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"Die Versuchung ist groß"

Wilfried Wackernagel über Täuschungen im Studium

In einem Flyer appellieren die bisherige Vizepräsidentin für Lehre, Prof. Dr. Karen Ellwanger, und der Vorsitzende der Ethikkommission, Prof. Dr. Wilfried Wackernagel, an die Studierenden, das Studium nicht mit Täuschungen zu beginnen und die Normen der wissenschaftlichen Praxis einzuhalten. Dazu ein Interview mit Wilfried Wackernagel:

UNI-INFO: Herr Wackernagel, welche Regeln beim wissenschaftlichen Arbeiten gelten, lernt man in der Regel zu Beginn des Studiums. Warum haben Sie extra einen Flyer an die Studierenden formuliert?

WACKERNAGEL: Wir wollen den Studierenden, aber auch den Lehrenden bewusst machen, dass gute wissenschaftliche Praxis ein Lernziel und ein Inhalt der wissenschaftlichen Hochschulausbildung ist. Und was gute wissenschaftliche Praxis ist, haben wir 2002 - nicht ohne Grund - sogar als „Leitlinien“ festgehalten. Wir müssen dafür sorgen, dass dagegen nicht verstoßen wird.

UNI-INFO: Täuschungsversuche, indem man Texte anderer übernimmt, sind ja nicht etwas wirklich Neues, nur wird es durch das Internet einfacher, weil man leichter an entsprechende Arbeiten herankommt. Das Angebot ist riesig. Bei Google findet man unter dem Stichwort „Examensarbeit“ 400.000 Links, unter „Seminararbeit“ 1,4 Mio. und unter „Hausarbeit“ 3,2 Mio Verweise.

WACKERNAGEL: Die Versuchung ist tatsächlich groß. Und die Studierenden im Bachelor-Bereich sind auch unter Zeitdruck. Sie müssen von Beginn an in einem Semester mehrere Arbeiten abliefern und Prüfungen machen. Da ist es natürlich leichter, auf vorhandenes Material zurückzugreifen, das man im Netz bekommen kann. Aber es wird auch anderweitig kopiert und abgeschrieben. Und das passiert ja nicht erst in der Universität. An den Gymnasien ist Plagiat auch ein Thema, das aber noch eine viel zu geringe Rolle spielt.

UNI-INFO: Im Rahmen des Bachelorstudiums sind in diesem Jahr beim Prüfungsamt zwei Täuschungsfälle unter der Rubrik „Plagiat“ offiziell bekannt geworden. Wie hoch schätzen Sie insgesamt die Risiken für Studierende ein, geschnappt zu werden?

WACKERNAGEL: Das kann man nicht genau benennen. Amerikanische Studien zeigen, dass 30 bis 80 Fälle pro Hochschule jährlich bekannt werden. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich sehr viel höher. Meine Erfahrung ist, dass jeder zweite Hochschullehrer, mit dem ich über dieses Thema spreche, schon in Texten der Studierenden Fremdmaterial entdeckt hat.

UNI-INFO: Wie macht man das?

WACKERNAGEL: Plagiate können am einfachsten oder am sichersten identifiziert werden von erfahrenen Lehrenden und weniger von Tutoren oder Wissenschaftlichen Hilfskräften. Lehrende erkennen, wenn sich zum Beispiel der Stil und die Rechtschreibung ändern, Fremdworte benutzt werden, die sonst wenig vorkommen, etc.

UNI-INFO: Und was dann?

WACKERNAGEL: Man sollte die Studierenden auf die Textstellen hin ansprechen und befragen. Es muss nicht unbedingt gleich zu einem offiziellen Plagiatsvorwurf kommen. Man kann auch auf andere Art und Weise damit umgehen und erfolgreich einwirken, indem man Ersatzleistungen fordert.

UNI-INFO: Sind moralische Appelle das einzige Instrument, das die Lehrenden haben?

WACKERNAGEL: Wie gesagt, den Verzicht auf Plagiate muss ein Studierender begreifen. Er muss im Studium erkennen, dass er nicht nur andere, sondern letztlich sich selbst betrügt, wenn er sich zu Täuschungen verleiten lässt. Wichtig dafür ist zuerst eine gute Lehre, in der aber auch auf die Problematik hingewiesen wird und Verstöße geahndet werden. Vor allem müssen die Lehrenden wissenschaftliche Redlichkeit konsequent vorleben.

UNI-INFO: In Großbritannien wird ein Student, der des Plagiats überführt ist, von der Universität verwiesen und kann sich dann auch nicht mehr an anderen Universitäten immatrikulieren.

WACKERNAGEL: Die Regelung ist mir zu hart, wenn sie schon beim ersten Vergehen greift. Beim Plagiat gibt es Übergänge von einigen Sätzen „Anleihe“ bis zu seitenlangem, oft ganze Artikel umfassenden geistigen Diebstahl. Man muss die gute wissenschaftliche Praxis wirklich erlernen und sich zu eigen machen. Unsere Prüfungsordnungen im Bachelor-Bereich sehen deutliche Bestrafungen vor, die erst bei wiederholten Verstößen auch zum Ausschluss vom Studium führen. Das ist übrigens auch schon immer so gewesen, nur wird es jetzt noch realer, da die Semesterprüfungen Teil der Gesamtprüfungsleistung sind. nach oben

Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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