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Damals für nicht wenige ein "Nestbeschmutzer"

Der ehemalige Student der Universität Oldenburg, Volkhard Knigge, wurde mit dem Carl-von-Oosietzky-Preis der stadt Oldenburg ausgezeichnet

Neue Gestaltung der Gedenkstätte Buchenwald: Gräberfeld im Wald mit Edelstahl-Stelen.
Foto: Peter Hansen
Prof. Dr. Volkhard Knigge (Foto), Absolvent der Universität Oldenburg und heute Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, der ehemaligen Konzentrationslager bei Weimar und Nordhausen, wurde am 4. Mai 2006 mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg ausgezeichnet. Der nach dem Friedensnobelpreisträger und Namensgeber der Universität benannte und mit 10.000 s dotierte Preis wird seit 1981 vergeben. Knigge, der in Oldenburg nicht nur studierte, sondern auch promovierte und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war, gilt als Vordenker der Gedenkkultur. Seine Umgestaltung von Buchenwald und Mittelbau-Dora gilt im In- und Ausland als beispielhaft. Zeugnis legten dafür auch die Journalistin Dr. Franziska Augstein und der spanische Schriftsteller Jorge Semprún ab, der als ehemaliger Buchenwald-Häftling Knigges großartige Leistung würdigte. Umrahmt wurde die Veranstaltung von zwei eindrucksvollen Kompositionen des Percussionisten Axel Fries (Universität Oldenburg), die mit großem Beifall aufgenommen wurden. Nachfolgend Auszüge aus Knigges Rede im Oldenburger Schloss:

Lassen Sie mich gleich zu Anfang sagen, dass mich die Verleihung des Carl-von Ossietzky-Preises berührt, aber auch verlegen macht. Sie berührt mich, weil Oldenburg, die Stadt, die mir diesen Preis verleiht, und die Oldenburg zugehörende Universität in meinem Leben eine prägende Rolle gespielt haben. Ohne die beinahe fünfzehn Oldenburger Jahre und ohne Menschen, die mir in dieser Stadt sehr wichtig geworden sind, hätte ich kaum mit der Arbeit in Buchenwald und Mittelbau-Dora, für die Sie mich heute ehren, begonnen ...

Ich will Ihnen aber auch nicht verhehlen, dass Oldenburg mir mit der Verleihung dieses Preises eine große Freude macht, insofern sie meine Arbeit gerade durch die Erinnerung an Carl von Ossietzky würdigt. Carl von Ossietzky, der in einem Deutschland, in dem es an Demokraten mangelte und in dem Gewalt nach innen wie nach außen viel zu vielen als probates Mittel der Austragung politischer und gesellschaftlicher Konflikte erschien, gehört für mich zu den großen, viel zu lange übersehenen, wenn nicht geschmähten Lichtgestalten der deutschen Geschichte. Es ist mir deshalb nie schwer gefallen, in ihm, dem bewussten Kriegsgegner und Kritiker aller Formen von Obrigkeitsstaatlichkeit und auf bloß formales Funktionieren ausgedünnter Demokratie, in ihm, dem hellsichtigen Gesellschaftsbeobachter und entschiedenen Selbstdenker, ein Vorbild zu sehen. Denn kritischer historischer Selbstreflektion verpflichtete Gedenkstättenarbeit verlangt - erst recht dann, wenn sie an einem Ort stattfindet, der wie Buchenwald von den Spuren zweier Diktaturen gezeichnet ist - unter anderem, sich dafür zu entscheiden, zwischen den Stühlen zu sitzen und sich politisch motivierter Geschichtsbildproduktion ebenso zu verweigern wie zeitgeistiger Geschichtsfühlerei. Kritischer historischer Selbstvergewisserung verpflichtete Gedenkstättenarbeit verlangt im Gegenteil, der Ausbildung selbstständiger historischer Urteilskraft und historisch informiertem, verfassungsbewusstem, menschenrechtsverpflichtetem Verantwortungsbewusstsein zuzuarbeiten. Sie beharrt auf der schonungslosen Auseinandersetzung mit inhumaner, unrechtsdurchwirkter oder verbrecherischer Vergangenheit als negativem Horizont, den es einerseits als Wirklichkeit anzuerkennen und von dem es sich andererseits - in Bezug auf die eigene Gegenwart immer wieder neu - durch entsprechendes Handeln abzusetzen gilt. Erinnern so verstanden schmerzt und kostet Mühen des Herzens und des Verstandes und fällt - auch mir - nicht immer leicht. Anlehnung an parteiengestützte oder an von Interessensverbänden mit Macht eingeforderte Vergangenheitsdeutungen kann deshalb schnell als bequemer erscheinen - und bedeutet doch nichts anderes, als Geschichtsbewusstsein willentlich selektiv zu verdunkeln ...

