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Für eine Kultur des intellektuellen Austausches
Anmerkungen zum ersten Forschungstag Oldenburger Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften / Von Karen Ellwanger*
Die gut vierzig Geistes- , Kultur und SozialwissenschaftlerInnen der
Carl von Ossietzky Universität, die sich am 11. Februar auf Einladung
der geistes- und sozialwissenschaftlichen Dekane am Hansewissenschaftskolleg
zu einer eintägigen Klausurtagung trafen, wollten mehr über
die Forschungsaktivitäten ihrer Nachbarn erfahren, als dem auf Außendarstellung
hin geglätteten, karg abstrahierenden Forschungsbericht zu entnehmen
ist.
Quo vadis Geistenwissenschaften? |
Dies ist geglückt. 28 Projekte, die in längerer Fassung auch
ins Netz der Universität gestellt worden sind, stießen in Delmenhorst
während einer Postersession tatsächlich Gespräche und Kontakte
an, lösten teilweise auch Überraschung darüber aus, dass
andere an ähnlichen Themen sitzen wie man selbst. Heike Flessner
sprach von einem "niederschwelligen Angebot" zur Kooperation.
Genau das war intendiert: ein lockeres Netz (statt hoch gehängter
"Schirme"), an der Basis der Forschungsakteure mehrdimensional
angefädelt. An eine mehr als lockere Vernetzung ist offenbar so lange
nicht zu denken, wie die klein geschrumpften Geisteswissenschaften vorwiegend
in der Möglichkeit zur Einzelforschung ihr Potenzial sehen müssen.
Austausch im Kontext
Ich bin überzeugt, dass entscheidend für gegenseitige Anregungen
- und warum sollte man sonst zusammenarbeiten wollen? - das Schaffen eines
Raums für informellen Austausch ist. Unter der Voraussetzung allerdings,
so ergaben Schlussdiskussion in Delmenhorst und Rückmeldungen der
TeilnehmerInnen, dass solche Treffen in lockerer, aber regelmäßiger
Folge stattfinden, dass die Internetdarstellung tatsächlich aktualisiert
wird und dass alle (auch NachwuchswissenschaftlerInnen) ihre Projekte/Projektskizzen
in einem vor "kurzatmiger Ergebnisorientierung" (Walter Siebel)
geschützten, kritikoffenen Ort zur Diskussion stellen können.
Der Forschungstag versteht sich insofern als Beitrag zu einer "Kultur
intellektuellen Austauschs" am Ort Universität, wie sie Silke
Wenk in ihrem Korreferat als zentrale universitäre Aufgabe anmahnte.
Diese Mahnung ist gerade in der Phase der Umstrukturierungen wichtig,
damit nicht auf kalten Wege die immer noch vitalen und profilbildenden
Elemente der Reformuniversität ersatzlos verabschiedet werden. Die
Instrumente der Umstrukturierung sind in ihren Auswirkungen auf immer
wieder beschworene gesamtuniversitäre Ziele (Indikatorengesteuerte
Mittelverteilung, die interdisziplinäre und außeruniversitäre
Kooperationen unberücksichtigt läßt; Neuordnung der Fakultäten
mit dem Effekt der Abschaffung übergreifender Studiengänge)
kritisch zu beobachten.
Intellektueller Austausch läßt sich nicht auf die addierende
Präsentation von Forschungsvorhaben reduzieren, egal in welcher Form.
Kernstück des Konzepts dieses Forschungstages war deshalb die Kontextualisierung
der Projektpräsentationen durch pointierte Vorträge und Diskussionen
zur Lage und zum derzeitigen Selbstverständnis der Geistes- und Sozialwissenschaften
und Künste an der Carl von Ossietzky Universität vor dem Hintergrund
gegenwärtiger Strukturveränderungen an den Universitäten.
Die Forschungssituation
Walter Siebel inspizierte die Forschungssituation der Geistes- und Sozialwissenschaften
am Beipiel der DFG-Antragstätigkeit und der Promotionshäufigkeit.
