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"Das grenzt ans Obszöne"
Antonia Grunenberg zur Debatte um das Dresdner Arendt-Institut
Am 12. November 2004 tagt das Kuratorium des Oldenburger Hannah Arendt-Zentrums, zu dessen Mitgliedern u.a. der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker gehört. Leiterin des Zentrums ist die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Antonia Grunenberg (Foto), die sich zu der aktuellen Debatte um das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismus-Forschung (HAIT) äußert.
UNI-INFO: Frau Grunenberg, Sie haben im Juni u.a. zusammen mit den Hannah-Arendt-Preisträgern
Daniel Cohn-Bendit und Freimut Duve eine Erklärung verfasst, in der
Sie das Dresdner Hannah-Arendt -Institut auffordern, einen klaren
Trennungsstrich zu seinem Direktor Gerhard Besier zu ziehen - oder
aber auf den Namen Hannah Arendt zu verzichten. Sie werfen Besier eine
skandalöse Verharmlosung der Methoden der Scientologen
vor. Was ist seit der Veröffentlichung der Erklärung geschehen?
Über Ihre Initiative haben ja alle großen Zeitungen berichtet,
ebenso wie vorher schon über die Vorwürfe gegen Besier.
GRUNENBERG: Das Echo war recht unterschiedlich. Die einen halten es mit
Herrn Besier, die andern äußerten Zustimmung in dem Sinne,
dass solch ein Schritt an die Öffentlichkeit endlich fällig
war. Als direkte Reaktion haben wir vom Kuratorium des HAIT, das sich
in einer Presseerklärung vorbehaltlos hinter Herrn Besier gestellt
hat, einen Brief mit einer Einladung zum Gespräch bekommen, die einer
De-Facto-Einbestellung ins Wissenschaftsministerium nach Dresden ähnlich
sah. Diese ungewöhnliche Reaktion lässt sich nur mit der spezifischen
Verfassung des dortigen Instituts erklären. Anders als in Oldenburg
ist das Institut in Dresden unmittelbar dem Wissenschaftsministerium unterstellt.
Wir wollen dem Gespräch natürlich nicht ausweichen, aber diese
Art der Einbestellung haben wir abgelehnt. Mit unserer Erklärung
wollten wir ein Zeichen setzen, und nun muss man sehen, wie die Verantwortlichen
in Dresden damit umgehen. Was dort möglicherweise inzwischen hinter
den Kulissen geschehen ist, weiß ich nicht.
UNI-INFO: Warum verträgt sich Hannah Arendt nicht mit Scientology?
GRUNENBERG: Hannah Arendt ist immerhin die bedeutendste politische Denkerin
im zwanzigsten Jahrhundert, die für offene, plurale, konflikthafte
öffentliche Auseinandersetzung steht, aber eben nicht für diese
Art von manipulativer Öffentlichkeitsstrategie, wie sie für
Scientology typisch ist. Unter dem Signum der Pluralität der Religionen
- wo wir sicher einiges nachzuholen haben - geht es bei dieser Gruppierung
doch um Dominanz, materielle und psychologische Einflussnahme auf Personen
in einer Verbindung mit wirtschaftlichem Einfluss und obskurer Weltanschauung.
Aus biografischen Gründen, aber auch dem inneren intellektuellen
Kontext heraus ist Arendts Denken untrennbar mit der Kritik an totalitären
Vereinfachungen und Versuchungen verbunden. Ich finde, es grenzt ans Obszöne,
wenn man diese Denkerin mit einer solchen Sekte, für die Demokratie
ohnehin nur ein Instrument ist, in Verbindung bringt.
UNI-INFO: Gibt oder gab es eine Kooperation zwischen dem Oldenburger Hannah
Arendt-Zentrum und dem Dresdner Institut?
GRUNENBERG: Wir haben mit dem vorherigen Leiter, der unter nicht nachvollziehbaren
Gründen seinen Platz räumen musste, bei einer Gelegenheit zusammengearbeitet,
d.h. wir haben zusammen eine Veranstaltung gemacht, aber unter den jetzigen
Bedingungen sehe ich da wenig Möglichkeiten. Ohnehin wird in Dresden
Hannah Arendt verkürzt als sogenannte Totalitarismustheoretikerin
wahrgenommen, während sie in Oldenburg als politische Denkerin des
20. Jahrhunderts mit einem immens breiten Spektrum ins Zentrum gestellt
wird.
UNI-INFO: Was sind die Themen der diesjährigen Kuratoriumssitzung
am 12. November?
GRUNENBERG: Zum einen geht es um die Kooperation mit internationalen Partnern.
So planen wir ein Forschungsprojekt mit deutsch-italienisch-französischer
Beteiligung, in dem untersucht werden soll, inwieweit der Arendtsche
Ansatz, ihre Hermeneutik und ihre Grundkategorien - politische Freiheit,
Handeln, Urteilen, Öffentlichkeit, Verantwortung, Geschichtlichkeit
des Politischen - stärker als bisher in den politikwissenschaftlichen
Diskurs eingebracht werden können.
Ein anderes Thema ist der 100. Geburtstag von Hannah Arendt im Jahr 2006,
der auch in Oldenburg gebührend begangen werden soll. Geplant ist
außerdem - in Zusammenarbeit mit französischen und amerikanischen
Partnerinnen und Partnern - eine Konferenz-Sequenz entlang ihrer Lebensstationen
Berlin, Paris, New York. Dabei geht es uns nicht nur um eine posthume
Ehrung, sondern auch um eine kritische Würdigung Hannah Arendts im
Spektrum des heutigen politischen Denkens. Diese Würdigung soll sich
nicht auf akademische Interpretationen beschränken, sondern das Denken
im politischen Raum mit einschließen. Wir wollen ganz bewusst Hannah
Arendt nicht kanonisieren, sondern sie in die heutige Zeit stellen.
Des weiteren steht die wissenschaftliche Edition und die nach wie vor
miserable Stellensituation zur Debatte. Und last but not least werde ich
auf der Sitzung den Band 2 der Hannah-Arendt-Studien vorstellen, der demnächst
erscheint. In dieser Buchreihe kommen vor allem junge Forscherinnen und
Forscher zu Wort, die über Arendt arbeiten, aber auch eigenständige
Beiträge zur politischen Theorie vorlegen. Im konkreten Falle handelt
es sich um die ausgezeichnete Dissertation von Stefan Ahrens überLegitimität
und Gründung. Hannah Arendts politisches Denken über die Legitimität
politischer Ordnungen.
www.uni-oldenburg.de/arendt-zentrum/