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Hochschulzeitung UNI-INFO

Inhalt 5/2011

Thema

Unkonventionell und doch erfolgreich

Gründungsrektor Rainer Krüger über die turbulenten, spannenden und schwierigen Anfänge der Universität Oldenburg

Der Gründungsrektor der Universität Oldenburg, Prof. Dr. Rainer Krüger (71), beschreibt in dem von Gerhard Harms und Peter Waskönig herausgegebenen Buch „Mehr Lust als Last?“ die Anfänge der Universität Oldenburg. In dem Buch bilanzieren die ersten sieben LeiterInnen der Universität ihre Amtszeiten in den Jahren von 1974 bis 2010. Krüger leitete die Universität von 1974 bis 1979. Nachfolgend Auszüge aus seinem Beitrag.

Start der Universität 1974: Rainer Krüger mit seinem Stellvertreter Wolfgang Promies.

Nur widerstrebend steige ich in die Aufgabe ein, über die Gründungsphase der Carl von Ossietzky Universität zu schreiben. Ihr Anfang liegt fast vierzig Jahre zurück. Erinnerung dünnt aus und konzentriert sich auf Situationen, über die hinaus das Gründungsgeschehen breiter ausgeleuchtet werden müsste. Stelle ich mich dennoch der Aufgabe, soll es nicht nach billiger später Rechtfertigung klingen. Ich muss versuchen, die eigentlich geleisteten Aufgaben im Gründungsauschuss und danach in der Rektoratszeit bis 1979 wenigstens in groben Zügen zu beschreiben. Die spektakuläre Geschichte der Namensgebung, die Auseinandersetzung um den Radikalenerlass im Öffentlichen Dienst, das äußere Erscheinungsbild bärtiger Universitätsgründer und die von ihnen vermeintlich ausgehenden revolutionären Gefährdungen sowie ihre beklagte Unprofessionalität – alle diese Reibungspunkte haben sich zu einem Gemisch verdichtet, das die Universitätsgründung in einem schlechten Licht erscheinen ließ. Selbst im Ringen mit Landesregierungen, die Ausbauziele der Hochschule – Studienplätze, Neubauten, Studiengänge – verwarfen und neu erfanden, gab es zwar auch Solidarisierungen in Stadt und Region, stärker aber war die Außenwahrnehmung, Gründungsausschuss und Gründungsrektorat müssten andauernd an der Obrigkeit herumnörgeln (…)

Vom Ende her betrachtet halte ich fest: Bei meinem und meines Stellvertreters Ausscheiden aus der Universitätsleitung gab es eine funktionierende Hochschule mit 4.905 eingeschriebenen Studierenden (Stand Juni 1979) und neben den das gesamte Fächerspektrum umfassenden Lehramtsstudiengängen immerhin acht neue Diplomstudiengänge und drei Diplom-Aufbaustudiengänge. Die Einphasige Lehrerausbildung (ELAB) war ein von Sachkennern geschätzter Modellversuch. Planung und Finanzierung der ab 1980 realisierten Neubauten im Zentralbereich am Uhlhornsweg mit 107,6 Millionen DM Baukosten harrten der Verwirklichung. Die Aufbauarbeit des Gründungsjahrzehnts war nicht vergebens (…)

Auf Achterbahnfahrt

Es muss der Albtraum jeder Unternehmensgründung sein, wenn der Hahn für Investitionsmittel auf- und abgedreht wird. Eine nachhaltige Perspektivplanung des Aufbaus ist damit nicht möglich. So geschah es aber der jungen Universität, wobei es in der Summe der Bewegungen insgesamt abwärts ging. Zuerst hatte der Ausbau hoffnungsvoll begonnen: Am 10. Oktober 1975 konnte das Allgemeine Verfügungszentrum am Uhlhornsweg endlich in Betrieb genommen werden – vor allem als ein erstes Domizil für die Naturwissenschaften. Zum 1. Dezember 1975 war das Rechenzentrum mit 18 Stellen funktionsfähig. Für die Bibliothek gab es (bis 1977 zu verausgaben) 10 Millionen DM für den Aufbau eines Büchergrundbestandes. Dafür standen laut Plan 1975 53 Bibliotheksstellen zur Verfügung. Im Februar 1976 wurde der Diplomstudiengang Psychologie genehmigt. Und seit Anfang 1975 gehörte der Botanische Garten zur Universität, ein Ort der Forschung und Lehre, den aber ich – wie viele andere auch – von der nahen Margaretenstraße aus zur Entspannung nutzen konnte. Entspannt schien man auch sein zu können, weil der Wissenschaftsrat nach einer Begehung im Dezember 1975 zum weiteren Ausbau neuer Hochschulen feststellte, dass die Neubaumaßnahmen für die Naturwissenschaften und Sport in Wechloy „vorbehaltlos in den Rahmenplan aufgenommen und möglichst rasch realisiert werden“ sollten. Gleiches galt als Empfehlung für den geplanten Zentralbereich am Uhlhornsweg. Als Zielzahl des Ausbaus war an 9.300 Studienplätze gedacht. Im Herbst 1976 sollte mit dem Bau der Zentralbibliothek begonnen werden. Dann aber ging es Schlag auf Schlag gegen die Universität. Ich möchte nur in Kurzform Fakten und wesentliche Auszüge aus Dokumenten aufzählen, dabei aber über ein Ereignis ausführlicher berichten:

• Die am 7. Februar 1976 überraschend ins Amt gekommene CDU-Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Albrecht ließ am 1. März den Termin für die Anmeldung der Neubaumaßnahmen zum 6. Rahmenplan verstreichen.