Erlauben Sie mir aber auch, Ihnen einzugestehen, dass meine Freude, wenn ich so sagen darf, eine lokalpatriotische Seite hat. Im Jahr 2000 hat mir Weimar, meine Heimatstadt heute, den Weimar-Preis verliehen. In der Begründung hieß es: „Durch ihn wurde Buchenwald erstmals als ein Bestandteil Weimars erfahrbar.“ Ein ungeheurer, ein aufrichtiger, ein in erster Linie die Stadt, die ihn aussprach, selbst ehrender Satz. Denn mit ihm wurde lange Beschwiegenes, Verleugnetes, Abgedrängtes offen benannt. Dass nämlich gerade Weimar trotz seiner klassischen, humanistischen, weltbürgerlichen Vorgeschichte nur zu gut auf das reibungslose Miteinander mit einem nationalsozialistischen Konzentrationslager vorbereitet war, weil große Teile des städtischen Bürgertums, wie der Bevölkerung überhaupt, anti-demokratisch, nationalistisch und auch antisemitisch eingestellt waren und deshalb den Nationalsozialismus begrüßten. Es genügt, an das verheerende Wirken des antisemitischen Literaturpapstes Adolf Bartels ab den 1890er Jahren, an die Austreibung des Bauhauses 1924/25, an die Modellfunktion Weimars und Thüringens für nationalsozialistische Innen-, Bildungs- und Kulturpolitik unter dem NSDAP-Doppelminister Wilhelm Frick 1929/30 zu erinnern. Und heute stehe ich hier in Oldenburg, der Stadt, in der ich am 7. April 1975 ankam - meinen ersten Abend verbrachte ich, mir unvergesslich, in Steffmanns behaglicher Gaststätte -, der Stadt, deren nationalsozialistische Geschichte auch vor 1933 begann und die sich anfangs so schwer nicht nur mit ihrer Universität tat, sondern - wie die Landesregierung - auch mit Carl von Ossietzky, obwohl, oder gerade weil, die Emslandlager, in die man ihn verschleppt hatte, nicht weit entfernt lagen. Heute dagegen ehren Sie einen wie mich, der damals nicht wenigen als „Nestbeschmutzer“ gegolten hätte, im Namen Carl von Ossietzkys. Den Unterschied zwischen dem Gestern und dem davon erkennbar verschiedenen Heute haben Sie als Amtsträger oder Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt mitgeschaffen. Dafür möchte ich Ihnen - lokalpatriotisch - danken, denn ich habe in Ihrem, in unserem Oldenburg gerne gelebt und mich an seiner Entwicklung gefreut.

