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Das aktuelle Interview
"Wir wollen neue Märkte betreten"
Fraunhofer-Projektgruppe stellt sich vor
Die Fraunhofer-Projektgruppe Hör-, Sprach- und Audiotechnologie des Thüringer Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT hat vor einem Jahr ihre Arbeit in Oldenburg aufgenommen. Im November präsentierte sie erste Ergebnisse. Dazu ein Gespräch mit dem Leiter der Projektgruppe, Prof. Dr. Dr. Birger Kollmeier, und dem Stellvertretenden Leiter, Dr. Jens-E. Appell.
UNI-INFO: Herr Appell, würden Sie, wenn Sie müssten, ein Hörgerät tragen?
APPELL: Ich denke schon. Aber Sie sprechen da ein Problem an. Schwerhörigkeit ist ein Prozess, der über Jahre geht. Und die meisten Hörgeschädigten tragen viel zu spät ein Hörgerät, das eben noch sehr negativ besetzt ist. Das Gehirn hat dann die jahrelang nicht gehörten hohen Töne meist schon „vergessen“. Wir in der Fraunhofer-Projektgruppe arbeiten daran, die für das Hörgerät notwendigen Technologien in positiver besetzte Kommunikationsgeräte zu integrieren. Und kommen so zum Beispiel zum Hörgerät im iPod.
UNI-INFO: Kann man das dann noch als medizinische Hörtechnik bezeichnen?
APPELL: Bisher wurden in der Oldenburger Hörforschung Technologien mit Fokus auf die medizinischen Hörhilfen entwickelt, zum Beispiel Verfahren zur Störgeräuschbefreiung. Wir können dieses Wissen aber auch verstärkt in moderner Kommunikationselektronik einsetzen, also beispielsweise in der Videotelefonie oder in Konferenzsystemen. Dieser Übergang von den medizinischen Anwendungen zu den nichtmedizinischen Anwendungen in der Audiotechnologie ist genau der Fokus der Fraunhofer-Projektgruppe.
UNI-INFO: Dabei spielt vermutlich auch die Sprachverständlichkeit eine gewichtige Rolle …
KOLLMEIER: Wir entwickeln eigens Technologien, die gute Sprachverständlichkeit sicherstellen. Dabei trimmen wir die Produkte nicht nur auf schöne visuelle Optik oder auf schönen Klang, sondern vor allem auf individuelle Anpassbarkeit. Sind zum Beispiel die Durchsagen auf dem Bahnhof verständlich? Das können wir objektiv überwachen. Und die Verständlichkeit noch optimieren.
UNI-INFO: In der Projektgruppe konzentrieren Sie sich weniger auf Projekte in der Grundlagenforschung als vielmehr auf Anwendungsorientierung und frühe Marktgängigkeit. Wie fällt hier nach einem Jahr Ihr Zwischenfazit aus?
APPELL: Ziel war es von Anfang an, neue Märkte zu betreten. Und das ist uns in dem vergangenen Jahr sehr gut gelungen. Wir hatten über 25 Firmen hier, mit denen wir konkret über Projekte gesprochen haben. Große Consumer-Elektronik-Hersteller ge-
nauso wie kleine und mittelständische Unternehmen, die im Bereich akustischer Signalverarbeitung nach neuen Lösungen suchen.
UNI-INFO: Wie genau sieht dabei die Zusammenarbeit mit der Oldenburger Hörforschung aus?
KOLLMEIER: In der Grundlagenforschung im Rahmen des Zentrums für Hörforschung arbeiten wir intensiv mit Neurobiologen zusammen. Aus psychoakustischen Messungen und Ergebnissen können wir Hörmodelle generieren, die wiederum dann in die praxisorientierte Forschung der Fraunhofer-Projektgruppe eingehen.
UNI-INFO: Umgekehrt profitiert dann auch die Universität von der Fraunhofer-Projektgruppe …
KOLLMEIER: Ja, wir haben im Zentrum für Hörforschung den Bereich der Akustik und akustischen Signalverarbeitung deutlich ausgebaut. Eine Professur wurde bereits besetzt, ein weiterer Ruf im Bereich Hörmodellierung gilt als sicher. Das ist eine sehr gute Aufstellung, mit der wir uns bei der nächsten Exzellenzinitiative 2010 bewerben möchten. Für die beiden anerkannten Experten war es wichtig, dass sie sich in der Fraunhofer-Projektgruppe einbringen können – die Projektgruppe ist somit auch ein Magnet für Spitzenforscher.
UNI-INFO: Wie ist die zeitliche Perspektive für die Projektgruppe?
KOLLMEIER: Zunächst hat sie eine Anschubfinanzierung für fünf Jahre. Bei entsprechendem Wachstum kann aus der Projektgruppe ein eigenes Fraunhofer-Institut werden.