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Ausgabe 2/2004
Forschung
- Langfristige Politik erforderlich
"Science": Emmissionsfreie Wirtschaft zu akzeptablem Preis in 100 Jahren möglich
- Neue Bakteriengruppe entdeckt
Oldenburger Meeresbiologen veröffentlichen ihre Forschung in "Nature"
- Spin-Off IX: Unternehmerin im Glashaus
Langfrisitge Politik erforderlich
"Science": Emmissionsfreie Wirtschaft zu akzeptablem Preis in 100 Jahren möglich
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Mit Hochspannung in den freien Markt. |
Das Kyoto-Protokoll und die kurzfristigen Ziele zur Reduktion von Emissionen
sind wichtige erste Schritte zur Minderung der Klimaerwärmung. Sie
müssen jedoch mit einer langfristigen Klimapolitik Hand in Hand gehen.
Modellrechnungen bis zum Jahre 3000 zeigen, dass ein allmählicher
Übergang in eine emissionsfreie globale Wirtschaft zu einem akzeptablen
Preis in den nächsten 50 bis 100 Jahren möglich sein wird. Diese
Ergebnisse haben mehrere Mitglieder des Europäischen Klimaforums
(ECF) kürzlich in der internationalen Fachzeitschrift Science veröffentlicht*.
Unter den Autoren sind auch zwei Oldenburger Wissenschaftler: die Volkswirtin
und Energieexpertin Jun.-Prof. Dr. Claudia Kemfert (Institut für
Volkswirtschaftslehre und Statistik) und der Physiker Dr. Georg Hooss
(Institut für Chemie und Biologie des Meeres).
Um eine dramatische Klimaerwärmung zu vermeiden, müssen die
globalen Pro-Kopf-Emissionen in den nächsten hundert Jahren auf einen
Bruchteil der derzeitigen Werte in den Industrieländern reduziert
werden. Bei Nutzung sämtlicher geschätzter fossiler Ressourcen
(Öl, Gas, Kohle sowie Ölschiefer, Teersände und Methanklathrate)
würden nach Modellrechnungen der mittlere Meeresspiegel um bis zu
acht Meter und die globale Mitteltemperatur um bis zu 9 Grad Celsius innerhalb
dieses Jahrtausends ansteigen.
Wegen der mehr als hundertjährigen Verweildauer des CO2 in der Atmosphäre
wird der Klimawandel weniger durch die aktuellen als durch die aufsummierten
CO2-Emissionen bestimmt. Wichtig für den Erhalt des Klimas sind daher
nicht die Details des Emissionspfads, also wie sich die Emissionen kurzfristig
entwickeln, sondern die Erzielung einer langfristigen Reduktion der Emissionen
über einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahren. Die im Rahmen des Kyoto-Protokolls
festgelegten einzelnen Reduktionsquoten sind weniger entscheidend als
ein gelungener Einstieg in einen langfristigen Pfad ständig reduzierter
Emissionen. Dieses erfordert politische Zielsetzungen, die deutlich über
den Zeithorizont des Kyoto-Protokolls hinausreichen. Nach verschiedenen
Schätzungen würde dabei eine effektive langfristige Klimaschutzpolitik
zu einer Verzögerung des globalen Wachstums von lediglich ein bis
zwei Jahren über einen Zeitraum von 50 Jahren führen - ein wohl
erschwinglicher Preis, wenn damit die unberechenbaren Risiken einer gravierenden
späteren globalen Klimaänderung vermieden werden können.
