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"Ein Mittelstreckler muss bei schon hoher Intensität noch einen zulegen können"
Interview mit dem neuen Präsidenten Prof. Dr. Uwe Schneidewind über die Zukunft der Universität Oldenburg*
UNI-INFO: Herr Schneidewind, Sie fahren fast nie mit dem Auto, sondern
nehmen Ihre meisten Termine mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder
mit dem Fahrrad wahr. Ist das Ausdruck Ihres Umweltbewusstseins?
SCHNEIDEWIND: Für mich ist das einfach eine intelligente Form, mich
fortzubewegen. Da spielt Umweltbewusstsein mit, aber auch die Tatsache,
dass man auf einer Bahnfahrt mehr Dinge nebenbei erledigen kann als hinter
einem Steuerrad.
UNI-INFO: War die Umweltorientierung der Universität ein wichtiges
Motiv, sich in Oldenburg zu bewerben?
SCHNEIDEWIND: Das war ein entscheidendes Motiv. Ich war vorher in St.
Gallen in einem der führenden Forschungsinstitute für die Fragen
von Umweltschutz und Wirtschaft. Und Oldenburg hatte schon damals ein
ganz hervorragendes Profil in dem Bereich. Hier eine Professur anzunehmen,
war eine besondere Herausforderung.
UNI-INFO: Werden Sie versuchen, den Stellenwert der Umweltforschung,
die in den 80er Jahren zum ersten Schwerpunkt an der Universität
Oldenburg wurde, zu verstärken?
SCHNEIDEWIND: Es ist mir ein Anliegen, noch deutlicher herauszuarbeiten,
wie stark interdisziplinär wir Umweltforschung betreiben und welche
Beiträge wir zu dem weiterhin hoch aktuellen Thema Umweltschutz und
Nachhaltigkeit leisten.
Interdisziplinäre Brückenschläge
UNI-INFO: Neben der Umweltforschung hat die Universität insbesondere
in den Naturwissenschaften weitere Schwerpunkte, die ihr das Profil geben
sollen. Wollen Sie diese Politik fortsetzen?
SCHNEIDEWIND: Ich habe ja in den Diskussionen der letzten Monate immer
sehr deutlich gemacht, dass wir nur eine Chance im Wettbewerb haben, wenn
wir unser ganzes Potenzial ausspielen.
UNI-INFO: Was meinen Sie damit?
SCHNEIDEWIND: Wir müssen unsere Stärken, die einer mittelgroßen
Universität, ausspielen: kleine und kurze Kommunikationswege, leichte
interdisziplinäre Brückenschläge. Das können wir in
der Regel besser als die großen, zum Teil schwerfälligen Universitäten.
Und wenn wir in ein solches Umfeld die Spitzenforschung integrieren, die
von zentraler Bedeutung ist, werden wir ein hervorragendes Profil bekommen.
UNI-INFO: Als die Universität vor 30 Jahren gegründet wurde,
war sie eher eine sozialwissenschaftlich orientierte Hochschule. Die Namensgebung
nach dem Publizisten und Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky
war damals Ausdruck für die kritische Beschäftigung mit der
Gesellschaft. Heute haben sich die Gewichte deutlich zu den Naturwissenschaften
verschoben.
Das besondere Merkmal dieser Hochschule ist ihre Kreativität und ihre Fahigkeit auch aktuelle naturwissenschaftliche technische Entwicklungen ... |
SCHNEIDEWIND: Das Potenzial, das in der Namensgebung liegt und in ihrem
Anspruch, dass Wissenschaft der Gesellschaft gegenüber Verantwortung
trägt und keinen Elfenbeinturm für sich beanspruchen darf, müssen
wir klarer entfalten. Das besondere Merkmal dieser Hochschule ist ja nicht
die Polarisierung und das Gegeneinanderstellen von Natur-, Sozial- und
Geisteswissenschaften, sondern immer wieder die Fähigkeit, auch aktuelle
naturwissenschaftliche technische Entwicklungen aus einer gesellschaftlich
verantwortlichen Perspektive aufzugreifen. Deshalb ist die Umweltforschung
so stark. Vom Kern her ist sie erst einmal ein naturwissenschaftliches
Phänomen, das aber ganz entscheidend die gesellschaftspolitischen
und ökonomischen Fragen des 21. Jahrhunderts prägt. Ein anderes
großes Thema an dieser Universität, die Hirnforschung, ist
ebenfalls eine entscheidende Herausforderung an die Wissensgesellschaft.
Oder denken Sie an den neuen Sonderforschungsbereich in Informatik, wo
es um die sicherheitskritischen Systeme, die Steuerung von hochkomplexen
Verkehrssystemen geht - da haben wir es mit einer technischen Entwicklung
zu tun, die sehr stark in die gesellschaftliche und ökonomische Dimension
hineinwirkt.
