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Drei von zehn brechen Studium ab

"Ich habe nicht übel Lust, die juristische Fakultät ein für allemal sausen zu lassen. Manchmal überkommen mich Schweißausbrüche, daß ich krepieren könnte." Das Elend, das der französische Romancier Gustave Flaubert 1842, ein Jahr vor Studienabbruch, seiner Schwester schilderte, ist heute aktueller denn je. An den Universitäten macht sich Verzweiflung breit, die Abbruchstatistiken schießen in ungeahnte Höhen: Allein im Wintersemester 1993/94 brachen 60.000 StudentInnen ihr Studium ab, so das jüngste Ergebnis der Hochschul-Informations-System GmbH Hannover (HIS) vom Januar 1995.

Zwar haben sich die Immatrikulationen in den letzten 20 Jahren auf etwa zwei Millionen verdoppelt, doch stieg die Anzahl der Abbrüche im gleichen Zeitraum um mehr als das Vierfache an. Drei von zehn StudienanfängerInnen verlassen die Universität ohne Abschluß. Ein Debakel, das sich längst nicht mehr auf die sprach-, kultur- und sportwissenschaftlichen Studiengänge beschränkt, sondern auf fast alle Fachbereiche übergreift. Selbst die praxisnahen Fachhochschulen werden mittlerweile von der Abbruchwelle erfaßt. Welche Ursachen veranlassen Studierende dazu, dem meist mit hohen Erwartungen begonnenen Studium vorzeitig den Rücken zuzukehren?

Die HIS-Studie nennt vier Hauptgründe: Nahezu alle AbbrecherInnen wurden durch nicht erfüllte Erwartungen enttäuscht und können sich mit den Inhalten des Studiums nicht identifizieren. Als weitere Abbruchgründe beklagen sie die geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt und die schlechten Rahmenbedingungen, wie überfüllte Hörsäle und unzureichende Betreuung. An letzter Stelle rangiert die Überforderung, zu der sich 34 % der AbbrecherInnen bekennen. Allerdings sei der Abbruch nur selten auf eine einzige Ursache zurückzuführen, sondern wurzle meist in einem individuellen Konglomerat von Problemen und Unzufriedenheiten, so die HIS-Studie. Doch inwieweit deckt sich die Gesamtuntersuchung mit der Situation an der einzelnen Hochschule? Sind die gleichen Studiengänge betroffen? Wie werden die Abbruchgründe vor Ort beurteilt, und was hat man ihnen entgegenzusetzen? Am Beispiel der Oldenburger Carl von Ossietzky Universität sollen diese Fragen beantwortet werden.

Die Statistik des Immatrikulationsamtes vom 1.12.1995 ermöglicht einen ersten Überblick. Zwar erlaubt die sechsmonatige Erhebung weder eine Aussage darüber, wieviele StudentInnen eines Studienjahrgangs die Universität ohne Abschluß verlassen, noch über die Entwicklung der Abbruchzahlen. Sie dokumentiert jedoch das Verhältnis der AbbrecherInnen zu den Immatrikulierten eines Studienfaches.

Die Germanisten fallen hierbei besonders ins Auge: 12,5 % der Studierenden brachen ihr Studium ab und überragten damit knapp die Sozialwissenschaften und die Mathematik. Erst im Mittelfeld finden sich die übrigen Sprach-, Geistes- und Kulturwissenschaften wie Anglistik, Politik und Kunst. Auffallend hoch ist der Abbrecheranteil auch in Pädagogik und BWL. Unterhalb der Gesamtabbruchsquote der Hochschule liegen hingegen die Naturwissenschaften und Sport, womit sich Oldenburg vom bundesweiten Trend abhebt.