Mit dem Hinweis auf die Veränderungen in Weimar und Oldenburg stellvertretend für den Wandel der Geschichtskultur und des Geschichtsbewusstseins in der Bundesrepublik, einen Wandel, der nicht zuletzt in dem historisch vorbildlosen, parteiübergreifend gefassten Bundestagsbeschlüssen zur normativen Verankerung selbstkritischer Verbrechenserinnerung - etwa in Gestalt des Denkmals für die ermordeten Juden Europas - zum Ausdruck gekommen ist, möchte ich zugleich noch einmal unterstreichen, dass ich mich nicht als herausgehobenen Einzelnen verstehen kann. Die Etablierung selbstkritischer Erinnerungskultur als handfester Arbeit an der eigenen Gesellschaft, damit Auschwitz sich nicht wiederhole, ist das Werk vieler, die sich trotz erheblicher politischer und gesellschaftlicher Widerstände, deren Existenz heute gelegentlich gern übergangen wird, bürgerschaftlich engagiert haben. Ich selbst, unter anderem ein Kind der aktiven Arbeit an deutsch-französischer Versöhnung und entscheidend geprägt von Willy Brandts Schuld anerkennendem, Verzeihen erbittenden Kniefall 1970 in Warschau vor dem Denkmal in Erinnerung an den Ghetto-Aufstand von 1943, verdanke diesem Engagement und dem mit ihm verbundenen gesellschaftlichen Klimawandel im Sinne erinnerungskultureller Substantiierung liberaler demokratischer Kultur viel. Ohne solchen Klimawandel wäre auch die Neukonzeption Buchenwalds, der bis 1989/90 politisch im Sinne der SED gelenkten, die achtjährige Geschichte des KZ und seiner Häftlinge nicht vollständig und unverzeichnet, die beinahe fünfjährige Geschichte des sowjetischen Speziallagers dort ganz verschweigenden „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte“ nicht möglich gewesen. Engagement und Klimawandel waren aber nur eine Voraussetzung. Die zweite bestand in einer wegweisenden Entscheidung der letzten - d. h. der ersten demokratisch gewählten - Regierung der DDR (1990). Sie hat Buchenwald im Einigungsvertrag als Kultureinrichtung von gesamtnationaler Bedeutung festgeschrieben und damit auch den Bund in die Verantwortung für die Gedenkstättenarbeit genommen. Wichtiger noch, verweist diese Entscheidung zugleich auf die Bedeutung, die die Erfahrung der DDR-Bürgerrechtsbewegung auf ihre Weise für die Erinnerungskultur in Deutschland gehabt hat und hat. Die dritte Voraussetzung hat in vorbildlicher Weise der Freistaat Thüringen geschaffen, insofern er - demokratischer Geschichtskultur einzig angemessen -,1991 eine unabhängige, plural zusammengesetzte Historikerkommission berief, die, beraten durch Opferverbände, Leitlinien für die Neukonzeption erarbeiten sollte. Auf diese Weise ist unmissverständlich ein Zeichen gesetzt worden, dass Erinnerungskultur nicht parteipolitisch dominiert und Geschichtsbewusstsein nicht politisch verordnet werden darf. Vermieden wurde so zudem die ohne stichhaltige Belege geforderte Parallelisierung der Darstellung von nationalsozialistischem KZ und sowjetischem Speziallager, sei es im Namen eines historisch entkonkretisierten, pauschalisierenden Totalitarismusbegriffs, sei es im Sinne eines vermeintlich entlastenden Verweises auf Andere; eine Praktik, die nach 1945 schnell zur Auseinandersetzungsverweigerung auf je eigene Weise in beiden Deutschland gehörte. Statt neuerlich Geschichtsbilder parteipolitisch zu fabrizieren, geben Thüringer Stiftungsgesetz und dementsprechend die institutionelle Verfassung der Stiftung historischer Forschung - unter Einschluss der quellenkritischen Würdigung von Zeitzeugenberichten - Priorität, sowohl hinsichtlich der Fundierung der Arbeit in Buchenwald und Mittelbau-Dora im Allgemeinen wie auch bezüglich der Klärung des Geltungsanspruch konkurrierender Vergangenheitsdeutungen - und daraus resultierender Konflikte - im Besonderen. Ich betone dies nicht, um mich damit zu schmücken, dass die Arbeit der Stiftung auf dieser Grundlage zu einem beispielgebenden Laboratorium für die museologische, pädagogische und denkmalsgestalterische Konkretisierung demokratischer Erinnerungskultur werden konnte, sondern weil die hier umrissene Grundhaltung nicht mehr selbstverständlich ist. Die Entwicklung selbstkritischer Erinnerungskultur gehört nicht nur zur demokratischen Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, diese Kultur steht auch vor neuen Herausforderungen, von deren Bewältigung abhängt, ob die Bildung wahrhaftigen Geschichtsbewusstseins gestärkt oder ausgehöhlt wird ...