Im Energiebereich hat der Kapitalstock eine lange Lebensdauer. Daher sind
klar formulierte langfristige politische Zielsetzungen, verbunden mit
konkreten Förderungsmaßnahmen, schon heute erforderlich, um
das Investitionsverhalten der Wirtschaft zu beeinflussen. Auch für
die Öffentlichkeit, die die Politik verstehen und unterstützen
muss, sind klare Zielvorstellungen wichtig. Schließlich sind diese
auch für Entwicklungsländer entscheidend, die die gleiche Lebensqualität
wie die der Industrieländer anstreben. Ein Nachahmen der auf fossilen
Energieträgern basierten Evolution der Industrieländer würde
einen enormen Anstieg der globalen CO2-Emissionen zur Folge haben. Eine
Reihe von technologischen Optionen zur Emissionsreduktion existieren bereits.
Einige von ihnen, wie zum Beispiel die Windkraft, sind schon jetzt wettbewerbsfähig.
Um jedoch die künftig erforderlichen, deutlich stärkeren Reduktionen
von Emissionen zu erreichen, müssen weitere Technologien wie die
Solarkraft eingesetzt werden, die heute im Markt noch nicht konkurrenzfähig
sind. Diese werden sich langfristig nur durchsetzen können, wenn
sie von der Politik frühzeitig unterstützt werden. Alternative
klimaneutrale Emissionspfade sind sowohl für Industrieländer
als auch für Entwicklungsländer in Sicht, sie brauchen jedoch
schon heute die Unterstützung durch belastbare langfristige politische
Zielvorgaben.
Verbindliche Ziele zur kurzfristigen Emissionsreduktion müssen daher
Hand in Hand gehen mit klar formulierten Strategien zur Erreichung deutlich
stringenterer Ziele der Emissionsreduktion auf längere Sicht. Eine
stärkere Ausrichtung auf langfristige Ziele könnte hierbei zur
Überwindung der derzeitigen Schwierigkeiten beim Kyoto-Prozess und
zur Reduktion des - die bisherigen Klimaverhandlungen ebenfalls erschwerenden
- Nord-Süd-Gefälles beitragen.
www.sciencemag.org
www.icbm.de/~hooss/
* K. Hasselmann u.a.: The Challenge of Long-term Climate Change. Science
magazine. Vol. 302, Nr. 5652, 12. Dez. 2003.
Neue Bakteriengruppe entdeckt
Oldenburger Meeresbiologen veröffentlichen ihre Forschung in "Nature"
Meerwasser hat es in sich: In nur einem Milliliter tummeln sich bis zu
zwei Millionen winzige Bakterien. Da wundert es nicht, dass das Wissen
über die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaften im freien Wasser
der Weltmeere äußerst lückenhaft ist. Einen großen
Schritt nach vorne macht die Wissenschaft jetzt durch die Forschungsergebnisse
der Oldenburger Meeresmikrobiologen Prof. Dr. Meinhard Simon, Dr. Natascha
Selje und Dr. Thorsten Brinkhoff, die in dem Wissenschaftsjournal NATURE*
vorgestellt werden. Den WissenschaftlerInnen des Instituts für Chemie
und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg gelang es, eine
neue und sehr häufige Bakteriengruppe zu identifizieren. Diese neue
Gruppe, die RCA-Cluster genannt wurde, gehört zur Familie der Roseobacteriaceen.
Die jetzt identifizierte Bakteriengruppe findet sich in vielen Meeresgebieten
der gemäßigten Zone sowie im Nord- und Südpolarmeer. Während
sie beispielsweise in der Nordsee und dem Nordpolarmeer 5 bis 10 Prozent
aller Bakterien in der oberflächennahen Wasserschicht ausmacht, bringt
sie es im Südpolarmeer sogar auf 20 Prozent. In tropischen und subtropischen
Regionen mit höheren Wassertemperaturen kommen Bakterien dieser Gruppe
nicht vor.
Bei ihren Untersuchungen im Südpolarmeer stellten die Oldenburger
Forscher fest, dass sich die Zusammensetzung der neu identifizierten Gruppe
nördlich und südlich der Polarfront unterscheidet (sog. Phylotypen).