Die Beratungsstellen von Universität und Arbeitsamt stehen der Misere hilflos gegenüber und verweisen auf die nicht wahrgenommenen Informationsangebote vor der Immatrikulation, ein Versäumnis, durch das der Grundstein für Frustration und Enttäuschung gelegt werde. Doch auch während des Studiums trifft die StudentInnen eine Mitschuld an ihrem Überdruß. So rutschen viele in die soziale Isolation ab, da sie unfähig sind, ihre Passivität abzuschütteln: Anstatt sich um Arbeitsgruppen zu bemühen und die Universität als neuen Lebensraum zu akzeptieren, verkriechen sich die Betroffenen in ihren Zimmerchen und genießen die mütterliche Nestwärme. Gleiches gilt für den vielfach beklagten Praxismangel: Zwar arbeiten die meisten in Nebenjobs, doch orientieren sie sich dabei allzu oft am Stundenlohn statt an den Studieninhalten. Die fehlende Eigeninitiative erklärt den Unifrust jedoch nur teilweise; das Hauptproblem ist die berufliche Perspektivlosigkeit. Dem kann auch die Psychosoziale Beratungsstelle nicht abhelfen, zumal eine Fachkraft und fünf Betreuer angesichts der Masse von über 13.000 Studierenden absolut überfordert sind. Was gibt es für Alternativen? Die Oldenburger Hochschule entschied sich für die Flucht nach vorn und schuf Tutorien für StudienanfängerInnen. Mit dem staatlich subventionierten Modellversuch soll der Teufelskreis von sozialer Isolation und Entfremdung durchbrochen werden. Das Projekt läuft seit 1993 und kommt laut Umfragen gut bei den StudentInnen an. Ob sich die Abbruchquoten damit senken lassen, ist jedoch zweifelhaft. Die Wurzel allen Übels liegt weder in den sozialen Rahmenbedingungen noch in der vermeintlich schlechten Lehre - es mangelt an Berufsperspektiven. Ein Zahlenbeispiel zeigt die Aussichtslosigkeit: Nur jeder zehnte Referendar wurde letztes Jahr von den niedersächsischen Gymnasien in den Schuldienst übernommen. Mit diesen Zahlen vor Augen müssen Studierende am Sinn ihrer Ausbildung zweifeln. Was für die Lehrämter gilt, läßt sich auf Natur- und WirtschaftswissenschaftlerInnen übertragen: Das Studium verkommt zum Weg in die Arbeitslosigkeit.

Wünschenswert wäre eine Neuorientierung der Lehrinhalte an der Realität. Statt die Arbeitsstelle für das Mittelalter auszubauen, sollte man verstärkt journalistische Schreibkurse anbieten. Mit einer entsprechenden Ausbildung stünden den Studierenden die Türen zu alternativen Berufsfeldern offen. So könnten die Germanisten auf dem expandierenden Arbeitsmarkt der Medien eine Nische finden. Solange sich jedoch weder die Lehrinhalte, noch die Berufsaussichten für AkademikerInnen verbessern, müssen schon die SchülerInnen vor einem Studium gewarnt werden. Leider versagt die Beratung bereits an den Schulen. Nicht Beraten, sondern Abraten verhindert das Elend an den Universitäten.

Jan Oliver Grell, Germanistik

Brief an die Redaktion:

In den alltäglichen Informationen über administrative Regelungen, Neuerungen etc. hat mich das Schreiben "Arbeitserlaubnis für Nichtdeutsche" der Verwaltung betroffen gemacht. Die fett gedruckte Überschrift rief bei mir sogleich Assoziationen an nationalsozialistische Verordnungen wach. Als ich dann noch im weiteren Verlauf des Textes vom "Tatbestand" der Einstellung von Nichtdeutschen las, wurde ich wütend. Daran änderten auch die beigelegten Differenzierten und Einschränkungen (Gott sei Dank!) nichts mehr.

Natürlich ist mir klar, daß alles im juristischen Sinne seine Richtigkeit haben wird, daß es sich um eine routinemäßige Mitteilung in harmlos-bürokratischem Sinne handelt. Aber genau das entsetzt mich. Ich hätte erwartet, daß eine Universität solche Regelungen mindestens bedauert und sie "aus gegebenem Anlaß" kritisiert. Sie sollte zweitens nach anderen Wegen suchen und ein eindeutiges Interesse und Engagement dahingehend bekunden, daß sie über die herrschenden gesetzlichen Möglichkeiten hinaus weitere einfordert, damit an der Universität Menschen nicht nur aus EG-Mitgliedstaaten leben, forschen, arbeiten etc. können. Daß die EG-Mitgliedschaftneben dem Deutschsein ein Kriterium für eine Mitarbeit in einer Universität sein soll, sehe sich nicht ein. Es erscheint geradezu widersinnig, daß eine Universität unter dem Namen von Carl von Ossietzky eine solche gehorsame Stellungnahme zur "Arbeitserlaubnis von Nichtdeutschen" kommentarlos und scheinbar nüchtern verschickt. Erwartet hätte sich z.B. Protest gegenüber dem Arbeitsamt und an weitere Adressen.

Petra Muckel


Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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