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Rudolf Leiprecht

 

06. Februar 2008   061/08   Forschung

Vom „gottergebenen“ Leben der Missionarsfrauen in Afrika
Dissertation an der Universität Oldenburg: Ehefrauen unerwünscht, aber unverzichtbar

Oldenburg. Die Ehefrauen christlicher Missionare in Afrika hatten sich den Bestrebungen der Missionsgesellschaften ebenso bedingungslos unterzuordnen wie ihre Ehemänner, allein maßgebend war das Ziel der Verbreitung des Evangeliums. Besonders extrem zeigte sich dieses Verhältnis in der Verpflichtung der Missionarsfamilien, sich von ihren Kindern zu trennen. Zu diesem Resümee gelangt die Diplom-Pädagogin Ilse Theil (geboren 1930) in ihrer Dissertation über das Leben von Missionarsehefrauen der Norddeutschen Mission, die kürzlich im Fach Interkulturelle Pädagogik der Universität Oldenburg (Prof. Dr. Rudolf Leiprecht) abgeschlossen wurde („‚Reise in das Land des Todesschattens’. Lebensläufe von Frauen der Missionare der Norddeutschen Mission, die von 1849 bis 1899 nach Togo/Westafrika ausgesandt wurden. Eine Analyse als Beitrag zur pädagogischen Erinnerungsarbeit“). Die Norddeutsche Mission mit Sitz in Bremen, eine von mehr als 20 evangelischen Missionsgesellschaften, besteht seit 1836.
In ihrer Arbeit hat sich Theil mit dem Schicksal von insgesamt 56 Missionarsfrauen detailliert auseinandergesetzt. Ihr Hauptanliegen sei, so die Wissenschaftlerin, den „vergessenen Frauen eine Stimme zu geben“. Die Quellenlage sei schwierig gewesen, „da von den Frauen selbst kaum Zeugnisse existieren und sich deren Leben nur über Äußerungen der Ehemänner erschließen ließ, aber dennoch konnte ich etwas ‚Licht ins Dunkel der Missionsgeschichte’ bringen“.

Ursprünglich hatte die Missionsgesellschaft ausschließlich ledige Missionare nach Afrika gesandt. Befürchtet wurde, dass die Männer, wenn sie für Ehefrauen zu sorgen hätten, von ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich „heidnische Menschen“ vom Christentum zu überzeugen, abgelenkt würden. Außerdem galten Ehefrauen, vor allem im Hinblick auf eine mögliches Leben als Witwe, als „Kostenfaktor“ (Theil). Doch als die Missionare, die unter Einsamkeit und schwierigen Lebensverhältnissen litten, vermehrt „Hilferufe“ nach Deutschland aussandten und das Fehlen einer „Gehilfin“ verzweifelt beklagten - nicht zuletzt mit Hinweis auf das Problem der sexuellen Enthaltsamkeit - änderte sich die Haltung der Gesellschaft. Sie gestattete ihren Missionaren schließlich, sich nach einer „Bewährungszeit“ von zwei Jahren auf dem Missionsfeld um eine Braut zu bewerben. D.h. dem Missionar wurde eine Ehefrau zugewiesen, die von der Missionsgesellschaft ausgesucht worden war.
Die Motive der Frauen, einen ihnen völlig fremden Mann zu heiraten, sich diesem bedingungslos unterzuordnen sowie auf einem fernen Kontinent zu leben, ließen sich durch die Quellenlage nicht erhellen. Ebenso ist wenig über ihr familiäres und soziales Umfeld bekannt, außer dass sie einen christlichen Lebenswandel führten. Anders als für die vorwiegend aus Bauern- und Handwerkerfamilien stammenden Männer, die eine mehrjährige Ausbildungszeit absolvieren mussten, war für die Frauen keine Vorbereitung auf das Leben in Afrika vorgesehen. Dieses Leben war u.a. mit der Verpflichtung verbunden, sich von ihren in Afrika (bzw. in Deutschland während eines Urlaubsaufenthalts) geborenen Kindern zu trennen. Aus vorgeblich klimatischen Gründen durften diese nicht bei den Eltern aufwachsen und wurden, sobald sie transportfähig waren, nach Europa gebracht, wo sie bei „Ersatzeltern“ aufwuchsen. Die Trennung von den Kindern, aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar, konnte vermutlich nur ertragen werden, weil die Mütter ebenso wie die Väter davon überzeugt waren, „im Namen Gottes zu handeln“ (Theil).
Dennoch bedeutete diese Praxis eine große Belastung für beide Elternteile, wie sich aus Briefen von Missionaren an die Missionsgesellschaft ergibt. Ein anderes Thema, das auf die schwierigen Lebensbedingungen hinweist, sind die immer wiederkehrenden Krankheiten. Die ärztliche Versorgung war unzureichend und fand unter katastrophalen Umständen statt. Dies zeigte sich besonders bei komplizierten Geburten. Die Folgen waren häufig der Tod von Mutter und Kind, die in dramatischen Schilderungen dokumentiert wurden. Hinzu kamen finanzielle Probleme. Bei Heirat eines Missionars wurde sein Gehalt nur geringfügig erhöht und ein Zuverdienst war nicht erlaubt. Die Missionare waren deshalb dankbar für jede Unterstützung in Form von Nahrungsmitteln durch ihre Familien in Deutschland. Als eine der zukünftigen Ehefrauen bei der Mission für die Arbeit ihres Mannes mehr Geld forderte, wurden beide aus dem Missionsdienst entlassen mit der Begründung, dass Frauen zu schweigen hätten.
Die Haltung der Missionsgesellschaft gegenüber dem Missionar als einem „Schwamm, den man ausdrückt bis dass keine Feuchtigkeit mehr herauskommt“ (so der Missionar Jakob Spieth in einem Brief 1884), habe auch den Ehefrauen gegenüber gegolten, so Theil. Diese waren „unerwünscht, aber unverzichtbar für die Mission“. Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein habe sich die Haltung der Missionsgesellschaft nur unwesentlich geändert. Selbst in der letzten offiziellen Chronik der Norddeutschen Mission (für den Zeitraum von 1819 bis 1986) werde zwar die Aussendung des ersten Mannes nach Togo hervorgehoben, die der ersten Frau jedoch nicht erwähnt.

ⓚ Kontakt:
Dr. Ilse Theil, Tel.: 0441/878 96
 
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