UNI-INFO: In Planung befindet sich ein Schwerpunkt mit einer besonders
starken gesellschaftlichen Orientierung: die Gewalt- und Konfliktforschung.
SCHNEIDEWIND: Die Einführung dieses Schwerpunkts diskutieren wir
mit der Universität Bremen und dem Hanse-Wissenschaftskolleg. Und
auch hier gibt es wieder ein interessantes Integrationspotenzial. Da sind
nicht nur die Soziologie, die Politikwissenschaft und Psychologie gefragt.
Auch die neurobiologische Forschung zu Grundlagen der Gewalt, wie sie
unter anderem am HWK betrieben wird, hat da große Bedeutung. Und
besonders spannend kann dieses Thema werden, wenn nicht nur die destruktive
Seite von Konflikt und Gewalt untersucht wird, sondern auch das innovative
Potenzial. Wichtige gesellschaftliche Entwicklungen - ökonomische,
technische und politische - nehmen doch häufig Ausgang von tiefgreifenden
Konfliktsituationen.
Besonders wendig und bereit für neue Wege
UNI-INFO: An Konfliktsituationen hat es an dieser Universität nicht
gemangelt. Sie haben viele Stimmen dadurch gewonnen, dass sie auf das
damit verbundene hohe kreative Potenzial hingewiesen haben.
SCHNEIDEWIND: Das ist das, was mich an dieser Universität immer so
fasziniert hat. Wir haben dieses kreative Potenzial im Forschungsbereich.
In Oldenburg sind viele Forscherinnen und Forscher um einiges wendiger
und bereit, neue Wege zu denken und zu gehen. Viel Kreativität hat
es auch immer in der Lehre gegeben. Wir waren in zahlreichen Bereichen
Vorreiter, wie z.B. beim Projektstudium, das in den 70er Jahren eingeführt
wurde. Und jetzt sind wir es mit der fast flächendeckenden Einführung
der Bachelor- und Masterabschlüsse. Aber denken Sie auch an den Dienstleistungs-
und Verwaltungsbereich. Dass unsere Bibliothek ein großes DFG-Projekt
zur Einführung eines Informationsmanagements eingeworben hat, zeigt
deutlich, wie weitsichtig gedacht wird. Und auch unsere Vorreiterrolle
beim Globalhaushalt, der uns heute einen sehr viel effektiveren Einsatz
unseres Geldes erlaubt, ist Ausdruck der hohen Bereitschaft, ausgetretene
Pfade zu verlassen.
UNI-INFO: Einige meinen, dass sich die Universität in manchem übernimmt.
Die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge ist nicht
auf ungeteilte Zustimmung gestoßen - weder bei Lehrenden noch bei
Studierenden.
SCHNEIDEWIND: Es ist ein mutiger Weg, zu dem sich die Universität
entschlossen hat. Und wir werden hier in den kommenden Monaten noch viel
zu diskutieren und Probleme zu lösen haben. Es ist aber auch ein
richtiger Weg. Denn solche Wege können sich nur Organisationen erlauben,
die entsprechend wendig sind. Das sind wir und wir werden uns damit in
besonderer Weise positionieren.
UNI-INFO: Das geschieht aber in einer Zeit, in der die Finanzierung der
Universität besonders infrage steht. Sie selbst haben am Protesttag
am 1. Juli 2004 deutlich auf dieses Defizit hingewiesen.
... aus einer gesellschaftlich verantwortlichen Perspektive aufzugreifen. |
SCHNEIDEWIND: Natürlich gibt es ein erhebliches Defizit. Aber die
Universitäten kommen nicht darum herum anzuerkennen, dass wir heute
eine Hochschulpolitik unter sehr restriktiven Rahmenbedingungen betreiben
müssen. Es wäre naiv, von einem wünschenswerten oder auch
nur angemessenen Haushaltsvolumen auszugehen. Die Botschaft des 1. Juli
war: wir brauchen Verlässlichkeit, also zumindest eine Finanzierungsbasis,
mit der wir längerfristig planen können. Universitäten
sind Institutionen, deren Anpassungszeiträu-me sehr, sehr viel länger
dauern als z.B. bei Unternehmen. Und der in manchen Bereichen notwendige
Wandel kann nur vollzogen werden, wenn wir einen stabilen Rahmen haben.
UNI-INFO: Niedersachsen setzt wie die meisten anderen Länder auch
auf Studiengebühren. Die Landesregierung will ein Modell einführen,
das es den Universitäten selbst überlässt, für welche
Studiengänge sie Gebühren einnehmen will. Wird das die Hochschulen
nicht in einen unerträglichen Konkurrenzkampf führen?