Damit konnten sie erstmals belegen, dass die Verbreitung von marinen Bakteriengruppen
und -arten durch die Verteilung von Wassermassen reguliert wird und die
Temperatur dabei eine wichtige Rolle zu spielen scheint.
Um Bakterien sicher identifizieren zu können, müssen sie zuvor
im Labor kultiviert werden. Meeresbakterien verhalten sich dabei besonders
eigensinnig: Bei dem Versuch, sie zu kultivieren, versagen oft die klassischen
mikrobiologischen Methoden, da sich das Wachstumsmilieu und die Wachstumsbedingungen
dieser Organismen fundamental von den Bedingungen unterscheiden, die im
Labor gewöhnlich hergestellt werden können. Den Oldenburger
WissenschaftlerInnen gelang es dennoch, die neue Bakteriengruppe zu identifizieren,
indem sie zwei Methoden kombinierten: Sie untersuchten die genetischen
Fingerabdrücke von Bakterien im Wasser und fanden so heraus, welche
Bakterien besonders häufig vorkamen. Durch schonende Versuchsbedingungen
regten sie selektiv das Wachstum dieser häufigen Bakterien an, so
dass eine Identifikation möglich wurde.
Bisherige Untersuchungen in offenen Meeresgebieten gaben lediglich Aufschluss
über das Vorkommen und die Häufigkeit von übergeordneten
Bakteriengruppen. Die Oldenburger Wissenschaftler haben nun dafür
gesorgt, dass für die neu identifizierte, sehr häufige Bakteriengruppe
RCA-Cluster eine wesentlich differenziertere Analyse des Vorkommens möglich
ist. Den großen Fortschritt, den dies bedeutet, kann man sich am
Beispiel von Landpflanzen vor Augen führen: Eine grobe Vorstellung
von der weltweiten Verbreitung der Familie der Kiefern (mit ihren Gattungen
Kiefer, Fichte, Lärche und Zeder) sagt noch nichts über ihr
reales Vorkommen an bestimmten Orten aus. Wenn aber dank neuer Untersuchungen
die exakte Verbreitung einer ihrer wichtigsten Gattungen, etwa der Fichte,
in bestimmten Klimazonen nachgewiesen werden kann, ist dies ein bahnbrechender
Erfolg für die Wissenschaft.
*Selje, N., Simon, M., Brinkhoff, T.: A newly discovered Roseobacter
cluster in temperate and polar oceans. Nature, Vol. 427: pp. 445-448 (29
January 2004).
Spin-Off IX: Unternehmerin im Glashaus
Wenn
Elke Haase während der Arbeit aus dem Fenster schaut, streift ihr
Blick über weite Anbauflächen. Unter dicken Planen warten Tausende
von kleinen Rhododendren, Azaleen und Fliederbäumchen auf den Frühling.
Der Weg in Hasses Büro führt durch ein gigantisches Gewächshaus.
Grüne Sprosse, junge Stauden, frische Knospen inmitten computergesteuerter
Bewässerungssysteme und Klimaanlagen. Und Mona, die verschmuste Rottweilerhündin,
die alles im Auge behält. Die Oldenburgerin Haase ist eine, die im
Glashaus sitzt. Als die Diplom-Biologin vor fünfzehn Jahren die Biotechnologie-Firma
„piccoplant“ aufbaute, wuchsen hier noch Rüben und Mais.
Heute unterhält sie eine Anlage, gut zwanzig Fußballfelder
groß. Elf Hektar Heimat für Pflanzen aus der sogenannten Mikrovermehrung.
„Die Methode habe ich während meiner Arbeit an der Universität
Oldenburg kennen gelernt,“ erinnert sich die 48-jährige Unternehmerin,
damals eine der ersten Biologie-Studentinnen der Universität Oldenburg.
