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Wolf-Dieter Scholz

 

5. März 1996   61/96

Medizinstudium ohne Abitur - Eine kontroverse Diskussion

Oldenburg. Kürzlich hat das Land Niedersachsen eine Gesetzesinitiative im Bunderat vorgelegt mit dem Ziel, das Medizinstudium auch ohne Abitur zu ermöglichen. Vom Hartmannbund, der standespolitischen Vertretung der MedizinerInnen, wurden dazu erhebliche Bedenken angemeldet. Zu der Diskussion gab jetzt Prof. Dr. Wolf-Dieter Scholz (Fachbereich Pädagogik der Universität Oldenburg) eine Stellungnahme ab. Scholz ist der Beauftragte für die Z-Prüfung (Prüfung für den Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung ohne Hochschulreife/Fachhochschulreife) an der Universität Oldenburg.

Seit vielen Jahren bietet das Land Niedersachsen berufserfahrenen jungen Menschen die Möglichkeit, auch ohne Abitur an einer seiner wissenschaftlichen Hochschulen zu studieren. Voraussetzung dafür ist u.a. eine anspruchsvolle Hochschulzugangsprüfung, in der die interessierten Studierwilligen ihre Studierbefähigung nachweisen müssen. Seit etwa zwei Jahren hat nun Niedersachsen die Möglichkeiten für diesen Personenkreis noch erweitert. Wer einen bestimmten beruflichen Weiterbildungsnachweis vorweist (z.B. die Meisterprüfung, die Qualifikation zum Techniker, Betriebswirt, zur Erzieherin), kann in einem entsprechenden Studienfach zunächst ohne Prüfung ein Probestudium beginnen und muß nach zwei Semestern dann seine Studierfähigkeit durch entsprechende studienfachbezogene mündliche und schriftliche Leistungen nachweisen. Dann erst kann er sich unbefristet für das gewählte Fach einschreiben lassen. Ausgenommen davon sind allerdings die medizinischen Studiengänge, weil der angehende Arzt nach erfolgreichem Studium seine Zulassung zur Approbation beantragen und dafür die allgemeine Hochschulreife nachweisen muß. Diese nach dem Abschluß des Fachstudiums in der Sache unsinnige Forderung wird von der Approbationsordnung für Mediziner verlangt. Da die Approbationsordnung Bundesrecht ist, kann das Land keine Ausnahmeregelungen schaffen, ohne einen Zustand der Rechtsunsicherheit zu riskieren. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, daß das Land Niedersachsen einen Versuch unternimmt, durch eine Bundesratsinitiative diese Bestimmung in der ärztlichen Approbationsordnung so zu verändern, daß in Niedersachsen bald auch qualifizierte Krankenschwestern und Krankenpfleger ohne Abitur die Möglichkeit bekommen, Medizin zu studieren, so wie z.B. Verwaltungsangestellte die Möglichkeit haben, Jura zu studieren.

Es ist nicht besonders überraschend, daß Niedersachsen mit seiner Gesetzesinitiative den standespolitisch begründeten Widerstand des konservativen Hartmannbundes geweckt hat. Wider besseres Wissen aus der alltäglichen Praxis in den Krankenhäusern befürchtet er einen Qualitätsverlust des Medizinstudiums, weil die Krankenpfleger oder Krankenschwestern ohne Abitur keine ausreichenden analytischen und wissenschaftlichen Denkweisen hätten. Was nun die Studierfähigkeiten der angesprochenen Personengruppe betrifft, kann der Hartmannbund beruhigt werden: Mit dem Medizinstudium von qualifizierten Berufstätigen ohne allgemeine Hochschulreife liegen nämlich längst positive Erfahrungen vor. In Niedersachsen haben bis 1981 eine ganze Reihe von Nichtabiturienten eine Zulassungsprüfung für das Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen, anschließend ihr Studium an der Medizinischen Hochschule in Hannover (MHH) bzw. an der Universität Göttingen aufgenommen und mit gutem oder sehr gutem Erfolg beendet. Sie dürften seit vielen Jahren als freipraktizierende Mediziner oder als Krankenhausärzte ihrer Arbeit nachgehen und es kaum als Hemmnis in ihrer fachlichen Arbeit empfinden, daß sie zwar eine anspruchvolle wissenschaftliche Berufausbildung hinter sich gebracht haben, vielfach auch promoviert worden sind und erfolgreich Karriere machen konnten, aber nicht das Abitur haben.

An der Universität Oldenburg ist 1986 eine empirische Studie veröffentlicht worden, in der (im Auftrag der konservativ-liberalen Bundesregierung) der Studienerfolg von Nichtabiturienten in Niedersachsen untersucht worden ist. Dabei sind auch Medizinstudierende aus Göttingen und Hannover untersucht worden Diese Untersuchung konnte deutlich nachweisen, daß in der Medizin wie in allen anderen Studienfächern die Nichtabiturienten mindestens so erfolgreich gewesen sind wie ihre Kommilitonen und Kommilitoninnen mit dem Abitur. Auch Hochschullehrer aus den entsprechenden Universitäten bzw. von der MHH bestätigen, daß dieser Personenkreis aufgrund seiner z.T. hohen fachlichen Vorbildung (viele kamen aus der Krankenpflege und aus den medizinisch-technischen Berufen), seiner hohen Leistungsbereitschaft und seiner größeren Lebenserfahrung und Persönlichkeitsentwicklung eine Bereicherung für die Hochschulen dargestellt hat.

Leider hat das Land Niedersachsen diesen Weg in das Medizinstudium für Niedersachsen ruhen lassen müssen, weil die Befürchtung gewachsen war, daß der Gegensatz von Approbationsordnung als Bundesrecht und niedersächsischer Zulassungregelung als Landesrecht im Streitfall zu einer Benachteiligung der Medizinstudierenden ohne Abitur hätte führen können. Nur deshalb gibt es seit ca. 15 Jahren diesen Weg in das Medizinstudium in Niedersachsen nicht mehr. Es ist dem Land Niedersachsen bei seiner spät ergriffenen Bundesratsinitiative nur zu wünschen, daß es nicht an den standespolitisch motivierten Denkgrenzen der Lobbyisten der konservativen Vertreter der deutschen Ärzteschaft scheitert. Übrigens: Seit diesen 15 Jahren vertaner Zeit sind in Niedersachsen Tausende tüchtiger junger Menschen ohne Abitur über die Zulassungsprüfung Juristen, Ingenieure, Informatiker, Naturwissenschaftler, Lehrer, Pädagogen usw. geworden. Hätte es für sie so etwas gegeben wie eine Approbationsordnung, wäre ihnen die Hochschule und der akademische Beruf verschlossen geblieben.

 

Pressekontakt:  Prof. Dr.Wolf-Dieter Scholz,  Fachbereich Pädagogik,  Tel. 0441/798-2069,  Fax -2325.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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