SCHNEIDEWIND: Wenn die Studiengebühren kommen, wird sich der Wettbewerb
in jedem Fall erheblich verschärfen. Ob das eine oder andere Modell
da mehr Wettbewerb bewirkt, ist für mich offen und im Moment nicht
so wichtig, weil wir den Wettbewerb mit anderen Hochschulen nicht fürchten
müssen. Mich bedrängt mehr die Frage, wie man die zu befürchtende
soziale Selektion des Studienzugangs vermeiden kann. Der Gesetzgeber muss
alles dafür tun, dass Menschen aus sozial schwächeren Schichten
nicht vom Studium abgehalten werden. Das ist eine Minimalbedingung.
UNI-INFO: Die wirtschaftsschwache Nordwestregion hat viele junge Menschen,
die aus Familien kommen, die sich ein Studium finanziell nicht ohne weiteres
leisten können und sich dann möglicherweise durch Studiengebühren
vom Studium abhalten lassen.
SCHNEIDEWIND: Der Grad der Benachteiligung hängt eben davon ab, welche
Formen der sozialen Abfederung über Darlehen und Stipendiensysteme
bereitgehalten werden. Dies ist nicht nur eine Frage der Chancengleichheit
für die jungen Menschen, sondern eine Frage der Entwicklung der Region.
Die Region kann sich nur über eine möglichst gute Ausbildung
der Bevölkerung weiter entwickeln. Und da spielt die Universität
natürlich eine entscheidende Rolle.
UNI-INFO: Wie ist die Universität aus Ihrer Sicht in der Region verankert?
SCHNEIDEWIND: Sie wird - und das ist ja auch ein großer Verdienst
meines Vorgängers - von der Stadt und der Region hervorragend angenommen.
Und diese sehr gute Partnerschaft wird auch in Zukunft von zentraler Bedeutung
sein. Aber wir müssen den Blick auch über die Region hinaus
tun und Profil gewinnen. Die Qualität der Oldenburger Forschung und
Lehre muss in Zukunft noch stärker auch ein Begriff in Saarbrücken,
München oder Dresden werden. Das hilft auch in letzter Konsequenz
ganz entscheidend der Region, die dann mehr als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort
wahrgenommen wird.
Unsere Leistungen klar definieren
UNI-INFO: Wer sich stärker profilieren will, muss ein Konzept dafür
haben - ein Marketingkonzept. Vielen Universitätsangehörigen
ist dieser Ausdruck noch fremd. Ist er auch falsch?
SCHNEIDEWIND: Es braucht sicher mehr als ein Marketingkonzept, aber als
Betriebswirt habe ich natürlich keine Berührungsängste
mit Marketing, denn Marketing heißt ja sehr genau zu definieren,
was die Leistungen sind, die wir anbieten. Wie kommunizieren wir sie in
richtiger Form und wie erreichen wir die Adressaten? Als Universität
sind wir kein Unternehmen. Wir sind eine Organisation mit gesellschaftlichem
Auftrag und werden zum größten Teil auch vom Staat finanziert.
Und das heißt, hier geht es nicht darum, ein Produkt um jeden Preis
zu vermarkten und am Ende einen möglichst hohen Gewinn auszuweisen,
sondern wir müssen sehr verantwortungsvoll mit dem Ausbildungs- und
auch Forschungsauftrag umgehen, den wir haben. Dennoch müssen wir
unsere Leistungen klar definieren und unsere Zielgruppen effektiv ansprechen.
Im Studierendenmarketing haben wir hierbei den Mut bewiesen, auch neue
Wege zu gehen, wenn ich an die Radiowerbung denke und jetzt an den Kinospot,
der in ganz Norddeutschland gelaufen ist.
UNI-INFO: Sie haben sich von Anfang an in der Universität sehr stark
engagiert - immer auch über Ihr eigenes Fachgebiet hinaus. Gibt es
für Sie ein Leben außerhalb der Universität?
SCHNEIDEWIND: Es wäre sehr traurig, wenn das nicht so wäre.
Ich habe eine Familie und drei Kinder und das ist mein ganz zentraler
emotionaler Lebensmittelpunkt, für den genügend Zeit bleiben
muss. Daneben spielt der Sport als Ausgleich zur anspruchsvollen Arbeit
eine wichtige Rolle.
UNI-INFO: Sie waren früher aktiver Leichtathlet. Mittelstreckler.
SCHNEIDEWIND: Ja. Jetzt sind es längere Distanzen. Wenn die Arbeit
es zulässt, laufe ich zwei- bis dreimal die Woche.
UNI-INFO: Wie viele Kilometer laufen Sie am Stück?
SCHNEIDEWIND: Das hängt von der jeweiligen Trainingsphase ab, zwischen
10 und 20 Kilometer.
UNI-INFO: Dann sind Sie jetzt Langstreckenläufer. Muss man das als
Präsident sein?
SCHNEIDEWIND: Ich bin von Herzen Mittelstreckler, denn Mittelstreckler
sein heißt, bei schon hoher Intensität im richtigen Moment
noch einen zulegen zu können. Das wird in den kommenden Jahren immer
wieder nötig sein.