Kontakt

Presse & Kommunikation

+49 (0) 441 798-5446

Hochschulzeitung UNI-INFO

Uni-Info Kopf

"Ein Mittelstreckler muss bei schon hoher Intensität noch einen zulegen können"

Interview mit dem neuen Präsidenten Prof. Dr. Uwe Schneidewind über die Zukunft der Universität Oldenburg*

UNI-INFO: Herr Schneidewind, Sie fahren fast nie mit dem Auto, sondern nehmen Ihre meisten Termine mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad wahr. Ist das Ausdruck Ihres Umweltbewusstseins?

SCHNEIDEWIND: Für mich ist das einfach eine intelligente Form, mich fortzubewegen. Da spielt Umweltbewusstsein mit, aber auch die Tatsache, dass man auf einer Bahnfahrt mehr Dinge nebenbei erledigen kann als hinter einem Steuerrad.

UNI-INFO: War die Umweltorientierung der Universität ein wichtiges Motiv, sich in Oldenburg zu bewerben?

SCHNEIDEWIND: Das war ein entscheidendes Motiv. Ich war vorher in St. Gallen in einem der führenden Forschungsinstitute für die Fragen von Umweltschutz und Wirtschaft. Und Oldenburg hatte schon damals ein ganz hervorragendes Profil in dem Bereich. Hier eine Professur anzunehmen, war eine besondere Herausforderung.

UNI-INFO: Werden Sie versuchen, den Stellenwert der Umweltforschung, die in den 80er Jahren zum ersten Schwerpunkt an der Universität Oldenburg wurde, zu verstärken?

SCHNEIDEWIND: Es ist mir ein Anliegen, noch deutlicher herauszuarbeiten, wie stark interdisziplinär wir Umweltforschung betreiben und welche Beiträge wir zu dem weiterhin hoch aktuellen Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit leisten.

Interdisziplinäre Brückenschläge

UNI-INFO: Neben der Umweltforschung hat die Universität insbesondere in den Naturwissenschaften weitere Schwerpunkte, die ihr das Profil geben sollen. Wollen Sie diese Politik fortsetzen?

SCHNEIDEWIND: Ich habe ja in den Diskussionen der letzten Monate immer sehr deutlich gemacht, dass wir nur eine Chance im Wettbewerb haben, wenn wir unser ganzes Potenzial ausspielen.

UNI-INFO: Was meinen Sie damit?

SCHNEIDEWIND: Wir müssen unsere Stärken, die einer mittelgroßen Universität, ausspielen: kleine und kurze Kommunikationswege, leichte interdisziplinäre Brückenschläge. Das können wir in der Regel besser als die großen, zum Teil schwerfälligen Universitäten. Und wenn wir in ein solches Umfeld die Spitzenforschung integrieren, die von zentraler Bedeutung ist, werden wir ein hervorragendes Profil bekommen.

UNI-INFO: Als die Universität vor 30 Jahren gegründet wurde, war sie eher eine sozialwissenschaftlich orientierte Hochschule. Die Namensgebung nach dem Publizisten und Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky war damals Ausdruck für die kritische Beschäftigung mit der Gesellschaft. Heute haben sich die Gewichte deutlich zu den Naturwissenschaften verschoben.

Das besondere Merkmal dieser Hochschule ist ihre Kreativität und ihre Fahigkeit auch aktuelle naturwissenschaftliche technische Entwicklungen ...

SCHNEIDEWIND: Das Potenzial, das in der Namensgebung liegt und in ihrem Anspruch, dass Wissenschaft der Gesellschaft gegenüber Verantwortung trägt und keinen Elfenbeinturm für sich beanspruchen darf, müssen wir klarer entfalten. Das besondere Merkmal dieser Hochschule ist ja nicht die Polarisierung und das Gegeneinanderstellen von Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften, sondern immer wieder die Fähigkeit, auch aktuelle naturwissenschaftliche technische Entwicklungen aus einer gesellschaftlich verantwortlichen Perspektive aufzugreifen. Deshalb ist die Umweltforschung so stark. Vom Kern her ist sie erst einmal ein naturwissenschaftliches Phänomen, das aber ganz entscheidend die gesellschaftspolitischen und ökonomischen Fragen des 21. Jahrhunderts prägt. Ein anderes großes Thema an dieser Universität, die Hirnforschung, ist ebenfalls eine entscheidende Herausforderung an die Wissensgesellschaft. Oder denken Sie an den neuen Sonderforschungsbereich in Informatik, wo es um die sicherheitskritischen Systeme, die Steuerung von hochkomplexen Verkehrssystemen geht - da haben wir es mit einer technischen Entwicklung zu tun, die sehr stark in die gesellschaftliche und ökonomische Dimension hineinwirkt.