Einige seiner Ergebnisse lassen sich auf die vorgestellten Projekte (die
meist nicht DFG gefördert sind) übertragen: es überwiegen
Kleinprojekte - Siebel nennt das "Gesellenstücksforschung"
-; die Antragstätigkeit konzentriert sich auf wenige Fächer
und wenige Personen. Die von Siebel monierte kooperationsfreie "Zwei-Augen-Forschung"
allerdings erwies sich nicht selten einfach als verkappte Promotionsförderung
in dem Sinne, dass einzelne DoktorandInnen ihr abgegrenztes, disziplinäres
Thema als "Projekt" bearbeiteten.
Denn auf der anderen Seite wurde deutlich, dass sich jenseits der DFG-Förderung
eine beachtliche Anzahl kooperativer Forschungsvorhaben entwickelt hat.
An inter- und transdisziplinären Projekten sind hier zunächst
Projekte aus dem Umfeld der Frauen- und Geschlechterstudien zu nennen,
gefolgt vom Projektvorhaben "Paradigmenwechsel", das im Rahmen
der Literatur- und Sprachwissenschaften breit gefächert ist. Am anderen
Ende dieses Spektrums befinden sich zum Teil hoch geförderte Einzelprojekte
der Didaktik, die sich auf ganz konkrete Fragen der Anwendungsforschung
innerhalb der Teilbereiche ihrer Disziplin beschränken - was als
Grund für das gelungene Einwerben von Förderungsmitteln genannt
wurde.
Welche weiteren thematischen Muster sind erkennbar? Grundlegend ist zu
konstatieren, dass sich fast jedes Projekt - wie beim Domino - für
mehrere Themenumfelder anschlußfähig erweist. Neben den schon
genannten Frauen- und Geschlechterstudien und der didaktischen Forschung
sind auszumachen:
Gedächtnispolitiken
Archäologie der Moderne
Interkulturalität
Medien
Familie
Lebenswelt; Lebenstilforschung
Nachhaltigkeit
Transdisziplinäre Grundmuster
Was diese "großen" Themen interessant macht, sind aber
genau deren Verknüpfungen, wie z.B. Medien und Familie, Lebensstil,
Nachhaltigkeit und Geschlecht, Gedächtnis, Institution und Moderne
oder Interkulturalität und Geschlecht.
Insgesamt, hob Wolfgang Eichler hervor, zeigten die vorgestellten Projekte
eine besondere Nähe zu Lebensfragen", die zunehmend interdisziplinär
bearbeitet würden.
Allerdings scheint der Schritt von der inter- zur transdisziplinären
Forschung, die Beschaffenheit, Dominanz und gesellschaftliche Machtverflechtungen
des in den Disziplinen erzeugten Wissens mitreflektiert, groß zu
sein. Transdisziplinäre, wissenschaftstheoretisch fundierte Grundlagenforschung
hat offenbar nach wie vor große Probleme bei der Einwerbung von
Drittmitteln. Dies ist ein Politikum, denn von Grundlagenforschung in
den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften wird sich eine seriöse
Universität wohl kaum verabschieden wollen.
Aktueller Forschungsbedarf besteht im Hinblick auf die Bilder, die sich
Natur- und Wirtschaftswissenschaften von den Geistes- und Kulturwissenschaften
machen. Deutlich wird dies in neuen Studiengängen, in denen Geisteswissenschaften
sich als "Kontextwissenschaften" finden wie auch im Vortrag
von Gerhard Roth, Hanse-Wissenschaftskolleg, der für ein neues Verhältnis
von Geistes- und Naturwissenschaften plädierte. Die Basis für
solche Forschungen ist gelegt: ich erinnere an die Ansätze der agis-Gruppe
mit z.B. Wolfgang Nitsch bzw. die Untersuchungen des historischen Selbstverständnisses
und der populären Rezeption der Naturwissenschaften etwa von Falk
Riess und Reinhard Schulz. Eine "Kultur intellektuellen Austausches"
muss ihr Gedächtnis pflegen.
