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Gedanken eines fachlich vorbelasteten Kinogängers

Manfred Wittrock* zum Kinospot der Universität

Da sehe ich als Oldenburger Erziehungswissenschaftler und Behindertenpädagoge einen Kinospot und denke: Mutig und ungewöhnlich, gerade deswegen aber sicher sehr ansprechend für unsere Zielgruppe der AbiturientInnen. Die jungen Menschen sehen, dass wir in puncto Marketing „etwas drauf“ haben. Zudem merken die ZuschauerInnen, dass wir im aufgeklärten 21. Jahrhundert leben, in dem es - zumindest an der Uni -keine Vorbehalte mehr gegen Menschen mit ungewöhnlichem Aussehen gibt. Wir sind bei den Standards der so oft gepriesenen amerikanischen Universitäten angekommen, in denen „living diversity“ ein festes Prinzip ist. Zudem ist es meine feste Überzeugung, dass eine positive Konnotierung eines jungen lächelnden Menschen allen Menschen mit ungewohnter äußerer Gestalt nur nutzen kann. Hoffentlich kommt mir nur niemand mit dem Argument, dass eine Universität doch keine Erinnerung an Mitmenschen wach rufen darf, die wir früher hinter vorgehaltener Hand als „Wasserkopf“ verschrieen haben und die wir heute medizinisch korrekt als „Hydrocephalus“ bezeichnen, aber lieber nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Brauchen wir auch nicht, denn der medizinische Fortschritt hat diese Schädigung weitgehend behandelbar gemacht.

Das waren meine assoziativen Gedankenbruchstücke, und ich vergaß das Ganze, denn ich gehöre nicht zur angesprochenen Zielgruppe. Im Juli entdeckte ich dann im UNI-INFO ein „Contra & Pro zum Kinospot“. Nach dem Lesen beider Beiträge war ich als Fachvertreter erst einmal beruhigt, denn das Argument „Wir können doch als Universität, dem Hort des Geistes, nicht mit einem Menschen mit ‚Wasserkopf‘ werben“ kam nicht. Aber bei dem amerikanischen Grundprinzip der „living diversity“ scheinen wir auch noch nicht recht angekommen zu sein. Denn haben wir eigentlich einen offiziellen Vertreter für die berechtigten Anliegen von jungen Menschen mit Behinderung bzw. „special needs“? Bisher kenne ich als Fachwissenschaftler, der erst 2002 an die Uni Oldenburg berufen wurde, nur die Fachreferentin vom Studentenwerk. Immerhin die haben wir in Oldenburg und eine ausgesprochen engagierte dazu.

Dann vergesse ich mal kurz meine Rolle als Fachwissenschaftler und denke: Gut, dass wir einen Kollegen aus dem Bereich Marketing haben, der eine so gelungene und überzeugende Pro-Position einnimmt. Denn hätte ich diese Position im UNI-INFO vertreten, hätten dann nicht alle LeserInnen gedacht, was soll eine Behindertenpädagoge auch anderes vertreten?

In mir bemerke ich gerade, dass ich mich freue, an einer Universität zu forschen und zu lehren, in der ein solcher Kinospot möglich ist. Über Geschmack lässt sich wahrlich nicht streiten, und ich verstehe, dass es sicher KollegInnen gibt, die diesen Spot geschmacklich „daneben“ finden. Aber damit muss und will ich auch leben, denn „living diversity“ gehört für mich zu einer Universität.

* Prof. Dr. Manfred Wittrock ist Direktor des Instituts für Sonderpädagogik, Prävention und Rehabilitation

(Stand: 19.01.2024)  | 
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