Bei der Mikrovermehrung macht man sich die Fähigkeit von Pflanzen
zunutze, aus einem beliebigen Schnipsel eine neue vollständige Pflanze
zu bilden. Das „picco“-Teilchen der Mutterpflanze wird in einer
Laborschale mit Nährboden - das Rezept ist streng geheim - bebrütet,
bis es Triebe entwickelt. Diese werden geteilt und wiederum in Laborschalen
kultiviert. Sind sie groß genug, werden sie in Erde gesetzt und
in Gewächshäusern nach und nach abgehärtet. Ohne eine weitere
Hege würden die verwöhnten Pflänzchen sofort sterben.
Gerade jetzt, mitten in der trüben Jahreszeit, herrscht im Labor
Hochbetrieb. Wenn Sträucher und Zierpflanzen im tiefsten Winterschlaf
liegen, sprießen in Elke Haases Labor schon Tausende Miniaturpflanzen.
Dann gibt es alle Hände voll zu tun. Schneiden, zerteilen, neu einsetzen,
bebrüten - und all das unter sterilen Bedingungen. „Auf diese
Weise stellen wir etwa sechs Millionen Jungpflanzen pro Jahr her, die
krankheitsfrei, robuster und ertragreicher sind als Stecklinge aus traditioneller
Vermehrung“. Das wissen auch die Kunden, hauptsächlich Baumschulen,
zu schätzen. Fünfzig Prozent der Produkte werden in die EU und
nach China exportiert. Besonders gefragt sind zur Zeit winterharte Bambusstauden
und cremefarbener Flieder. „Wir verfügen über ein wirklich
historisches Flieder-Sortiment von etwa siebzig Sorten“, schwärmt
Haase.
Und sie schwärmt von dem Darjeeling-Tee in ihrer Tasse. „Den
habe ich von meiner letzten Indienreise mitgebracht. Aus ökologischem
Anbau. Das findet man dort wirklich selten.“ Vor acht Jahren begründete
Haase ein Joint-Venture mit einem indischen Familienkonzern in Bangalore.
Bananen und die Aufzucht von Zimmerpflanzen für den amerikanischen
Markt stehen im Vordergrund der Produktion. Die Begeisterung für
dieses Projekt steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ihre Passion ist obendrein
die Forschung im Bereich pflanzlicher Biotechnologie und Produktionstechnik.
„Viel Freude hat mir auch die Arbeit für ein Pharmaunternehmen
bereitet, das aus dem Gemeinen Pestwurz ein pflanzliches Mittel gegen
Migräne herstellt. Natürlich wächst die Pflanze auch in
der Natur, doch soll sie nicht mehr wild entnommen werden. So haben wir
den Pestwurz im Labor vermehrt.“ Darüber hinaus arbeitet „piccoplant“
an der Züchtung von Pflanzen zur Sanierung kontaminierter Böden,
an nachwachsenden Rohstoffen und biologischem Pflanzenschutz.
Als energische Unternehmerin mit einem florierenden Betrieb tourt Haase
um den Globus: nach Bangalore natürlich, nach China, dort ist ein
neues Projekt geplant, und zu Messen in Frankreich, den Niederlanden oder
England. Haase hat sich nicht nur als Frau, sondern auch als Wissenschaftlerin
in der freien Wirtschaft durchgesetzt. Mit Fug und Recht wurde sie im
Jahr 2001 zur Indien-Visite des Kanzlers geladen. Haase war eine von zwei
Frauen der Wirtschaftsdelegation. Seite an Seite mit Gerhard Schröder,
Wirtschaftsminister Werner Müller und 42 hochkarätigen Unternehmensvertretern
nahm sie teil an Empfängen und besuchte High-Tech-Unternehmen wie
SAP, Bosch und Siemens. Verstecken muss sich Haase gewiss nicht. Sie ist
eine sowohl ökologisch ambitionierte als auch sozial engagierte Frau.
„Als Integrationsfirma beschäftigen wir 17 MitarbeiterInnen,
die in irgendeiner Form eine Behinderung haben. Die Zusammenarbeit ist
toll.“
Susanne Adam