UNI-INFO: In Planung befindet sich ein Schwerpunkt mit einer besonders starken gesellschaftlichen Orientierung: die Gewalt- und Konfliktforschung.

SCHNEIDEWIND: Die Einführung dieses Schwerpunkts diskutieren wir mit der Universität Bremen und dem Hanse-Wissenschaftskolleg. Und auch hier gibt es wieder ein interessantes Integrationspotenzial. Da sind nicht nur die Soziologie, die Politikwissenschaft und Psychologie gefragt. Auch die neurobiologische Forschung zu Grundlagen der Gewalt, wie sie unter anderem am HWK betrieben wird, hat da große Bedeutung. Und besonders spannend kann dieses Thema werden, wenn nicht nur die destruktive Seite von Konflikt und Gewalt untersucht wird, sondern auch das innovative Potenzial. Wichtige gesellschaftliche Entwicklungen - ökonomische, technische und politische - nehmen doch häufig Ausgang von tiefgreifenden Konfliktsituationen.

Besonders wendig und bereit für neue Wege

UNI-INFO: An Konfliktsituationen hat es an dieser Universität nicht gemangelt. Sie haben viele Stimmen dadurch gewonnen, dass sie auf das damit verbundene hohe kreative Potenzial hingewiesen haben.

SCHNEIDEWIND: Das ist das, was mich an dieser Universität immer so fasziniert hat. Wir haben dieses kreative Potenzial im Forschungsbereich. In Oldenburg sind viele Forscherinnen und Forscher um einiges wendiger und bereit, neue Wege zu denken und zu gehen. Viel Kreativität hat es auch immer in der Lehre gegeben. Wir waren in zahlreichen Bereichen Vorreiter, wie z.B. beim Projektstudium, das in den 70er Jahren eingeführt wurde. Und jetzt sind wir es mit der fast flächendeckenden Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse. Aber denken Sie auch an den Dienstleistungs- und Verwaltungsbereich. Dass unsere Bibliothek ein großes DFG-Projekt zur Einführung eines Informationsmanagements eingeworben hat, zeigt deutlich, wie weitsichtig gedacht wird. Und auch unsere Vorreiterrolle beim Globalhaushalt, der uns heute einen sehr viel effektiveren Einsatz unseres Geldes erlaubt, ist Ausdruck der hohen Bereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen.

UNI-INFO: Einige meinen, dass sich die Universität in manchem übernimmt. Die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge ist nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen - weder bei Lehrenden noch bei Studierenden.

SCHNEIDEWIND: Es ist ein mutiger Weg, zu dem sich die Universität entschlossen hat. Und wir werden hier in den kommenden Monaten noch viel zu diskutieren und Probleme zu lösen haben. Es ist aber auch ein richtiger Weg. Denn solche Wege können sich nur Organisationen erlauben, die entsprechend wendig sind. Das sind wir und wir werden uns damit in besonderer Weise positionieren.

UNI-INFO: Das geschieht aber in einer Zeit, in der die Finanzierung der Universität besonders infrage steht. Sie selbst haben am Protesttag am 1. Juli 2004 deutlich auf dieses Defizit hingewiesen.

... aus einer gesellschaftlich verantwortlichen Perspektive aufzugreifen.

SCHNEIDEWIND: Natürlich gibt es ein erhebliches Defizit. Aber die Universitäten kommen nicht darum herum anzuerkennen, dass wir heute eine Hochschulpolitik unter sehr restriktiven Rahmenbedingungen betreiben müssen. Es wäre naiv, von einem wünschenswerten oder auch nur angemessenen Haushaltsvolumen auszugehen. Die Botschaft des 1. Juli war: wir brauchen Verlässlichkeit, also zumindest eine Finanzierungsbasis, mit der wir längerfristig planen können. Universitäten sind Institutionen, deren Anpassungszeiträu-me sehr, sehr viel länger dauern als z.B. bei Unternehmen. Und der in manchen Bereichen notwendige Wandel kann nur vollzogen werden, wenn wir einen stabilen Rahmen haben.

UNI-INFO: Niedersachsen setzt wie die meisten anderen Länder auch auf Studiengebühren. Die Landesregierung will ein Modell einführen, das es den Universitäten selbst überlässt, für welche Studiengänge sie Gebühren einnehmen will. Wird das die Hochschulen nicht in einen unerträglichen Konkurrenzkampf führen?

SCHNEIDEWIND: Wenn die Studiengebühren kommen, wird sich der Wettbewerb in jedem Fall erheblich verschärfen. Ob das eine oder andere Modell da mehr Wettbewerb bewirkt, ist für mich offen und im Moment nicht so wichtig, weil wir den Wettbewerb mit anderen Hochschulen nicht fürchten müssen. Mich bedrängt mehr die Frage, wie man die zu befürchtende soziale Selektion des Studienzugangs vermeiden kann. Der Gesetzgeber muss alles dafür tun, dass Menschen aus sozial schwächeren Schichten nicht vom Studium abgehalten werden. Das ist eine Minimalbedingung.