• Am 30. März berichtete ich dem Wissenschaftsminister in einer ausführlichen Stellungnahme: „Ich hoffe, dass die neue Landesregierung dem vom Wissenschaftsrat empfohlenen Ausbaukonzept ebenfalls zustimmen wird. Es ist bekannt, dass sich bislang im Süden des Landes Niedersachsen eine Konzentration von Studienplätzen gegenüber den unterversorgten Nordregionen befindet, konkret ein Verhältnis von 5:1 zugunsten Südniedersachsens (...) Besonders kritisch wird sich der Fehlbedarf im Bereich der Naturwissenschaften auswirken (...)Die Ausbildungssituation (...) ist schon heute sehr kritisch, da 400 naturwissenschaftlichen Studienplätzen bereits heute 780 Studenten gegenüberstehen (...) Bis zur Fertigstellung neuer Bauten im Jahr 1980 würden sich ca. 2.500 Studenten mit den vorhandenen wenigen Studienplätzen begnügen müssen.“

• Unser UNI-INFO titelt am 25. März: „Die Katastrophe ist da“. Die Nachricht ist die Reaktion auf das Ergebnis einer Besprechung im Ministerium, dass das Ausbauziel von 9.300 auf 5.800 Studienplätze abgesenkt werden soll.

• Eine Senatskommission erarbeitet unter dem Titel „Aufbaustopp? Zur strukturellen Bedeutung des Universitätsausbaus in Oldenburg für den Nordwestraum“ eine ausführliche Stellungnahme. Es wird vor allem auf die bedeutende „Schrittmacherfunktion“ der Universität in einer strukturschwachen Region eingegangen.

• Es folgt das beeindruckende einmalige Ereignis in der Geschichte der jungen Hochschule: die „Fahrrad-Demonstration“ von Oldenburg nach Hannover vom 13. bis 16. Juni 1976 (...) Es war eine logistische Meisterleistung, über die ein die Kolonne begleitender Polizeioffizier zu mir sagte, dass die Verlegung eines Bataillons der Bundeswehr fast sechs Wochen brauche. Die Universitätsangehörigen schafften es in vierzehn Tagen: Unterbringung von tausend Menschen in Kirchen, Schulen und Zelten, Pendelverpflegung von der Oldenburger Mensa aus (...)

• Die Demonstration zeigt Wirkung: Zum 1. Oktober meldet das Ministerium doch noch zum 6. Rahmenplan nach: Bis 1980 sollen 161,3 Millionen D-Mark für den Bau von Bibliothek, Sportanlagen und Zentralwerkstatt, aber keiner Mensa, zur Verfügung stehen. Die reduzierte Zahl von 5.800 Studienplätzen bleibt.

• Nach Bildung der Koalition von CDU und FDP wird der Universitätsleitung in einer Besprechung am 7. Juni 1977 mitgeteilt, dass die Studienplatzzielzahl auf 6.800 Plätze angehoben werde.

• Fast im gleichen Atemzug lässt Minister Pestel wissen, dass er eine Konzentration des Faches Physik in Osnabrück anstrebe.

• Im Mai 1978 entscheidet das Ministerium in Hannover, dass die Physik in Oldenburg bleiben kann. Dafür wird der Universität Osnabrück die Einrichtung eines Fachbereiches Jura in Aussicht gestellt. Osnabrück hatte sich nicht um einen solchen beworben, wohl aber immer wieder Oldenburg. Denn hier sind alle Institutionen zur Ausbildung im Referendariat vorhanden.

• Anfang 1979 soll mit dem Ausbau der Universitätsbibliothek und einer Mensa begonnen werden.

• Im April 1979 gibt die Landesregierung bekannt, die Zahl naturwissenschaftlicher Studienplätze für Oldenburg von 3.500 auf 1.200 absenken zu wollen (…)
• Wieder zieht die Universität zu großem Protest nach Hannover: Mit einem Sonderzug fahren am 8. Mai 1979 1.900 Hochschulangehörige nach Hannover und demonstrieren gegen die Ausbaukürzungen und die damit verbundene Benachteiligung des Nordwestraumes. Außer uns Rektoren von Universität und Fachhochschulen aus dem Nordwesten sprachen Oberbürgermeister Fleischer und Oberstadtdirektor Wandscher sowie die Fraktionsvorsitzenden von SPD und FDP (!) im Landtag. Unter dem Motto „Ausbildung und Arbeit auch für Oldenburger und Ostfriesen“ erschienen am gleichen Tag durch Spenden finanzierte Großanzeigen in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ und der „Nordwest-Zeitung“.