*
Prof. Dr. Karen Ellwanger ist Dekanin des FB 2
Eine alternde, eifersüchtige Bruderhorde ...
Unzureichende Mittel und verkrustete Personalstruktur - Thesen zum Ausweg aus der Misere / Von Walter Siebel*
Die Universität Oldenburg liegt im Hinblick auf DFG-Antragsintensität
und Promotionen eher unter dem Durchschnitt. Wenn wir diese Vermutung
akzeptieren, lohnt es sich, den Gründen nachzugehen:
1. Die schlechte Infrastrukturausstattung, insbesondere aber die Tatsache,
dass in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern fast keine
Nachwuchsstellen zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass jedes Forschungsvorhaben
und jede Promotion durch die Einwerbung von Drittmitteln, durch Stipendien
oder durch eigene Erwerbsarbeit finanziert werden müssen, letzteres
wahrscheinlich ein wesentlicher Grund für die langen Laufzeiten von
Promotionen. Die Konsequenz ist, dass gerade jüngere, begabte Wissenschaftler
nicht gehalten werden können, dass also kein Pool erfahrener Wissenschaftler
aufgebaut werden kann, und dass die mittelfristige oder gar langfristige
Stabilisierung bestimmter Forschungsfelder außerordentlich erschwert
ist. Es dominiert eine kurzatmige Ergebnisorientierung.
2. Die Personalstruktur einer jungen Universität. Als Effekt sammelte
sich an der Universität eine große Gruppe sehr junger Professoren,
die in der Folgezeit sich nicht mehr durch Nachberufungen verjüngte,
weil fast jede freiwerdende Stelle gestrichen wurde. So gab es auch kaum
die Möglichkeit, auf "natürliche" Weise in die Position
eines Seniors aufzurücken. Ärgerlicherweise wurden alle Senior.
Also alterte eine eifersüchtige Brüderhorde - auch einige Schwestern
waren darunter - allmählich durch die Universität hindurch,
sicher keine optimale Voraussetzung für Kooperation.
Was tun?
1. Viel wird davon abhängen, welche Personen in den nächsten
fünf bis zehn Jahren, wenn ein Großteil der Hochschullehrer
der Carl von Ossietzky Universität ausgetauscht wird, neu berufen
werden. Vielleicht sollten verstärkt auch Externe an den Berufungsverfahren
beteiligt werden.
2. Die Universität Oldenburg hat nicht viel in der Hand, um Wissenschaft
zu fördern. Die wenigen Mittel sollten deshalb soweit wie möglich
konzentriert zur Nachwuchsförderung eingesetzt werden. Wesentlich
sind alle Bemühungen, Studenten, insbesondere aber Diplomanden und
Doktoranden in laufende Forschungen einzubeziehen.
3. Der Senat hat kürzlich die Einrichtung eines Beratungssystems
beschlossen. Ich halte das für ein außerordentlich wichtiges
und wirksames System, wenn es so ausgestaltet wird, dass erfahrene Antragsteller
genügend Zeit für die nötige Beratung aufbringen können
und wenn mit solcher Beratung die Selbständigkeit des Nachwuchswissenschaftlers
nicht in Frage gestellt wird.
4. Neben Geld kann die Universität, um Forschung zu fördern,
Zeit dafür zur Verfügung stellen. Es gibt hervorragende Forscher,
die miserable Hochschullehrer sind und umgekehrt. Warum nicht dementsprechend
differenzierte Anreizstrukturen schaffen?
5. Isolierte, noch dazu eher abseits gelegene Universitäten wie unsere
werden es in Zukunft schwerer haben, (wenn sie nicht mit anderen kooperieren,
wie etwa Oldenburg mit Bremen). Allerdings setzt Kooperation voraus, dass
man dem anvisierten Partner auch Interessantes zu bieten hat. Die Universität
Oldenburg wird sich an einer Kooperation nur soweit mit Aussicht auf Erfolg
beteiligen können, wie sie bereit ist, in die entsprechenden Bereiche
auch zu investieren. Sonst läuft sie Gefahr, nur als Aushilfskellner
in Anspruch genommen zu werden.