UNI-INFO: Die wirtschaftsschwache Nordwestregion hat viele junge Menschen, die aus Familien kommen, die sich ein Studium finanziell nicht ohne weiteres leisten können und sich dann möglicherweise durch Studiengebühren vom Studium abhalten lassen.

SCHNEIDEWIND: Der Grad der Benachteiligung hängt eben davon ab, welche Formen der sozialen Abfederung über Darlehen und Stipendiensysteme bereitgehalten werden. Dies ist nicht nur eine Frage der Chancengleichheit für die jungen Menschen, sondern eine Frage der Entwicklung der Region. Die Region kann sich nur über eine möglichst gute Ausbildung der Bevölkerung weiter entwickeln. Und da spielt die Universität natürlich eine entscheidende Rolle.

UNI-INFO: Wie ist die Universität aus Ihrer Sicht in der Region verankert?

SCHNEIDEWIND: Sie wird - und das ist ja auch ein großer Verdienst meines Vorgängers - von der Stadt und der Region hervorragend angenommen. Und diese sehr gute Partnerschaft wird auch in Zukunft von zentraler Bedeutung sein. Aber wir müssen den Blick auch über die Region hinaus tun und Profil gewinnen. Die Qualität der Oldenburger Forschung und Lehre muss in Zukunft noch stärker auch ein Begriff in Saarbrücken, München oder Dresden werden. Das hilft auch in letzter Konsequenz ganz entscheidend der Region, die dann mehr als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort wahrgenommen wird.

Unsere Leistungen klar definieren

UNI-INFO: Wer sich stärker profilieren will, muss ein Konzept dafür haben - ein Marketingkonzept. Vielen Universitätsangehörigen ist dieser Ausdruck noch fremd. Ist er auch falsch?

SCHNEIDEWIND: Es braucht sicher mehr als ein Marketingkonzept, aber als Betriebswirt habe ich natürlich keine Berührungsängste mit Marketing, denn Marketing heißt ja sehr genau zu definieren, was die Leistungen sind, die wir anbieten. Wie kommunizieren wir sie in richtiger Form und wie erreichen wir die Adressaten? Als Universität sind wir kein Unternehmen. Wir sind eine Organisation mit gesellschaftlichem Auftrag und werden zum größten Teil auch vom Staat finanziert. Und das heißt, hier geht es nicht darum, ein Produkt um jeden Preis zu vermarkten und am Ende einen möglichst hohen Gewinn auszuweisen, sondern wir müssen sehr verantwortungsvoll mit dem Ausbildungs- und auch Forschungsauftrag umgehen, den wir haben. Dennoch müssen wir unsere Leistungen klar definieren und unsere Zielgruppen effektiv ansprechen. Im Studierendenmarketing haben wir hierbei den Mut bewiesen, auch neue Wege zu gehen, wenn ich an die Radiowerbung denke und jetzt an den Kinospot, der in ganz Norddeutschland gelaufen ist.

UNI-INFO: Sie haben sich von Anfang an in der Universität sehr stark engagiert - immer auch über Ihr eigenes Fachgebiet hinaus. Gibt es für Sie ein Leben außerhalb der Universität?

SCHNEIDEWIND: Es wäre sehr traurig, wenn das nicht so wäre. Ich habe eine Familie und drei Kinder und das ist mein ganz zentraler emotionaler Lebensmittelpunkt, für den genügend Zeit bleiben muss. Daneben spielt der Sport als Ausgleich zur anspruchsvollen Arbeit eine wichtige Rolle.

UNI-INFO: Sie waren früher aktiver Leichtathlet. Mittelstreckler.

SCHNEIDEWIND: Ja. Jetzt sind es längere Distanzen. Wenn die Arbeit es zulässt, laufe ich zwei- bis dreimal die Woche.

UNI-INFO: Wie viele Kilometer laufen Sie am Stück?

SCHNEIDEWIND: Das hängt von der jeweiligen Trainingsphase ab, zwischen 10 und 20 Kilometer.

UNI-INFO: Dann sind Sie jetzt Langstreckenläufer. Muss man das als Präsident sein?

SCHNEIDEWIND: Ich bin von Herzen Mittelstreckler, denn Mittelstreckler sein heißt, bei schon hoher Intensität im richtigen Moment noch einen zulegen zu können. Das wird in den kommenden Jahren immer wieder nötig sein.

nach oben
(Stand: 19.01.2024)  | 
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page