• Auf Anregung des Kanzlers unterbreitete ich dem Minister Anfang Juni einen Kompromissvorschlag der Universität: Die fertig geplanten ersten und zweiten Bauabschnitte der Naturwissenschaften sollten gebaut werden. Dafür würde die Hochschule zunächst auf die Neubauten für die Geisteswissenschaften und die Verwaltung verzichten (…)

Erste Wegweiser

Das Konzept der „Einstufigen Einphasigen Lehrerausbildung“ (ELAB), entwickelt im Gründungsausschuss und danach mit Studieneröffnung 1974 trotz massiver Kritik konservativer Bildungspolitiker und Verbandsfunktionäre sowie materieller Engpässe in die Praxis umgesetzt, war schnell zu einem Markenzeichen der jungen Universität geworden. Der international beachtete und dreifach durch Gutachter belobigte Modellversuch wurde auf Weisung der Landesregierung ab 1980 zum Stillstand gebracht. (…) Nicht nur über die ELAB, auch in geisteswissenschaftlichen Bereichen von Forschung, Lehre und Studium ließe sich nachweisen, wie sich bewusst gesetzte Schwerpunkte seit der Planung im Gründungsausschuss später zu wichtigen Profilbausteinen entwickelt haben. In Stichworten ausgedrückt würde man etwa die folgenden Marksteine nennen können: Weiterbildung mit der Kontaktstelle für Weiterbildung; Breiten- und Freizeitsport; Psychoakustik; Familiensoziologie; Stadt- und Regionalsoziologie und Raumwissenschaften; theoretische und gesellschaftskritische Grundlagen der Sozialwissenschaften. (…) (In den Naturwissenschaften) lag die wichtigste Erweiterung des Fächerspektrums. Und in diesem Bereich war die Skepsis der uns beäugenden Scientific Community und Politik am größten. Denn das sich herausbildende Forschungsspektrum war unkonventionell und bewegte sich am Rand zu Standardrepertoires traditioneller Institute. Mit dem Interesse an neuen gesellschaftlichen Herausforderungen – vor allem zu nachhaltigem Ressourcenumgang – betrat man Neuland. Ökologie: Das Projekt „Lebensraum Haarenniederung“ existierte seit dem Sommersemester 1974. Es hatte zum Ziel, die vor allem ökologischen Bedingungen in einem Landschaftsschutzgebiet zu eruieren, in das hinein sich die Universität mit ihrem zentralen Standort am Uhlhornsweg entwickeln würde. (…) Aus dem Projekt bildeten sich für die weitere Entwicklung wesentliche Arbeitsbereiche: Biochemie und biochemische Analytik, Sedimentologie und aquatische Ökologie sowie analytische Chemie. Letzterer Zweig unter Dieter Schuller verselbstständigte sich zur Abteilung Umweltchemie. Die anderen Arbeitsrichtungen verlagerten ihr Interesse auf die Erforschung ökologischer Zusammenhänge von Watt und Küste. Es war gleichsam die Wanderung vom Süß- zum Salzwasser. Endpunkt der Entwicklung sich ausweitender interdisziplinärer Meeres- und Küstenforschung war im Juli 1987 die Gründung des „Instituts für Chemie und Biologie des Meeres“ (ICBM).

Regenerative Energien: Die Berufung von Joachim Luther im Jahr 1973 auf die Stelle für Experimentalphysik, Schwerpunkt physikalische Messmethoden, setzte einen glücklichen Impuls für die Entwicklung dieser Forschungsrichtung. Er selbst wurde in Würdigung seiner Verdienste auf diesem Forschungssektor 1993 zum Direktor des 1981 gegründeten „Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme“ (ISE) in Freiburg berufen (…)

Akustik: Dieses Arbeitsfeld nahm seinen Anfang in der Zeit des Gründungsausschusses. Damals wurde (…) Volker Mellert von Göttingen nach Oldenburg berufen. Als er mit Start des Lehrbetriebs die Arbeit aufnahm, begann diese mit „Untersuchungen zur Ausbreitung von Schall stationärer und beweglicher Lärmquellen zur Ermittlung von Schutzmaßnahmen und Verbesserung von Modellen zur Lärmvorhersage“. Mit August Schick stieß in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ein Psychologe zur Arbeitsgruppe, der sich mit Problemen psychoakustischer Beurteilung von Schallsignalen beschäftigte. Damit war der Weg vorgezeichnet: 1992 bis 2001 das DFG-Graduiertenkolleg „Psychoakustik“, initiiert durch Mellert und Schick, zu denen als Verstärkung 1993 Birger Kollmeier, auch ein Göttinger, hinzukam, dem wir heute das weltweit renommierte „Zentrum für Hörforschung“ verdanken (…)

Prof. Dr. Rainer Krüger (Foto) wurde 1970 als Geograph an die damalige Pädagogische Hochschule berufen. Nach seiner Amtszeit als Gründungsrektor (1974-1979) kehrte er in sein Fach zurück und gründete das Forschungsinstitut FORUM. 2005 wurde er emeritiert, leitete danach touristische Projekte in Italien und Deutschland und wirkt heute als Berater im Land Brandenburg. Er lebt in Berlin.

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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