6. Schließlich ist die immer wieder eingeforderte interdisziplinäre
Kooperation zu versuchen. Ihr Reiz und ihre Produktivität liegen
nicht vordringlich darin, dass die Wissensbestände verschiedener
Disziplinen addiert werden. Fruchtbar ist solche Kooperation dort, wo
man sich den Vertretern eines anderen Fachs verständlich machen muss,
und zwar gerade in den eigenen Basisannahmen und Relevanzstrukturen, die
üblicherweise in der innerdisziplinären Kommunikation gar nicht
mehr reflektiert werden. In diesem Zwang zur Selbstreflexion und damit
auch zur Selbstdistanzierung liegt die eigentliche produktive Chance gelingender
interdisziplinärer Kooperation.
* Prof. Dr. Walter Siebel ist Soziologe am FB 3
Wie kann wissenschaftliche Neugier zum Zuge kommen?
Schlechte Zeiten für kreatives Arbeiten und das Desiderat eines intellektuellen Austausches / Von Silke Wenk*
Wer schreibt endlich den DFG-Antrag zur Analyse jener kollektiven Antragszwänge,
durch die wir uns zunehmend beherrschen lassen?" Ob ein solches Forschungsprojekt,
wie es kürzlich F.W. Graf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
einklagte, je beantragt werden wird, ist fraglich. Die aktuellen Bedingungen
sind für eine Reflexion dessen, was wir in unserer intellektuellen
Arbeit, für die wir berufen wurden, tun, nicht gerade günstig.
Ein derartiges Forschungsprojekt müsste, wollte es nicht bloß
ein weiteres Mal einem allseits beobachtbaren Evaluationsaktivismus huldigen,
danach fragen, wie geforscht wird, wie wissenschaftliche Neugier sich
einen Weg bahnen und auch zum Zuge kommen kann, was die Bedingungen und
Behinderungen kreativen Arbeitens sind; es hätte nach dem Verhältnis
von Fachkultur und Hochschulstruktur zu fragen, nach ihren je spezifischen
Chancen und Behinderungen eines innovativen Denkens, das auch die Disziplinen,
so wie sie sind, zur Disposition zu stellen bereit sein muss. Ein solches
Forschungsprojekt müsste versuchen, das In- und Gegeneinander tradierter
hierarchischer Strukturen und die bereits gezeitigten Effekte aktueller
Umstrukturierungsprozesse auseinanderzunehmen und zu verstehen, um konkrete
Veränderungsstrategien entwerfen zu können. Nötig wären
dafür nicht nur Kompetenzen aus den Frauen- und Geschlechterstudien,
der Soziologie, der Geschichte, der Kulturwissenschaften und der unterschiedlich
involvierten Fachwissenschaften; verlangt wäre auch eine Kooperation
zwischen EmpirikerInnen und WissenschaftstheoretikerInnen und -his-torikerInnen.
Kurz: Ein solches Projekt müsste transdisziplinär angelegt sein.
Aber wer würde es finanzieren? Bekanntlich ist die disziplinäre
Struktur der DFG-Fachgutachter derartigen Vorhaben nicht besonderes förderlich.
Dass auch hochschulinterne Maßnahmen zur Neustrukturierung sich
gerade unter der Perspektive der Innovation und Kooperation als kontraproduktiv
erweisen können, dafür ist die Indikatorengesteuerte Mittelverteilung
ein Beispiel. Überregionale Kooperation etwa - sei es in der Konzeption
und Organisation von wissenschaftlichen Konferenzen, sei es in der Betreuung
von NachwuchswissenschaftlerInnen - kommt beim Punkte-Sammeln
bekanntlich schlecht weg. Wenn jedoch dieses in Gegensatz zur Entwicklung
der Kultur eines intellektuellen Austausches gerät, sieht es schlecht
aus für die Universität als Ort wissenschaftlicher Kreativität.
* Prof. Dr. Silke Wenk ist Kunsthistorikerin am FB 2