"So lob´ ich mir die Volte der Geschichte"

Dietmar Schütz zur Verleihung des Ossietzky-Preises

Der Carl-von-Ossietzky-Preis, so haben wir es beschlossen, soll an das Leben und Werk des Friedensnobelpreisträgers erinnern, der als überzeugter Anhänger von Demokratie und Republik gegen Unrecht, Gewalt und Gewissenszwang einstand und zum persönlichen Opfer - bei der Verteidigung der Freiheit - bereit war. Ohne Rücksicht auf sich selbst. Er starb am 4. Mai 1938 - immer noch unter Polizeiaufsicht - an den Folgen der im benachbarten Konzentrationslager Papenburg-Esterwegen erlittenen Qualen.

Der Name Carl von Ossietzky wurde Jahrzehnte später - in den Siebzigern - wieder zum politischen Reizwort. Der Umgang mit seiner Person und seinem geistigen Erbe fand erneut nationale und internationale Beachtung - nicht zuletzt ausgelöst durch die heftige und langjährige Auseinandersetzung um die Namensgebung für die neu gegründete Universität hier in Oldenburg.

Es war eine unschöne, zum Teil beschämende und gar nicht zu vermittelnde Kontroverse. Den sich zu einem peinlichen und politisch bedenklichen Ereignis steigernde Namensstreit um Carl von Ossietzky mit der gewaltsamen Entfernung des Namenszuges am Turm der Universität habe ich ebenfalls aus nächster Nähe erlebt - zu jener Zeit als persönlicher Referent des Wissenschaftsministers und zugleich als jemand, der die damals handelnden Studenten und ihre Ziele selbst sehr gut kannte.

Aufgrund einer Landtagsanfrage eines oppositionellen Oldenburger Abgeordneten sah sich die damalige sozialliberale Landesregierung - gegen massive interne Warnungen und Proteste - genötigt, den Namenszug zu entfernen. Dies geschah aus einem falschen Rechtsverständnis - und vor allem aus einer falschen Einschätzung Ossietzkys, der manchen als vermeintlicher Apologet einer Einheitsfront (SPD und KPD, d.R.) verdächtigt war, obwohl er allenfalls dafür missbraucht wurde. Die List der Geschichte hat als Reaktion auf dieses Ereignis - nach aufrüttelnden Kommentaren in der internationalen Presse, zum Beispiel der New York Times und der Berlingske Tidende - letztlich bewirkt, den Namen Carl von Ossietzky für die Universität durchsetzen zu können und auch im Bewusstsein der Oldenburger zu festigen.

Nicht nachlassendes öffentliches Engagement und wissenschaftliche Arbeiten von Elke Suhr und anderen haben dazu geführt, dass Rosalinde von Ossietzky-Palm - die Tochter des Namensgebers - erste Ehrenbürgerin der Oldenburger Universität wurde und ihr den Nachlass ihres Vaters übergab. Als weitere Folge dieser tief greifenden Debatte beschloss der Rat der Stadt Oldenburg, die Wahrnehmung Ossietzkys, seines Werkes und seiner Wirkungsstätte - vor allem aber auch das Denken und Handeln in seinem Sinn - mit unserem Preis zu fördern und auszuzeichnen.

Dieser geht heute erstmals an einen Preisträger, der aus der Carl von Ossietzky Universität kommt. So lob` ich mir die Volte der Geschichte ...

Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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