieg um Ossietzky"
Anmerkungen zu Rainer Rheudes Buch zur Namensgebung / Von Werner Boldt*
Es gibt die Sichtweise des Parteipolitikers und es gibt die Sichtweise des Wissenschaftlers. Mit dem Titel „Kalter Krieg um Ossietzky“, den er für sein Buch über den Namensstreit gewählt hat, schließt sich Rainer Rheude der Sichtweise des Parteipolitikers an, der sich in einen Kriegszustand versetzt sieht und nach Freund und Feind sortiert. Wer sich zwischen den Fronten befindet, gerät in den Verdacht, zum Feinde zu gehören. Nur bei einem solchen Arrangement kann sich die Frage stellen, ob nicht eine ganze Universität am „Gängelband“ einer Partei hängen könnte, weil sie unbekümmert einen Vorschlag aufgriff, der vom „Feinde“ stammte.
Der Wissenschaftler verhält sich anders. Er prüft, ob ein Vorschlag gut ist oder nicht, und entscheidet, ohne weiter danach zu fragen, woher der Vorschlag stammt. Dass der Name „Carl von Ossietzky“ für eine Universität passt, die sich damals in ihrer Grundordnung die Aufgabe gestellt hatte, die Verbindung von Wissenschaft und gesellschaftlicher Praxis im Dienste des Friedens und gesellschaftlichen Fortschritts zu fördern, wird von niemandem bestritten. Es wurde aber insbesondere von Sozialdemokraten kritisiert, dass die Kommunisten Ossietzkys Namen für sich instrumentalisiert hätten; es sei ihr erklärtes Ziel gewesen, im Stadtrat mit den Sozialdemokraten eine „Aktionsgemeinschaft“ herzustellen. Ich kann nicht beurteilen, was im Oldenburger Stadtrat vor sich ging, ich habe auch keinen Einblick in die Interna der beiden Parteien, ich kenne aber die erklärten Ziele, die von kommunistischen und anderen linken Studentinnen und Studenten an der Universität propagiert wurden. Es waren zwei.
Das eine wird in dem Buch von Rainer Rheude genannt (S. 32), wo er ausführlicher auf eine Broschüre der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) eingeht, eine unter dem Titel „Ossietzky aktuell“ herausgegebene Zitatensammlung, bei der sich alles um die „Aktionseinheit von Kommunisten und Sozialdemokraten“ gedreht haben soll. Tatsächlich wurde mit der Broschüre ein ganz anderes Ziel verfolgt. Vorangestellt wird in Fettdruck ein Zitat von Ossietzky, in dem es heißt: „Heute drischt man noch Kommunisten. Morgen werden ganz andre an der Reihe sein ... .“ Aktuell war diese Warnung Ossietzkys wegen der damals geübten Praxis der Berufsverbote, von der man nicht wissen konnte, wie weit sie noch um sich greifen würde. Geradezu populär war ein Zitat von Martin Niemöller, das in dieselbe Richtung ging. Auch in seinen einleitenden Worten hat der Herausgeber PeterAltmann Ossietzky nicht als Herold der Aktionseinheit herausgestellt, sondern als einen radikalen Demokraten, konsequenten Antifaschisten und Antimilitaristen bezeichnet. Die Einschätzung Ossietzkys als eines Antimilitaristen findet sich auch in meinem dort abgedruckten Vortrag, den ich an der Uni gehalten hatte. Wie aus meiner Biographie zu ersehen sein wird, die ich in diesem Jahr abschließen werde, hat sich dank der kommentierten Edition von Ossietzkys Schriften mein Bild inzwischen erweitert, doch stelle ich weiterhin seine Kritik an Militär und Militarismus als einen Grundzug seines Verständnisses von Demokratie heraus.
Das zweite Ziel kann man der Reproduktion eines AStA-Flugblatts entnehmen. Es heißt: „Der Name Ossietzky steht für Freiheit und Menschlichkeit gegen Krieg und für Frieden.“ Gegen diese Aussage lässt sich nur einwenden, dass sie sehr allgemein gehalten ist. Aber in der Zeit der Friedensbewegung gegen die immer wahnwitziger hochdrehende Rüstungsspirale und hundertfach nukleare over-kill-Kapazitäten ließ sich wenigstens die Aussage über den Frieden mit sehr konkreten Vorstellungen füllen: Ossietzky als Apostel der „friedlichen Koexistenz“, der den Weg aus den Gräben des Kalten Krieges weist, bevor sie zu Gräbern werden - sofern sich verstrahlte Tote noch in Gräber legen lassen.
Kommunisten mögen für diese beiden Ziele Ossietzky instrumentalisiert haben, aber wer hätte sich diesen Zielen nicht anschließen können? Ossietzky jedenfalls hätte sich diese lnstrumentalisierung gefallen lassen.
*Prof. Dr. Werner Boldt, Historiker und einer der Herausgeber der Ossietzky-Gesamtausgabe, lehrte und forschte fast dreißig Jahre an der Universität Oldenburg, bevor er 2000 in den Ruhestand verabschiedet wurde.